Gratis-Content im Lokalen

„Schwäbische Zeitung“ verspricht Vereinen und Kirchen: „Wir kürzen nichts!“

Der Rückruf kommt schnell. Fragen? Will Andreas Müller gar nicht wissen. Muss er nicht. Er kennt sie, also redet er gleich los. Andere Journalisten hätten ihn ja auch schon angerufen. Und alle wollten wissen, ob er das ernst meint. Ob das wirklich so läuft, wie es in dieser Mail steht.

Andreas Müller ist stellvertretender Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“. Die Mail, um die es geht, verschickte das Regionalblatt vom Bodensee kürzlich an Vereine, Kirchen, Schulen in Friedrichshafen, wo die „Schwäbische“ eine Lokalredaktion hat. Die Medienwelt sei im Wandel, stand da drin. Und dass die Pandemie „auch in unserer Branche“ Spuren hinterlasse. „Weiterer Personalaufbau ist derzeit schwierig.“ Deshalb könne man sich „Texten und Bildern aus Ihrem Bereich“ nicht mehr so widmen wie bisher.

Harter Schnitt nach 2.400 Zeichen

Aber die „Schwäbische“ hat einen Plan, er heißt: „Meine Heimat“.

Ab April gibt es die neue Seite, auf der Berichte der Schulen, Kitas, Vereine, Kirchengemeinden etc. in Originalfassung erscheinen. Genau so, wie die jeweils Verantwortlichen für Pressearbeit ihre Berichte verfasst und eingesandt haben.

Okay. Moment. Als hätte die „Schwäbische“ geahnt, dass es da wahrscheinlich stirnrunzelnde Nachfragen geben würde, schiebt sie hinterher:

Versprochen: Wir kürzen nichts! Wir verändern nichts!

Vorausgesetzt, die Einsender halten sich an die Regeln.

Die stehen im Anhang der Mail: Vereine und andere sollen (weiterhin) Bilder und Texte einschicken. Voraussetzung: Die Texte sind nicht länger als 2.400 Zeichen, und falls sie es doch sind, „schreitet die Redaktion nicht kürzend ein, sondern schneidet den Text nach 2.400 Zeichen ab“.

Sie lege „nicht mehr Hand an diese Texte“, verspricht die Redaktion. Stattdessen lege sie die „Berichterstattung über Vereine, Schulen, Kitas und Kirchengemeinden in die Hände derer, die am meisten davon verstehen“. Was sich wie eine Kapitulationserklärung liest, gerade bei einer Regionalzeitung: Kirchen, Schulen, Vereine – wissen wir nicht so Bescheid.

Als „Vorteile für Sie“ listet die „Schwäbische auf“: „Sie bestimmen selbst ihr Bild in der Öffentlichkeit.“ Und: „Sie ersparen sich Diskussionen mit der Zeitung über Themen und veränderte Texte.“ Pressesprecher*innen, die das lesen, dürfte jetzt Tränen der Freude in den Augen haben. Journalisten hingegen haben ein paar Fragen.

„Unglücklich“ kommuniziert

Andreas Müller sagt, das sei eine „ausgesprochen unglückliche Kommunikation“ gewesen. Der Text stamme aus einer Powerpoint-Präsentation, eigentlich hätte er so nicht rausgehen sollen. „Sie bestimmen selbst ihr Bild in der Öffentlichkeit.“ Diese Formulierung, zum Beispiel, sei nicht gut.

Letztlich aber ist es ein bisschen so. Auch wenn da ebenfalls in der Mail unter „Ausnahmen“ steht, dass wichtige gesellschaftliche und kommunalpolitische Themen oder „außergewöhnliche Inhalte“ „in bearbeiteter Fassung im normalen redaktionellen Teil der SZ erscheinen“ würden.

„Meine Heimat“, deine Texte Quelle: Schwäbische Zeitung

In ihrem ländlichen Verbreitungsgebiet sei die „Schwäbische“ auch eine Plattform für viele Vereine und andere Institutionen, sagt Müller. Sei sie schon immer gewesen. Früher habe man deren Pressemitteilungen redigiert und veröffentlicht. Zu den üblichen Anlässen: Ehrennadel-Verleihung bei der Feuerwehr, Jahresausflug des Wandervereins, solche Sachen.

