Es passiert selten genug, dass ich in dieser Kolumne Hefte bespreche, die direkt mit meiner Lebenswelt zu tun haben, insofern werde ich das zelebrieren: „Federwelt – Zeitschrift für Autorinnen und Autoren“ beschäftigt sich mit dem Handwerk und der Kunst des Schreibens.
Ich nehme jetzt einmal einen Teil meines Urteils vorweg und behaupte, das Heft richtet sich vor allem an solche Autorinnen und Autoren, die noch nicht vom Schreiben leben, also an Amateure in dem wunderschönen Wortsinn, dass es Menschen sind, die aus Liebe zum Schreiben schreiben. So etwas gibt es offensichtlich, und Menschen, die etwas lieben, sind gute Zielgruppen für Magazine zum Thema. Sie sind romantisch, und schon der Name „Federwelt“ deutet wenig subtil an, dass hier die romantische Vorstellung des Schreibens gepflegt wird, die in der Realität wahrscheinlich die wenigsten Profis erleben. Weil sie schreiben, um gelesen zu werden, und es gibt wenige Erfahrungen auf der Welt, die sich so sehr voneinander unterscheiden wie Lesen vom Schreiben. Ich glaube sogar, es gibt nichts, was vom Schreiben einen falscheren Eindruck erweckt als das Lesen, weil ein Satz, der so gut und einfach zu lesen ist, dass er den Eindruck erweckt, er stünde da völlig organisch, er könnte gar nicht anders sein, das schwierigste ist, was es gibt. Deshalb zieht jedes fantastische, perfekte Buch tausende furchtbare nach sich, weil es das Schreiben einfach wirken lässt.1)Schreiben hat mit Laufen gemeinsam, dass jeder es irgendwie kann, deshalb machen sich die wenigsten Menschen viel Gedanken um die Technik. Ich weiß nicht, wie viele der Millionen deutschen Jogger jemals eine Trainerstunde im Laufen genommen haben, aber sie sollten es unbedingt tun, denn Laufen ist einfach, richtig zu laufen aber nicht. Schreiben ist genauso, nur dass man sich beim Laufen in der Regel nur selbst verletzt.
Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er ist Redaktionsleiter des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ und geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken und drüber zu schreiben.
Das Heft beginnt mit einem Editorial, das gleichzeitig ein „Credo-Essay“ ist, etwas das später im Heft als Schreibübung angeregt wird: Ein Text über etwas, an das der Autor fest glaubt.2)Sorry, ich gendere hier jetzt nicht, weil „die Autorin oder der Autor“ irgendwie länglich ist, und wir reden hier übers Schreiben, und meine Sätze sind ohnehin oft überlang. Ich hatte überlegt, einfach immer „die Autorin“ zu schreiben, weil sich das Heft für mich anfühlt, als würde es sich eher an Frauen denn an Männer richten (vor allem, weil einfach viel, viel, viel mehr Frauen im Heft auftauchen als Männer), aber dann fand ich das schon wieder doof voreingenommen, weil meiner Meinung nach eine Frau „Autor“ sein kann, ein Mann aber nicht „Autorin“ (das ist mein Sprachgefühl, nicht meine Überzeugung. Meinetwegen kann ein Mann Autorin sein, wenn er will, aber ich fürchte, er wird das immer wieder erklären müssen, um nicht dauernd Missverständnisse zu erzeugen (und ich glaube, ich habe hier jetzt hinlänglich Länglichkeit demonstriert, oder? Ist nervig)). Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Credo-Essay sich nur sehr bedingt für ein Editorial in einem Heft über das Schreiben eignet, und das gewählte Thema der Chefredakteurin doppelt nicht, denn es beginnt mit dem Satz:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen fast jedes Ziel erreichen können, wenn sie an sich glauben, (sich) die richtigen Fragen stellen und immer bereit sind, dazuzulernen sowie Neues zu wagen.“
Sie leitet die Überzeugung ab aus einer zauberhaften Geschichte, in der ihr acht- oder neunjähriges Selbst mit ihrer noch jüngeren Freundin Ulrike durch Dienstleistungen in der Nachbarschaft das Geld zusammenbekommt, um gemeinsam im Steakhaus zu essen. Was eine wunderbare Geschichte ist. Und wenig mit dem Glaubenssatz zu tun hat, das man nur ungern einem neunjährigen Mädchen in einem lecken Schlauchboot auf dem Weg über das Mittelmeer vorlesen würde. Schreiben ist, wie jedes Handwerk, untrennbar mit seinem Material verbunden, hat anders als die meisten Gewerke aber eine Frage zu beantworten, die beim Klempner oder oder Tischler immanent in ihrem Produkt beantwortet sind: Warum tun wir das?3)Ein nur winziges bisschen anders gelagert ist es beim Schreiben als Kunst. Man muss die Frage nicht beantworten, warum man Kunst macht, aber um es professionell zu betreiben, sollte man mindestens einen sehr reichen Mäzen finden, der für sich die Frage beantwortet, warum er es kauft.
