Der Autor
Peter Breuer ist freier Werbetexter aus Hamburg und geht für Übermedien regelmäßig zum Bahnhof, aber nicht zum Zug, sondern in den Kiosk. Dort zieht er Magazine aus den Regalen und schreibt drüber.
Die „Vogue“ ist eine Legende. Allein der Name, dieses laszive O und das nur hauchend angeatmete E; die legendäre Chefin Diana Vreeland mit ihrer kilometerlangen Zigarettenspitze und die ewige Anna Wintour, die seit Jahren das Sichtfeld ihres Kopfes mit einer stumpfen Kinderschere aus dem Zement-Bob freischneidet; und all die Star-Fotografen, die für eine „Vogue“-Strecke eine Antilopenherde in den Central Park bestellt hätten oder die Pyramiden von Gizeh aus Zuckerwürfeln nachgebaut; dazu Models, für die ein „Vogue“-Cover im Lebenslauf immer noch eine Art Promotionsurkunde bedeutet.
Das Rezensionsexemplar der deutschen „Vogue“ kommt aus dem Supermarkt, und es ist in eine Plastiktüte geschweißt. Wie diese Hefte, in denen der erste Knochen eines Dinosaurier-Skeletts ist, das man dann doch nicht bis zum Schluss sammelt. Das Heft wiegt ungefähr eine Tonne, und auf dem Cover ist die 25-jährige Edie Campbell abgebildet, in einem Tülltop mit Metallstücken. Das Teil ist von Alexander McQueen, für dessen Marke Campbell zufällig auch arbeitet. Aber das heißt nichts, denn sie arbeitet für viele große Marken.
Der Umschlag der „Vogue“ ist eine Klappenbroschur. Das ist praktisch, denn so lässt sich die Seite 2 noch einmal aufschlagen und gibt weitere Werbung frei. Auf Seite 3: auch Werbung. Auf den Seiten 4 und 5: ebenfalls. Auf den Seiten 6 und 7 – Überraschung: auch Werbung. Man könnte das jetzt noch 14 Seiten lang fortsetzen, aber das hier soll ja eine Rezension sein und kein sozialkritisches Theaterstück.
Auf Seite 21 dann: der erste Teil des Inhaltsverzeichnisses. Die Seiten der Modestrecken werden vorgestellt. Zum Runterpegeln kommen nach der Aufregung drei Seiten Werbung. Auf Seite 25 steht, wo man die Geschichten der Rubriken „Beauty/Health“ und „Menschen“ findet. Puh! Dann wieder drei Seiten Werbung, das restliche Inhaltsverzeichnis, eine Doppelseite Werbung und der erste Teil des Impressums, dann Werbung, dann der zweite Teil.
Andere Zeitschriften sind nach 35 Seiten zur Hälfte gelesen, hier fehlen noch vier Seiten Werbung bis zum Editorial der Chefredakteurin Christiane Arp.
Es geht im Heft angeblich um die Verführung und unsere verdammte Ungeduld. Wir sollen endlich wieder lernen, „den Weg als eigentliches Ziel zu genießen“. Das hat auch mit Mode zu tun, denn Mode ist die ewige Verführerin, schreibt Christiane Arp – eine Verführerin, die wahrhaftig ist, „wenn sie aus dem Herzen und nicht aus der Marketingabteilung kommt“.
Das kann man so stehen lassen, denn die Marketingabteilung und das Herz sind nun wirklich unvereinbar. Es folgt eine Werbung und danach eine Seite „Vogue stellt vor“ – vier Geschichten aus dem Heft, kurz angeteasert. Danach Werbung und fünf Seiten mit redaktionell verbrämten Kaufanreizen für einen Ananas-Schlüsselanhänger, eine Sonnenbrille und Schnickschnack. Erst auf Seite 53 beginnt eine redaktionell fotografierte Modestrecke.
Das Thema der „Vogue“ ist: „Langeweile“. Sowohl in den Anzeigen als auch in der Fotostrecke. „Komm Baby, stell Dich mal so hin und schau so pikiert, als würdest Du an einen völlig verkochten Grünkohl denken.“ Die Mädchen sind dünn, die Gesichter leer, die Klamotten teuer. In den Sechzigern gab es einen Dr. Oetker-Spot, in dem eine Frau am Herd steht, ein Fertiggericht zaubert und ein Sprecher sagt: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“ Die Frauen der „Vogue“ haben sogar nur eine Lebensfrage, und selbst die macht ihnen offensichtlich keinen Spaß.
Auf den Seiten 64 und 66 folgen Fotos von vier Dolce & Gabbana-Boots, unterbrochen von einer Seite Werbung. Vermutlich damit klar ist, dass es sich um einen redaktionellen Beitrag handelt. Die Treter kosten zwischen 2.190 und 2.600 Euro und sind unter anderem aus Pythonleder. Zum Glück ist die Schlange längst tot, sonst käme man mit den Schuhen nicht durch den Zoll. Brian Conolly von „The Sweet“ hätte die Boots in seinen besten Zeiten nicht getragen, weil sie ihm zu auffällig gewesen wären.
