Die Podcast-Kritik (9)

Endlich ein deutscher Podcast mit Blockbuster-Potenzial

Alle Jahre wieder, diese große Frage: „Have We Hit Peak Podcast?“. Dieses Mal ist es die „New York Times“, die fragt. Hat das Medium Podcast seinen Höhepunkt erreicht? Diese leidige Diskussion ist zur Dauerbegleiterscheinung des Mediums geworden. Fast genauso nervig wie die ungezählten inhaltslosen Podcasts „Zwei superwitzige Männer unterhalten sich über alles, was ihnen diese Woche gerade so einfällt“.

Der Text der „New York Times“ ist zwar ein Negativbeispiel dafür, mit welcher Haltung viele Traditionsmedien noch über Podcasts berichten. Trotzdem stecken darin einige Zitate, die ich auch für die deutsche Podcast-Welt für interessant halte, unter anderem dieses:

We’re not necessarily sick of listening to interesting programs; but we’re definitely tired of hearing from every friend, relative and co-worker who thinks they’re just an iPhone recording away from creating the next Serial.

Es gibt zu viele schlechte Podcasts derselben Machart. Für mich scheint absehbar, dass dieses Überangebot an Ramsch nicht dauerhaft überleben wird. Weil die MacherInnen die Lust verlieren, wie in der „New York Times“ skizziert. Oder weil die gesättigten HörerInnen die Lust verlieren.

Was aber eben nicht heißt, dass es keinen weiteren Bedarf mehr für tolle Podcasts gibt, die anders sind. Und wie dieses „anders“ in Deutschland klingen könnte, zeigt für mich „Der Moment“ von Audible. Bisher war die Produktion des Hörbuch-Anbieters nur für dessen Abonnenten hörbar, seit einiger Zeit ist nun aber die erste Staffel von Anfang 2018 frei zugänglich als Podcast.

Das Konzept:

Manchmal ist es nur ein winziger Augenblick, der das eigene Leben komplett auf den Kopf stellt. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. ‚Der Moment‘ erzählt Geschichten über die größten Abenteuer im Leben. Geschichten von Ruhm und Risiko, vom Aufsteigen und Fallen.

Dabei hat die Produktion selber das Potenzial, eine kleine Geschichte über Ruhm und Risiko der Podcast-Produktion in Deutschland zu sein.

Ich denke, in Deutschland müssen wir uns die Sorgen der „New York Times“ erstmal nicht machen. Bevor wir Peak Podcast erreichen, diesen imaginären Berggipfel in atemberaubenden Podcast-Höhen, müssen wir noch ordentlich klettern. Bevor es für uns nur noch bergab gehen kann, müssen wir erstmal überhaupt aus dem Podcast-Flachland raus. Und vielleicht mal ausnahmweise nicht die nächstbeste Ausfahrt nehmen, auf der groß und fett „TRUE CRIME“ steht.

Wenn Ideen, Geld, Zeit, Freiheit und Erfahrung zusammenkommen

Das Team von „Der Moment“ zitiert zwar auch die großen US-Podcasts als Inspiration und Vorbild, die irgendwie alle zitieren. Der Unterschied: Die Audible-Produktion löst die bei mir geweckten Erwartungen ein. Das gelingt natürlich nicht zufällig. Denn hinter „Der Moment“ stecken:

  • die Podcast-Produktionsfirma Kugel und Niere, ein Team erfahrener AutorInnen, die auch für Radiosender arbeiten
  • die Soundschmiede Hammer und Amboss, ein Team aus RegisseurInnen und ProduzentInnen
  • der Hörbuch-Anbieter „Audible“, mit seinem kleinem Team, das die deutschsprachigen Audible Original Podcasts betreut

In Deutschland kommt diese Konstellation aus Podcast-Ideen, Geld, Zeit, Freiheit und Erfahrung noch vergleichweise selten zusammen, es fehlt mindestens eine Zutat. Meistens das Geld. Weswegen der Dauervergleich zu den US-Vorzeige-Podcasts wie „This American Life“ auch ein zweischneidiges Schwert ist. Denn ähnlich wie bei Filmen und Serien ist die Finanzierung der großen Produktionen in den USA auch deutlich üppiger. Was bei Spielfilmen die Budgets für Schauspiel-Gagen, Drehbücher, Regie, das ist bei dokumentarischen Erzähl-Podcasts der redaktionelle Aufwand und damit Zeit:

Auch schon bekannte Geschichten machen Spaß

Die Mühen für „Der Moment“ dürften durchaus ähnlich hoch wie bei den US-Stortytelling-Podcasts gewesen sein. Dazu kommt noch der Aufwand vor der ersten Episode, mit dem die Amazon-Tochter ihre Formate entwickelt: Mit einem Aufruf für Format-Konzepte, mit Podcast-Pilotfolgen und Test-HörerInnen, mit Feedback-Schleifen – eben mit festen Prozessen und Standards. Keine spontanen Bier-Ideen, die über Nacht in einem Smartphone umgesetzt werden.

