Wochenschau (18)

Fleischhauers Anti-Antifaschismus

Jan Fleischhauer: Der schwarze Kanal - Nazis rein

Jan Fleischhauer, der Grandmaster Troll des konservativen Journalismus, betitelt seine aktuellen Kolumne im „Spiegel“ mit dem Slogan „Nazis rein“. Selbstverständlich handelt es sich wie gewohnt um eine kalkulierte Provokation, so elegant wie ein typischer Tichy oder ein stilbewusster Sarrazin; ein wohlgeschnitztes, holzbraunes Stöckchen, über welches ich mit Anlauf springe.

Zur Erinnerung: Am 20. Januar 1942 trafen sich 15 Vertreter des NS-Regimes auf Einladung von Reinhard Heydrich, dem Chef des NS-Reichssicherheitshauptamtes, um den Holocaust an den Juden zu organisieren. Bei diesem Völkermord ging es den Nazis um das „Töten und Eliminieren und Vernichten“ der jüdischen Bevölkerung, ein Beschluss, der als „Endlösung der Judenfrage“ in den Geschichtsbüchern steht und sich gestern zum 77. Mal jährte.

Am Wochenende dieses Jahrestages durften sich also die Leser der Printausgabe des renommierten Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ – und darunter vielleicht auch einige der letzten, wenigen Holocaust-Überlebenden – über die verstörende Überschrift „Nazis rein“ wundern, die einen Artikel ziert, den Fleischhauer mit den Worten beendet: „Leider kann man sich auf das Geschichtsbewusstein der Deutschen nicht mehr verlassen.“ Das gilt, wie sich zeigt, auch für den Autor.

In seiner Kolumne vergleicht er, nachdem er den Linken die Selbstinszenierung eines plakativen Antifaschismus unterstellt, „um sich selbst in ein günstiges Licht zu setzen“, die Situation von 1945 mit der heutigen. Historisch etwas konstruiert, wenn nicht sogar geschichtsrelativierend, zieht er diese Parallele, um für das titelgebendes Statement „Nazis rein“ zu plädieren, womit er die Reintegration der sogenannten Nazis meint – denn, so erfährt man, selbst die Amerikaner hätten den Nazis ja damals eine Chance gegeben wieder Teil der demokratischen Gesellschaft zu werden. „Neben die Entnazifizierung trat nach 1945 schon bald die ‚Reeducation‘, mit der die Amerikaner aus überzeugten Nationalsozialisten brave Demokraten machen wollten.“

Ein Vergleich, der mehr hinkt als Goebbels

Unabhängig davon, dass der gesellschaftspolitische Vergleich zwischen der Umerziehung in der Nachkriegszeit und der Forderung nach Resozialisierung heutiger Nazis noch mehr hinkt als Goebbels, widerlegt dieser auch genau sein Argument der Reintegration: die Entnazifizierung hatte eben zum Ziel, die Nazis aus den Institutionen zu kicken; es war ein buchstäbliches „Nazis raus!“ aus der Presse, der Justiz, der Politik, der Wirtschaft und der Kultur. Also nicht, wie Fleischhauer interpretiert, „Nazis rein“, sondern „Nazis raus“ aus allen gesellschaftlichen Ebenen zu einem sehr nachvollziehbaren Zweck: Nie wieder Faschismus.

Ein weiterer Aspekt, den der Redakteur des „Philosophie-Magazins“ Nils Markwardt (Follower rein!) anmerkt:

Der Nazi durfte erst zurück in die Gesellschaft, wenn der Nazi raus dem Kopf war und er kein Nazi mehr war. Genau genommen hätte man damals rufen können: Entnazifizierte rein!

