Die Podcast-Kritik (12)

Das „Denkangebot“ zeigt, was im politischen Diskurs fehlt

Die „Podcast-Szene“ hat viele Streitpunkte. Einer der Alltime-Favourites:

Wie perfekt darf, soll ein Podcast klingen?

Die einen sagen: Bitte gar nicht! Nur nix schneiden, so lang reden wie möglich, es darf knistern, rumpeln, Essen bei der Aufnahme ist okay, Trinken ein Muss, und wehe, es gibt ein Skript. Die anderen sagen: Podcasts haben ihr Potential noch lang nicht ausgeschöpft, und das liegt daran, dass die Leute das Schmatzen, die Ähms und das endlose Mäandern nicht ertragen, da sie es vom professionellen Radio nunmal anders gewohnt sind.

Das Problem ist: Alle haben recht. Natürlich ist ein großer Teil des Reizes, den ein Podcast ausmacht: die Nähe, das Unperfekte. Das Gefühl, in meinem Ohr sitzt ein echter Mensch wie ich, der auch Fehler macht und mal im Satz stolpert. Wenn ich etwas hören will, das wie ein Radiofeature klingt, höre ich ja eh Radiofeatures. Stimmt.

Es stimmt aber genau so diese Perspektive: Will ich meine Mutter davon überzeugen, das mit den Podcasts jetzt doch endlich auch mal auszuprobieren, braucht’s schon etwas mehr als endlose Stunden dozierender Männern, die nicht zum Punkt kommen können. Qualität ist nicht, einfach mal zu machen. Qualität ist, sich von Ideen zu trennen, sich zu fokussieren, Gutes von nicht ganz so gutem zu trennen.

„Das ‚Warum‘ hinter politischen Entscheidungen“

Man könnte meinen, diese beiden Positionen seien unvereinbar. Das „Denkangebot“ von Katharina Nocun beweist das Gegenteil. Sie schreibt darüber:

„In diesem Podcast möchte ich aktuellen politischen Debatten auf den Grund gehen. Und zwar so, dass man auch ohne Vorwissen einsteigen kann. Mich interessiert dabei vor allem das ‚Warum‘ hinter politischen Entscheidungen.“

Und wenn jetzt bei mancher und manchem die Alarmglocken klingeln, sei gleich Entwarnung gegeben: In diesem Politik-Podcast kommen fast gar keine Politiker zu Wort – und das tut der Sache sehr gut. Nicht, dass man nicht auch mit Politikern diskutieren muss und sollte. Aber am Ende wird das doch immer so ein bisschen Wahlkampf.

Dafür ist im „Denkangebot“ aber gar kein Platz. Hier will jemand Themen und Diskussionen verstehen. Darum gibt es hier auch keine Phrasen. Niemanden, der dem politischen Gegner schnell noch eins mitgeben will. Keine Diskutanten, die Verantwortung in so viele kleine Teile zerlegen, bis niemand mehr für irgendwas verantwortlich ist.

„Alexa, was bedeutet für dich Datenschutz?“

Das „Denkangebot“ hat dabei die nicht ganz einfache Aufgabe zu meistern, Neulinge für ein Thema genauso zu begeistern wie Leute, die sich schon eine Weile damit beschäftigen. Das gelingt – auch, weil Nocun keine Angst davor hat, mal die ganz einfachen Fragen zu stellen. „Alexa, was bedeutet für dich Datenschutz?“ – natürlich kommt da ein Haufen PR-Sprech aus dem kleinen Ding. Aber was hat man denn erwartet? Solche Szenen bringen etwas auf den Punkt. Sehr effektiv, sehr eindrucksvoll. Und Nocun weiß sie zu nutzen.

Katharina Nocun hat Ökonomie und Politikwissenschaften studiert (was erstmal nix heißen muss), hat Kampagnenerfahrung, war in der Politik (Piratenpartei), hat vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und Bücher geschrieben. Bei so manchem hätte diese Vita dafür gesorgt, fortan nur noch zu erklären – und nicht mehr nachzufragen. Im „Denkangebot“ ist das anders.

Sieben Folgen gibt es bisher. In der ersten spricht Nocun mit Experten über die neuen Polizeigesetze. Anderthalb Stunden lang, mit O-Tönen, klugen Beobachtungen, ja, sogar einer Art Dramaturgie. Allein die fast 30 Kapitelmarken zeigen: Hier meint’s jemand ernst! Hier gibt sich jemand Mühe! Und auch wenn Folge 1 noch nicht so richtig flüssig war, langweilig wurde es nie. Spätestens mit Folge 2 war klar: Das ist keine Eintagsfliege!

In dieser Folge geht es um Gewalt im Netz und die Frage, „wie Hass unser Gehirn umprogrammiert“. Nicht weniger als zehn (!) Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner kommen hier zu Wort – das haben manche Autorinnen im ARD-Rundfunk nicht in ihrem Feature.