Gelesen werde das eher wenig, hätten Umfragen gezeigt. Also sei die Frage gewesen: ganz lassen – oder den Vereinen weiterhin den Raum geben, der ihnen zustehe. „Die sind aktiv und umtriebig“, sagt Müller, und sie leisteten ja alle Arbeit für das Gemeinwesen, seien wichtig für die ländliche Community.

Das nun so zu machen, sei auch „eine Geste“. Und zum Redigieren habe man eben keine Zeit mehr. Unter „Vorteile für uns“ schreibt die „Schwäbische“ in der Mail: „Wir gewinnen Kapazität, um andere Themen zu recherchieren, zu schreiben oder filmen und aufzubereiten.“ Das klingt gut, schreiben Redaktionen allerdings häufiger, wenn sie irgendwas einsparen.

Ein anderer Grund dafür, es so zu machen: der Ärger, den es immer wieder gegeben habe, wenn sie etwas verändert hätten in den Texten. Wenn sie etwa die Sonne, die morgens bei der Wanderung freundlich grüßte, rausgestrichen haben. Das leibliche Wohl, für das gesorgt wurde. Die geschwungenen Tanzbeine. „Und uns erreichten viele Tanzbeine“, sagt Müller.

Anderes Layout, andere Schrift

An anderen Standorten im Verbreitungsgebiet gebe es die Seite „Meine Heimat“ bereits, seit ein paar Jahren schon. Angefangen habe man in Lindau, inzwischen machten sie das in gut zehn von 19 Lokalredaktionen. Anstoß genommen hat bisher offenbar niemand. Sie würden die Texte natürlich auch prüfen auf heikle Tatsachenbehauptungen oder Justiziables, das schon. Nur änderten sie eben nichts mehr. Und wenn es um etwas Relevantes gehe, um Kommunalpolitisches, Skandale, finde das ganz normal in der Zeitung statt.

Dass Pressemitteilungen eins zu eins in Lokalzeitungen landen, ist nicht neu. Es geschieht jeden Tag. Und oft sieht das, was irgendwelche Pressesprecher geschrieben haben, dann aus wie ein redaktioneller Beitrag.

Dass die „Schwäbische“ nun sogar offen dafür warb, sorgte für Irritation. Aber es klappe gut, sagt Müller. Die Vereine seien happy, und vor allem sei die Extra-Seite bei ihnen ja auch „klar ausgeflaggt“, auch online. Mit anderem Layout, anderer Schrift. Plus Kasten mit Hinweis auf die Absender.

Kasten auf „Meine Heimat“ Ausriss: Schwäbische Zeitung

Aber wie will Müller verhindern, dass sich Vereine besser darstellen als sie sind oder es ein kritischer Journalist tun würde? Wenn etwa die als harmonisch geschilderte Vorstandssitzung doch nicht so harmonisch war? „Das kriegen wir mit“, versichert Müller. Und dann würden sie berichten. Auf der Extra-Seite „Meine Heimat“ fänden eher harmlose Angelegenheiten statt. Harmlos, aber eben auch wichtig. Für die Gemeinschaft.

„Keine Alternative zu echtem Lokaljournalismus“

Und die „Schwäbische“ geht noch weiter: Man schule die Schriftführer der Vereine auch, wie man solche Texte schreibe. In Zukunft soll es obendrein eine Online-Plattform geben, in die Pressesprecher die Texte gleich eingegeben können. Jeweils mit kurzer Erklärung: Was gehört in die Überschrift? Was in den Vorspann? Vorteil für die Zeitung: noch weniger Arbeit. Und natürlich auch Gratis-Content, wie man bei „Focus Online“ sagen würde.

Per Mail schickt Müller ein paar Meine Heimat“-Seiten zur Ansicht. Und beteuert noch mal, dass die „Schwäbische“ den Vereinen, Schulen, Kirchen die Möglichkeit geben wolle, ihre Aktivitäten zu präsentieren, „über die wir wegen geringer Relevanz nicht journalistisch-redaktionell berichten“. Das Konzept habe „keinerlei Auswirkungen auf unseren redaktionellen Lokaljournalismus“. Denn: „Wir halten die Heimatseiten nicht für eine Alternative zu echtem Lokaljournalismus, sondern für eine Ergänzung.“

14 Kommentare

  1. Geld wird eingespart, die Inhalte werden irrelevanter, keiner will es mehr lesen, mehr Geld muss eingespart werden…

    Wie es anders gehen kann, zeigt Katapult hoffentlich bald in Mecklenburg-Vorpommern.

