Die Podcast-Kritik (42)

Ingo Zamperoni, seine amerikanische Familie, sein Podcast und ich

Die amerikanische Präsidentschaftswahl ist gelaufen, Joe Biden hat gewonnen – zumindest im faktenbasierten Teil der Welt steht das mittlerweile fest. Buchstäblich gelaufen ist auch die sehenswerte ARD-Fernseh-Doku „Trump, meine amerikanische Familie und ich“ von „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni. Im NDR-Info-Podcast „Amerika, wir müssen reden“ plaudert der ehemalige US-Korrespondent mit seiner amerikanischen Ehefrau Jiffer Bourguignon noch weiter.

Lohnt es sich überhaupt noch, sich das anzuhören – nach der US-Wahl und der viel gelobten ARD-Doku? Das hängt davon ab, welche Entwickluing der Podcast noch nehmen wird – sofern er überhaupt eine nimmt. Oder, um es mit der liebsten Moderationsfloskel von Zamperoni zu sagen: „Es bleibt spannend!“.

Über einen Podcast, der viele Fragen stellt und noch mehr Fragezeichen hinterlässt. Und der mehr aus seinem Potenzial machen könnte.

„Amerika, wir müssen reden“ ist ein ziemlich unspektakulärer Gesprächspodcast, ästhetisch irgendwo zwischen Amateur-Laberpodcast und formatiertem Profi-Talkradio zu verorten. Besonders in den ersten Folgen gibt es dazu noch ein paar unbeholfene, eilige Schnitte, die mehr nach Radio-Hektik und „Das versendet sich schon“ klingen als nach der Ausgeruhtheit von Podcasts, die keine Sendeuhren kennen. Sowas mögen viele überhören oder kleinlich finden. Mich wundert und verstört es jedes Mal aufs Neue, mit wie wenig Sorgfalt das Medium Audio behandelt wird – in Medienhäusern, die eigentlich Audio-geübt sind.

Der Podcast startete Ende Oktober. O-Töne gibt es nur in der Prä-Doku-Phase zu hören, seitdem ist er ein reines Gesprächsformat.

In den besten Momenten ringen Bourguignon und Zamperoni um die Frage, wie es zu einer polarisierten Gesellschaft kommt, wie sie auszuhalten und zu überwinden ist. Das ist eine Frage, die in den USA unabhängig vom Wahlausgang verhandelt wurde und weiter verhandelt werden muss. Eine Frage, die die Trump-Gegnerin Jiffer Bourguignon mit ihrem Trump-wählenden Vater verhandeln muss. Aber die uns auch in Deutschland zunehmend umtreibt.

Die Nicht-so-Vereinigten-Staaten

Zamperoni und Bourguignon stellen Thesen auf, denken sympathisch laut nach. Sie hinterfragen ihre eigenen Klischees von Trump-Wähler*innen, die ja quasi vielleicht auch Maskenverweigerer sein müssten – aber in der Realität mitunter vorsichtig sind. Von Schwarzen Wähler*innen, die ja eigentlich einen Rassisten nicht wählen dürften – und es trotzdem tun. Im Podcast gibt es noch deutlich mehr Grautöne zu hören, als in der sehenswerten Doku zu sehen waren.

„Amerika, wir müssen reden“ ist ein Realitätscheck nach den Wahlen von 2016 und 2020. Und ein Realitätscheck für einen Journalismus, der Wahlen als Wettrennen um Prognosen und Umfragen versteht, der ganze Wohnbezirke als Parteienhochburgen verallgemeinert und vergisst, dass überall unterschiedliche Menschen leben, für die Politik und Politikjournalismus gemacht werden.