„Vogue“ zu lesen, fühlt sich an, als würde man auf Youtube eine 30 Sekunden lange Zwangswerbung anschauen, um dann einen zehn Sekunden langen Werbefilm zu sehen. Fast jede Überschrift funktioniert wie das Einmaleins des Werbetextens, wenn die Ideen noch müde sind: „Wert-Stoffe“, wenn es um wertvolle Stoffe geht; „Neo-Romantik“, wenn Mode im Museum gezeigt wird; „Fahr-Stil“, wenn das Label einer Tasche groß wie ein Nummernschild ist; und „Dreiecks-Beziehung“ texten die Texter bei einem Collier aus Dreiecken.
Die Bildgeschichte „night fever“, fotografiert von Sebastian Kim, zeigt Sexdienstleisterinnen – oh, Entschuldigung: Models – in extrem luftigen Kleidern. Zum Beispiel in einem Netzkleid aus Veloursleder (so um 12.150 Euro) von Balmain oder einem mit Glasperlen besetzten Glitzerkleid, das haarscharf unter den primären Geschlechtsmerkmalen endet (2.290 Euro, Saint Laurent). Die jungen Mädchen, die vor dem Eingang der Hamburger Herbertstraße um Kunden kobern, tragen Moonboots von Deichmann und Wrangler-Jeans (je 70 Euro) und haben mehr Witz und mehr Würde als die Supermodels, die ihre geschminkte und retuschierte Haut für diese kostspielige und verlogene Inszenierung der Billigkeit herhalten.
Die Bildwelten der „Vogue“-Fotografien des Jahrgangs 2016 hat jeder halbwegs visuell geschulte Mensch schon tausend Mal gesehen, und die Ideen des inzwischen 89-jährigen F.C. Gundlach waren bereits in den 1960er Jahren um Längen innovativer. Abgesehen davon, dass er auch ohne Photoshop und allein am Set und im Labor in der Lage war, Bildern optische Stimmigkeit zu verleihen. Die einzige längere Strecke – acht Seiten, die ausnahmsweise nicht von Werbung unterbrochen werden – nennt sich „Meister-Werke“. Zur Überschriften-Mechanik habe ich ja oben schon genug geschrieben, aber die Unterzeile „Mode wie gemalt. Vorbild: David Hockney“ lässt aufmerken.
Die Fotos von Emma Tempest sind massiv am Rechner bearbeitet: in Sepia getaucht, sehen sie aus, als wären sie in einem verlassenen böhmischen Maleratelier mit alten Filmstrahlern fotografiert; aber sie haben nichts, gar nichts mit David Hockney zu tun. Nicht mit seiner Malerei, nicht mit seiner Fotografie und schon überhaupt nichts mit seinen Zeichnungen. Hätte das Model wenigstens geraucht oder eine Hornbrille getragen, man hätte mit viel Mühe, noch eine gewisse Hockneyartigkeit unterstellen können.
So bleibt es eine weitere Aneinanderreihung von überteuerten Produkten, bei denen nicht nur die Markennamen und Preise der Textilien, sondern auch die für das Make-up verwendeten Produkte genannt werden.
Insgesamt langweilt das alles zutiefst.
Der wenige Text zwischen den Anzeigen ist mit seinen zu eng gesetzten Sublines und den albernen Initialbuchstaben ein schlechter Witz, und die modischen Trends, die vorherrschen oder angeblich kommen, googelt eine wache Abiturientin in einer halben Stunde. Das Heft ist nicht antifeministisch oder konsumistisch, es ist gar nichts. Und zugleich ist es beruhigend, dass Legenden wie die „Vogue“ so einen ruhigen Lebensabend haben. Wenn man es als Marke einmal geschafft hat, kann man offenbar alles machen.
Vogue Deutschland
4/2016, 246 Seiten
Condé Nast Verlag, München
Peter Breuer ist freier Werbetexter aus Hamburg und geht für Übermedien regelmäßig zum Bahnhof, aber nicht zum Zug, sondern in den Kiosk. Dort zieht er Magazine aus den Regalen und schreibt drüber.
Eigentlich eine schöne Rezension, aber der Versuch, die Würdeniveaus verschiedener Personen beim Ausüben ihres Berufes zu vergleichen, hinterlässt bei mir einen etwas unangenehmen Geschmack.
Danke für die Rezension.
Ich glaube die Zeitschrift funktioniert mehr oder weniger ganz gut durch Identifizierung. Es ist vor allem für mittelalte Damen, die sich zumeist in einer Glamour-Welt bewegen und d.h. tatsächlich nicht unbedingt eine konsumistische Lebenseinstellung zu haben, wie ganz richtig erkannt, sondern eher: Kommunikation, Schein, Bedeutung. Man geht shoppen ohne Geld auszugeben. Sehen und gesehen werden ist die Regel. Leider wirft das auch Licht auf die völlig überschätzte Christiane Arp und die Modewelt von heute. Arp hat es nicht begriffen, welches Potential Mode-Machen etwa in Berlin besitzt. Noch immer denkt sie bei Mode an Nizza und Paris. Fürchterlich und bedauerlich.
