„Nachrichtenassistenten“ in China

Die Leiharbeiter des Journalismus

Viele ausländische Medien in China stecken in einem Dilemma. Eigentlich sind es sogar mehrere Dilemmata – geschaffen vom Regime in Peking.

Die meisten Korrespondenten sind auf einheimische Mitarbeiter*innen angewiesen, da sie selbst oft nicht gut genug Chinesisch sprechen und ihnen das Kontaktnetz sowie ein ausreichendes kulturelles Verständnis fehlen. „Genau deshalb haben wir ja kompetente Chinesen, die mit uns arbeiten!“, erklärte etwa Tamara Anthony, die Leiterin des ARD-Fernsehstudios in Peking, als sie auf Twitter wegen fehlender Landeskenntnis kritisiert wurde.

Aber: Peking versucht, ausländische Medien und besonders einheimische Mitarbeiter zu kontrollieren. So dürfen die Medien chinesische Staatsbürger nicht als Journalisten beschäftigen, sondern ausschließlich als so genannte Nachrichtenassistenten – für Hilfsarbeiten wie Übersetzungen, Organisation, als Kamerafrau oder Fahrer. Und die Medien dürfen sie nur als Leiharbeiter über „Serviceeinheiten“ verpflichten wie das „Pekinger Servicebüro für diplomatische Missionen“, eine zum Parteistaat gehörende Organisation.

Blick auf vier Monitore im Schnittraum im ARD-Studio Peking
Der Schnittraum im ARD-Studio Peking. Screenshot: NDR/„Weltbilder“

So versuchen chinesische Sicherheitsbehörden auf diesem Weg auch, Nachrichtenassistenten als Spitzel einzusetzen, um an Informationen über Korrespondenten und ihre Recherchen zu gelangen – und verhören sie hierzu.

Loyalität, Abhängigkeit, Sicherheit

Dieses Konstrukt und die verschiedenen Abhängigkeiten sind eigentlich schon kompliziert genug zu händeln. Doch es kommt noch eine Schwierigkeit für ausländische Medien hinzu: die Sicherheit. Während der Schutz der eigenen Korrespondenten meist ob der ausländischen Staatsbürgerschaft gewährleistet werden kann, ist das bei einheimischen Leiharbeitern viel schwieriger.

Die Jahresberichte des Clubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) fielen in den vergangenen Jahren immer konsternierter aus. „Alle Mittel der Staatsgewalt – wie auch zur Kontrolle des Coronavirus eingeführte Überwachungssysteme – wurden genutzt, um Journalisten zu schikanieren und einzuschüchtern“, schreibt der FCCC in seinem jüngsten Bericht.

Zum dritten Mal in Folge hat kein einziger Korrespondent bei der jährlichen Umfrage angegeben, dass sich die Arbeitssituation in China verbessert hat. Im ersten Halbjahr 2020 habe Peking mindestens 18 Korrespondenten der „New York Times“, des „Wall Street Journals“ und der „Washington Post“ ausgewiesen – insgesamt mehr Korrespondenten als jemals seit dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989.

Und noch viel schlechter behandelt das Regime die eigenen Landsleute. Im FCCC-Bericht steht:

„Chinesische Staatsbürger, die für ausländische Medien arbeiten, werden zunehmend unter Druck gesetzt – Behörden befragen sie regelmäßig unter Zwang, erzwingen Entlassungen und inhaftieren sie schlimmstenfalls über lange Zeit.“

Während 2018 und 2019 gut 40 Prozent aller Korrespondenten angegeben hatten, dass ihre chinesischen Kollegen unter Druck gesetzt worden seien, lag der Anteil 2020 bei 60 Prozent. „Unsere chinesischen Mitarbeiter kommen unter einen enormen, absichtlichen und von der Regierung organisierten Druck, der viel ernster wird“, zitiert der FCCC einen europäischen Korrespondenten. Sie würden sowohl am Wohnort als auch bei Recherchereisen oder in ihren Heimatorten von der Staatssicherheit befragt.

Daher stecken nicht nur die Medien, sondern auch die einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Dilemma: Sie sollen auf der einen Seite loyal sein, werden aber auf der anderen Seite von Behörden unter Druck gesetzt und als Quellen genutzt. So wurde beispielsweise die für Bloomberg arbeitende Journalistin Haze Fan im Dezember inhaftiert – angeblich wegen des Verdachts, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben.

