Manchmal ist der erste Eindruck falsch. Der erste Vorspann der ersten Geschichte in „Zur Quelle – Das gesellschaftskritische Popmagazin“ ist kein Vorspann, sondern ein Autorenkasten, und das hat mich gleich zu Anfang mal aufs Glatteis geführt.
In der Rubrik „Sprechstunde“ (das ist der Seitentitel) steht unter der Dachzeile1)Einmal vielleicht zur Klärung: Ganz oben auf der Seite steht klein der Seitentitel (auch: „Markette“), der meist das Ressort oder die Rubrik beschreibt. Die Zeile über der Headline heißt Dachzeile, der kurze Text unter der Headline heißt Vorspann oder Unterzeile. „In der Sprechstunde“2)Ja, das ist eine unglückliche Doppelung mit dem Seitentitel. und der Headline „Doktor Stefan Höltgen“ zunächst groß das Zitat „Konstruktion der eigenen Wirklichkeit“ und dann ein Kasten mit viel Inhalt:
„Dr. Stefan Höltgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medientheorien an der Humboldt Universität zu Berlin. Sein selbstständiges Lehr- und Forschungsgebiet sind zeitbasierte Medien und zeitkritische Medienprozesse. Nach seinem Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie und Medienwissenschaften in Jena widmete er sich der Filmkritik, unter anderem im akademischen Filmmagazin F.LM.“
Ich habe danach spontan drei Fragen.
Erstens: Äh, was?
Zweitens: Wer sollte jetzt noch das folgende Interview lesen und warum?
Und drittens, aber das bin nur ich: Wie ist das wohl, in Jena zu studieren?
Klassischerweise hätte da ein Grund gestanden, der mich neugierig gemacht hätte auf das, was er zu sagen hat. Sein CV schafft das eher nicht. Aber ich hätte einen Fehler gemacht, wenn ich von dieser Geschichte auf den Rest des Heftes geschlossen hätte.
Gesellschaftskritische Popmagazine sind keine rasend erfolgreiche Kategorie am Zeitschriftenmarkt, der größte Titel war wahrscheinlich die bald eingestellte „Spex“, insofern ist „Zur Quelle“3)Die sich selbst „ZurQuelle“ zusammenschreiben, aber ich versuche, in Schriftsprache keine Logos nachzubilden (zu meinen Ausnahmen, weil es sonst unerträglich aussieht, gehört das iPhone, das ich nicht Iphone schreibe). ein Heft, das vor allem mit Herzblut gemacht wird. Auf 148 Seiten4)Im so genannten Pocket-Format. findet sich nur eine5)Möglicherweise ist eine halbseitige Ankündigung einer Ausstellung im Computerspielemuseum im Heft auch eine Anzeige, dann wäre sie unzureichend gekennzeichnet, in jedem Fall ist sie so merkwürdig unter ein halbseitiges Bild platziert, das zu der vorhergehenden Geschichte gehört, dass es komplett verwirrend ist. Gestalterisch ist das schlicht falsch. Anzeige, nämlich auf der Rückseite6)In der Verlagslingo werden die vier Umschlagsseiten „U1“ bis „U4“ durchgezählt, U1 ist also das Cover, U2 die Rückseite des Covers (und eine irische Band), U3 die letzte Innenseite und die Rückseite heißt also „die U4“.. Ich glaube, mit dem Heft werden wahrscheinlich viele Leute reich, aber ganz sicher nicht an Geld.
Das Thema der Ausgabe ist „Glauben“ und die Geschichten bewegen sich zwischen Altnazis unter der deutschen Minderheit Namibias über das Trinken von Cobra-Blut auf Hippiereise bis zu einem wunderbar albernen Test, mit dem ich mein Schamanisches Krafttier ermitteln kann. Die erste Frage dort ist: „Wühle in deinem Bauchnabel, dann rieche an deinem Finger. Wie riecht er?“ Antwortmöglichkeiten: „gut“ und „schlecht“.
Es gibt außerdem eine Geschichte über Joseph Konys „Lord Resistance Army“ in Uganda, die im Ton einigermaßen fehlschlägt, weil sie den zigtausendfachen Anstifter zu Mord und Vergewaltigung in der Headline als „Bully von Ostafrika“ banalisiert, was sich nicht so cool liest, wie es sich im Kopf des Autoren wahrscheinlich angehört hat; und es gibt „feministische“ Utopien über ein Leben nach dem Ende der „neo-liberalen Wirtschaftsordnung“, in der eine demokratisch legitimierte Weltregierung die Lebensumstände aller verbessert.
Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er ist Redaktionsleiter des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ und geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken und drüber zu schreiben.
