Bahnhofskiosk

Wirtschaftsmagazin mit Motorschaden

Im Grunde ist der Bahnhofskiosk auch nur einer dieser Autohändler, wo Neuwagen und Altwagen unter Wimpeln beieinander stehen und auf Kundschaft warten. Was mich betrifft, so greife ich bei Magazinen allzu oft daneben, nachgerade: ins Klo. Impulskäufe erweisen sich als fatal. Ich sollte das Produkt vor Erwerb auf Herz und Nieren testen, wie ich es, erwürbe ich habituell Automobile, auch mit einem gebrauchten Subaru oder Hyundai täte. Sonst ergeht es mir, wie’s mir nun mit „The World of Made in Germany“ (TWoMiG) erging.

Dem flüchtigen Blick erscheint TWoMiG als ein etwas schmuddeliger Bruder von „Capital“ oder „Impulse“, also ein Bruder ohne Nadelstreifen, was ja nichts Schlechtes sein muss. Zugleich könnte es verschwägert sein mit der „How To Spend It“-Beilage, mit der die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ beim Ausgeben des Geldes wertvolle Hilfestellung leistet. Schließlich ist TWoMiG im Untertitel als „Lifestyle- und Wirtschaftsmagazin“ annonciert, womit es auch ein Cousin dritten Grades von „Business Punk“ sein könnte, was weiß denn ich, halte ich Aktien? Bin ich Entrepreneur?

Endgültig zum Zugreifen verleiteten mich Titelthema und Titelbild. Ein verlottertes Kind, dessen Verlotterung sichtlich per Photoshop nachgeholfen wurde: „Kinderarbeit“. Kinderarbeit? Heißes Eisen! Gekauft. Hellhörig hätte ich werden müssen, wenn ich die ömmelige Unterzeile gelesen hätte:

„Kinderarbeit ist im hoch entwickelten Deutschland undenkbar, auf die billigen Produkte wird deshalb aber nicht verzichtet“

What? Wird deshalb aber nicht? Ist das Deutsch?

Auch was keine Haare hat, wird daran herbeigezogen

Da war es aber schon zu spät, und ich hockte mit meinem TWoMiG für dann doch 4,50 Euro im Zug durch das hoch entwickelte Deutschland. Im Editorial wünscht „Redakteurin“ Kerstin Trebbe allen Lesern „eine informative Jubelzeit“, denn 2019 ist Jubiläum (ein, wie ich erfahre, „Wort aus dem Spätlatein“) von so allerlei. Weimarer Republik. Berliner Mauer. Gewisse Patente in der Automobilbranche. Auch was keine Haare hat, wird von Kerstin Trebbe daran herbeigezogen. Danach geraten wir vollends in einen Wald aus Fragezeichen.

Unterteilt ist das Heft in die Ressorts „Wirtschaft“ (eh klar), „Geschichte“ (warum nicht?), „Automobil“ (Deutschland!), „Lifestyle“ (immer her damit!), „Ratgeber“ (für wen jetzt genau?), „Start-Up“ und „Digitalisierung“ (fällt das beides nicht unter „Wirtschaft“?), „Ernährung“ (Er- … nsthaft?), „Weinland“ (WTF?) sowie „Sonstiges“ – fehlt nur noch: „Platz für Notizen“.

Im „Ratgeber“-Teil geht es unter dem Titel „Wunderlampen und Rohrkrepierer“ um digitales Shopping aus China: „Der Anteil der Plagiate und Produktfälschungen ist erschreckend hoch“, worauf wir noch zurückkommen werden. Dahinter kommt eine Geschichte über Oldtimer mit modernem Motor, so genannte Everytimer. Ein Markt, der auch im hoch entwickelten Deutschland nur im Promillebereich liegen dürfte, auch hierauf kommen wir noch zurück.

In der großen „Wirtschaft“-Geschichte über die US-Investmentgesellschaft Blackrock stehen Sätze wie jener, den sich auf der Zunge zergehen lassen kann, wer keine Geschmacksnerven hat: „Nichts weniger als ‚den Mann, der den Dax beherrscht‘, sah die ‚Wirtschaftswoche‘ in ihm“, nämlich dem Quadratarschloch Larry Fink.

Wie wurde er, was er ist, nämlich sehr reich? Nun, „in den Achtzigerjahren war Fink unter jenen“ besonders hellen „Köpfen, die jene Hypothekenpapiere entwickelten, deren gebündelte Implosion sich 2018 zur gewaltigen Finanzkrise auswuchs“. Wo gebündelte Implosionen sich auswachsen, landet deren Urheber doch sicher hinter Gittern? Nein, denn „aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrung avancierten Fink und seine Mitarbeiter zu gefragten Experten für Investoren und Banker“.