… denn hier jehörn se hin

Wenn Fleischhauer „Nazis rein“ sagt, wen genau meint er dann? Manchen geht es bei #Nazisraus dezidiert um Neonazis, andere denken an AfD-Wähler, aber alle benutzen den Satz als öffentlichen Ausdruck ihrer Ablehnung aller faschistischen Tendenzen. Da Fleischhauer den Begriff Nazi nun ebenso pauschalierend in seinem „Nazis rein“ benutzt, vertage ich das Bedeutungs-Telekolleg auf eine andere Kolumne – aber wenn er diesen geschichtlichen Vergleich schon bemüht, also die Nationalsozialisten von damals, die „echten Nazis“, wie er schreibt, die damals zur Demokratie umerzogen werden durften, mit den in „Nazis raus“ gemeinten „Nazis“ von heute argumentativ gleichsetzt, dann ist ja seine Aussage „Nazis rein“ noch schlimmer!

In ihrem Song „Flimmern“ sangen Die Goldenen Zitronen sarkastisch:

Und dann fragt man sich dann noch:

Wer soll eigentlich wo raus? Raus aus wo oder rein wohin?

Rein und raus, raus wohin? Wer soll eigentlich wo raus und rein wohin?

Was solln die Nazis raus aus Dütschland?

Was hätte das für ein Sinn?

Die Nazis können doch net naus, denn hier jehörn se hin

Ist es in dieser Auseinandersetzung wirklich eine ernstgemeinte Lesart, davon auszugehen, dass „Nazis raus“ ein räumliches Raus meint? Ein Abschieben aus Deutschland?

Ganz abgesehen davon, wie gemein dieser Export made in Germany anderen Ländern gegenüber wäre, wird hier etwas buchstäblich gelesen, was aufgrund seiner Natur als Slogan nicht buchstäblich zu lesen ist. „Yes, we can“ bedeutet nicht, dass wir alle alles können, „Je suis Charlie“ bedeutet nicht, dass ich ein Satiremagazin bin. Wenn Konservative fordern, dass man durch Ausspruch des Satzes „Nazis raus“ erstmal erklären solle, wo sie dann außerhalb von Deutschland hin könnten, dann ist das erstens eine Strohpuppe und zweitens müsste man auf diesem Niveau Fleischhauer ebenso intelligent fragen: „Nazis rein – okay, aber woher kommen sie und wohin denn?“

Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, waren die doch schon da, eben deswegen schreiben ja einige, dass sie raus sollen – aber wenn sich Fleischhauer bereit erklärt, Nazis aus dem Ausland aufzunehmen, dann bitte, so viel Altruismus hätte ich ihm nicht zugetraut und daher möchte ich ihm auf gar keinen Fall im Weg stehen. Kein Nazi ist illegal – wobei, ah, halt Moment: doch.

Die deutscheste Debatte ever

Sie merken es ja vermutlich bereits selbst beim Lesen: Wir sind in der eher anstrengenden semantischen Saturation dieses Diskurses angekommen.

Margarete Stokowski merkt zu Recht an, dass die Diskussion um den Slogan „Nazis raus“ die deutscheste Debatte ever sei, da hier versucht wird, Sticker-Statements juristisch zu zerlegen.

Wenn die „Welt“ also versucht, rechtlich zu erklären, warum der Satz „Nazis raus“ fast illegal sei, dann fühlt es sich ein bisschen so an wie der Typ, der einem auf der Party erklärt, dass ein Swastika genau genommen ein Glückssymbol der Hindus ist, weshalb er wirklich nicht verstehe, warum man es in Deutschland nicht zeigen darf.

In Germany we don’t say „Nazis raus“, we say: „Denn wörtlich genommen ist die Forderung ‚Nazis raus‘ die Aufforderung zum Verfassungsbruch. Als Konsequenz aus der Nazizeit heißt es nämlich in Artikel 16 Grundgesetz: ‚Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden.'“

Ein Spruch als Mahnmal und rhetorische Notwehr

Fleischhauers „Nazis rein“ ist eine verknappte Antwort auf das verknappte „Nazis raus“, das wiederum eine verknappte Antwort auf das „Ausländer raus“ war.