Nach neun Folgen rund um die US-Wahl sehe ich hier das größte Potenzial für „Amerika, wir müssen reden“: Das unmittelbare Gespräch zwischen Menschen, die sehr unterschiedlicher Meinungen sind. Bisher haben die beiden Hosts im Podcast nur in relativ großer Einigkeit über die politisch „Anderen“ und das Happening der US-Wahl gestaunt. Insofern ist der Podcast auch ein gutes Dokument, was uns alle in den realen Wochen vor den Wahlen und während der gefühlten Ewigkeit der Stimmauszählung beschäftigt hat und jetzt ziemlich schnell abgegriffen ist.

Dabei wäre es jetzt erst recht naheliegend, das lange, verhandelnde Gespräch der beiden mit dem MAGA-Cappy-tragendem Familienmitglied auf der anderen Seite des Atlantiks zu führen. Oder mit den Demokraten-wählenden Freundinnen. Was in der Fernseh-Doku viele Szenenwechsel mit formatbedingten kurzen Gesprächsfetzen waren, könnte im Podcast mehr Raum einnehmen: Wie und wo kommt eine Gesellschaft (wieder) ins Gespräch, wenn die Stimmen ausgezählt und die „Magic Walls“ samt John King verstaut sind?

Prominenz, Personalisierung, Plattformisierung

In „Amerika, wir müssen reden“ vereinen sich mehrere Trendbewegungen im Medium Podcast, die ich kritisch sehe. Da wäre als erstes der Trend zum Promi-Podcast. Der wurde in Deutschland nochmal maßgeblich durch die Spotify-Strategie verstärkt. Die Streamingplattform setzt bei den Eigenproduktionen hauptsächlich auf ein Konzept: Prominenz mit bestehender Reichweite + einfaches Podcast-Gesprächsformat + Marketing, ergibt fast immer: einen Podcast mit Reichweitenerfolg und viel Sichtbarkeit für die Plattform. Und weil die große Plattform so stark auf Prominenz setzt, sehen auch andere Medien darin eine Zauberformel.

Dabei sind Podcasts in der Breite bisher ein ziemlich uneitles Medium gewesen. Vor dem Mikrofon, aber auch unter den Kopfhörern: Hier tummeln sich viele Menschen, denen Personality-getriebene Formate in anderen Medien oft zu eitel sind – und denen Inhalte tendenziell wichtiger als Oberflächlichkeiten und Prominenz sind. Das ist eine Art weicher Konsens, der mir in Gesprächen mit verschiedenen Podcaster*innen in den letzten Jahren immer wieder begegnet.

Aber mit dem Wachstum des Podcast-Publikums greifen langsam die Mechanismen, die wir aus anderen Medien kennen und die Kultur- sowie Podcast-Pessimisten gleichermaßen die „Instagrammisierung der Podcasts“ nennen könnten: ein Hang dazu, Persönlichkeiten immer mehr in den Vordergrund zu rücken.

Andere ARD-Prominente haben schon eigene Podcasts. Linda Zervakis interviewt schon „Gute Deutsche“ bei Spotify. Und Sandra Maischberger beispielsweise talkte seit September auch in einem Spotify-Original-Podcast, zuerst exklusiv auf der Streamingplattform.

Erst jetzt, zwei Monate später, wurde der Maischberger-Podcast nachträglich und auffällig unauffällig plötzlich zur Kooperation zwischen Spotify und der ARD; das öffentlich-rechtliche Logo rückte nachträglich in die Optik. Der Spotify-Podcast ist jetzt mitsamt auffälligem Markenbranding der Streamingplattform innerhalb der öffentlich-rechtlichen ARD-Audiothek zu finden. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die ARD-Sender in den letzten Jahren lange zögerten, ihre Podcasts überhaupt auf einer Plattform wie Spotify anzubieten. Einige Anstalten sind bis heute noch sehr zurückhaltend in ihrem Angebot.

Analog zu den Anfängen von Facebook ist noch nicht ganz klar, wer hier gerade wem am meisten nützt. Plattform-Kritiker beklagen, dass hier Medien bereitwillig einen angehenden Monopolisten der Audio-Branche füttern. Plattform-Optimisten sehen vor allem die Chancen, neue Publika zu erreichen – eben dort, wo die Menschen ohnehin schon sind.