In anderen Medien ist das selbstverständlich, klar. Bei Podcasts ist es immer noch erwähnenswert. Und ein Risiko. Angesichts dieses Aufwands kann ich auch nachvollziehen, weswegen „Der Moment“ in Deutschland hinter einer Paywall entstand und dort fast anderthalb Jahre blieb.

Die 24 großen und kleinen Geschichten „über Ruhm und Risiko“ sind spannend, witzig und empathisch erzählt. Vor Ort. Von ReporterInnen, die ein Gespür für tolle Momente haben und im Podcast den Raum haben, auch mal die kleine Geschichte direkt neben der großen Geschichte zu erzählen:

Reporterin Anna Bühler: „Auch das ist Sabine Bundschu. Die Stimme der MVG. Der Münchener Verkehrsgesellschaft. Seit mehr als 20 Jahren leitet ihre Stimme auch mich durch den Münchener Untergrund.“

Sabine Bundschu: „Und ganz besonders seltsam ist es, wenn ich mit meiner Tochter fahre. Die dann immer sagt: ‚Jaha, Mama!‘

Allein wegen solcher Anekdoten neben den eigentlichen Geschichten macht mir jede Episode Spaß beim Hören. Und das, obwohl mir nicht mal alle Erzählungen neu sind – manche Protagonisten, manche Geschichten kenne ich aus anderen Medien. Oder eben aus denjenigen US-Podcasts, die ich wahrscheinlich genauso gerne höre wie die „Der Moment“-MacherInnen.

Zwischen Ruhm und Risiko

Etwa die Geschichte des Engländers James Howells. In Folge 20 erzählt er das Trauma, das ihn nicht loslässt. Sein tragischer Moment ist 2017, während des großen Bitcoin-Fiebers, medial um die Welt gegangen. Weil Howells ein verhinderter Bitcoin-Millionär ist, dessen Vermögen irgendwo auf der Mülldeponie liegt:

James Howells: „Ich wollte in den Urlaub fahren und in der Woche davor habe ich hier ein bisschen aufgeräumt. Ich habe mir einen großen schwarzen Müllsack genommen und diese Schublade ausgeräumt. Damals waren in der Schublade zwei Festplatten: Einmal meine Bitcoin-Festplatte und eine leere 20-Gigabyte-Festplatte, ohne Daten.

Und welche, glaubst du, habe ich weggeschmissen?!“

In Folge 19 erzählt „Der Moment“ die Geschichte von Max Rinneberg, der auf einer Treppe stürzte, sein Gedächtnis verlor und nach seinem Koma als neuer Mensch aufwachte, mit ganz anderen Charakterzügen und Vorlieben. Oder Folge 16: Die Geschichte der Familie in Hongkong, die 2013 den Whistleblower Edward Snowden bei sich versteckte. Oder Folge 4: Der „Moorhuhn“-Erfinder Frank Ziemlinski, der mit dem beliebten Geflügel-Ballerspiel hääte zum Millionär werden können.

Ob nun Howells, Rinneberg, Snowden, Ziemlinski. Alles schon anderswo erzählt, manchmal lokal, manchmal international, manchmal sogar oft. Macht aber alles nix. „Der Moment“ erzählt alle so empathisch und so gekonnt, dass es immer Spaß macht. Das liegt auch daran, dass hier ReporterInnen als Menschen und als „Ich“ auftauchen, ohne dass es gleich nach krampfigen Storytelling-Hype klingt.

Reporter Christian Alt: „Kennt ihr eigentlich dieses kleine Nicken, mit dem sich Busfahrer grüßen? Oder dieses kurze Fingerheben, wenn sich zwei Motorradfahrer begegnen? Dieser kleine Moment, wenn man weiß: „Hey, der Andere, das ist einer wie ich.“

Diesen Moment hatten Frank Ziemlinski und ich ganz zu Anfang unseres Interviews auch. […] Frank ist ein Nerd, genau wie ich.“

Dabei schrammt „Der Moment“ immer an der Grenze, zu opulent, zu kitschig zu sein, sowohl in der Erzählung als auch auf der Sound-Ebene. Wenn dann aber beim verhinderten Bitcoin-Millionär im Hintergrund die Super-Mario-Münzen vergnügt „Bling, bling, bling“ machen, ist das zwar erwartbar, aber lustig.

