Bahnhofskiosk

Und es knallt

Wenn ich kurz persönlich werden dürfte, dann mit dem Hinweis, dieses Magazin als Medizin konsumiert zu haben – gegen meinen Ennui bezüglich ausgedachter Geschichten; das war auch mein Problem mit „Game Of Thrones“. Heiter nähme ich es, würde man mir bildungsbürgerliche Verblasenheit unterstellen, aber ein ausgedachtes Mittelalter mit Meuchelmorden, Intrigen, Kriegen und Leidenschaften lockt mich nicht hinter dem Ofen hervor.

Die Geschichte der Rosenkriege oder Edward Gibbons mehrbändiger Klassiker „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“ bietet im Überfluss, was irgendwelche HBO-Serien vermittels Plotverschleppung auf mehrere Staffeln ausdehnen. Hinzu kommt der nicht reizlose Umstand, dass Geschichte – im Gegensatz zu „ausgedachten Geschichten“ – echt ist. Real.

Oder eben „true“, wie beim True Metal oder einem anderen prosperierenden Genre: True Crime. Von „Making a Murderer“ über „Confessions“, von „Amercian Crime Story“ bis „Evil Genius“ hat allein Netflix auf breitester Palette als Dokumentation oder Spielfilm verarbeitet, was sich wirklich zugetragen hat. Gleiches lässt sich bei Podcasts beobachten, wo bereits die Verlage ins Spiel kommen. „Zeit“ und „Stern“ bespielen das kriminalistische Feld auf unterschiedliche Weise, und natürlich bietet der Bahnhofskiosk noch mehr wahre Verbrechen to go.

Verschiedene Gesichter von Verbrechern, dazu Text. In der Mitte: Armin Meiwes mit dem Zitat: "Es war ein schöner Tod."

Das Flaggschiff dieser Formate ist das hochglänzende „Stern Crime“ aus der renommierten Werft von Gruner+Jahr, wo man sich gleicher Mittel bedient wie Verlage am anderen Ende der Skala – dort, wo aus Stückwerk halbwegs schwimmfähige Flöße gezimmert werden. Denn auch das Magazin „Real Crime“ von bpa media aus Hannover ist ein blutiger Strauß an Kriminalfällen, die von Autorinnen und Autoren aus aller Welt eingekauft wurden.

Der Verlag bedient mit seinem Portfolio alle nur denkbaren Trends, von „History“ über Backen und K-Pop bis zu Low Carb – wozu es womöglich passt, dass vom aktuellen „Real Crime“-Titel nun versonnen Armin Meiwes blickt, der als „Kannibale von Rotenburg“ zu makabrer Prominenz gelangt ist. Übrigens gehört es zu den Vorzügen dieses Heftes, sich genau solche dümmlichen „Apropos“-Bezüge wie den eben von mir hergestellten zu versagen.

Boulevard geht anders

So sensationalistisch die Aufmachung („Bunte“ ca. 1986), so seriös schon das Editorial. Darin wird der Fall des Armin Meiwes als „Liebesgeschichte“ anmoderiert: „Die Tat war erschreckend und abstoßend, die Absichten dahinter waren es nicht unbedingt“ – dazu ein Schnappschuss des noch jungen und gar nicht dämonischen Täters. Boulevard geht anders.

Inhaltsverzeichnis mit vielen Fotos von Verbrechern.

Die ersten vier Doppelseiten dienen der Einstimmung und gehören dem „Fallbericht“. Darin werden anhand großer Fotos, die nicht unbedingt große Fotos sind, die Unruhen in London 2011, der Postraub von Buckinghamshire 1963 (Ronald Biggs!), ein Schulmassaker 2015 und die Erschießung des gefährlichen Kriminellen Jacques Mesrine 1979 durch die französische Polizei nacherzählt. Auch hier wird angemerkt, dass der Gangster „ohne Vorwarnung“ regelrecht exekutiert wurde. „Law and Order“ geht anders.

Das Gros des Hefts aber gehört langen Geschichten über lang zurückliegende Kriminalfälle. Ein Broker von Merill Lynch, der wie Patrick Bateman aus „American Psycho“ Prostituierte zu Tode quälte. Ein Onkel, der seine Nichte vergewaltigte und tötete. Ein anderer Psychopath, der sein Opfer in einem Abflussrohr verrotten ließ. Die Lebensgeschichte des Mafiabosses Toto Riina.

Große Überschrift neben einem Foto: "Eindringling im Palast"

Aber auch die Schilderung eines Kunstraubs sowie „Minute für Minute“, die chronische Nacherzählung, wie einmal ein verwirrter Mensch ins Schlafzimmer der Königin von England vordringen konnte. Regelrecht lesenswert das Interview mit einem Räuber, der sich mit seiner Millionenbeute für 20 Jahre vor der Polizei versteckte. Und ein Stück wie jenes über die Raskols, eine berüchtigte Gangsterbande aus Papua-Neuguinea, hätte exakt so auch in der „Le Monde Diplomatique“ stehen können, so trocken und umfassend werden die politischen und sozialen Hintergründe dieses Phänomens durchleuchtet.

Gezeichnete Skizze eines Abflussrohrs, in dem ein Mensch sitzt, nackt und mit Tuch über dem Kopf.

