Die Podcast-Kritik (5)

Ein Umwelt-Thriller, der das Hörspiel ins Podcast-Zeitalter bringt

Pan ist Klang-Archivarin im 24. Jahrhundert. Obwohl, eigentlich ist sie meistens das Gegenteil: Sie ist eine Anti-Archivarin. Denn sie sammelt kaum, sie vernichtet größtenteils. Ihr Job in einer Zukunft namens „Fast Time“ ist es, die Klänge einer längst vergangenen Welt zu löschen. Die Klänge aus der sogenannten „Slow Time“.

Wie sich rausstellt, ist damit unsere heutige Zeit gemeit: „Crazy in Love“ von Beyoncé? Kann weg. „Bohemian Rhapsody“ von Queen? Löschen. Der Funkspruch von Neil Armstrong bei der Mondladung? Triviale Kommunikation, weg damit. Die 28-jährige Pan klickt sich leidenschaftslos durch: „Alte Songs sind wie Wasserstoff – sie sind überall.“ Terrabyte-weise mistet Pan aus, bis eines Tages ausgerechnet die nichtssagende Aufnahme eines Regenwaldes sie packt und schließlich ihre Gedanken, ihre Träume, ihr Gehirn infiziert.

„Forest 404“ ist eine fiktive Drama-Serie der BBC über den Klimawandel, die Digitalisierung und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Die Serie wurde produziert für die Wortwelle BBC Radio 4 – vor allem aber konzipiert als Podcast und für die neue BBC-Sounds-App, mit der sich die britische Sendeanstalt ins 21. Jahrhundert und auf die Smartphones einer jüngeren Hör-Generation bringen will. Dass die BBC bei „Forest 404“ mit den Themen Klimawandel und Digitalisierung goldrichtig liegt, dürften die vergangenen Wochen deutlich gezeigt haben. Und mag die beschriebene Eingangsszene auf den ersten Eindruck noch nach Kinderbuch-Kitsch klingen, ist der Podcast anspruchsvolle Unterhaltung für Erwachsene.

Ich tue mich allerdings schwer, beim Inhalt über mehr als die erste Folge zu schreiben – aus der Furcht heraus, das Hörvergnügen anderer mit einem Spoiler, einer Andeutung zu viel nachhaltig zu verderben. So fragil kommt mir das minimalistische, mit Doctor-Who-Star Pearl Mackie hochkarätig besetzte Hörspiel vor.

Gefahrlos kann ich verraten: Die Geschichte von „Forest 404“ spinnt die Folgen der Digitalisierung und Beschleunigung unserer realen Welt weiter in eine Dystopie, in der kein Platz mehr ist. Kein Platz für Emotionen, kein Speicherplatz für vermeintlich überflüssige Erinnerungen und Aufzeichnungen. Kein Platz mehr für die Natur. Wegen einer Katastrophe. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung, das Ende unserer „Slow Time“ und der Beginn der „Fast Time“ im Universium der Serie. „Jeder konnte digitales Material und Daten erschaffen, das musste übel ausgehen“, stellt Pans Chefin Daria achselzuckend fest. In ihrem Auftrag mistet Pan deswegen die Überbleibsel der „Slow Time“ aus. Denn diese Altlasten sind für die hoch-technisierte Klassen-Gesellschaft der Zukunft nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich.

Der Klimawandel als Podcast-Dreiklang

Wie es sich für gute Science-Fiction gehört, dient dieser Hörspiel-Podcast nicht nur der Unterhaltung. Seine Wucht entwickelt „Forest 404“ aus einem Dreiklang, der erst im Podcast-Feed entsteht. Denn die MacherInnen hatten die innovative Idee, darin mehrere Ebenen zu verbinden: Da sind die neun Episoden, die die fiktive Erzählung vorantreiben. Dazu kommen neun „Podtalks“: Ergänzende Essays von Wissenschaftlern, Musikern, Historikerinnen und Science-Fiction-Autorinnen zu den Themen der Serie. Sowie neun Klanglandschaften.

So abseitig und wenig verlockend sich diese Kombination lesen mag, so wirkungsvoll ist sie zu hören. Weswegen „Forest 404“ mehr ist als ein Hörspiel in neun Teilen.

