Es kann ein Zeichen für väterliches Versagen sein, aber es ist mir schon seit einiger Zeit nicht mehr möglich, verlässlich herauszufinden, woher meine Töchter eigentlich ihre Informationen haben. Sie sind in der Regel ziemlich gut informiert über das, was in der Welt passiert, und sie diskutieren das am Abendbrottisch, wie man sich das in einer ZDF-Vorabendserie vorstellt, nämlich mit jugendlichem Nachdruck.1)Sie sind 17 und 12 Jahre alt, und erstaunlicherweise spielt der Altersunterschied in diesem Zusammenhang praktisch keine Rolle, der Informationsstand in Bezug auf die Nachrichten der Welt ist auch bei der Jüngeren oft sehr gut.
Der Autor
Michalis Pantelouris ist Journalist, Buchautor und seit Anfang 2020 stellvertretender Kreativdirektor von „GQ“. Zuvor hat er die Redaktion des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ geleitet. Für Übermedien annotiert er jetzt regelmäßig die Medienwelt.
Wenn ich aber frage, woher sie etwas wissen, kommt in der Regel etwas wie „aus dem Internet“ oder „Papa, die ‚Tagesschau‘ ist auf Tiktok“. Was stimmt, die „Tagesschau“ ist auf Tiktok, aber nicht mit der „Tagesschau“, sondern mit eigens für Tiktok produzierten Beiträgen, die manchmal sehr großartig und jugendgerecht Fragen aus dem Nachrichtenzyklus bearbeiten („Wurde Nawalny vergiftet?“) und manchmal Jan Hofer in kurzen Hosen zeigen.
Man kann nicht die „Tagesschau“-Beiträge auf Tiktok durchgucken und dann so umfassend informiert sein wie nach der Nachrichtensendung, so funktioniert das Medium nicht. Ich bin, fürs Protokoll, sehr dafür, dass die „Tagesschau“ das macht, aber ganz offensichtlich haben meine Kinder noch andere Quellen. Und sie haben auch bei bohrendstem Nachfragen keine Ahnung, welche das sind.2)Oder, ja, sie verbergen sie absichtlich vor mir, warum auch immer, aber ich glaube, das würde ihnen so konsequent und anhaltend nicht gelingen. Sie wissen eine Menge, aber sie haben keine Ahnung, woher.3)Wenn ich mehr als vier Sekunden darüber nachdenke, ist es übrigens bei mir nicht unbedingt anders. Ich beginne viel zu viele Sätze mit „Ich habe neulich irgendwo gelesen, dass …“
Was der Influencer sagt
Mit einer einzigen Ausnahme: Wenn ein Influencer es gesagt hat. Die Verbindung von einem Medium zu einer Information ist nah an nicht existent4)Mit der einen Ausnahme der „Bild“-Zeitung, von dem was in der „Bild“ steht darf man – nach Ansicht meiner Töchter – kein einziges Wort glauben. Die „lügen immer“. Und das haben sie nicht von mir, denn ich habe ein differenzierteres Bild von Medienkompetenz., die von einer – ich nehme an: verehrten – Person zu einer Information ist unauslöschbar. Sie wissen, gefühlt für immer, wer was wann wie gesagt hat, und obwohl ich ehrlich gesagt vor Youtubern stehe wie meine Eltern vor den Beastie Boys und ihre Eltern vor den Beatles5)Sagen wir, ich zweifle an der Werkhöhe., bin ich mindestens so beeindruckt wie beängstigt von dem Einfluss. Aber, wenn ich das anekdotisch an meinen Kindern festmachen darf, ist da – um es mit den Worten eines ZDF-Aufnahmeleiters beim neunten Versuch der Aufnahme eines Aufsagers zu formulieren – viel Gutes dabei. Doch darum geht es gar nicht.
Was mir tatsächlich Freude bereitet, ist etwas anderes: Dadurch, dass sie offensichtlich Nachrichten6)Und mit Nachrichten meine ich das, was man früher „in den Nachrichten“ gesehen hat. genau da aufnehmen, wo sich ihr Leben abspielt, fehlt diesen Nachrichten das offiziöse. Wie wahrscheinlich die meisten mache ich mir seit einiger Zeit beruflich und privat Gedanken darüber, wie es sein kann, dass offenbar nicht nur winzige Teile der Bevölkerung unseres, sagen wir, Medienmarktes das Gefühl haben, die „Mainstreammedien“ wären eine riesige Betrugsmaschine, deren Aufgabe es ist, an der Unterdrückung der Bevölkerung teilzunehmen. Also zum Beispiel auch ich. Fürs Protokoll: Bin ich nicht.7)Ich würde es sagen!