„Auch ihre Familien wurden dem ausgesetzt“

Laut FCCC beschuldigten Behörden Nachrichtenassistenten außerdem, unpatriotisch zu sein und ihr Land zu verraten – dies ging bis hin zu Angriffen in den sozialen Medien. Einer chinesischen Mitarbeiterin eines britischen Korrespondenten wurde gedroht, dass „etwas Schlimmes passieren könne“, wenn sie nicht kooperiere. „Chinesische Mitarbeiter sind immer die ersten, die von Behörden drangsaliert werden, wenn wir unterwegs angehalten werden“, zitiert der FCCC einen europäischen Korrespondenten. „Nur weil sie einfach ihre Arbeit machten, wurden unsere Mitarbeiter festgenommen und befragt. Auch ihre Familien wurden dem ausgesetzt.“

Während viele chinesische Journalisten früher gerne für ausländische Medien gearbeitet haben, hat sich das Blatt inzwischen gewendet: Nicht nur, da diese Jobs nicht mehr so angesehen und so gut bezahlt sind, sondern auch wegen des politischen Drucks. Anträge für neue Mitarbeiter „wurden monatelang bearbeitet und Kandidaten wurden für Treffen einbestellt, wo ihnen gezielte Fragen zu ihren politischen Ansichten und ihrem Privatleben gestellt wurden“, schreibt der FCCC. Sie müssten auch schriftlich bestätigen, dass sie bei Verletzungen der nur vage formulierten Vorschriften für ausländische Medien in China persönlich zur Verantwortung gezogen würden.

Umso erstaunlicher ist es, wie leichtfertig oder gar bewusst der Norddeutsche Rundfunk (NDR) mit einer chinesischen Mitarbeiterin in eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung ging. Nachdem eine Mitarbeiterin des ARD-Studios Tokio gegen den NDR geklagt hatte (Übermedien berichtete), hat nun auch die ehemalige Pekinger Mitarbeiterin Wang Rui (Name geändert) juristische Schritte eingeleitet: Sie sagt, sie sei vom Sender unfair behandelt und eingeschüchtert worden. Was für den NDR heikel werden kann: Personalmangel und ein schlechter Ruf können schnell die Arbeitsfähigkeit des Studios gefährden.

Der zweite Vertrag

Auch Wang war als Leiharbeiterin beschäftigt, laut Vertrag bis Ende 2020. Mitte November informierte sie die Studioleiterin, dass der Vertrag nicht verlängert werde, da dieser bei zweimaliger Verlängerung nach chinesischem Recht sonst entfristet würde.

Wang erklärt, sie sei für ihre Arbeit gelobt worden und könne das deshalb nicht nachvollziehen. Der Sender sagt:

„Die Qualität der Arbeit der Mitarbeiter*in kann hier dahinstehen, denn dessen ungeachtet wird der NDR aus Gründen der notwendigen Etatkürzungen derzeit keine Vertragsbindungen eingehen können, die eine unbefristete Beschäftigung begründen.“

Der NDR hat Wang für ihre zweijährige Tätigkeit eine Abfindung von einem Monatsgehalt pro Jahr bezahlt, wie es in China vorgeschrieben ist.

Tamara Anthony, ARD-Korrespondentin im Studio Peking Christian Spielmann/NDR

Aber: Tamara Anthony, die Leiterin des vom NDR betriebenen Studios, hatte in dessen Namen auch einen Arbeitsvertrag direkt mit Wang abgeschlossen. Dieser regelt nach Kenntnis von Übermedien neben dem Gehalt auch Arbeits-, Urlaubs- und Krankheitszeiten. Der Vertrag nimmt keinerlei Bezug auf das Leiharbeitsverhältnis mit dem Servicebüro, über welches die Gehaltszahlungen liefen. Er liest sich wie ein eigenständiger Arbeitsvertrag.

Dieser Vertrag endet erst Mitte 2022. Wang beruft sich hierauf und verlangt eine höhere Abfindung für die aus ihrer Sicht rechtswidrige Kündigung.

In China ist praktisch alles politisch

Der Sender behauptet, der direkt geschlossene Vertrag sei nachrangig. Einzelne Arbeitsbedingungen könnten in der „Individualvereinbarung“ zusätzlich geregelt werden. Diese würden aber „von anders lautenden Bestimmungen des Vertrages mit dem Servicebüro verdrängt“ und seien deshalb nichtig, sagt eine NDR-Sprecherin.