Was das Maischberger-Beispiel aber jetzt schon zeigt: Wenn Prominenz das Hauptkriterium für Podcasts ist, streiten sich bald alle um dieselben wenigen Namen, bei privaten wie öffentlichen-rechtlichen Anbietern. Das sorgt mittelfristig für Format-Einöde, das kennen wir bereits aus dem Fernsehen. Meiner Meinung nach sind die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht, bewusst Angebote zu machen, bei denen Reichweiten und Prominenz nicht alles diktieren. Das geht erst recht bei den Podcasts.

Das Private ist ein Politikpodcast

Doch, zugegeben: „Amerika, wir müssen reden“ lebt von mehr als der Prominenz des „Tagesthemen“-Moderators. Er ist kein Produkt für Zamperoni-Ultras, sondern für US-Interessierte.

Das eigentliche Highlight ist für mich ohnehin Jiffer Bourguignon. Ihre Perspektive als US-Amerikanerin, die mit der politischen Zerrissenheit einer Gesellschaft bis an den Abendbrottisch ringt – und die sich klar gegen Trump positioniert. Dank ihr gibt es außerdem die kleinen und großen Schmunzler zu deutschen und englischen Sprachbildern, bei denen beiläufig auch Mentalitäten und Eigentümlichkeiten der beiden Länder erklärt werden. Der Podcast weckt da die besten Erinnerungen an Schüleraustausch und Auslandssemester, wenn Kulturen neugierig miteinander ins Gespräch kommen. Der Wortsalat aus Deutsch und Englisch macht mir Spaß, gefällt aber wahrscheinlich nicht jedem.

Für Fans von Bourguignon lässt die Produktion keine Gelegenheit aus, auf ihren eigenen Podcast „Amerika Übersetzt“ mit Wendy Brown hinzuweisen. Wem das NDR-Info-Format zu steif ist und wer sich für die deutschsprachige Perspektive von zwei US-Amerikanerinnen mit sympathischem US-Akzent begeistern kann, wird hier garantiert glücklicher.

„Tagesthemen“ trifft „Paardiologie“, oder wie?

Der zweite Trend in der Podcast-Welt, der mir zunehmend Bauchschmerzen bereitet ist die Familie als journalistisches Vehikel. Der Zugang über das Private. Den teilt der „Amerika, wir müssen reden“-Podcast natürlich mit der ARD-Doku „Trump, meine amerikanische Familie und ich“, die mit dem Besuch der Familie Zamperoni/Bourguignon bei der Hochzeit von Vater Bourguignon beginnt.

Ich bin großer Fan des persönlichen Erzählens, ich habe nichts gegen transparente Subjektivität, ich hasse die falsche Neutralität von Reporter*innen, die das „Ich“ auf Biegen und Brechen vermeiden. Trotzdem halte ich Journalismus innerhalb der eigenen Familie für ein extrem schwieriges Unterfangen. Erst recht, wenn er versucht, über die Familie – pars pro toto – eine Gesellschaft zu erklären. Die Schwiegerfamilie als Vehikel, um die polarisierten Staaten von Amerika zu verstehen.

„Amerika, wir müssen reden“ ist ein Ehepaar-Podcast, der eigentlich keiner ist. Ingo Zamperoni bleibt ähnlich wie in der Fernseh-Doku deutlich in seiner Rolle des „Tagesthemen“-Moderators und Reporters. Der die Sätze seiner Frau vervollständigt, aber dabei nicht liebevoll, sondern ungeduldig wirkt. Klar, einen Seelen-Striptease und intimen Einblick wie bei „Paardiologie“ hätte ohnehin niemand erwartet. Zu hören ist überwiegend die professionelle Seite einer privaten Beziehung.