Wahllos und ohne erkennbare Dramaturgie stehen harmlose Schnurren neben bestialischstem Gemetzel, alles aufgehübscht durch kleinteilige Bilder, Karten, Dokumente und Grafiken: So sah es aus im Abflussrohr! Wahllos auch die Perspektive, die – je nach journalistischem Zulieferer – mal die des Täters, die der Ermittler oder die der Opfer und Hinterbliebenen ist.

Die Wundertütenhaftigkeit ist „Real Crime“ also nicht anzukreiden. Anders als die boulevardeske Aufmachung vermuten lässt, mogelt sich manchmal sogar Erhellendes in den Thrill, und um den Thrill geht es in diesem Genre schließlich. Den erzeugt dieses Heft womöglich sogar besser als „Stern Crime“, gerade weil es auf Hochglanz verzichtet – und den Dreck, von dem es berichtet, bisweilen sogar als Blutspritzer quer über die Seite verteilt.

Wie ein Schocker von Sebastian Fitzek – nur mit Humor

Das mag kein Raymond Chandler sein, kommt an konsequente „Pulp“-Non-Fiction-Räuberpistolen eines Ferdinand von Schirarch aber doch heran. „Real Crime“ ist eher so etwas wie das publizistische Äquivalent zu einem Schocker von Sebastian Fitzek, hätte ein Fitzek ein wenig Humor.

Ein Raum mit einem gedeckten Tisch, dazu die Überschrift: "Tödliches Dinner"

Denn ein erfreulicher Mehrwert dieses Potpourris ist, dass dabei versehentlich sogar der eine oder andere komische Funken überspringt. Wie so oft, wenn man den Bogen überspannt. So „empfand“ Meiwes „es als unpassend, aus seinem sich selbst opfernden Geliebten Suppe zu kochen“. Die Hoden des Opfers „enthielten“ allen Ernstes „angehendes menschliches Leben und die Zukunft für kommende Generationen“, wurden aber leider zerkaut.

Manche Lacher ergeben sich aus Nachlässigkeit (wie Riina als „regelbrechender Mafiaboss“, vermutlich im Gegensatz zu den gesetzeskonformen Mafiabossen der Konkurrenz), andere offenbar aus feiner Absicht: „Wer hätte erwartet, dass im Palazzo Sant‘ Ufficio unter Drogen Schwulenorgien abgehalten werden?“ Tja, wer nur?

Ernsthaft zu kritisieren wäre höchstens, dass die Welt als böser und bedrohlicher Ort dargestellt wird – ein Argument, das aber dem ganzen Genre anzulasten wäre. „Real Crime“ bietet auch nur wohligen Grusel für eine von Gewalt entwöhnte Leserschaft, ohne verschwiemelte „Aktenzeichen XY … ungelöst“-Besorgnis oder ideologische Unterströmung. Es soll knallen. Und es knallt.

Mein Bedarf an „wahren Geschichten“ ist nun aber einstweilen gedeckt.

4 Kommentare

  1. Mir ist schleierhaft wie jemand solche Magazine rausbringen/lesen und damit auch noch diesen ganzen Psychopathen Ruhm verschaffen — und wenns ganz dumm läuft auch noch Nachahmer erzeugen — kann.
    Fehlt nur noch das Heft. „Die besten/blutigsten Attentate (mit Bombenanleitung zum Nachbasteln)“.

    Bei jedem Attentat oder sonstigem Verbrechen wird zurecht darauf hingewiesen, dass man den Tätern keine Publicity geben soll (weil es oft das ist was sie wollen) und dann gibt es Magazine, wo genau das — und nur das — passiert. (Und diese Magazine werden dann auch noch gelobt)

    Ist mir schleierhaft.

    P.S: Und das dann auch noch mit „Humor“ auflockern zu wollen — da wird mir übel.

  2. Dann sollte man sich nicht in englischen Buchhandlungen in die „True-Crime“-Ecke verlaufen (Die auffe Insel lieben dieses Genre!)
    und im linearen TV bestimmte Sender meiden und vorallem ZDF „XY“ nicht gucken… ;-)
    Fällt mir zum Thema Nachahmer/DiY ein:
    https://www.fnp.de/hessen/bombenbauer-oberursel-keine-verurteilung-wegen-terrorverdachts-10533303.html
    Vielleicht sind die deutschen Selberbauer Opfer der Bildungskrise auf der einen Seite und Baumarkthybris-Jippeejajajjippiejäh….
    Weil der Verfassungsschutz guckt lieber bei den Linken rein ;-)
    das ist ja so professionell gelaufen…

  3. „Weil der Verfassungsschutz guckt lieber bei den Linken rein ;-)“

    Nicht nur der Verfassungsschutz. Auch die maßlos überzogene Härte der Justiz gegen die Linken.
    Die Demokratiepreisträger von Rudolstadt wurden sogar zu Strafbefehlen verknackt. Dabei zeigt schon die geringe Menge der Chemikalien (gerade mal 100 kg), dass es hier, wenn überhaupt, nur um Spaß gegangen sein kann.

    https://www.mdr.de/thueringen/ost-thueringen/saalfeld-rudolstadt/urteil-bombenbastler-100.html

  4. @PischtieHufnagel: Vermutlich passt es nicht in Ihr Bild, und trotzdem sollte man es erwähnen: Einer der beiden Verurteilten war AfD-Anhänger und sympathisierte sogar mit der NPD. Was daran links sein soll müssten Sie mal erklären

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.