Der NDR begründet dies damit, dass eine direkte Beschäftigung – wie sie eigentlich laut dem Vertrag zwischen dem Sender und Wang besteht – in China ja illegal sei. Angaben zu einem direkten Anstellungsverhältnis mit chinesischen Angestellten „können daher keine Rechtskraft haben, sofern sie von den Bestimmungen des Arbeitsvertrages mit dem Servicebüro abweichen“, sagt die Sprecherin. Die Verträge seien mit einer auf Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei in Peking abgestimmt worden und „in Einklang mit dem Überlassungsvertrag des Servicebüros“ – trotz der unterschiedlichen Laufzeiten.

Unklar ist, ob die ARD-Studioleiterin den Vertrag im Namen des Studios überhaupt hätte abschließen dürfen – und wer Vertragspartner von Wang ist. „Das ARD-Studio Peking hat keine eigene Rechtspersönlichkeit“, erklärt die NDR-Sprecherin. Wer stattdessen Vertragspartner war und ob die Studioleiterin zur Vertragsunterzeichnung berechtigt war, will der NDR unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten – auch nicht, seit wann Chefredaktion und Justiziariat von der Vertragspraxis wussten und ob künftig eine andere Vertragskonstellation gewählt werden soll. Die Sprecherin erklärt, ansonsten habe es mit chinesischen Mitarbeiter*innen keine arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen gegeben.

Der Jurist Wolfgang Däubler findet, die Leiharbeitsverträge würden die im direkten Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeschlossenen Regelungen nur dann verdrängen, wenn der direkte Vertrag auf die Servicebüro-Tätigkeit verweist. Das macht Wangs Extra-Vertrag nicht. Grundsätzlich dürfe der NDR in China einen direkten Arbeitsvertrag ohnehin nicht schließen, meint Däubler, der Experte für chinesisches Arbeitsrecht ist. Für ihn stellt sich die Frage, ob der zwischen NDR und Wang geschlossene Vertrag gegen Treu und Glauben verstößt.

Warum überhaupt noch ein Vertrag?

Der Sender nutzt das vom Regime für Chinesen erlassene Arbeitsverbot, um für den NDR nachteilige Aspekte des Vertrags für ungültig zu erklären. Aber: Warum wurde der Vertrag zwischen dem Studio und Wang dann überhaupt so geschlossen, wenn er illegal ist? Und bringt er chinesische wie deutsche Mitarbeiter nicht in die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung in China? Fragen hierzu lässt der Sender unter Bezug auf das laufende Verfahren offen.

Auch lässt er unbeantwortet, ob chinesische Mitarbeiter*innen darüber aufgeklärt worden sind, dass einige der vertraglich festgehaltenen Regelungen nach NDR-Ansicht von vornherein nichtig waren. Laut Wang sei genau das Gegenteil passiert: Man habe ihr versichert, dass ihr Arbeitsplatz bis Mitte 2022 sicher sei.

Wang hat sich in einem ersten Schritt an das Schiedskomitee im Pekinger Bezirk Dongchen gewandt, wie es bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen in China vorgeschrieben ist. Es tagte Mitte März. Repräsentanten des Servicebüros kamen laut Wang zu dem Termin, NDR-Vertreter jedoch nicht – obwohl der Sender vom Servicebüro informiert worden sein soll.

Wang sagt, die Verhandlung sei sehr gut verlaufen. Ihr Vertrag mit dem Servicebüro laufe bereits seit 2015, vor der Tätigkeit für die ARD habe sie für einen anderen Sender gearbeitet – so dass ihr eine Abfindung für die fünf Jahre Laufzeit zustünde. Offen ist, wer diese zahlen müsste: Der NDR sieht sich nur für zwei Jahre verantwortlich. Außerdem sagt Wang, der Vertrag sei bereits mehrfach verlängert worden, wonach er nun als entfristet gelte. Bei irregulären Beendigungen von Arbeitsverhältnissen verdoppelt sich in China die Entschädigung.

Eingeschüchtert und bedrängt?

Wang wirft dem Personal des ARD-Studios außerdem vor, sie unter unzulässigen Druck gesetzt zu haben: Obwohl ihr zunächst der 15. Dezember als letzter Arbeitstag genannt worden war, sollen NDR-Mitarbeiter ihr bereits am 1. Dezember eröffnet haben, dass sie ab sofort freigestellt sei und Laptop und Smartphone abzugeben habe.

Wang fühlte sich dabei physisch eingeschüchtert und bedrängt, wie sie berichtet. Als sie mit der Korrespondentin und einem weiteren Mitarbeiter allein im Büro gewesen sei, hätten diese sich sehr nahe vor ihr aufgestellt und sie unter Druck gesetzt. Sie habe Angst um ihre Sicherheit gehabt und schließlich die Polizei gerufen, die aber nicht gekommen sei. Ihren Laptop habe sie dann abgegeben, nicht aber ihr Handy, auf dem sich auch private Daten befunden hätten. Inzwischen habe sie auch das dem NDR geschickt. Wang wandte sich später ans Pekinger Büro für Öffentliche Sicherheit. Sie sagt, die Polizei- und Sicherheitsbehörde befasse sich nun mit der Angelegenheit.

