Mit Twitter klarkommen

Druckbetankung mit Welt

Das muss ich twittern. Das sollte ich lieber nicht twittern. Das gibt nur Ärger. Lösch das lieber, sagen deine Freunde. Lösch dich, die anderen. Twitter sagt dir in Echtzeit, welche Gedanken in deiner Bubble mehrheitsfähig sind, wo du dich verrennst, was geht, was nicht geht, was gar nicht geht. Dieses Feedback einer sich nur langsam verändernden Followerschaft provoziert dann Gefallsucht. Du willst ja, dass die Leute deine Tweets mögen. Also schreibst du mehr vom gleichen. