Corona-Bier und der Virus der Falschinformation
Amerikaner sind so doof – viele von denen glauben, dass das Corona-Virus etwas mit dem Corona-Bier zu tun hat und trinken das deshalb jetzt nicht mehr.
Noch doofer sind aber vielleicht Journalisten – viele von denen glauben alles.
Eine Umfrage soll ergeben haben, dass 38 Prozent der Amerikaner aus Angst vor dem Virus kein Corona-Bier mehr trinken. So verbreiteten es große Medien wie CNN.
38% of Americans wouldn’t buy Corona beer „under any circumstances“ because of the coronavirus, according to a recent survey.
Just to be abundantly clear: There is no link between the virus and the beer. https://t.co/D8fL89Oe0E
— CNN (@CNN) February 28, 2020
Nicht nur dieser Tweet ging viral; viele andere, die die angebliche Nachricht aufgriffen, taten es auch. „38% of Americans“ wurde kurzzeitig sogar ein Meme, das zahlreiche Verballhornungen und Varianten inspirierte.
Ursprung für das alles ist eine Pressemitteilung der amerikanischen Agentur 5W Public Relations. Sie will eine Telefonumfrage unter 737 amerikanischen Biertrinkern gemacht haben. Sie gibt weder an, ob sie ein Meinungsforschungsinstitut damit beauftragt hat, noch ob ihre Ergebnisse repräsentativ sind.
Schon deshalb spricht viel dagegen, die Ergebnisse als Nachricht zu verbreiten – aber wenn man es schon tut, hilft es, sie wenigstens korrekt zu verbreiten. 5WPR stellt sie zwar geschickt in einen Zusammenhang mit dem neuartigen Virus. Der behauptete Anteil von 38 Prozent bezeichnet aber bloß die Zahl der biertrinkenden Amerikaner, die kein Corona-Bier kaufen würden – aus welchem Grund auch immer.
Von denjenigen, die normalerweise Corona-Bier trinken, wollen laut 5WPR-Umfrage nur 4 Prozent das zukünftig nicht mehr tun.
Verwirrte Biertrinker
„The Atlantic“ hat es mit einiger Mühe geschafft, die konkreten Fragen zu bekommen, die 5WPR gestellt hat – aber nicht die zugehörigen Antworten. Gefragt hat 5WPR demnach unter anderem: „Is Corona related to the coronavirus?“
5WPR behauptet, dass 16 Prozent der amerikanischen Biertrinker „verwirrt“ seien, ob Corona-Bier etwas mit dem Corona-Virus zu tun hat. Durch welche Fragestellung die Agentur zu diesem angeblichen Ergebnis kam, ist völlig unklar.
Der 5WPR-Chef Ronn Torossian lässt sich in der Pressemitteilung seiner Agentur mit den Worten zitieren, es sei „keine Frage“, dass Corona-Bier unter dem Corona-Virus leidet – weil es schwer vorstellbar sei, einfach mal „Gib mir mal ein Corona“ zu sagen. Diese Behauptung, dieser Spin, wurde von vielen Medien übernommen.
Als dann bekannt wurde, dass nach Angaben des Bierbrauers Umsatz und Gewinn in den ersten beiden Monaten 2020 deutlich eingebrochen sind, wurde das ebenfalls vor dem Hintergrund der verheerenden Namensgleichheit interpretiert. Tatsächlich leidet Corona-Bier offenbar vor allem darunter, dass der Bierkonsum in China angesichts der Epidemie insgesamt drastisch zurückgegangen ist.
Satirisches Großprojekt
Wenn man bedenkt, wie dubios die Quelle ist, ist es bestürzend, welche Verbreitung die vermeintliche Nachricht gefunden hat, auch in Deutschland. Der „Spiegel“ meldet am Freitag:
Umfrage behauptet
Amerikaner trinken angeblich weniger Corona-Bier
Der Artikel formuliert zwar immer wieder einen Hauch von Skepsis über die Aussagekraft der Behauptungen der PR-Agentur. Aber er verbreitet sie dennoch – und suggeriert einen falschen Zusammenhang mit Formulierungen wie: „Während weltweit die Zahl der Infektionen steigt, haben in einer Umfrage 38 Prozent der Teilnehmer angegeben, dass sie auf Bier der Marke Corona verzichten würden.“
Das Online-Angebot der „Nürnberger Nachrichten“ behauptet falsch:
In einer Umfrage gaben 38 Prozent der Befragten an, dass sie wegen der Krankheit auch auf das Corona Bier verzichten würden.
Die „Hannoversche Allgemeine“ amüsiert sich in einer Glosse:
„In den USA, wo die Pandemie dank des gedeihlichen Wirkens des besten Präsidenten aller Zeiten als einzigem Land nicht ausbricht (und wenn das jemand behauptet, dann sind das Fake News), sind die Menschen selbst Teil eines satirischen Großprojekts. Laut einer Umfrage verzichten inzwischen 38 Prozent der Befragten auf Bier der Marke Corona. Warum das gefährliche Getränk noch nicht komplett vom Markt genommen wurde, ist rätselhaft.“
Die viertelgare Umfrage fand ihren Weg auch ins Sat.1-Frühstücksfernsehen, zu Der Westen, Watson, SWR 3, n-tv.de und hinter die Paywall der „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“.
Der amerikanische Eigentümer von Corona-Bier hat den Berichten übrigens längst widersprochen. Doch selbst die Meldungen mit dem Dementi verbreiten vor allem die zweifelhaften Aussagen der PR-Agentur. Eine AFP-Meldung beginnt so:
Der US-Eigentümer von Corona-Bier hat Berichte zurückgewiesen, wonach 38 Prozent der US-Bürger wegen des neuartigen Coronavirus aus China vor einem Kauf der Marke zurückschrecken. „Unsere Gedanken und Gebete sind bei allen, die von dem schrecklichen Virus betroffen sind“, doch das Geschäft mit dem Corona-Bier sei davon nicht betroffen, erklärte der Chef von Constellation Brands, Bill Newlands, am späten Freitag (Ortszeit).
In einer Erhebung der PR-Agentur 5W hatten zuvor 38 Prozent von 737 Befragten ihren Verzicht auf das Bier erklärt. Bei 16 Prozent herrschte demnach Verwirrung, ob es eine Verbindung zwischen Corona-Bier und dem Coronavirus gab.
Den konkreten Zahlen der PR-Agentur – die auch hier wieder falsch interpretiert werden – steht ein vages und pflichtschuldig klingendes Bekenntnis der Corona-Bier-Firma gegenüber. Es ist nicht einmal ein Einerseits-Andererseits: Glaubwürdiger wirken allemal die unseriösen Zahlen.
Der »Postillon« wusste schon Ende Januar mehr:
https://www.der-postillon.com/2020/01/corona.html
Menschen glauben allzu leicht an die Dummheit anderer…
Bei dieser ganzen Corona-Berichterstattung, die hier jetzt seit etwa einer Woche tobt, habe ich generell den Eindruck, daß überhaupt nicht recherchiert wird, sondern daß einfach nur das berichtet wird, was den Journalisten vor die Füße geworfen wird. Die Zeitungen sind voll mit Berichten zum Thema Corona, aber es wiederholt sich ständig alles, und die interessanten Fragen werden gar nicht gestellt.
Zum Beispiel lese ich, daß ich, solle ich unter Quarantäne gestellt werden, weiterhin vom Arbeitgeber mein Gehalt bekomme, und daß dieser das Gehalt vom zuständigen Gesundheitsamt erstattet erhält. Solche Berichte ergeben nur Sinn, wenn man davon ausgeht, daß die Welt an den Grenzen Deutschlands aufhört. Es wird noch nicht einmal überhaupt erwähnt, daß die Rechtslage vielleicht anders sein könnte, wenn die Quarantäne nicht von einem Gesundheitsamt in Deutschland angeordnet wird, sondern von irgendeiner Behörde irgendwo auf diesem Planeten, wo ich zufällig gerade Urlaub mache. Erst recht finde ich keine Berichte darüber, wie die Rechtslage in solchen Fällen tatsächlich ist (noch nicht einmal Berichte über die Rechtslage innerhalb der Europäischen Union).