Die Titelgeschichte von „Federwelt“ ist ein Interview mit der Schriftstellerin Petra Durst-Benning, die sehr erfolgreich Unterhaltungsromane schreibt – was ich sehr bewundere, das ist großes Handwerk –, und das komplette Interview handelt auf sieben Seiten ausschließlich davon, welche Leserbindungs- und Vermarktungstools die Autorin benutzt, also wie sie mit ihren Fans kommuniziert, ihre Lesungen gestaltet und was auf den „literarischen Spaziergängen“ passiert, die sie anbietet. Nichts in dem Interview handelt vom Schreiben.
In vielen anderen Geschichten im Heft geht es um Technik, also zum Beispiel davon, wie man Angst im Horror-Genre erzeugt, was die richtige Perspektive der Erzählfigur ist oder wie man mit seinem Subjekt umgeht, wenn man ein „Memoir“ schreibt, auch als Ghostwriter oder Co-Autor. Das alles wird klar und einfach erklärt, für Anfänger verständlich, wie gesagt, an Profis richtet sich die Zeitschrift eher nicht. Aber gerade weil es sich an Liebhaber des Schreibens wendet, wundert mich der Mangel an Romantik extrem. Bücher zu schreiben ist in der Regel ein ziemlich brotloses Geschäft, und ich glaube, die Auseinandersetzung mit der Frage, warum man es trotzdem tut, ist für einen, der vom Schriftstellerleben träumt, wichtiger als die nach dem Selbstmarketing.
Es ist ein schwieriges Subjekt, das Schreiben, wenn man es ohne seine Inhalte betrachtet. Und natürlich ist „Federwelt“ kein Literaturheft. An einer Stelle schreibt eine Lyrikerin, wie ihr das Schreiben für einen Blog hilft, ihre literarische Stimme zu finden, und die Autorin Anna Badener beschreibt auf wenigen Zeilen zumindest ganz kurz, welchen Unterschied es für sie bedeutet, ob sie für ein Genre oder freie Popliteratur schreibt. Also, genau genommen beschreibt sie vor allem, dass es einen Unterschied bedeutet. Aber eigentlich kommen Inhalte in „Federwelten“ kaum vor, sondern nur Technik, bis hin zum Coaching gegen Schreibblockaden, und Märkte, beziehungsweise Marketing.
Einer der technischen Artikel beschäftigt sich, wie erwähnt, mit der Frage der Perspektive, und der Wichtigkeit, die richtige Nähe herzustellen, also die Welt durch die Augen des Erzählers zu sehen. Es ist fast befreiend, das Credo-Editorial einmal mit den Augen der Erzählerin abzugleichen, denn der Text würde eine völlig andere Wucht entfalten, wenn sie ganz simpel geschrieben hätte, „ich bin fest davon überzeugt, dass ICH alles erreichen kann, wenn ich nur …“ Ich bin mir sehr sicher, genau das hat sie gemeint, aber die Flucht in die unhaltbare Behauptung „Menschen können alles erreichen, wenn sie nur …“ macht aus der Geschichte der Selbstermächtigung einer Neunjährigen einen absurden sozialen Kommentar. Weil sie als Neunjährige im Steakhaus allein bezahlen kann, kann es noch lange nicht jeder. Das ist eine arrogante Behauptung. Aber das Erweckungserlebnis, alles erreichen zu können, weil man sich als Kind einmal mit Schläue und purem Willen zu etwas hingekämpft hat, ist inspirierend.