„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ rief die hasserfüllte Meute 1992 vor einem Wohnheim für vietnamesische Arbeiter, dem „Sonnenblumenhaus“ im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Bis zu 3000 Menschen, Schaulustige und rechtsextreme Gewalttäter ließen ihren Aggression und ihrem Frust gegen Ausländer freien Lauf. Die, die nichts taten, applaudierten den Tätern, die Molotowcocktails warfen, und skandierten „Ausländer raus“.

„Nazis raus“ ist in seiner Umkehrung des rassistischen Slogans auch eine rhetorische Notwehr und eine Erinnerung an einen massiven rassistischen Angriff in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Mit „Nazis rein“ schafft es Fleischhauer nicht nur, Holocaustüberlebende zu verprellen, sondern auch einen Protest gegen das zweitgrößte Pogrom der deutschen Geschichte ins Lächerliche zu ziehen. „Leider kann man sich auf das Geschichtsbewusstsein der Deutschen nicht mehr verlassen“, wie mal ein konservativer Publizist schrieb.

Das Anliegen Gruppenerlebnis

Am ärgerlichsten ist aber wohl, dass es im Grunde um etwas ganz anderes geht: um den ideologischen Wunsch, die Nazis-raus-Rufer einer unterstellten Verlogenheit zu überführen. Da Fleischhauer wissen muss, dass kaum einer den Ausdruck „Nazis raus“ wörtlich meint, und er – das unterstelle ich mal – weiß, dass die Leute, die ihn sagen, das ebenfalls wissen, pauschalisiert er, dass hinter dieser Äußerung konsequenzloser Gratismut steckt. Selbstgefälliges Virtue signaling, wie Konservative es gerne mokant nennen, also der nach außen hin inszenierte Hinweis, dass man „auf der richtigen Seite steht“, denn: „Wichtiger als das Anliegen, das man vertritt, ist das Gruppenerlebnis, für eine gute Sache zu streiten.“

Selbst wenn der Vorwurf der Selbstgerechtigkeit zutreffen könnte, ist der hier aufgemachte Gegensatz unfair: In einer Demokratie ist nicht das Anliegen auf der einen Seite und ein Gruppenerlebnis, für etwas als richtig Empfundenes zu kämpfen, auf der anderen – das eine bedingt doch das andere. Gesellschaftspolitische Mobilisierung lebt von ihrer Zusammenballung und Haltung; Lethargie ist der Feind der Freiheit.

Im Grunde kritisiert Fleischhauer die Nazis-raus-Schreiber dafür, dass sie Faschisten dafür kritisieren, faschistisch zu sein, und dabei gleichzeitig faschistisch seien, da sie den Faschisten eine Resozialisierung absprechen. Will man sich von ihm also keine ideologische Eitelkeit vorwerfen lassen, müsste man im Namen der Toleranz die intoleranten Antidemokraten tolerieren.

Man mag den Satz „Nazis raus“ für banal halten, hilflos, ungenau, sofaktivistisch. Aber auf das Bedürfnis einiger, die sich und andere in den kommunikativen Räumen an das „Nie wieder Faschismus!“ erinnern wollen, mit einem historisch falsch geschlussfolgerten „Nazis rein“ zu antworten, schlicht aus aufmerksamkeitsökonomischer Provokation oder um anderen politischen Narzissmus vorzuwerfen (und das, man muss es nochmals wiederholen, wärend eine rechtextremistische Partei im Bundestag sitzt und während sich die Wannseekonferenz jährt) – das ist das Privileg eines Menschen, der offenbar und zu seinem Glück nie Probleme mit Nazis hatte.

34 Kommentare

  1. Ist es in dieser Auseinandersetzung wirklich eine ernstgemeinte Lesart, davon auszugehen, dass „Nazis raus“ ein räumliches Raus meint? Ein Abschieben aus Deutschland?

    Manche meinen das bestimmt.
    Das ist halt das Problem mit Sprache, man kann sie so leicht missverstehen.
    Ist es nicht toll, wenn man Argumente durch Sprüche ersetzen kann?

