Die Podcast-Kritik (19)

„Dolly Parton’s America“ ist der beste Podcast des Jahres

Dolly Parton's America - Podcastkritik

„Dolly Parton’s America“ ist vollkommen absurd. Der Podcast stellt direkt zu Beginn die absurde These auf, dass sich allein mit dem Blick auf Leben und Werk von Dolly Parton ein ganzes Land erklären ließe. Dolly Parton als Ikone, Legende und Seismograph der US-amerikanischen Gesellschaft, als eines der letzten einenden Elemente in einer polarisierten Welt.

Das klingt natürlich auf den ersten Eindruck nach einem obsessivem Fan-Projekt, das vor lauter Verehrung weit übers Ziel hinausschießt. Doch der Podcast unternimmt tatsächlich einen ebenso faszinierenden wie überzeugenden Versuch, seine These journalistisch zu untermauern.

Der „Radiolab“-Macher Jad Abumrad versucht mit „Dolly Parton’s America“ nicht nur, die Musikerin und ihre Songs zu interpretieren, sondern auch die jeweilige Zeit und Gesellschaft, in der die Songs entstanden. Obendrein ist dieses neunteilige Dolly-Parton-Porträt auch noch absurd unterhaltsam. Weil absurd detailverliebt. Und absurd gut recherchiert. Und vor allem: Absurd gut produziert. Für mich der Podcast des Jahres 2019.

In den ersten beiden Folgen skizziert er, wie erfolgreich Dolly Parton seit fünfzig Jahren mit ihrer Musik ist und stellt Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart ihrer Karriere her. Fast beiläufig, aber sehr akribisch, wählt der Podcast dabei einzelne Songs exemplarisch aus, um daran den Werdegang der Künstlerin nachzuzeichnen, die rückblickend ihrer Zeit und gesamtgesellschaftlichen Diskussionen oft voraus scheint.

Natürlich ist das eine sehr wohlwollende Verneigung vor ihrer Musik, auch mit einer gewissen Ehrfurcht vor dem  Mythos, der Legende, dem bewusst gepflegten Image. Es ist aber auch eine bewusste Entscheidung, sich aus einer anderen Perspektive einer Künstlerin zu nähern, die oft auf Äußerlichkeiten und ihre bloße Prominenz reduziert wird. In den besten Momenten gelingt es „Dolly Parton’s America“, so tief in Songs einzutauchen wie es sonst der Musikanalyse-Podcast „Song Exploder“ tut, bleibt dabei auch für Nicht-Musik-Nerds zugänglich. Das sind seine stärksten Momente: eine Form des Musikjournalismus, der mehr Menschen abholen möchte, als er ausschließt; der nicht auf Auskennertum und Fansein angewiesen ist. Keine Selbstverständlichkeit.

Wohlwollend, aber differenziert

„Dolly Parton’s America“ widmet sich mit der selben Akribie auch den nicht-musikalischen Bestandteilen des Dollywood-Imperiums, den dramatischen Wendepunkten zu Beginn der Karriere genauso wie den jahrzehntelangen Konstanten. Er kombiniert eigene Interviews mit Archiv-Material. So geht es in Folge 5 um die „Dollitics“-Taktik: Dolly Parton hält sich seit Jahren erfolgreich aus der mittlerweile hyperpolarisierten US-Politik heraus. „We don’t do politics“, heißt es aus dem Dollyverse dazu. Trotzdem thematisiert Parton bereits ihre ganze Karriere lang politische und soziale Themen in ihren Songs. Und schafft es, Menschen grundverschiedener politischer Auffassungen mit ihrer Musik und ihren Konzerten anzuziehen.

Dolly Parton antwortet auch im Podcast explizit mit „Nein“ auf die Frage, ob sie eine Feministin ist. Dennoch wird sie auch als Feministin wahrgenommen. Dolly Parton schafft es gleichzeitig, gefühlt immer Klartext zu reden, auf Bühnen und in Interviews aber keine eindeutige Position zu beziehen. Natürlich ist „Dollitics“ auch eine wirtschaftliche Entscheidung des Millionenunternehmens Dolly Parton, argumentiert Jad Abumrad im Podcast. Um dann all die Beispiele dafür anzuführen, wie sich die Person, der Charakter Dolly Parton kategorisch gegen harsche Urteile und Schwarz-Weiß-Denken sperrt und für Zwischentöne argumentiert. Beispielsweise, wenn sie, trotz vieler Anlässe, bis heute kein wirklich schlechtes Wort über den Countrymusiker Porter Wagoner verliert, der sie in den 1970ern nur so lange förderte, wie sie ihm persönlich nützte.

Gute Momente des Scheiterns

Der Podcast thematisiert all diese Stationen, Wegbleiter, diese Nuancen in Leben und Karriere von Dolly Parton. Er verweigert sich dabei – eigentlich wie die Porträtierte – einfacher Antworten, Erklärungen, Entweder-Oder-Kategorisierungen. Und dort, wo der Podcast sich in verschachtelten Hätte/Könnte/Wollte-Interpretationen des möglicherweise Gemeinten verliert – da darf Dolly Parton die überkomplexen Interpretationen und Theorien von Jad Abumrad gerne auch einfach mal abschießen.

„You’re overthinking it“, sagt sie zu dem minutenlangen Versuch des Podcasts, im Song „Jolene“ eine homoerotische Perspektive zu hören. Das zeigt: Trotz aller Ambition und Recherche nehmen sich der Podcast und sein Host selbst nicht zu ernst. Mich freut als Hörer, auch solchen Momenten des Scheiterns beiwohnen zu dürfen. Überhaupt versteht es Jad Abumrad sehr gut, einerseits ein präsenter, quasi allwissender Erzähler zu sein und gleichzeitig durch Selbstkritik und Selbstreflektion immer wieder Nahbarkeit herzustellen, ohne sich selber zu sehr in den Vordergrund zu drängen.

Jedes Podcast-Projekt von Jad Abumrad ist noch anspruchsvoller als das vorhergehende: Da war zuerst der Wissenschaftspodcast „Radiolab“, dessen unterhaltsamer, oft verrückter, innovativer Sound sich über Jahre entwickelte, maßgeblich geprägt durch den studierten Musiker und Mitgründer Abumrad. Der „Radiolab“-Sound setzte mit der Zeit dann Maßstäbe für Ohren und Geschmäcker, bei HörerInnen und MacherInnen gleichermaßen. Beispielsweise mit den legendären Episoden „Colours“ und „Ripping the rainbow a new one“, denen es gelingt, die Farbwahrnehmung von Mensch und Tier akustisch erlebbar zu machen und besser zu erklären, als ein Biologie-Schaubild es je vermochte. Mit dem „Radiolab“-Spinoff „More Perfect“ über den Obersten Gerichtshof der USA wurde Abumrad noch besser. Um dann mit dessen dritter Staffel, einem Podcast-Konzeptalbum zur US-Verfassung, einen weiteren Schritt zu gehen.

Ein Podcast wie in guter Song

„Dolly Parton’s America“ fühlt sich an wie die logische Fortführung dieser Entwicklung: Es ist so quirlig wie „Radiolab“ und auf den ersten Eindruck so abseitig und komplex wie „More Perfect“, dazu mit einer gleichermaßen spektakulären wie dankbaren Protagonistin. Es ist hör- und spürbar der Podcast eines Musikers über eine Musikerin und ihr Werk, der wiederum selber eine musikalische Qualität entwickelt. Mit einem hypnotisierenden Rhythmus aus Jad Abumrads Erzählungen, den Songs, den Tönen aus alten und neuen Interviews mit Dolly Parton. Mit einer Melodie, die in und über neun Folgen verschiedene Themen und Motive erkundet, aber den Faden nicht verliert. Der Podcast fühlt sich an wie ein guter Song, mit lauten, schnellen, langsamen und leisen Momenten.

Fünf Jahre ist es her, dass der Podcast „Serial“ die Welt eroberte. Das Podcast-Universum ist seitdem größer und diverser geworden. Deshalb glaube ich nicht, dass es noch mal einen solchen popkulturellen „Serial“-Moment geben wird. Geben kann. Es wird nicht noch einmal diesen einen Podcast geben, der wie „Serial“ bei vielen verschiedenen Menschen und Medien parallel zum dominierenden Gesprächsthema wird. Aber wenn ein Podcast diese Aufmerksamkeit nicht nur verdient hätte, sondern auch bequem ausfüllen könnte, dann wäre es „Dolly Parton’s America“.


Podcast: Dolly Parton’s America von WNYC
Episodenlänge: 9 Episoden, jeweils circa. 45 Minuten

Offizieller Claim: The story of a legend at the crossroads of America’s culture wars
Inoffizieller Claim: Wie großartig ist bitte Dolly Parton?!

Geeignet für: Fans von Dolly Parton – auch für diejenigen, die noch nicht wissen, dass sie welche sind
Nicht geeignet für: Wer noch kein Biopics begeistert geschaut hat, wird mit Porträt-Podcasts wahrscheinlich auch nicht warm

Wer diesen Podcast mochte, sollte auch diese Porträt-Podcasts hören: „Nochmal Nr. 1“; „Slow Burn Season 3: Biggie and Tupac“; wahlweise „Making Obama“ oder „Making Oprah“ oder „Making Beyoncé“; „Mutti und ich“; „Mensch Mutta“

2 Kommentare

  1. Man möge mir verzeihen, aber diese Podcast-Kolumne hier ist für mich irgendwie die mit dem geringsten Nährwert.
    Und dabei höre ich bestimmt mehr als 10 Stunden Podcasts pro Woche.

    Mein Geschmack geht eher in Richtung Interview Podcasts wie von Tim Protlove oder „omega tau“. Oder Podcasts wie „Methodisch Inkorrekt“ und „Rechtsbelehrung“, wo man etwas lernen kann und was dabei witzig ist.

    In dem Bereich würde ich mich mal über Vorstellungen freuen.
    Wobei mir einfällt: „Denkangebot“, das war eine schöne Empfehlung.
    Sehr gerne mehr in diese Richtung.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.