Alleinstellungsmerkmal von TWoMiG: Artikel ohne Autoren

In diesem Stelzstil geht es weiter und weiter und weiter, so wie der Käfer aus dem hoch entwickelten Deutschland einst rollte und rollte und rollte. Grimmig sucht man nach dem Namen der Autorin, des Autoren – und findet ihn nicht. Auch dies ein Clou beziehungsweise Alleinstellungsmerkmal von TWoMiG: die Artikel sind schlechterdings nicht gekennzeichnet.

Nicht der Text über den Burn-Out: „Wenn der Körper Burn-Out-Signale sendet, will er uns mitteilen, dass wir unsere bisherigen Handlungsweisen überdenken sollten“ und eben nicht, dass wir jetzt aber mal so richtig Gas geben, yee-haw!

Nicht der Text über den hoch entwickelten Anschlussverlust von Deutschland bei digitalen Technologien. Einstiegssatz: „Zumindest einen Rückgang innovativer deutscher Unternehmen im globalen Vergleich bringt die Studie ‚The Most Innovative Companies 2018‘ zutage.“

Und auch nicht die Titelgeschichte über Kinderarbeit, die sich liest, als hätte ein innovativer Algorithmus nach flüchtigem Scan und einem Kurs in automatisiertem Schreiben nachgekritzelt, was darüber bei Wikipedia oder in Unicef-Studien geschrieben steht. Schlusssatz: „Deshalb dürfen die Anstrengungen im Kampf gegen eine Arbeit, welche die Zukunft der Kinder ruiniert, auch weiterhin nicht nachlassen“, Punkt.

Kein Autor, keine Autorin, nirgends.

Es wären nun noch viele Zeilen zu füllen über die bestürzende Unbeholfenheit von TWoMiG. Sei es den „Reisetipps“ für München (Englischer Garten, ein echter Geheimtip, oder doch lieber in den Olympiapark), sei es in einem als „Ratgeber“ getarnten Anzeigentext … obwohl, einer geht noch: „Im Rücken des Medienrummels um Dating-Apps, Partnervermittlungen und Lifestyle-Tipps für Singles beschäftigt Menschen, die allein wohnen, noch eine ganz andere, mehr praktisch ausgerichtete Sorge: Wie finde ich die passenden Haushalts- und Küchengeräte für ein kleines Apartment?“ Tja, wie nur?

„Made in Germany“, wir wollten darauf zurückkommen, stammt aus der Zeit der industriellen Revolution, als Unternehmen in Deutschland schamlos britische Produkte nachbauten und der englische Endverbraucher vor den minderwertigen Plagiaten aus dem Reich der Pickelhauben gewarnt werden musste. Gewarnt sei heute vor TWoMiG.

Butterweiche Quatschtexte für Anzeigenkunden

Wobei, auch darauf wollten wir zurückkommen, die Redaktion aus fünf freien Redakteuren und Redakteurinnen (auch eine Expertin für Ökotrophologie, was die Rubriken „Ernährung“ und „Weinland“ erklärt) taten, was sie konnten – um das Projekt ihres Chefs zu verwirklichen, nämlich Anzeigenkunden ein Umfeld butterweicher und besinnungsloser Quatschtexte zu liefern.

Und der Chef, das wäre die Pointe, ist ein gewisser Marco Matanza, Autohändler aus Saaldorf-Surheim. Ich würde ihm eher einen Hyundai oder Subaru abkaufen als jemals wieder ein Magazin.

7 Kommentare

  1. „deren gebündelte Implosion sich 2018 zur gewaltigen Finanzkrise auswuchs“

    Entweder falsch zitiert/Tippfehler oder in der Zeitschrift ist ein Fehler. Meines Wissens war die Finanzkrise 2008. ;)

  2. Klingt wie die furchtbaren, inhaltslosen Schwafel-SEO-Texte auf Websites, die mit Werbung zugepflastert sind.

  3. Der Artikel über Kinderarbeit ist gut recherchiert und zeichnet ein detailliertes Bild der aktuellen Lage. Außerdem werden verschiedene Lösungswege diskutiert. Viel mehr kann man von einem Artikel kaum erwarten

  4. Ist es nicht der Sinn eines Editorials, Themen aus verschiedensten Bereichen in einen übergeordneten Zusammenhang zu bringen?

  5. Die Texte von Arno Frank kommen mir immer vor, als würde ihm gerade nichts besseres einfallen. Wieso kauft man sich überhaupt ein Magazin, wenn doch angeblich schon die Titelseite nicht zusagt

  6. Soweit ich weiß, ist ein Editorial dazu gedacht verschiedene Themenbereiche in Zusammenhang zu bringen

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