  2. Ich wüsste nicht, dass Nazis überhaupt „rein“ wollen, mal abgesehen von einem Klumpen merkwürdiger Gestalten, die vom brodelnden, nach Kräften selbst angerührten Hass-Wut-Angst-Gemisch ein paar gut dotierte Pöstchen in den Parlamenten abschöpfen. Wenn ich dieses Völkchen richtig verstehe, träumen sie doch eher von einer nationalen Revolution, und zwar pronto (bevor es zu spät ist und erst Deutschland und dann konsequenterweise die ganze Welt untergeht), die „irgendwie“ das Rad der Zeit zurückdreht ins diffuse Irgendwanneinmal, in dem jedenfalls noch alles gut war. Für ein Integrationsbedürfnis auf deren Seite und einen daraus folgenden, diesmal rechts angehauchten Marsch durch die Institutionen spricht das nicht gerade. Zumal dafür Durchhaltevermögen, Wille und intellektuelle Kapazitäten nicht vorhanden sein dürften.

    Auch unter diesem Blickwinkel also eine weitere bekloppte Schimäre des lieben Herrn Fleischhauer, der sich offenbar – wie der Beitrag bereits sagt – zunehmend in die Rolle des Provokateurs vom rechten Rand verguckt hat. Mag für ihn persönlich funktionieren als Feigenblatt beim Spiegel, ist aber nichts weiter als faules Geschreibsel vom Sofa aus, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Und selbst in der Ecke kann er bspw. einem Herrn Martenstein nicht das Wasser reichen.

  3. Von Herrn Jan Fleischhauer könnte sich Frau Samira El Ouassil eine Scheibe abschneiden, was den Schreibstil betrifft. Er schreibt flüssig und süffig, sie quälend belehrend. So empfinde ich das. Bin ich damit allein?

  4. @3: Ob alleine weiß ich nicht, für mich sind ihre Kolumnen aber im Moment ein Highlight auf Übermedien. Obwohl, oder vielleicht auch weil, sie etwas anspruchsvoller geschrieben sind und etwas Nachdenken voraussetzen.

  5. Schnabel:
    Da gibt´s bestimmt noch ein paar mehr Rechte, die sich über den Schreibstil mokieren, weil ihnen der Inhalt nicht passt.

    Sei´s drum. Die Beiträge von Samira El Ouassil versöhnen mich mit vielem, was diesen Blog betrifft. Danke!

  6. Ach, ein bisschen schwurbeln, dann hinten raus ein gepflegtes „ich glaub ja, dass viele“-Blabla, fertig ist die Welt wie sie Fleischhauer gefällt. Kurz und irrelevant genug, um sich davon nicht den SPIEGEL versauen zu lassen.

  7. Das Relotius-Magazin liefert eben alles aus einer Hand, was gebraucht wird, um den öffentlichen Diskurs zu polarisieren und demokratische Entscheidungen über Sachfragen zu erschweren. „Nazis raus!“ oder „Nazis rein!“: Hauptsache immer wieder „Nazis“ in jeder Geschmacksrichtung.
    In diesem Sinne ist der SPIEGEL grundlegend versaut, mit Fleischhauer nicht mehr und nicht weniger als mit Lobo, Stokowski, Kuzmany, Berg oder Dietz (der Herr sei seiner Schwurbel-Seele gnädig).
    Die ganz große Ausnahme unter den Kolumnisten ist Jochen Fricke. Bei ihm gibt es Überlegungen zu Themen statt Benzin fürs Feuer.

  8. „Ein Vergleich, der mehr hinkt als Goebbels“ ist offiziell die lustigste Zwischenüberschrift auf übermedien

  9. Dieser Beitrag beiinhaltet Sarkasmus,der auf PC`lerund „daswirdmalwohlnochsagendürfen“`ler irritierend verstörend wirken soll:
    Ein Goebbels,der mehr hinkt als ein Vergleich..so ist rechtig richtig
    Mann,das rechtige Basiswissen über gute aufrechtige germanische Redensarten geht ja immer mehr den Bach runter!!!
    ;-) für alle Fälle!