Dann lese ich Empfehlungen, daß man als Büroarbeiter auf seinen privaten Reisen seine Arbeitsmaterialien (z.B. einen dienstlichen Laptop) mitnehmen soll, um im Falle einer Quarantäne im Homeoffice weiterarbeiten zu können. Nun könnte ja ein Journalist aus Berlin, der über so etwas schreibt, auf den naheliegenden Gedanken kommen, daß ein spontaner Wochenendausflug auch mal in das benachbarte Polen führen kann. Und wie das Schicksal es will, sitzt man z.B. in Rzepin in Quarantäne. Soll man dann im Hotelzimmer in Rzepin am Laptop in Homeoffice arbeiten? Für die Arbeit im europäischen Ausland ist zwingend eine A1-Bescheinigung erforderlich! Bekommt mein Arbeitgeber in solch einem Fall die A1-Bescheinigung, deren Ausstellung sonst ein bis zwei Wochen dauert, besonders schnell, und kann mir diese ins Hotel faxen? Oder ist in diesem Fall die Pflicht zur A1-Bescheinigung aufgehoben? Da stellen sich doch ganz viele interessante Fragen, denen ein Journalist im Rahmen einer Recherche nachgehen könnte. Doch in all den vielen Artikel und Ratgeberseiten zum Corona-Virus, zur Quarantäne und zur Situation der Arbeitnehmer wird nirgends das Wort „A1-Bescheinigung“ überhaupt mal erwähnt.
Weiter lese ich über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Und ich frage mich: Warum wird nur über die richtig großen Unternehmen berichtet? Warum lese ich über die Verschiebung der nächsten Generation des IPhone von Apple, über die Probleme von Reiseunternehmen, warum nicht über die kleinen Selbständigen? Was ist beispielsweise mit dem Prostitutionsgewerbe? Müssten derzeit nicht massive Umsatzeinbrüche im Bereich der Prostitution zu beklagen sein? Warum gibt es darüber keine Berichte?
Und schließlich gibt es neben den Berichten auch noch diverse Glossen und Kolumnen, die Corona zum Thema haben. Warum kommt dabei keinem der Autoren der Film „Die Hamburger Krankheit“ von Peter Fleischmann in den Sinn? In dem Film gibt es diese eindrucksvolle Szene, wo in einem Gebäude Quarantänebereiche mit Plastikfolien abgegrenzt werden sollen, und wo den Protagonisten im ausbrechenden Chaos die Flucht aus der Quarantäne gelingt. Der Film zeigt die ganze Hysterie der Angst vor der Krankheit, die schließlich in eine bewaffnete Bürgerwehr mündet. Warum finde ich davon nirgends auch nur ein Wort?
US Amerikaner bitte, denn Amerika ist ein Kontinent und kein Land.
Und Mexiko (weil Corona ein mexikanisches Bier ist), ist sogar Nordamerika.
Dieser hier gezeigte Massenjournalismus ohne Recherche entspricht kommentierte Retweets auf Twitter.
Selbst der kurze Artikel des CNN-Autors – zumindest nach einem Update – enthält alle Infos unmissverständlich:
https://edition.cnn.com/2020/02/28/business/corona-beer-marketing/index.html
Der Ursprungs-Tweet von CNN dagegen ist oberflächlich
@Mr. Mexiko: Nordamerika ist ein Kontinent, Südamerika auch. Amerika ist die Kurzform für USA, Amerikaner für deren Bewohner.
@ Stefan Niggemeier: „Amerika (sieben Buchstaben) ist die Kurzform für USA (drei Buchstaben)“.
Ähh, ja!?!?
@Heavyrock: Ja, blöd formuliert von mir. Es wäre die Kurzform für „Vereinigte Staaten von Amerika“.
Es gibt es auch noch „Murica“!
Ist in dem Text tatsächlich mit der Bezeichnung „Amerika“ lediglich die USA gemeint, nicht das ganze Amerika? Wenn das wirklich so ist, das ist das durchaus auch bedeutsam.
Ich erinnere mich an meine Kindheit in den 70ern und 80ern, wo bei einer Vorstellung im Theater am Ostwall (das damalige Kindertheater in Dortmund) uns durch eine Künstergruppe aus Mittelamerika nähergebracht wurde, daß es falsch ist, bei der Bezeichnung „Amerika“ immer nur an die USA zu denken. Denn eine solche Assoziation blendet die Existenz von Völkern mit eigener Kultur und eigener Historie in Amerika außerhalb der USA aus.
In heutiger Terminologie würden wir davon sprechen, daß durch die Assoziation von „Amerika“ ausschließlich mit der USA die anderen Bewohner Amerikas zu Marginalisierten werden. Aus unserer weiß geprägten europäischen Sicht werden die Bewohner Amerikas, die außerhalb der USA leben, unsichtbar. Das ist politisch unkorrekt.
Dabei wurden in der Zeit, als ich Kind war, noch ohne Scheu das N-Wort und das Z-Wort benutzt. Daß diese Wörter irgendwann nicht mehr gebraucht werden würden, war überhaupt nicht abzusehen. Daß aber die Bezeichnung „Amerika“ nicht auf die USA beschränkt ist, das wurde uns bereits beigebracht.
Heute werden die erwähnten Konsonantenworte geächtet. Es besteht ein breiter Wunsch danach, sich politisch korrekt zu verhalten, d.h. Menschen nicht zu beleidigen, sie nicht unsichtbar werden zu lassen und nicht zu marginalisieren. Trotzdem ist es immer noch etabliert, die Bezeichnung „Amerika“ zu verwenden, wenn man bloß die USA meint. Wie kann das sein?
Ja, das gedankenlose Abschreiben gagaistischer Prozentzahlen wird beim „Spiegel“ gern gepflogen.
Und 38% der Deutschen glauben alles, was behauptet es wäre alles nur erfunden, es gäbe keine Belege, hinter jeder Ecke würde sich ein Konspirsationstheoretiker verstecken, die NSA sind garnicht böse, und überhaupt ist alles eitel Sonnenschein da draußer außerhalb des Sandes in dem ihr Kopf steckt. ^^
Sie denken nur sie seien besser informiert und überhaupt viiel schlauer und kritischer! XD
38% der Deutschen glauben auch nur Statistiken, die Churchill oder Goebbels (je nach Kontext) selbst gefälscht haben. Oder so.
US-Amerikaner als Deppen darzustellen die angeblich nicht wissen dass man sich an einem heißen Kaffee verbrennen kann und regennasse Haustiere nicht in die Mikrowelle stecken darf aber dafür mit geladenen Waffen rumrennen und Leute totschießen sowie auf der Jagd nach Erdöl islamische Terrororganisationen erschaffen und lupenreine Demokraten durch ferngesteuerte Staatschefs ersetzen würden, ist Mainstream und in Deutschland bei vielen Medien etabliert. Beim Thema Mord und Totschlag wird im Vergleich Russland keine besondere Bedeutung beigemessen, z. T. noch der Eindruck erweckt dass Russland im Gegensatz zu den USA ein besonders friedliches Land sei. Dass die Tötungsrate (Mord und Totschlag pro 100.000 Einwohner) in der russischen Föderation mehr als doppelt so hoch wie in den USA ist, wird verschwiegen.
„Dass die Tötungsrate (Mord und Totschlag pro 100.000 Einwohner) in der russischen Föderation mehr als doppelt so hoch wie in den USA ist, wird verschwiegen.“
Also, in den Mainstreammedien wird ziemlich deutlich, dass es sich in den USA sicherer lebt als in Russland.
Deswegen ja auch der Vorwurf an die Mainstreammedien, dass diese die USA zu positiv darstellt.
In den alternativen Medien, bei der AfD etc. kommt da Russland deutlich besser weg, Putin wird in den Kreisen manchmal fast als Heilsbringer gesehen.
Sie lesen also nur diese alternativen Medien, wenn Sie zu Ihrer Schlussfolgerung kommen?
Oder trollen Sie nur und behaupten einfach mal das eine, um dann das genaue Gegenteil zu schreiben?
@6. Stefan Niggemeier (eigentlich off topic, aber wichtig): Und wie heißen dann die anderen Amerikaner_innen? Ich finde die Gleichsetzung von Amerika = USA ziemlich problematisch. Hier wird die Sicht der USA als Hegemonialmacht unreflektiert übernommen, die anderen amerikanischen Länder und ihre Bewohner_innen marginalisiert und als Anhängsel behandelt. Ich habe tagtäglich in meiner Arbeit mit vielen Amerikaner_innen zu tun, nicht eine_r davon stammt aus den USA. Wenn wir uns gegen Diskriminierung einsetzen, dann doch für alle, oder?
@Coban: Sie heißen zum Beispiel Nordamerikaner oder Südamerikaner, je nach Kontinent, um den es geht.