Jetzt habe ich hier noch nicht einmal einen Bruchteil des charmanten Irrsinns aufgezählt, der da stattfindet. Die fünf Euro, die das Heft kostet, ist es in jedem Fall mehrfach wert. Was übrigens für sehr, sehr viele Hefte da draußen gilt, und das ist ein Thema, über das ich sprechen möchte. Zum einen, weil es wirklich verdammt schwer ist, sich am Kiosk durchzusetzen mit meist nicht mehr als dem sichtbaren linken Drittel des Covers in der Regalablage7)Und natürlich gibt es für diese Ablage einen Verlags-Spezialbegriff, den man als versierter Magazinmacherdarsteller zu kennen hat. Die rechten zwei Drittel eines Covers sind zum Beispiel für das „anteasern“ von Themen nicht so attraktiv, weil sie „in der Schuppung“ liegen, also von den nächsten Heften verdeckt werden. Deshalb sind die meisten Themen auf den meisten Heften links.. Und das ist nur der halbe Frust, denn der betrifft ja eh alle.
Was richtig frustrierend ist, ist die Tatsache, dass man einerseits Hefte immer wieder neu erfinden muss,8)In unserer heutigen Fach-Lingo-Extravaganza kommt hier der Begriff „Relaunch“ hinzu. andererseits aber redaktionelle Veränderungen immer nur Lesern präsentiert werden, die das Heft auch kaufen, es in seiner alten Form also mochten, während vielleicht verloren gegangene Leser die Verbesserungen, die ihretwegen eingeführt wurden, niemals bemerken, weil sie das Heft ja nicht mehr lesen. Es lohnt sich, ehemals gerngehabte Hefte immer mal kontrollweise zu kaufen. Ganz oft haben sie echt etwas gelernt.
„Zur Quelle“ hat diese Probleme mit einiger Sicherheit nicht, weil es relativ wenig Zufallskäufer haben wird. Auf dem Titel sind Plattenbauten mit einem Elefanten auf einem Haus zu sehen, was sich, ähm, „erschließt“, wenn man den Text „#Titeltier dieser Ausgabe“ liest, in dem der Elefant als Vegetarier gepriesen wird. Mit „erschließen“ meine ich in diesem Fall natürlich nicht erschließen, sondern die Tatsache, dass da offenbar auf jeder Ausgabe ein Titeltier ist. Was der Hashtag soll, weiß ich nicht.
Aber es macht mir gute Laune. Weil es gut gelaunt ist. Ein bisschen merkwürdig und kompliziert, ein bisschen albern und manchmal schlau und manchmal auch nur sehr von sich überzeugt, manchmal sehr gut geschrieben und ein paar mal auch eher nicht so, aber insgesamt mit der festen Absicht, tolle, wilde Dinge auf Papier zu veranstalten, ohne sich von zu vielen Einschränkungen lähmen zu lassen.
Denn in zu vielen Heften gibt es zu viele Rubriken, die einfach in jeder Ausgabe abgefüllt werden, bis man als Leser das Gefühl hat, man kennt das alles schon. Und wenn das dann geändert wird, kriegt man es nicht mehr mit, weil man das Heft ja nicht mehr liest. Hier passiert das nicht. Oder eben nur das eine Mal, bei der „Sprechstunde“, die mindestens umgebaut gehört. Für den besseren ersten Eindruck. Und den zweiten. Ich werde das kontrollieren.
Einmal vielleicht zur Klärung: Ganz oben auf der Seite steht klein der Seitentitel (auch: „Markette“), der meist das Ressort oder die Rubrik beschreibt. Die Zeile über der Headline heißt Dachzeile, der kurze Text unter der Headline heißt Vorspann oder Unterzeile.
Die sich selbst „ZurQuelle“ zusammenschreiben, aber ich versuche, in Schriftsprache keine Logos nachzubilden (zu meinen Ausnahmen, weil es sonst unerträglich aussieht, gehört das iPhone, das ich nicht Iphone schreibe).
Möglicherweise ist eine halbseitige Ankündigung einer Ausstellung im Computerspielemuseum im Heft auch eine Anzeige, dann wäre sie unzureichend gekennzeichnet, in jedem Fall ist sie so merkwürdig unter ein halbseitiges Bild platziert, das zu der vorhergehenden Geschichte gehört, dass es komplett verwirrend ist. Gestalterisch ist das schlicht falsch.
In der Verlagslingo werden die vier Umschlagsseiten „U1“ bis „U4“ durchgezählt, U1 ist also das Cover, U2 die Rückseite des Covers (und eine irische Band), U3 die letzte Innenseite und die Rückseite heißt also „die U4“.