Wen die fiktive Erzählung rund um Protagonistin Pan allein nicht zum Nachdenken bringt, den rütteln die Essays mit ihrem Rückbezug auf die Realität auf. Sie skizzieren sehr eindrücklich, wie der Mensch einerseits gesundheitlich auf den Klang der Natur angewiesen ist. Und wie der menschengemachte Klimawandel andereseits unumkehrbar die Klanglandschaft der Natur verändert und zerstört. Die Botschaft: So wie die Protagonistin Pan beiläufig „Crazy in Love“ und Beyoncé aus der Welt nimmt, so löschen wir gerade kollektiv das Vogelgezwitscher und Insektbrummen aus, mitsamt der Vögel und Insekten.

Noch wirkungsvoller wird das durch die begleitenden Klanglandschaften: Die binaurale, also 3D-Klang-Aufnahme des Regenwalds, die Pan infiziert hat, zwingt auch mich als Hörer zum Innehalten und Nachdenken. Es ist das Zusammenspiel aus Fiktion, Information und Realität – gleichzeitig in einem Podcast-Feed, für die HörerInnen im eigenen Tempo entdeckbar.

„Forest 404“ gelingt so, was in der Berichterstattung über den menschengemachten Klimawandel oft noch so schwer ist: Emotionales Interesse und Verantwortungsbewusstsein auszulösen, ohne erhobenen Zeigefinger.

Klanglich lässt die Serie fast keine Wünsche offen, im Gegenteil: Das Hörspiel ist eine angenehme, wenn auch ernstzunehmende Herausforderung für Ohren, die sich in der Wüste der eintönigen Billo-Schnell-Schnell-Podcasts nach einer Klang-Oase sehnen. „Forest 404“ ist zwar personell ein Kammerspiel: Mehr als zwei, drei unterschiedliche Stimmen pro Episode sind nicht nötig, was auch an den grandiosen schauspielerischen Leistungen von Pearl Mackie, Tanya Moodie und Pippa Haywood liegt. Aber auf der Soundebene ist der Podcast nahezu pompös und so vielschichtig wie seine Story.

Unterhaltsamer Remix der letzten Jahre Science-Fiction

Der Zauber der Serie basiert auf zwei, drei mehr oder weniger unvorhersehbaren Wendungen in der Erzählung und einem großen Finale. Hier folgt auch mein einziger fundamentaler Kritikpunkt am Podcast, der sich wahrscheinlich aber viel eher gegen das Genre richtet: Wer in den letzten Jahren Science-Fiction im Kino und auf Streaming-Plattformen gesehen hat, dem wird einiges bekannt vorkommen – und der wird vieles bereits früh ahnen.

Der Podcast ist ein vielschichtiger Remix von Science-Fiction-Erzählungen und -Wendungen, die in letzter Zeit viel genutzt und deswegen vielleicht etwas abgegriffen sind. Allein das hat Unterhaltungswert, selbst für diejenigen, denen die Dramaturgie-Zutaten alle bekannt sind. Vor allem aber fordert „Forest 404“ als Podcast die eigene Vorstellungskraft mehr, als es eine Videoserie je könnte. Die Serie diktiert nicht genüsslich jedes Detail ihrer fiktiven Welt, so wie es beispielsweise opulente Technologie-Pornos wie die HBO-Serie „Westworld“ tun. „Forest 404“ ist auch deswegen einer der spannendsten Versuche, das traditionelle Radio-Hörspiel in eine moderne Podcast-Form bringen.


Podcast: „Forest 404“ von BBC Radio 4
Erscheinungsrhythmus
: Serie in neun Episoden; Bonusmaterial: 9 Klangschaften und Essays
Episodenlänge: jeweils rund 20 Minuten; insgesamt rund 3 Stunden Hörzeit exklusive Bonusmaterial

Offizieller Claim: Can you feel loss for something you’ve never known?
Inoffizieller Claim: Eine der spannendsten fiktiven Erzählungen über die reale Klimakrise und technologischen Fortschritt

Klingt wie: „1984“ trifft „Equilibrium“ trifft „Westworld“ trifft „Blackmirror“
Geeignet für: Science-Fiction-Fans mit Faible für Ohrenkitzel und Klanglandschaften
Nicht geeignet für: Nebenbei-Podcast-HörerInnen

Wer diesen Podcast mochte, sollte auch hören:
Homecoming“ & „Sandra“ von Gimlet Media; „The Shadows“ von CBC Radio; die Miniserie „Das Ende der Ruhe“ im „Systemfehler“-Podcast von Viertausendhertz

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