  10. @Andreas Müller #9

    Wer ist Jochen Fricke?

    Und sind Sie tatsächlich der Meinung, ausgerechnet der Spiegel trägt zur gesellschaftlichen Polarisierugn bei und das auch noch, indem es dort eine recht große Bandbreite von Kommentatoren zu lesen gibt? Und welches Medium empfehlen Sie, um „emokratische Entscheidungen über Sachfragen zu“ erleichtern?

  11. @ TM #12
    Wie komme ich auf Jochen?
    Thomas Fricke war natürlich gemeint.
    Ein Medium reicht nicht. Vielfältig lesen und hin und wieder auch mal eine Synopse zum selben Thema machen. Für hintergründige Kommentare, die das Denken anregen, ist der Postillon nicht schlecht.
    Das Leidmedium SPIEGEL ist jedenfalls relotiv am Ende angekommen. Und die Leser merken es ja auch.

  12. Relotius-Magazin, relotiv und Leidmedium :D
    Herr Müller, wie oft noch, hier finden Sie Ihre Zielgruppe nicht, hier lacht man über sowas!

  13. Die politisch wohl unverdächtigen Goldenen Zitronen sangen damals schon zum „Aufstand der Anständigen“:

    „Was solln die Nazis raus aus Dütschland?
    Was hätte das für ein Sinn?
    Die Nazis können doch net naus, denn hier jehörn se hin“
    https://www.youtube.com/watch?v=1S3JW26pL_4

    Und lagen damit vernunftmäßig weit vor dem Staatsantifaschismus des durchschnittlichen Anarcho aus dem Autonomen Zentrum.

    In den letzten Jahren ist das Alles nicht besser geworden; die Dümmeren der Linken sind bloß noch moralistischer geworden.

  14. Ernstgemeinte Frage: Ist der Verweis auf „virtue signalling“ wirklich ein Kennzeichen konservativer Mokanz?
    Das fände ich schade, denn als eher Nicht-Konservativer finde ich den Begriff bisweilen recht hilfreich und würde ihn gerne weiter benutzen, ohne einen falschen Eindruck zu erwecken. Denn das wäre ja schrecklich.

  15. Vielen Dank Samira für die klaren Worte! Diese Debatte „was heißt jetzt Nazis raus“ ist wirklich unsäglich. Anstatt dass man sich auf die klare Ablehnung von Faschismus einigen könnte, werden hier kleinliche Nebenschauplätze aufgemacht. I can’t relax in Deutschland.

    Und Heinz Schnabel: Meine Einschätzung nach bist du vielleicht nicht alleine damit, aber doch in einer ziemlichen Minderheit.

  16. „Nazis raus“?

    Super, bin dabei. Wieso sind da überhaupt welche drin? Und wo? Und wie viele? Wenn es um öff. Institutionen und Staatsdienst geht, sollte das doch seit den 70gern unstrittig sein. (Dass hier scheinbar ein Mythos von einer konsequenten Entnazifizierung der Institutionen in der BRD der 50-60ger fantasiert wird, wird bestimmt hinter der Zahlschranke realistischer weitergeführt (?)

    Damit hätte man dann vielleicht 5% der Problemarier ausgeschaltet. Wirklich spürbar dürfte das wohl nur im Polizei-VS-Milieu werden, falls man da auch die KKK-NSU 2.0-Netzwerke mit einbezieht.

    Bleiben die Faschisten, die Völkischen, die Libertär-Sozialanarchisten und die simpel Fremdenfeindlichen/Rassisten und die -im Deutsch-Bürgertum – immer noch erstaunlich zahlreichen preußisch-wilhelminisch geprägten Traditonsreaktionäre. Alles keine Nazis, das macht die Aufgabe etwas schwieriger.

    Dem kann man sich stellen wie einer kniffligen Rätselaufgabe. Oder eben die eigene Denkfaulheit und Verkrustung, also Schwäche durch undifferenziertes Gewohnheitsgekläffe demonstrieren.