Damit soll jetzt nicht gesagt sein, dass hier mit Masse mangelnde Klasse übertüncht wird. Das „Denkangebot“, so schreibt es Nocun auf ihrer Webseite, ist „eine sehr persönliche Angelegenheit“, und das hört man auch.

Wenn es beispielsweise in der jüngsten, der siebten Folge um Überwachung in China und die Proteste in Hong Kong geht und Nocun eine Szene beschreibt, in der hochgerüstete Polizisten in Schutzmontur in eine U-Bahn stürmen, weinende Menschen zusammenknüppeln und den Zug danach wieder verlassen, dann kann sich Nocun erlauben, die Dinge beim Namen zu nennen. Sie sagt dann nicht Beamte oder Einsatzgruppen, nicht Spezialkräfte und nicht Polizei. Sie sagt: Schlägertrupps.

Klar, man könnte ihr entgegenhalten, das sei nun aber eine sehr voreingenommene Haltung. Das aber verkennt den Kern dieser Produktion: „Dieser Podcast hat nicht den Anspruch neutral zu sein“, steht auf der Webseite. Er behauptet gar nicht erst das Gegenteil. Er ist ein „Denkangebot“ im Wortsinne, und da darf man auch ablehnen, was man hört. Nur – und darin liegt der Wert von Podcasts im Allgemeinen und von „Denkangebot“ im Besonderen – einfach wegblocken, was der eigenen Meinung widerspricht, ohne sich damit auseinanderzusetzen, das funktioniert hier nicht.

Dieser Podcast macht Arbeit – der Macherin und den Hörerinnen

Auch deswegen, weil die Episoden zu gut produziert sind. Sie sind unaufgeregt erzählt, frei von jeder Hektik, lassen immer mal wieder Raum zum Luft holen. Sie sind ausführlich, aber nicht ausschweifend. Sie sind vielschichtig, lassen zahlreiche Gesprächspartner die Dinge einordnen. Sie machen Arbeit – der Macherin, das hört man, aber auch den Hörerinnen und Hörern. Und sie sind gleichzeitig nicht zu perfekt; haben noch den Charme des Handgemachten, des Persönlichen.

Das eine oder andere Mal hätte ich mir gewünscht, normale Menschen zu hören. Jemanden, der oder die nicht Expertin ist, nicht Wissenschaftlerin, nicht Aktivistin. Und im Gegenzug würde ich mir manchmal wünschen, kurz zu erfahren, was Katharina Nocun mit ihren Gesprächspartnern verbindet. Denn dass es persönliche Bekanntschaften gibt, ist kein Geheimnis. Das darf man dann auch wissen, finde ich, weil es die Sache noch ein bisschen persönlicher macht.

Ich lebe in Sachsen, und vielleicht stehe ich mit diesem Gefühl ein wenig zu sehr unter dem Eindruck der gerade vergangenen Landtagswahlen. Aber seit ein paar Tagen spukt ein Gedanke in mir herum. Vielleicht zeigt das „Denkangebot“ auch, was dem politischen Diskurs fehlt. Debatte ohne Parteipolitik. Ruhig auch einmal zu sagen: Das weiß ich nicht. Oder: Ich habe dazu noch Fragen. Wäre das wirklich so schlimm? Ich glaube: nein. Manchmal muss man einfach nur ein paar gute Fragen stellen und eine Weile zuhören. Und wenn man am Ende unterschiedlicher Meinung ist, weiß man wenigstens, warum.

Der Podcast: Denkangebot – von Katharina Nocun
Erscheinungsrhythmus: so ungefähr einmal im Monat
Episodenlänge: gut sitzende anderthalb bis zwei Stunden

Offizieller Claim: Deine Dosis Politik.
Inoffizieller Claim: Hör doch einfach mal zu und halt die Klappe.

Geeignet für: Leute, denen Lanz, Maischberger & Co. zu viel Show und zu wenig Nachdenken sind.
Nicht geeignet für: Leute, die anderen ungefragt die Welt erklären.

5 Kommentare

  1. Danke für den Tipp. Da werde ich gerne reinhören… denn bei Lanz & Co findet Debatte jenseits wohlbekannter Phrasen ja leider kaum noch statt.

  2. @Ingo VB: Letztens irgendwo mal einen Artikel über die Talksendungen gelesen. Tenor: Keines dieser Formate taugte je zur längeren Debatte oder war gar dafür konzipiert. Sonald es auch nur etwas komplexer als BILD Niveau wird, kommt ein neuer Einschub seitens Moderator/in um wieder in seichte Gewässer zu kommen.
    Tiefergehende Debatten sind mWn aus dem TV verschwunden.

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