Deswegen gibt es ein paar Momente, die in meinen Ohren extrem unauthentisch klingen. Der Reporter Zamperoni fragt seine Frau in Folge 2 und 3, ob sie denn schon gewählt habe. Der Ehemann Zamperoni weiß aber, dass die Briefwahlunterlagen auf dem heimischen Schreibtisch lagen. Erst in Folge 7, während Zamperoni in den USA ist und Frau und Kinder in Hamburg bleiben, dringt ein „Wir vermissen dich“ in der Podcast-Verabschiedung durch. Das war für mich als Hörer fast befreiend, weil die Verabschiedungen in anderen Episoden – wie „Auf Wiedersehen“ und ein neutrales „Tschüss“ zumindest im Podcast für mich so merkwürdig klingen, wenn ein Ehepaar miteinander redet.

Wann wird eigentlich mit Amerika geredet?

Diese Vermischung von Privatem und Beruflichen macht mich ratlos – vor allem scheinen mir die Rollen an vielen Stellen merkwürdig vertauscht. Man kann den Eindruck bekommen, dass Ingo Zamperoni leidenschaftlich mit den „Tagesthemen“ verheiratet und das Podcast-Gespräch mit der Ehefrau nur Teil seiner Arbeit ist.

Bei einem anderen NDR-Paar mit Podcast funktioniert die Kombination viel besser: „Die Korrespondenten in Singapur“.

Bisher wirkt „Amerika, wir müssen reden“ unentschlossen und wenig engagiert. Wie das Pflichtprogramm einer Vermarktungsstrategie einer ARD-Anstalt. Ich habe nach den ersten neun Folgen Zweifel, wie nachhaltig dieses Projekt sein wird. Meine Befürchtung ist, dass der Podcast nur als ein sehr langer Werbespot gesehen wird: Für Ingo Zamperoni und seine Doku. Für Jiffer Bourguignon und ihren (anderen) Podcast. Dabei wäre noch so viel rauszuholen – aber dafür müsste wirklich jemand mit Amerika reden. Also so ganz direkt.


Podcast: „Amerika, wir müssen reden“ von NDR Info
Episodenlänge: 9 Folgen, meist circa 20 Minuten
Offizieller Claim: „Amerika, wir müssen reden“
Inoffizieller Claim: Hilfe, mein Dad wählt die Republikaner

Wer diesen Podcast hört, hört auch:

  • Für US-Affine: „Amerika Übersetzt“ – der Podcast von Jiffer Bourguignon und Wendy Brown;
  • Für Wahl-Nerds: Der US-Podcast „Fiasco“ über die US-Wahl 2000 zwischen Al Gore und George W. Bush, die auch lange nicht ausgezählt war und dann vor Gericht entschieden wurde;
  • Für die Frage nach der Polarisierung: Die Episode „Squeaker“ von „This American Life“, die beeindruckend die Vereinigten/Polarisierten Staaten von Amerika porträtiert

3 Kommentare

  1. Ich habe den Beitrag im TV gesehen, sie haben mich darüber hinaus neugierig gemacht. Vielen Dank für die interessante Besprechung, ich habe mir die Podcasts downgeloaded und starte damit gleich auf der Heimfahrt.
    Zur Kritik. Authentizität hat sich als allseits akzeptierter Maßstab zur Bewertung eingeschlichen. Für authentisch hält man das, was man aus der eigenen Seelen- und Emotionslandschaft für passend hält. Ich kenne nichts, was noch subjektiver ist. Ich glaube fest daran, dass man den Begriff vollständig durch eine genauere Beschreibung des eigenen Inneren mit einem Schuss Selbstreflexion ersetzen kann. Vielleicht bin ich aber auch zu sehr von meiner Arbeit geprägt. Als Coach stosse ich immer auf diesen Widerstand, „das ist nicht authentisch, das passt nicht zu mir“, wenn es um neue Verhaltensweisen geht. Neue Verhaltensweisen fühlen sich natürlich immer weniger authentisch an, das ist geradezu ein Qualitätsmerkmal für Veränderung und damit nicht relevant als Bewertungsmaßstab.

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