Das eine zu meinen, aber das andere zu schreiben, weil man gerne aus dem eigenen Erleben eine universelle Weisheit ableiten möchte, ist meiner Meinung nach ein Angstreflex: Warum sollte es andere interessieren, wenn ich ihnen nicht sage, dass es für sie gilt? Das ist letztlich die Frage danach: Warum schreibe ich? Warum schreibe ich Dinge, von denen ich will, dass andere sie lesen wollen, so sehr, dass sie sogar dafür bezahlen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es dafür keine allgemein gültige Antwort gibt, sondern dass jeder von uns eine eigene hat, und diese Antworten würde ich gerne alle hören. Und ich glaube, dass eine Publikation über das Schreiben sich drückt, wenn sie sich nur mit der Technik beschäftigt und nicht mit ganz konkreten Inhalten. „Federwelt“ umgeht das mit Nachdruck. Eine Frage an Petra Durst-Benning beginnt mit folgender Zusammenfassung:
„Mimi Reventlow heißt die Heldin deines neuen Romans ‚Die Fotografin‘, der im September erschienen ist. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts einen Lebensweg geht, der den meisten Frauen ihrer Generation verschlossen bleibt – als Fotografin reist sie durch das Land und findet die große Liebe.“
Das ist Inhalt. Und, wie gesagt, es geht mir nicht um irgendein literarisches Niveau, ich bin ein Fan von Unterhaltung und glaube, Qualität lässt sich auf jedem Niveau erreichen oder verfehlen. Aber wie geht die Frage weiter? Was ist das, was nach Einschätzung der Redaktion die Leser von „Federwelt“ an diesem Buch interessiert?
„Wie wirst du Mimi dabei unterstützen, die Welt der Bücher zu erobern? Was hast du für die Buchvorstellung geplant, wann beginnst du mit einer solchen Planung und wie machst du deinen Fans Lust auf den Stoff?“
Das sind alles Fragen, von denen ich mal arrogant behaupten würde, dass der Verlag sich darüber Gedanken machen sollte. Es mag sein, dass hier die Autorin eine begnadete Marketing-Fachfrau ist, aber ist es das, wovon Leser träumen, die gerne ein Buch schreiben würden?4)Über die Frage hinausgehend erzählt die Autorin allerdings in ihrer Antwort auch den interessanten Aspekt, dass Fotografie damals eine disruptive Technologie war, wie heute die Digitalisierung. Ganz verhindern konnte also selbst diese Frage die inhaltliche Auseinandersetzung der Autorin mit ihrem Stoff nicht. Ich glaube das nicht.
Das macht „Federwelt“ für mich persönlich zu einer eher anstrengenden Lektüre. Auf einer Meta-Ebene ist es brillant, dass das Heft beweist, wie schwierig, angstbehaftet und höchstpersönlich diese einsame Tätigkeit des Schreibens ist. Und wie selten sie gelingt. Aber so, auf dem Papier, auf dieser zweidimensionalen, hyperkonkreten Ebene dessen, was da eben steht, wünsche ich mir den Mut und die Anmut, die es bräuchte, damit ich lesen und fühlen kann, dass ich dabei vielleicht einsam bin, aber offensichtlich nicht allein.