„Die unseren Mitarbeitern gemachten Vorwürfe weisen wir entschieden zurück“, sagt die NDR-Sprecherin. Sie hätten „richtigerweise darauf bestanden“, dass Wang die dem NDR gehörenden Geräte zurückgibt.

Der Sender betont, er kümmere sich gut um seine chinesischen Mitarbeiter. Das bestätigen auf Nachfrage auch andere europäische Korrespondenten in China. „Wegen der besonderen Herausforderungen gerade für das lokal beschäftigte Personal hat der NDR 2020 einen eigenen Krisenstab mit China-Expertise eingerichtet“, sagt die Sprecherin. „Dieser ist nun, wie auch eine chinesische Anwaltskanzlei, rund um die Uhr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichbar.“ Der Krisenstab im NDR stehe im Austausch mit dem Auswärtigen Amt, die Kolleg*innen in China mit der deutschen Botschaft. „Grundsätzlich hat bei Drehreisen und Recherchen die Sicherheit oberste Priorität.“ Der Sender sei sich der Gefährdungen der chinesischen Mitarbeiter*innen bewusst. „Die Gefährdungsbeurteilung vor jedem Dreh hat daher immer auch das Augenmerk auf die lokal beschäftigten Personen.“

Konsequenzen für den NDR?

Für den NDR dürfte der Streit mit Wang aber mittelfristig womöglich mehr Probleme bereiten als nur die eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung. Eben weil zuverlässige inländische Mitarbeiter nicht leicht zu finden sind. Und wenn man doch einen geeigneten Nachrichtenassistenten gefunden hat, muss dessen Mitarbeit noch von den Behörden genehmigt werden – inklusive eingehender Überprüfung des Kandidaten.

Doch Arbeitsstreitigkeiten, separat abgeschlossene Verträge, die man teils für nichtig erklärt und die Vorwürfe, Mitarbeiter festgehalten zu haben – all das dürfte sich herumsprechen unter den chinesischen Journalisten. Gerade unter jenen, die trotz aller Repressalien, trotz des Drucks, trotz des sinkenden Renommees und trotz der nicht mehr viel besseren Bezahlung der Jobs noch immer bereit sind, für ausländische Medien zu arbeiten.

Aber auch noch für den NDR?

3 Kommentare

  1. Zwischen zwei Mühlsteinen, der chinesischen Diktatur und dem kritikimmunen öffentlich-rechtlichen System werden also die einheimischen Mitarbeiter zerrieben. Überraschung! Die Chinesen machen, was sie wollen und die ÖR wie immer alles richtig. Und wenn Letzere bei Falschem und Üblem ertappt werden, schieben sie es auf Erstere. Merke: Aus einer Diktatur kann nur mit Hilfe von undercover bleibenden Informanten berichtet werden. Im Prinzip müssen Sie einen Spionagering aufbauen. Das beinträchtigt zwar die jeweilige Nachprüfbarkeit der Information, doch nur so bekommen Sie überhaupt relevante Meldungen, was natürlich gleichbedeutend ist mit solchen, die die chinesischen Unterdrücker zur Weissglut treiben. Würde aber eben auch bedeuten, dass Sie keine Studios mehr in China betreiben könnten. Denn g ä b e es relevante Berichterstattung über chinesischen Gulags in der ARD, es existierten bald keine Studios des Senderverbunds mehr dort. Druck der Bundesregierung auf China, freie Berichterstattung zu gewährleisten, wird es aufgrund der notorischen Feigheit Merkels vor inländischen Wirtschaftsinteressen in China nicht geben. Die stellen lieber Russland an den Pranger, da ist für deutsche Firmen nicht so viel zu holen. Follow the money, stupid.

  2. Beeinträchtigt nicht die Qualität des Inhalts, aber die Art und Weise, wie hier gegendert wird (Kraut und Rüben), ist irritierend, und es wäre schön, wenn eine einheitliche Lösung gefunden und konsistent verwendet werden könnte.

  3. Die Berichte über die schlechte Behandlung von journalistischen Mitarbeitern im Ausland häufen sich.

    @Kommentator*innen:
    Dass hier alle gendern können, wie und wenn sie wollen, ist doch gut.

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