Die Wahrheit hinter der Nachricht
Ich glaube, einen Beitrag dazu leistet die offensichtliche Tatsache, dass es für jeden, der Prä-Internet aufgewachsen ist, völlig selbstverständlich ist, dass es offiziöse Nachrichten gibt, die quasi vorgeben, was wichtig ist, und eine Wahrheit dahinter, die sich mit diesen Nachrichten nicht zwingend deckt. Ich nenne es das „Wie ist die eigentlich“-Paradoxon, das entsteht, wenn wir jemanden treffen, der Angela Merkel persönlich kennt. Wir lesen jeden Tag über Merkel und sehen sie in allen Nachrichtensendungen, aber wenn wir jemanden treffen, der sie kennt, fragen wir trotzdem: Und, wie ist die so? Weil wir ganz selbstverständlich annehmen, dass wir das durch keine Lektüre herausfinden können. Was geschrieben steht, ist zumindest nicht die ganze Wahrheit.
Die offiziöse Wahrheit hat ein Gesicht nach außen. Im besten Fall natürlich das von Linda Zervakis bei der „Tagesschau“8)Griechen halten zusammen., aber jedenfalls eines, das eine über die Unordnung der realen Welt erhabene Institution repräsentiert. Für mich ist das tröstlich, es gibt mir Sicherheit. Für meine Kinder ist es künstlich. LeFloid sagt ja die gleichen Sachen, aber „echter“.
Es ist über Hiphop immer wieder (und wieder, und wieder) gesagt worden, er hätte wie ein Nachrichtenmedium funktioniert, weil er die Geschichten der Straße erzählt hätte, also die des Publikums, anstatt die angeblich wichtigen von irgendwo weit weg.
Die Frage von Nähe und Abstand
Heute sind es genau diese Geschichten von weit weg, die meine Töchter – auch – erzählt bekommen, nur eben von jemandem, der ihnen nahe steht.9)Es gab eine Zeit, da waren die Eltern mal für sowas da, schnief … sie werden so schnell alt! Und da steckt eine Lektion drin, die mich auch hier an dieser Stelle immer wieder beschäftigen wird, weil ich glaube, dass sie mitentscheidend sein wird für die Zukunft „der Medien“ in der nahen Zukunft, nämlich die Frage von Nähe und Abstand.
Ich habe in der letzten Woche eine erste Andeutung gemacht zu dem Thema, nämlich mit meiner Prognose, dass sich der Printmarkt aufspalten wird in Luxus und Trash. Das ist eine Spielart davon, denn auch da geht es in Wahrheit um Nähe und Abstand. Wie übrigens beim Elternsein auch.
Sie sind 17 und 12 Jahre alt, und erstaunlicherweise spielt der Altersunterschied in diesem Zusammenhang praktisch keine Rolle, der Informationsstand in Bezug auf die Nachrichten der Welt ist auch bei der Jüngeren oft sehr gut.
Wenn ich mehr als vier Sekunden darüber nachdenke, ist es übrigens bei mir nicht unbedingt anders. Ich beginne viel zu viele Sätze mit „Ich habe neulich irgendwo gelesen, dass …“
Mit der einen Ausnahme der „Bild“-Zeitung, von dem was in der „Bild“ steht darf man – nach Ansicht meiner Töchter – kein einziges Wort glauben. Die „lügen immer“. Und das haben sie nicht von mir, denn ich habe ein differenzierteres Bild von Medienkompetenz.
Es gab eine Zeit, da waren die Eltern mal für sowas da, schnief … sie werden so schnell alt!
9 Kommentare
Betrugsmaschine, nicht Bertrugsmaschine
Danke für den Hinweis! Ist korrigiert. – JK
Danke, coole Kolumne!
Bestätigt meine Vermutung zur Relevanz eines Steingart (nur als Beispiel) in jüngeren Zielgruppen. Nur dass der es schafft, Trash und Luxus in wohlige Symbiose zu bringen.
Die 3. Fußnote bringt mich zum Nachdenken … Irgendwie verschwimmt der Unterschied zwischen „hab ich iwo gelesen“ und „hat lefloid gesagt“. Zweiteres ist sogar ein besserer Quellennachweis.
OFFIZIÖS! Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du mir dieses Wort gegeben hast. Es löst alles. Jetzt kann ich endlich auch daheim über das Thema reden ohne diese frustrierenden Umschreibungen „ich weiss nicht wie ich das erklären soll… das ist wie… als ob…gefühlt wie…stell dir vor du…“. Und jetzt: offiziös! BÄM!
Lustig und ernst, vielen Dank. Nur das Runterscrollen zu den „Fußnoten“ nervt. Sie sehen nicht aus als seien sie absolut nötig. Links sind – jaja, WWW – absolut nötig. In Fußnoten vermute ich Quellen, die im Fließtext paraphrasiert werden – und nicht ergänzende Informationen. DAnn lieber mal ein smiley oder so :-)
@Ernest Schönberger: Sie müssen aber nicht „von Hand“ runterscrollen zu den Fußnoten, sondern können einfach auf die Zahl klicken. Meistens reicht es auch schon, den Mauszeiger drüberzuhalten.
@Niggemeier
Meistens reicht es auch schon, den Mauszeiger drüberzuhalten.
Das klappt bei mir in den letzten Kolumnen nicht mehr.