Schreiben hat mit Laufen gemeinsam, dass jeder es irgendwie kann, deshalb machen sich die wenigsten Menschen viel Gedanken um die Technik. Ich weiß nicht, wie viele der Millionen deutschen Jogger jemals eine Trainerstunde im Laufen genommen haben, aber sie sollten es unbedingt tun, denn Laufen ist einfach, richtig zu laufen aber nicht. Schreiben ist genauso, nur dass man sich beim Laufen in der Regel nur selbst verletzt.
Sorry, ich gendere hier jetzt nicht, weil „die Autorin oder der Autor“ irgendwie länglich ist, und wir reden hier übers Schreiben, und meine Sätze sind ohnehin oft überlang. Ich hatte überlegt, einfach immer „die Autorin“ zu schreiben, weil sich das Heft für mich anfühlt, als würde es sich eher an Frauen denn an Männer richten (vor allem, weil einfach viel, viel, viel mehr Frauen im Heft auftauchen als Männer), aber dann fand ich das schon wieder doof voreingenommen, weil meiner Meinung nach eine Frau „Autor“ sein kann, ein Mann aber nicht „Autorin“ (das ist mein Sprachgefühl, nicht meine Überzeugung. Meinetwegen kann ein Mann Autorin sein, wenn er will, aber ich fürchte, er wird das immer wieder erklären müssen, um nicht dauernd Missverständnisse zu erzeugen (und ich glaube, ich habe hier jetzt hinlänglich Länglichkeit demonstriert, oder? Ist nervig)).
Ein nur winziges bisschen anders gelagert ist es beim Schreiben als Kunst. Man muss die Frage nicht beantworten, warum man Kunst macht, aber um es professionell zu betreiben, sollte man mindestens einen sehr reichen Mäzen finden, der für sich die Frage beantwortet, warum er es kauft.
Über die Frage hinausgehend erzählt die Autorin allerdings in ihrer Antwort auch den interessanten Aspekt, dass Fotografie damals eine disruptive Technologie war, wie heute die Digitalisierung. Ganz verhindern konnte also selbst diese Frage die inhaltliche Auseinandersetzung der Autorin mit ihrem Stoff nicht.
4 Kommentare
Der Satz vor der Fußnote 1 ist mir der liebste.
Es gibt so unendlich viel Schrott. Man möchte nicht Lektor sein.
Fein geschreibt!
Ich danke Ihnen, dass Sie mich daran erinnern, selbst weiter zu schreiben. Dass es sich dabei um Brotlose Kunst handelt ist mir schon im vorhinein bewusst gewesen.
Vielleicht ergibt sich der Sinn der Zeitschrift eher, wenn man sich die Zielgruppe nicht als Menschen vorstellt, die gerne schreiben, sondern als Menschen, die gerne Autor wären.
In Anwaltsserien geht es auch nie in die Materie, es geht immer nur um das Drumherum, und auf einmal sind die Unis voll mit Studenten ,die sein wollen wie Harvey aus Suits, und im zweiten Semester ist es schon leerer.
Es ist vielleicht auch die Erwachsenen-Version dieser Teenie-Business-Zeitschrift (wie wird man Influencer?), die hier auch mal besprochen wurde.
Der Satz vor der Fußnote 1 ist mir der liebste.
Es gibt so unendlich viel Schrott. Man möchte nicht Lektor sein.
Fein geschreibt!
Ich danke Ihnen, dass Sie mich daran erinnern, selbst weiter zu schreiben. Dass es sich dabei um Brotlose Kunst handelt ist mir schon im vorhinein bewusst gewesen.
Vielleicht ergibt sich der Sinn der Zeitschrift eher, wenn man sich die Zielgruppe nicht als Menschen vorstellt, die gerne schreiben, sondern als Menschen, die gerne Autor wären.
In Anwaltsserien geht es auch nie in die Materie, es geht immer nur um das Drumherum, und auf einmal sind die Unis voll mit Studenten ,die sein wollen wie Harvey aus Suits, und im zweiten Semester ist es schon leerer.
Es ist vielleicht auch die Erwachsenen-Version dieser Teenie-Business-Zeitschrift (wie wird man Influencer?), die hier auch mal besprochen wurde.