Langjähriger „Welt“-Korrespondent wird Leiter von Orbáns Journalistenschule
Wenn „Welt“-Auslandskorrespondenten in ihrem Berichtsland zum Medienthema werden, bedeutet das meist nichts Gutes für die Pressefreiheit. Das mit Abstand prominenteste Beispiel dafür ist und bleibt der Fall Deniz Yücel. Und erst diesen Sommer attackierte der polnische Präsident Duda den Polen-Korrespondenten Philipp Fritz im Wahlkampf persönlich, um antideutsche Ressentiments zu schüren.
Auch in Ungarn sorgte in der vergangenen Woche ein „Welt“-Korrespondent für Schlagzeilen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Wie „telex.hu“ meldete, wird der langjährige Ungarn-Korrespondent der „Welt“, Boris Kálnoky, Leiter der Medienschule des Mathias Corvinus Collegiums (MCC), die der ungarischen Regierungspartei Fidesz nahesteht.
Die Nachricht löste unter Journalisten in Ungarn umgehend Diskussionen über die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Ungarn-Berichterstattung der „Welt“ und ihres Korrespondenten aus.
33 Jahre „Die Welt“
Kálnoky, der unter anderem auch für „Die Presse“ in Österreich, „Die Weltwoche“ in der Schweiz und die „Deutsche Welle“ schreibt, blickt auf eine 33-jährige Verbundenheit mit der „Welt“ zurück und prägte die Ungarn-Berichterstattung der Zeitung im vergangenen „Orbán-Jahrzehnt“ maßgeblich.
Auch deshalb ist Gabor Polyák, dem Gründer des Medien-Watchdogs „Mérték Media Monitor“ und Leiter des Medien- und Kommunikationsinstituts der Universtät Pécs, der Wechsel Kálnokys auf seinen neuen Posten sauer aufgestoßen: „Die ‚Welt‘ ist eine wichtige konservative Zeitung“, sagt er. „Ihr Name verleiht nicht nur dem MCC Legitimation. Dass ein langjähriger ‚Welt‘-Korrespondent die Leitung der Medienschule übernimmt, verharmlost auch die Situation der Presse- und Medienfreiheit in Ungarn.“
Die Nachricht habe ihn besonders getroffen, weil er erst Anfang des Jahres den „Voltaire-Preis“ für sein Engagement für die Forschungs- und Meinungsfreiheit von Friede Springer persönlich überreicht bekam und seine Dankesrede mit dem Titel „Höchste Zeit, undemokratische Regime in Europa zu benennen“ im Januar in der „Welt“ veröffentlicht wurde.
Polyák stellt konsterniert fest:
„Seit zehn Jahren berichten wir immer wieder darüber, aber trotzdem bleibt der Eindruck, dass man in Deutschland in letzter Konsequenz nicht versteht, was in Ungarn los ist. Nicht nur in den Medien, sondern auch in den staatlichen Institutionen, im Parlament, Verfassungsgericht, den Gerichten, der Staatsanwaltschaft. Wenn Herr Kálnoky das nicht sieht, dann hat der Fidesz ihm eine Brille aufgesetzt, in der sich nicht die Wirklichkeit spiegelt.“
Werbung für Verständnis gegen Informationen
Die Regierung brauche solche Journalisten wie Kálnoky, die dazu bereit seien, in bestimmten Maße für Verständnis zu werben, sagt Polyák. Im Gegenzug gäbe es dafür Informationen, Interviews und Einladungen.
Und Kálnoky verfügt tatsächlich über guten Zugang zu Fideszkreisen und führt immer wieder Interviews mit Regierungspolitikern. Ein Privileg, dass unabhängigen Medien und Journalisten in Ungarn nur noch äußerst selten zuteil wird.
Während die „Welt“ in den vergangenen Jahren immer wieder Exklusives von der Fidesz-Regierung oder gar dem ungarischen Premier veröffentlichte, gab Orbán „index.hu“, dem größten – bis vor Kurzem noch unabhängigen – Nachrichtenportal des Landes zuletzt vor 13 Jahren ein ausführliches Interview.
Auslandskorrespondenten, die in den Augen der Regierung zu kritisch berichten, bekommen nur selten Antworten auf ihre Anfragen und werden immer wieder auch persönlich von der Regierung und ihren Medien attackiert.
Orbáns Politik leide an „handwerklichen Fehlern“
In seinen Texten präsentiert sich Kálnoky oft als eine Art kritisch-konservativer Orbán-Erklärer. So schrieb er 2012 in der „Weltwoche“:
„All das sind forsche, kontroverse Maßnahmen. Es ist nicht Diktatur – Orbán folgt dem Konzept einer ‚majoritären‘ Demokratie.“
Orbáns Politik leidet laut Kálnoky lediglich an „handwerklichen Fehlern“ und mache sich dadurch unnötig angreifbar.
Damit war Kálnoky lange nicht allein. Viele Konservative in Ungarn und auch in Deutschland blickten anfangs hoffnungsvoll auf Orbáns „konservative Revolution“ und sahen dabei über antidemokratische Tendenzen hinweg. „2010 habe ich auch noch Fidesz gewählt“, sagt etwa Csaba Lukács, Blattdirektor bei der konservativen Wochenzeitung „Magyar Hang“:
„Doch der Fidesz ist schon längst nicht mehr konservativ, christlich, bürgerlich – sondern einfach eine populistische Partei, der jedes Mittel recht ist, um an der Macht zu bleiben.“
Kálnoky scheint das nicht zu stören. „Wenn populistische Politik einfache Antworten auf komplexe Fragen und gute Lösungen gibt, dann ist das gute Politik – nicht wahr? Wenn dies nicht die Definition von Populismus ist, dann ist die ungarische Regierung nicht populistisch. Schließlich wählen die Bürger eine Regierung ab, die keine guten Lösungen bietet“, sagte er auf einer MCC-Podiumsdikussion im Oktober 2019.
Ob Kálnoky auch erwähnte, dass die OSZE die Wahlen im Jahr 2018 massiv kritisierte und als „frei, aber unfair“ einstufte, wird aus dem Bericht von „mandiner.hu“ nicht deutlich. Dafür erfährt man, welche Zukunft Kálnoky der liberalen Demokratie prognostiziert. Diese werde „nach einer weiteren wirtschaftlichen Revolution verschwinden“.
Illiberale Demokratie
Damit bewegt Kálnoky sich argumentativ nah an Orbán, der schon seit Jahren für sein Modell der „illiberalen Demokratie“ wirbt.
Kálnoky berichtete in der Vergangenheit zwar immer wieder auch kritisch über einzelne problematische Entwicklungen in Ungarn. Doch seine Aussagen zeigen, dass er darin einen systematischen Angriff auf die Demokratie nicht erkennen mag – oder einen solchen zumindest nicht verurteilen will.
Für die finale Hinwendung Kálnokys in Richtung Fidesz dürften die Verwerfungen zwischen Ungarn und Deutschland im Zusammenhang mit der so genannten Flüchtlingskrise gesorgt haben. Kálnoky verteidigte und lobte Orbán immer wieder für seine harte Flüchtlingspolitik. Laut Kálnoky „war die deutsche Bundeskanzlerin nicht mutig genug, um als Führerin zu agieren“. Politiker seien außerdem „nicht für die gesamte Menschheit zuständig – sondern für diejenigen, die sie gewählt haben“. Orbán handelte daher „besonders verantwortungsbewusst, als er einen Zaun baute, den internationalen Konsens über die Einwanderung beendete und sagte: Doch, die Migration kann gestoppt werden!“.
Das MCC als national-patriotische Elite-Kaderschmiede
Sein neuer Arbeitgeber, das MCC, versteht sich als national-patriotische Elite-Kaderschmiede und wurde von Viktor Orbáns ehemaligen Berater und Multimillionär András Tombor gegründet. Der spielt als finanzstarker Hintermann eine wichtige Rolle bei der von Orbán aggressiv vorangetriebenen Errichtung eines Fidesz-Medienimperiums. Die erreichte 2018 ihren vorläufigen Höhepunkt, als rund 500 kommerzielle Medien, die in den Jahren zuvor von fidesznahen Geschäftsleuten erworben wurden, von einem Tag auf den anderen gebündelt in die regierungsnahe Kesma-Stiftung übergingen – als Schenkung.