    Das ist wie mit der Indikation für Pharmawirkstoffe: Eine grippale Erkältung mit Medikamenten gegen Grippe zu bekämpfen, hilft nicht, kann sogar schaden. Manche machen es trotzdem, denn viele fühlen sich dann einfach besser: Irgendwas muss man ja machen.

    Beide Waffen (Anti-Nazikonsens und Antibiotika) werden dann halt schnell stumpf. Aber darum können sich dann ja später andere kümmern, lebe den Moment! Mach den dicken Max! Der größte Retter der westlichen Zivilisation wird der sein, der durch sein Parolenprogramm die reinste Gesinnung von allen vorzeigen kann. Nicht der, der um Argumente ringt, die bei den Mitläufern der Rechten eine Wirkung zeigen.

    Es bleibt also weiter dabei: Dat Milieu ist vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu überzeugen. Und wundert sich, wieso das bei der Gegenseite nicht verfängt.
    Politische Strategie, überhaupt Politik, ist was anderes. Ist das jetzt eher spätrömische Dekadenz, oder Spätweimarer nach Muster von Papen?

  17. Könnte man nicht einfach „Nazis rein“ als „Nazis ins Gefängnis“ deuten? Dann ist es egal, ob man „Nazis rein“ oder „Nazis raus“ ruft. Problem gelöst.

  18. @Überfall:
    Auch Konservative betreiben „virtue signalling“, insofern kann man das auch gegen Konservative einsetzen, und somit kann das auch antikonservative Mokanz sein.
    Der Unterschied ist, dass „virtue signalling“ bei Konservativen hauptsächlich als Anzug mit Schlips bei männlichen und Hosenanzug bei weiblichen Konservativen ausgeübt wird. Wichtig ist, dass das ein „costly signal“ ist, also nicht „second hand“.

  19. https://sz-magazin.sueddeutsche.de/leben-und-gesellschaft/die-diktatur-die-keine-ist-86677

    „So stellen sich diese Menschen, die doch eigentlich so hart und männlich, so wehrhaft und aufrecht sein wollen, also das Leben in einer Diktatur vor, so fühlt sich in ihrer Fantasie Unfreiheit an: kritisiert, beschimpft und abgelehnt werden. Wenn die ZDF-Mitarbeiterin Nicole Diekmann »Nazis raus« twittert, schießen ihnen die Tränen des Unverstandenseins in die Augen.“

  20. „Wenn die ZDF-Mitarbeiterin Nicole Diekmann »Nazis raus« twittert, schießen ihnen die Tränen des Unverstandenseins in die Augen.““

    Zumal es ja keine zwei Meinungen dazu geben kann, dass Nazis einer Demokratie wirklich nicht weiterhelfen. Und kein*e Demokrat*in Nazis in irgendwelchen verantwortungsvollen Funktionen haben möchte.

    Daher also erstaunlich, wie viele sich als „Nazi“ angesprochen fühlten.

  21. Wenn ein Colin Kapernick wegen seines antirassistischen Protests keinen Job mehr in der NFL bekommt, ist das dann eine Einschränkung seiner Meinungsfreiheit und dazu geeignet, andere mit ähnlicher Haltung zum Schweigen zu veranlassen?

    Oder kann man das wie im Artikel so abfrühstücken: „»Klare Haltung bringt Konsequenzen mit sich«, schrieb Sibel Schick im oben erwähnten Twitter-Thread an die Adresse von Stefan Kretzschmar.“ ?
    Wird das dem was Kapernick widerfahren ist und dem was Kretzschmar tatsächlich behauptet hat, wirklich gerecht?