  2. Hmm, wenn jemand bei einer Zeitung eine Anzeige schalten will, wie toll man doch sei und wie viel Spaß alle mit einem haben können – kostet das sonst nicht Geld?

  3. @2 das haben die (Lokal-)Redaktionen verpasst. Selbst im redaktionellen Teil werden oft genug kostenpflichtige Angebote der Vereine angekündigt (weil gemeinnützig), um die Randspalte zu füllen. Wie Herr Müller korrekt sagt, gibt es hier oft keinen journalistischen Mehrwert, für manche Leser*innen und die Absender*innen ist es dennoch relevant. Warum dieser Service bestimmten Gruppen kostenlos zugänglich gemacht wird, erschließt sich mir schon lange nicht.

  4. @1
    Bin gespannt, im Crowdfunding drin jedenfalls als Rostocker.

    @2,3
    Ja, im Prinzip ist das ein Service für den gemeinnützigen Zweck bzw. es bringt gerade genug Leser, dass es das wert ist?

    Mich erinnert das an die Berichte im Lokalsport in meiner Lokalzeitung, die praktisch immer von den Trainern geschrieben waren. Auf „Meine Seite“ wird es immerhin sogar besonders transparent gemacht. Ich finds pragmatisch und in Ordnung.

  5. Ich bin eigentlich schon immer in Vereinen gemeinnützig tätig. Sportvereine, Seniorenhilfe, Fördervereine von Kindergarten, Grund- und weiterführenden Schulen. Unsere Lokalzeitung schafft es regelmäßig nicht, einfache Sachzusammenhängen aus dem Vereinsleben stringent wiederzugeben, verdreht und verschreibt Namen, Zahlen und Fakten, oder erfindet einfach Dinge dazu und lässt wesentlich Details weg. Dann sollte man besser die Pressemitteilung des Vereins veröffentlichen und das entsprechend kenntlich machen. In meiner Heimatstadt mit knapp 30.000 Einwohnern passiert immer genau so viel, wie auf eine Zeitungsseite passt. Auch online steht da nicht wesentlich mehr. Und da gäbe es ja keine Platzbeschränkung. Am schlimmsten sind die überregionalen Meldungen, die man von unten nach oben lesen muss, und bei der jeder Absatz mit „Update vom…“ eingeleitet wird. Da wird dann oben etwas ganz anderes geschrieben, als im ursprüngliche Artikel. Und dann glauben sie, dass sei transparent. Es ist ein Jammertal.

  6. Auf der einen Seite eine gute Sache, zumindest für Vereine da es in den von Lokaljournalisten verfassten Artikeln oft an Sachkenntnis fehlt. Auf der anderen Seite kann man drauf warten bis von Rechtsaußen oder Schwurblern versucht wird ihre Inhalte so unters Volk zu bringen

  7. Wo ist der Skandal, Herr Rosenkranz? Ein ähnliches Konzept hatten wir vor acht Jahren beim Nordbayerischen Kurier in Bayreuth umgesetzt und seit eineinhalb Jahren bei der Ostfriesen-Zeitung in Leer (hier werden die Texte allerdings redigiert). Der wesentliche Unterschied beide Male zum Modell der SZ ist, dass die Vereinstexte in einer wöchentlichen Extrabeilage zur Zeitung erscheinen.

    Grundsätzlich ist es richtig, chronistische Inhalte wie Vereinstexte, die jeweils nur eine Handvoll Leser/Beteiligte interessieren, aus dem Premiumprodukt Tageszeitung rauszubekommen und Kapazitäten freizuschaufeln für guten Lokaljournalismus. Es lohnt sich einfach nicht, durch Redigieren aus oft sehr schlechten Texten schlechte Texte zu machen. Und wir wissen ja längst, welche Themen die Menschen interessieren (und das ist nicht der Nachbericht vom Vereinsausflug). Hier wird ungeachtet der missglückten Kommunikation transparent gemacht, was die Leser auf den jeweiligen Seiten finden. In anderen Zeitungen steht eben „Anzeigen-Sonderveröffentlichung“ drüber und manchmal auch gar nichts.

    Zu beachten ist auch, dass es den Regionalzeitungen nichts bringt auf die Vereinsberichterstattung komplett zu verzichten, so lange wir uns in einer Übergangszeit befinden und die langjährigen Abonnenten, die auf jede Veränderung der Zeitung so reagieren, als zerstörte man ihr Leben, eben genau diese Berichterstattung als Beleg dafür sehen, das in ihrem Heimatort das Leben pulsiert.