Ist da was technisch neu gemacht worden?
@ERNEST SCHÖNBERGER
Das mit den Fußnoten hat beim Autor ne gewisse Geschichte.
Äußert sich auch im Namen der Kolumne. Die müssen also bleiben, wie sie sind. ;-)
„@Ernest Schönberger: Sie müssen aber nicht „von Hand“ runterscrollen zu den Fußnoten, sondern können einfach auf die Zahl klicken. Meistens reicht es auch schon, den Mauszeiger drüberzuhalten.“
@Stefan, dass genau das bei dieser (und der Vorgängerkolumne) nicht mehr klappt, ist wohl der Grund für die Nachfrage.
Danke – das wurde noch nie so genau und aus der Nähe beschrieben.
Da tut sich ein Riss auf, mit dem wir noch lange zu tun haben werden (bis die „Mainstreamedien“ ausgestorben sind).
„meiner Prognose, dass sich der Printmarkt aufspalten wird in Luxus und Trash“
Bei aller Liebe, aber das kommt 30 Jahre zu spät. „Luxus“ ist heute „OnlyFans“. Der Rest ist Trash in bestenfalls verschiedenen Graden von Zerfall. Das ist so, seit mit Formaten wie Reality TV die zweite Ebene abgeschafft wurde und sich die Medien an den Pseudoindividualismus der Konsumenten angepasst haben. Angebot und Nachfrage, die sich gegenseitig bedingen. Die parallele Entwicklung des Umbaus der Bildungssysteme zu Durchlauferhitzern für die „Wirtschaft“ seit Ende der 70er/Anfang 80er hat’s sowohl möglich als auch unumkehrbar gemacht.
Betrugsmaschine, nicht Bertrugsmaschine
Danke für den Hinweis! Ist korrigiert. – JK
Danke, coole Kolumne!
Bestätigt meine Vermutung zur Relevanz eines Steingart (nur als Beispiel) in jüngeren Zielgruppen. Nur dass der es schafft, Trash und Luxus in wohlige Symbiose zu bringen.
Die 3. Fußnote bringt mich zum Nachdenken … Irgendwie verschwimmt der Unterschied zwischen „hab ich iwo gelesen“ und „hat lefloid gesagt“. Zweiteres ist sogar ein besserer Quellennachweis.
OFFIZIÖS! Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du mir dieses Wort gegeben hast. Es löst alles. Jetzt kann ich endlich auch daheim über das Thema reden ohne diese frustrierenden Umschreibungen „ich weiss nicht wie ich das erklären soll… das ist wie… als ob…gefühlt wie…stell dir vor du…“. Und jetzt: offiziös! BÄM!
Lustig und ernst, vielen Dank. Nur das Runterscrollen zu den „Fußnoten“ nervt. Sie sehen nicht aus als seien sie absolut nötig. Links sind – jaja, WWW – absolut nötig. In Fußnoten vermute ich Quellen, die im Fließtext paraphrasiert werden – und nicht ergänzende Informationen. DAnn lieber mal ein smiley oder so :-)
@Ernest Schönberger: Sie müssen aber nicht „von Hand“ runterscrollen zu den Fußnoten, sondern können einfach auf die Zahl klicken. Meistens reicht es auch schon, den Mauszeiger drüberzuhalten.
@Niggemeier
Das klappt bei mir in den letzten Kolumnen nicht mehr.
Ist da was technisch neu gemacht worden?
@ERNEST SCHÖNBERGER
Das mit den Fußnoten hat beim Autor ne gewisse Geschichte.
Äußert sich auch im Namen der Kolumne. Die müssen also bleiben, wie sie sind. ;-)
„@Ernest Schönberger: Sie müssen aber nicht „von Hand“ runterscrollen zu den Fußnoten, sondern können einfach auf die Zahl klicken. Meistens reicht es auch schon, den Mauszeiger drüberzuhalten.“
@Stefan, dass genau das bei dieser (und der Vorgängerkolumne) nicht mehr klappt, ist wohl der Grund für die Nachfrage.
Danke – das wurde noch nie so genau und aus der Nähe beschrieben.
Da tut sich ein Riss auf, mit dem wir noch lange zu tun haben werden (bis die „Mainstreamedien“ ausgestorben sind).
„meiner Prognose, dass sich der Printmarkt aufspalten wird in Luxus und Trash“
Bei aller Liebe, aber das kommt 30 Jahre zu spät. „Luxus“ ist heute „OnlyFans“. Der Rest ist Trash in bestenfalls verschiedenen Graden von Zerfall. Das ist so, seit mit Formaten wie Reality TV die zweite Ebene abgeschafft wurde und sich die Medien an den Pseudoindividualismus der Konsumenten angepasst haben. Angebot und Nachfrage, die sich gegenseitig bedingen. Die parallele Entwicklung des Umbaus der Bildungssysteme zu Durchlauferhitzern für die „Wirtschaft“ seit Ende der 70er/Anfang 80er hat’s sowohl möglich als auch unumkehrbar gemacht.