Ob sich der große Aufwand für „Der Moment“ am Ende in neuen Hörbuch-Abonnements niedergeschlagen hat? Ich weiß es nicht. Muss es bei der Amazon-Tochter aber vielleicht auch gar nicht.

Damit bleiben aber in Deutschland auch die Fragen unbeantwortet: Erlaubt unsere Medien-Landschaft überhaupt, dass vergleichbar aufwendige Podcasts ohne Vor- und Zuschüsse überlebensfähig sein können? Wollen wir so viel Werbung in den Episoden, bis das möglich ist? Wollen Podcast-HörerInnen solche Produktionen notfalls mit Abonnements für einzelne oder mehrere Podcasts bezahlen?

Bis diese Fragen geklärt sind, bin ich einfach froh über sehr ambitionierte Podcasts wie „Der Moment“. Insofern verdient das Team hinter „Der Moment“ Ruhm. Nur sehe ich da die harte Audible-Paywall leider als mittleres Risiko. Umso besser, dass zumindest die erste Staffel nun vor der Paywall zusätzliche Aufmerksamkeit bekommt.


Podcast: „Der Moment“ von Audible
Erscheinungsrhythmus
: Staffel 1 mit 24 Episoden ist frei verfügbar; Staffel 2 & Staffel 3 nur mit Audible-Abonnement
Episodenlänge: 20 bis 40 Minuten

Offizieller Claim: Manchmal ist es nur ein winziger Augenblick, der das eigene Leben komplett auf den Kopf stellt. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war.
Inoffizieller Claim: Ein Beweis, dass gut erzählte und aufwendig produzierte Erzähl-Podcasts auch aus Deutschland kommen können.

Wer diesen Podcast mochte, sollte auch hören: „Einfach Machen“ und „Der Anhalter“ sowie die amerikanischen Inspirationen von „Der Moment“: „This American Life“, „Radiolab“m „Reply All“, „Love + Radio“.

6 Kommentare

  1. Sorry, es war ein Fehler zuviel, jetzt muss ich meckern, kann leider nicht anders:
    1. „skiziiert“
    2. „Bevor es für uns noch nur bergab gehen kann…“ (nur noch)
    3. „…mit dem die Amazon-Tochter seine Formate entwickelt“ (ihre)
    4. „Damit bleibt aber in Deutschland auch die Fragen unbeantwortet…“ (bleiben).
    Trotzdem gute Rezension, danke dafür!

  2. Habe es drei Folgen durchgehalten. Hatte mich gefreut auf die Reihe bei einer langen Fahrt im Auto. Die Geschichten sind gut bearbeitet und ich hab gut mitgefühlt…. aber die Sprecher sind eine absolute Katastrophe. Klingen wie die Jungmoderatoren bei Radio Fritz. Das passt einfach nicht zusammen mit der professionellen Produktion, da müssten richtige Sprecher ran.
    Schade.

  3. Ihr habt euch da vertippt und „Podcast“ geschrieben, wo es „Audible-Show“ heißen sollte.

  4. Am Anfang war ich ja skeptisch: Eine Medienkolumne über Podcasts? Bringt das was? Ist das nicht geschmacksabhängig?
    Ein Bekannter von mir findet zum Beispiel „Proseccolaune“ ganz super, die mag ich gar nicht, während ich „Kau und Schluck“ (beide von/mit der gleichen Person) sehr gerne höre.
    Dass es bei den von mir bevorzugten „True Crime“-Podcasts Qualitätsunterschiede gibt, war mir auch sofort klar, nachdem ich „Dunkle Heimat“ gehört hatte (meine Lieblingsszene dabei: Berni Mayer fragt seinen Interviewpartner, ob er aufs Klo darf).
    Doch die handwerkliche Kritik an den Formaten durch Marcus Engert und Sandro Schroeder hat jedes Mal Hand und Fuß – über Geschmack lässt sich eben offenbar doch nicht streiten.
    Bei nahezu allen Rezensionen habe ich mich wiedergefunden und deshalb nun mal „Der Moment“ ausprobiert – und ich kann nur „danke, danke, danke“ sagen. Reinhören lohnt sich wirklich!
    Weiter so, die Herren, weiter so, Übermedien!

  5. Der Start von „Der Moment“ war tatsächlich grandios, wirklich außergewöhnliche und tolle Geschichte. An der packendnen Vorgehensweise hat sich nichts geändert, der Podcast ist toll produziert und schön geschnitten. Aber die Geschichten wurden leider immer belangloser.

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