    Und kann der Autor Till Raether sein -von mir geteiltes- Urteil zu Sarrazin »Dass ich das für unseriösen, rassistischen Scheiß halte?« eigentlich auch begründen? Gerade bei Sarrazin’s Deutschland-Abschaffer ist es an sich sehr einfach, ihn sowohl zu widerlegen wie auch seine Überzeugungen vielen seiner Fans zu vergällen. Raether ist das keine Erwähnung wert.
    Sein Text lässt vermuten, dass er das nicht könnte und nicht mal versucht.
    Ist das in dem Milieu vielleicht aus der Mode gekommen, seit Böhme, Duve, und Giordano so erfolgreich ihre Ankündigung wahrgemacht haben, den Jörg Haider mal so richtig krachend zu „entzaubern“?

    Dann wäre es kein Wunder, dass sein Cousin sich nur geschmäht fühlt und Raethers Überzeugungskraft ihre Grenzen hat.

    Anders gefragt: Wo wollen wir da eigentlich die Leitplanken einziehen rechts und links, hinter denen wir eine eingeschränkte Meinungsfreiheit akzeptabel finden? Sind ein Kretzschmar und Kapernick (auch: Socken im Training mit als Schweinen dargestellten Polizisten) da noch drinnen oder schon draussen?

    Und wie würden wir mit einem Fussballprofi verfahren, der sich öffentlich zur (Nicht-Höcke-Fraktion der) AFD bekennt? Koordinierter Druck auf Vereine und Sponsoren, ihn rauszuwerfen?

    Ja, das Opfergewinsel der Rechtsextremen nervt und kennt in seinen Übertreibungen keine Grenze. Aber wenn wir die genannten Leitplanken je nach Sympathie mal enger und mal weiter ziehen, provozieren wir geradezu, dass Leute wie Raethers Cousin leichte Beute für die Propaganda der Rechtsextremen werden.

  22. …ist ja nicht so, als ob JF nicht immer noch einen draufgeben könnte: kann er, schafft er.

    Wer sichtbar eine Kornblume am Revers trägt ist für mich als Anhänger der NSDAP und deren Ideologie entlarvt.
    Dann nenne ich sie/ihn auch einen Nazi.
    Daran kann es keinen Zweifel geben.
    Das wissen die in allen Parlamenten vertretenen „Bildungsbürger“ auch.
    Die paar Besofskis am Kiosk morgens um halb sieben plus Bildzeitung:
    Die machen mir keine Sorgen.
    Der wohlsprechende Theologe, Richter, Staatsanwalt u..a. aber schon.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kornblume

  23. Die sogenannte Entnazifizierung entstand aus dem Mangel an Eliten, die man für den Wiederaufbau brauchte und die ohne braune Vita kaum zu bekommen waren. Adenauer wusste das natürlich. Er konnte die entnazifizierten Richter, Ingenieure, Beamten usw dann einsetzen. Er fand kaum jmd mit weißer Weste.

  24. An die Moderation,
    warum finde ich meinen Beitrag über Adenauer und die Entnazifizierung in diesem Forum nicht wieder?

  25. An dieser Stelle möchte ich ein richtig dickes und fettes Dankeschön an Frau El Ouassil richten – ihre Kolumne ist für mich mittlerweile eine Pflichtlektüre. Ihre interessanten Gedanken sind immer toll und ausführlich formuliert und machen sehr viel Spaß und regen regelmäßig zum Nachdenken an.
    Danke!

  26. Das Problem an dem Slogan „Nazis raus“ ist, dass er völlig falsch und unreflektiert verwendet wird. Er wendet sich nämlich in aller Regel gar nicht gegen tatsächliche Nationalsozialisten, die es kaum noch gibt, und einige unbelehrbare Neo-Nationalsozialisten. Dieser Slogan ist zum normalen Schimpfwort der Linken für Andersdenkende verkommen. Jeder, der es wagt, die Flüchtlingspolitik der Regierung zu kritisieren oder den Islam oder Multikulti oder den Genderismus, für Familie, Heimat, die Nation eintritt etc., wird als „Nazi“ verunglimpft. Wenn jeder Andersdenkende zum „Nazi“ erklärt wird, verharmlost man die Verbrechen der Nazis aufs Schlimmste! Es sollte sich eigentlich von selbst verbieten, dass man Andersdenkende als „Nazis“ bezeichnet! Als „Nazi“ darf man nur einen Menschen bezeichnen, der Nationalsozialist ist, oder einen Neo-Nationalsozialist, der die Verbrechen und die nationalsozialistische Ideologie bejaht!