Und natürlich gibt es für diese Ablage einen Verlags-Spezialbegriff, den man als versierter Magazinmacherdarsteller zu kennen hat. Die rechten zwei Drittel eines Covers sind zum Beispiel für das „anteasern“ von Themen nicht so attraktiv, weil sie „in der Schuppung“ liegen, also von den nächsten Heften verdeckt werden. Deshalb sind die meisten Themen auf den meisten Heften links.
In unserer heutigen Fach-Lingo-Extravaganza kommt hier der Begriff „Relaunch“ hinzu.
6 Kommentare
Pop. Ethik. Popethik.
Jena ist schön. War für das Zeiss-Planetarium dort und nach zwei Tagen Aufenthalt denke ich: Wäre cool gewesen, in Jena zu studieren.
Das Cover in der Art von Flat Design weckt seltsame Impulse. Ich bin ständig versucht, den Button mit „Glauben“ zu klicken.
Eine Cousine von mir hat eine Tochter von ihr Jena genannt. Nach Jena-Lobeda.
Und ein Schulkamerad von mir namens Jens hat in Jena Jura studiert.
In diesem Artikel sind mit Fußnoten diverse Eigenschaften und Eigenarten der Zeitschriftenerstellung beschrieben, jedoch die wesentliche Information zu Anfang fehlt: Was bedeutet der Begriff „Popmagazin“?
Meine erster Gedanke ging in die Richtung Musik. Ich dachte an das Jugendmagazin „PopRocky“, was mal ein Konkurrenzmagazin zu „Bravo“ war, aber sich am Markt nicht etabliert hat. Allerdings deutet diese Rezension nicht daraufhin, daß mit „Popmagazin“ so etwas wie die „PopRocky“ gemeint ist.
Mein nächster Gedanke ging in die Richtung Pop-Up, also ein Magazin, aus dem beim Aufklappen etwas herausklappt. Diese Assoziation kommt vielleicht auch daher, daß wir hier in Dortmund-Hörde (wo ich wohne) mit Peter Dahmen einen erfolgreichen Künster haben, der Pop-Ups als Einzelstücke und für Serienproduktion herstellt (*). Das hier beschriebene Magazin scheint zwar künstlerich orientiert zu sein, aber wenn dort Pop-Ups enthalten wären, wäre das doch bestimmt explizit erwähnt.
Die Wikipedia kennt den Begriff „Popmagazin“ allerdings auch nicht. Es scheint sich also nicht um einen allgemein gängigen Begriff zu handeln, sondern um eine Begriff aus der internen Ausdrucksweise von Magazingestaltern. Was ist mit dem Wort „Popmagazin“ gemeint?
Pop. Ethik. Popethik.
Jena ist schön. War für das Zeiss-Planetarium dort und nach zwei Tagen Aufenthalt denke ich: Wäre cool gewesen, in Jena zu studieren.
Das Cover in der Art von Flat Design weckt seltsame Impulse. Ich bin ständig versucht, den Button mit „Glauben“ zu klicken.
Eine Cousine von mir hat eine Tochter von ihr Jena genannt. Nach Jena-Lobeda.
Und ein Schulkamerad von mir namens Jens hat in Jena Jura studiert.
In diesem Artikel sind mit Fußnoten diverse Eigenschaften und Eigenarten der Zeitschriftenerstellung beschrieben, jedoch die wesentliche Information zu Anfang fehlt: Was bedeutet der Begriff „Popmagazin“?
Meine erster Gedanke ging in die Richtung Musik. Ich dachte an das Jugendmagazin „PopRocky“, was mal ein Konkurrenzmagazin zu „Bravo“ war, aber sich am Markt nicht etabliert hat. Allerdings deutet diese Rezension nicht daraufhin, daß mit „Popmagazin“ so etwas wie die „PopRocky“ gemeint ist.
Mein nächster Gedanke ging in die Richtung Pop-Up, also ein Magazin, aus dem beim Aufklappen etwas herausklappt. Diese Assoziation kommt vielleicht auch daher, daß wir hier in Dortmund-Hörde (wo ich wohne) mit Peter Dahmen einen erfolgreichen Künster haben, der Pop-Ups als Einzelstücke und für Serienproduktion herstellt (*). Das hier beschriebene Magazin scheint zwar künstlerich orientiert zu sein, aber wenn dort Pop-Ups enthalten wären, wäre das doch bestimmt explizit erwähnt.
Die Wikipedia kennt den Begriff „Popmagazin“ allerdings auch nicht. Es scheint sich also nicht um einen allgemein gängigen Begriff zu handeln, sondern um eine Begriff aus der internen Ausdrucksweise von Magazingestaltern. Was ist mit dem Wort „Popmagazin“ gemeint?
(*) https://peterdahmen.de/project/pop-up-skulpturen-fuer-marco-tempest/
Schade, keine Erklärung zum Begriff „Popmagazin“.