„Es handelt sich um eine unvorstellbare Medienkonzentration und Wettbewerbsverzerrung mit dem Ziel, ein und dieselbe Regierungsbotschaft immer effektiver über diese Medien zu verbreiten und die Unmengen an Steuergeldern, die in die Kesma fließen, dort zu verteilen“, sagt Medienwissenschaftler Polyák.
Reporter ohne Grenzen fordert die EU auf, diese „diskriminierende Praxis endlich zu untersuchen“. Sie mache „den wenigen regierungskritischen Medien in Ungarn das Leben – abgesehen von allen Anfeindungen und politischen Angriffen – auch wirtschaftlich schwer“.
Der MCC-Gründer und Orbán-Vertraute András Tombor besitzt darüber hinaus auch über einen weiteren Kanal Einfluss auf die Medien in Ungarn: Seine Agentur Atmedia sorgt für die Bewertung und Buchung der Werbeflächen in den öffentlich-rechtlichen und den Kesma-Medien. „Mit dieser Schlüsselposition bestimmt Tombor maßgeblich über die Geldflüsse des Medienmonopols mit“, sagt „media1.hu“-Chefredakteur Dániel Szalay.
Nationalstrategische Bedeutung
Die Benennung Kálnokys und einiger anderer neuer Mitarbeiter geschieht nun im Zuge einer groß angelegten Umstrukturierung des MCC, die in eine gemeinnützige Stiftung überführt wird. Laut „telex.hu“ will die Regierung mit der Schule „eine Art Gegen-CEU aufbauen, die mit den Werten des Fidesz harmoniert“.
CEU ist die einst von George Soros gegründete Central European University, die ins Wiener Exil gedrängt wurde. Die Regierung schränkt auch die Wissenschaftsfreiheit staatlicher Hochschulen weiter ein und lässt unliebsame Institute finanziell austrocknen. Auf der anderen Seite stattete sie im Frühjahr 2020 das MCC per Parlamentsbeschluss mit (sich im staatlichen Besitz befindenden) Aktien im Wert von 290 Milliarden Forint (ca. 812 Mio. Euro) aus, aus deren jährlichen Dividenden es sich zukünftig finanzieren soll.
Kálnokys Statement, dass er auch der staatlichen Budapester ELTE-Universität zugesagt hätte, wenn diese ihm ähnliche Bedingungen geboten hätte, darf man angesichts dieser Entwicklungen als zynisch bewerten: Nicht selten verdienen Doktoranden, die am unterfinanzierten Medieninstitut der ELTE Seminare geben, 400 Euro – pro Semester. Journalisten unabhängiger Medien, darunter auch der kürzlich gefeuerte „Index“-Chefredakteur Szabolcs Dull halten immer wieder Kurse an der ELTE – häufig pro bono.
Die Talentförderung an der MCC sei hingegen von „nationalstrategischer Bedeutung“, wie Balázs Orbán (nicht mit Viktor Orbán verwandt) betont, der das MCC-Kuratorium leitet und stellvertretender Kanzleramtsminister und Staatssekretär ist.
Kálnoky nicht mehr Korrespondent von „Welt“ und „Presse“
Seit vergangenen Mittwoch ist klar, dass Kálnoky mit seinem neuen Job seine alten Jobs verlieren wird: Er schreibt zukünftig nicht mehr für „Die Welt“ und „Die Presse“, zumindest nicht mehr als Ungarn-Korrespondent. Die Zeitungen bestätigten auf Anfrage von Übermedien, dass die Zusammenarbeit einvernehmlich beendet worden sei. „Die neue Tätigkeit ist nicht mit unabhängiger Berichterstattung als Ungarn-Korrespondent zu vereinbaren“, sagt „Welt“-Außenpolitikchef Klaus Geiger. „Die Presse“-Außenpolitikchef Christian Ultsch formuliert es so: „Kálnokys neue Funktion ist nicht mit unseren internen Regeln kompatibel.“
Zu diesem Zeitpunkt machte die Meldung, dass Kálnoky als Korrespondent der beiden Zeitungen die Leitung des MCC antrete, in Ungarn allerdings bereits seit fünf Tagen die Runde. Davon, dass er nicht mehr für die Medien arbeiten würde, war da keine Rede.