    Warum soll man diese Menschen verprellen? Da ist doch die Ausgliederung der Vereinsberichterstattung ein eleganter Weg, der noch dazu die Lokalreporter zwingt, sich Gedanken über die Inhalte auf ihren Seiten zu machen.

    @7: Das passiert ja nicht. Die Texte werden gelesen und geprüft, bevor sie auf die Seiten kommen.

  8. Auch das Main-Echo in Aschaffenburg hat bereits seit Jahren mit der Beilage „Unser Echo“ dieses Modell. Als Joachim Braun noch Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse war, schlug ich das auch für die FNP vor, da wir von der Flut von Vereinsnachrichten fast überrollt wurden. Und so zusätzlicher Platz geschaffen worden wäre. Passiert ist nichts und auch die Idee des stellvertretenden Chefreakteurs Thomas Ruhmöller, den „Überhang“ online zu stellen wurde meines Wissens nach nicht weiter verfolgt.

  9. @Joachim Braun: Darf ich die Frage an Sie zurückgeben? Wo sehen Sie die Skandalisierung in dem Artikel, Herr Braun? Er beschreibt sehr unaufgeregt das Projekt, die problematische Kommunikation, das Dilemma.

  10. @Stefan Niggemeier: Gerne. Sie haben Recht, der Text ist unaufgeregt. Und die Mitteilung von Herrn Müller hätte ich vermutlich genauso genüsslich zerlegt wie Herr Rosenkranz. Der Punkt ist, dass Vereinsberichterstattung, so sie stattfindet, nur weil es einen satzungsbedingten Anlass gegeben hat, etwa eine Hauptversammlung, noch nie Journalismus war, sondern immer schon Vereins-PR – vielfach in die Zeitung gebracht von schlecht bezahlten freien Mitarbeitern, die Teil des Systems waren, auch wenn sie keine Vereinsfunktion hatten.

    Insofern ist die schwäbische Lösung eine transparente und nicht, wie man zwischen den Zeilen dieses Textes lesen kann, eine Absage an berechtigte journalistische Tugenden.

    @Franz Heinrich: Wie Sie aus eigenem Erleben wissen, wurden bei der FNP viele gute Ideen nicht umgesetzt und das nur selten, weil der Chefredakteur es nicht wollte.

  11. Dieser zusätzliche Platz in der Zeitung wird gerne auch von Schulen genutzt (Fotos von Ausflügen und Abschlussjahrgängen). Wird wohl auch in Schwaben und Ostfriesland nicht anders sein.
    @Joachim Braun Ich habe auch nicht gesagt, dass es an Ihnen gelegen hätte,

  12. Schreibt euren Schrott in Zukunft einfach selber. Kein schlechtes Konzept. Lesen werden es eh nur die Vereinsmeier selber. Und wenn Meier 1 Meier 2 im Frühjahr die goldene Ehrennadel in Brust rammt und im Sommer dann umgekehrt, könnte man diese Nullmeldung auch getrost auf die vereinseigene Facebookseite beschränken. In eine Zeitung gehört das heutzutage eh nicht. Mein Heimatkäseblatt ist das ‚Badische Tagblatt‘ in Baden-Baden. Um komplett informiert zu sein über das lokale Nichtgeschehen, reicht mir meistens das Überfliegen der ersten Seite des Lokalteils. Wenn ich dann beruhigt feststelle, dass wieder kein Komet in der Kernstadt eingeschlagen ist, kann ich getrost aufhören. Denn ab Seite 2 begehen im Wesentlichen nur noch Meier 1 und 2 aneinander rituelle Ehrennadelattacken. Wer das jetzt schreibt, das ist folglich so wichtig wie die Frage, wer denn nun den Käse zum Bahnhof gerollt hat. Es bleibt eben Käse.

  13. Danke für den Artikel.

    Das erinnert mich sehr an die Konzepte “Mitteilungsblatt” bzw “Amtsblatt” (bspw. https://einhorn-app.de/). Bin unsicher was das eigentlich genau ist, aber Gemeinden bieten das den Vereinen kostenlos an, um Ankündigungen zu publizieren. Andere Inhalte sind behördlich oder so. Bürger abonnieren. Schlechte Reichweite und Minusgeschäft für die Gemeinden.

    Insgesamt gute Idee, wenn klar gekennzeichnet. Es kann nicht genug harmloses über lokales Geschehen berichtet werden.

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