Dankeschön! Ging mir genauso, nur fehlten mir die richtigen Worte, nachdem ich die Zeitschrift gelangweilt weggelegt habe.
War ganz gut – bis auf einmal Frauen in kurzen Kleidern als Sexarbeiterinnen bezeichnet werden.
Leute die schreiben:
„Die Bildgeschichte „night fever“, fotografiert von Sebastian Kim, zeigt Sexdienstleisterinnen – oh, Entschuldigung: Models – in extrem luftigen Kleidern.“
… kauften auch: „Naja also wenn du SO rumläufst, ist es kein Wunder, wenn du angetatscht/vergewaltigt wirst. Fragst ja regelrecht danach.“
Ziemlich schwach.
So gut lästern kann sonst nur Oliver Kalkofe :-)
Die Beschreibung der Zeitschrift erinnert mich an die Computer-Zeitschrift BYTE in den 80ern. Sie war sehr dick, bestand hauptsächlich aus Werbung und Schleichwerbung, war aber trotzdem faszinierend zu lesen. Und ja, auch die Werbung. Vielleicht ist es ja das, was die Leser mögen. Oder es geht nur darum, die Vogue auffällig in der Hand zu halten.
@ Jasmin Schreiber,
ich bin mir nicht sicher, wie treffend ich den ‚Sexdienstleister‘-Begriff im Artikel finde, aber er ist nicht die Vorstufe zum Victimblaming. Ich denke vielmehr, dass Sie der Diskussion einen Bärendienst erweisen, wenn Sie ‚Sex sells‘ mit ‚Yes means No‘ in einen Topf werfen.
Nachtrag:
Um meinen Punkt etwas klarer zu machen: Im Artikel bezieht sich der Begriff ja auf eine ganz bestimmte Fotostrecke und ich nehme an, dass damit die gestellte Partyszene gemeint ist. An den beiden Bildern finde ich das linke Foto tatsächlich irritierend und etwas unangenehm: Wir spielen gelangweilt mit Sex- und Dominanzposen.
Aber das ist auch nur meine ganz persönliche Meinung. In einem Walter Moers Comic ging es mal darum, dass wilde Extase beim Sex total out wäre, Coolness und Distanz sei die neue Mode (hier das Bild, leider zu klein: http://www.rimmek.de/jr/moers/arschl6.gif ). Daran musste ich denken.
Bei diesem Artikel fällt mir Karl Kraus ein: „Ein Feuilleton zu schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen.“
In Teilen gut geschrieben, in Teilen geschmacklos wird eine banale Erkenntnis ausgewalzt: „Die Vogue ist Werbung.“
@jasmin:
Hätte Peter Breuer zur Vogue eine ähnlich weitreichend-überspitzte Schlussfolgerung gezogen, wie Sie in …
„… kauften auch: „Naja also wenn du SO rumläufst, ist es kein Wunder, wenn du angetatscht/vergewaltigt wirst. Fragst ja regelrecht danach“
…würden wir hier über eine erheblich heftigere, geradezu brutale Rezension diskutieren.
Hat er aber nicht. Ich finde es ziemlich krass, eine solche Inszenierung von Frauen als Sexobjekt desinteressiert als Pillepalle zu ignorieren, aber dem, der das beschreibt, derartige Diffamierungen an die Stirn zu tackern, weil er halt explizit benennt, was es rüberbringt.
Aber ich verstehe ja auch nicht, weshalb es nie einen auch nur mittellauten Aufschrei zur Darstellung von Frauen in der Flut der Groschenromanverfilmungen nachmittags und abends zu vernehmen gibt.
PS:
Mich persönlich schockiert diese komplett untrainiert-muskelfreie Dürrheit eigentlich noch mehr. Dachte, in Frankreich wollte man diese Exzesse eindämmen.
Ich musste berufsbedingt „damals“ viele dieser Titel durchwälzen, was teils wirklich sehr anstrengend war. Substanz – wo ist sie? Mich beschleicht der Verdacht, dass in Zeiten von Kosteneinsparungen, Zentralredaktionen und nicht übermäßig entlohnten Redakteueren/Fotografen das Verhältnis Werbung/Content etwas aus den Fugen geraten ist. Nicht, dass die Anzeigen heute noch das einbringen würden, was deren Häufigkeit in diesen Titeln suggeriert, aber unterm Strich hält die Käuferin das Ergebnis dieser Umstände in ihren Händen und muss selbst beurteilen, ob sie dafür weiter 6, 7 oder sonst wieviel Euronen hinblättern möchte…
So hübsch und unterhaltsam sie geschrieben sind, so prägt die Texte von Herrn Breuer doch stets eines: seine herablassende, arrogante Haltung.
Das ist bei Twitter so, wo nahezu jeder Witz von ihm auf Kosten von irgendjemandem geht, der sich verbal nicht adäquat wehren kann, und das ist in seinen Kolumnen leider nicht anders.
Wie schon weiter oben jemand sagte: Liest sich immer alles sehr hübsch, aber danach hat man irgendwie einen Iltis im Mund.