Hat Kálnoky das bewusst offen gelassen? Verhindert oder schnell richtiggestellt hat er die Schlagzeilen jedenfalls nicht, dass er an das MCC wechsle und für die westlichen Zeitungen tätig sei. Dem Ruf des MCC – gerade unter Fidesz-Anhängern – in Ungarn dürfte die Verbindung nicht geschadet haben: Der langjährige Journalist eines deutschen und eines österreichischen Mediums adelt quasi deren Arbeit.
Den Ruf der „Welt“ und der „Presse“ dürften all die Diskussionen – zumindest unter unabhängigen ungarischen Journalisten – schon eher ramponiert haben. „In den Meldungen schlägt sich die Enttäuschung darüber nieder, dass die sich sonst um die ungarische Medienfreiheit besorgte EU und Deutschland effektiv nichts dagegen unternimmt, beziehungsweise wenn es geschäftliche Interessen gibt, dann sogar ihren Anteil am Abbau der Demokratie und Pressefreiheit in Ungarn haben“, sagt Medienwissenschaftler Polyák:
„Bei dieser Meldung geht es also nicht nur um die konkrete Person Kálnokys, sondern darin zeigt sich auch eine allgemeine Enttäuschung über die EU und Deutschland, von denen man sich im Stich gelassen fühlt.“
Kálnoky will „unideologisch“ unterrichten
Bei der Pressekonferenz, auf der Kálnoky vorgestellt wurde, antwortete er auf die Frage, wie er persönlich die Entwicklung der Medienfreiheit in den vergangenen zehn Jahren in Ungarn einschätze, dann lediglich, dass er „unideologisch“ unterrichten werde und seine Studenten den Medienmarkt in Ungarn kritisch sehen würden – ohne jedoch weiter ins Detail zu gehen.
Stattdessen erörterte Kálnoky ausführlich, wie es in anderen Ländern aussähe: Dass die „Medien sich weltweit in der Krise befinden und Zeitungen schließen müssen, weil sie nicht mehr von ihren Produkten leben können“. Das zeige zum Beispiel der Blick auf die von Amazon-Gründer Jeff Bezos gekaufte „Washington Post“ oder die zunehmende Konzentration auf dem französischen Medienmarkt. „Starke Medien müssen auf eigenen Beinen stehen, um wirklich unabhängig zu sein.“
Der neben ihm sitzende Fidesz-Staatssekretär Orbán nickte zustimmend. Auf die Lage der Medien in Ungarn ging Kálnoky nicht weiter ein.
Mitarbeit: Mark Tremmel
Der Autor
Christian-Zsolt Varga ist Redakteur beim internationalen Journalistennetzwerk n-ost mit Schwerpunkt Cross-Border-Publikationen. Als freier Journalist schreibt er über Politik, Gesellschaft und Medien in Ungarn und Osteuropa.
„„Starke Medien müssen auf eigenen Beinen stehen, um wirklich unabhängig zu sein.“ Der neben ihm sitzende Fidesz-Staatssekretär Orbán nickte zustimmend. Auf die Lage der Medien in Ungarn ging Kálnoky nicht weiter ein.“
Verkommen ist man dann, wenn man gar nicht mehr merkt, wie heruntergekommen man bereits ist.
Ohne Ungarn wäre die EU besser dran … vor allem glaubwürdiger.
@Kleitos
Ungarn ist keine Ursache, sondern lediglich ein Symptom der Unglaubwürdigkeit der EU, was ihre moralischen Ansprüche angeht.
Ich muss wohl mal den Browser wechseln, wenn ich nicht alles 2 mal abschicken will. Seltsam.
@PETER SIEVERT
Und um die Situation zu verbessern, wäre der Ausschluss von Ungarn schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. In jeder Beziehung, auch für Ungarn, denn Orban wird sich, ohne EU Hilfen, schwer tun, seine Wähler zu halten.
„Orban wird sich, ohne EU Hilfen, schwer tun, seine Wähler zu halten“
Richtig muss es heißen:
Orban wird sich, ohne EU Hilfen, schwer tun, seine Kamarilla bezahlen und halten zu können.
@PETER SIEVERT
Orbans Ungarn ist ein Krebsgeschwür in der EU, eine Perversion der Grundidees Europas.