  27. Mit dem Geschichtsbewusstsein ist es offensichtlich nicht so einfach. Die Autorin hat vermutlich wenig reflektiert, dass die Praxis der Entnazifizierung in den ehemaligen Westzonen eben genau nicht zur Entnazifizierung, sondern in der Regel zur Ausstellung von Persilscheinen führte.

    Man muss kein Fan von Fleischhauer sein, um zu begreifen, dass mit „Nazis raus!“ ideologisch nichts anderes gewollt ist als mit „Juden raus!“ in den 30ern, nämlich die Ausgrenzung ungeliebter Mitbürger.

    Wer Nazis raus haben will, muss auch sagen, wo er sie hin haben will. Und auch da ist die Praxis Kriterium der Wahrheit. Da „raus“ nicht heißen kann, die Nazis in ein anderes Land abzuschieben, heißt raus hier offenbar, raus aus den Institutionen, raus aus den Parlamenten raus aus Gemeindesälen und Zeitungskiosken – kurz gesagt, man möchte Nazis mundtot machen.

    Offenbar ist es manchen Menschen nicht beizubringen, dass Meinungsfreiheit sich nicht darauf beschränkt, eine nicht gewollte Meinung zu haben, sondern Meinungsfreiheit beginnt da, wo garantiert ist, dass auch die falschen oder ungeliebten Meinungen ungehindert gesagt werden können. Und ungehindert heißt auch, ihnen nicht die Orte und Möglichkeiten zu verweigern, ihre Meinung auch öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.

    Es ist in Deutschland politische Mode geworden, die Meinungsfreiheit durch verwaltungstechnische und organisatorische Taschenspielertricks auszuhebeln. Der Ort der politischen Auseinandersetzung wird so vom notwendigen Diskurs in der Öffentlichkeit auf administrative Willkür in den Amtsstuben verlagert.

    Da werden dann Säle für Nazis (oder AfD – was für viele Synonyme sind) wegen plötzlich festgestellter feuerpolizeilicher Mängel gesperrt, da wird auf öffentlichen Veranstaltungen mit Trommel und Geschrei versucht, den politischen Gegner mundtot zu machen usw. usf.

    Gegen Nazi-Ideologie hilft nichts anderes als Bildung und gelebte Demokratie. Letztere beginnt mit der ungehinderten Meinungsfreiheit und zwar auch der von Nazis. Und ungehindert heißt, alles öffentlich sagen zu dürfen, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten ist.

  28. Wenn Sie so vehement für die Meinungsfreiheit streiten, was stört Sie dann an der Meinungskundgabe „Nazis raus!“? Das wird man doch wohl noch „öffentlich sagen … dürfen“, weil „nicht ausdrücklich gesetzlich verboten“. Oder? Ist doch alles bestens.

  29. @33 Vannay: Ja, das „…wird man ja wohl noch sagen dürfen“ gilt halt nur für die eigene Blase. Der leichte Widerspruch fällt den Tautologen dieses Gebetsmühlen-Mantras nicht auf. Ich mache jetzt mal noch ein Fass auf: Ist die so viel beschrieene PC nicht eigentlich etwas sehr Konservatives? Ist da nicht viel „Setz‘ dich gerade auf den Stuhl!“ „Sowas sagt man nicht!“ „Was sollen die Nachbarn denken?“ „Zieh dir etwas Anständiges an!“ War „konservativ“ nicht auch mal was mit Respekt und so? Nein, auch der galt offenbar immer nur für die „Eigenen“, außerhalb davon muss dann umso saubeutelerischer gedacht, gesagt (und gehandelt?) werden – irgendwo muss sie ja raus, die Verbitterung über das eigene entfremdete Dasein (bitte um Verzeihung für das unmotivierte Psychologisieren).

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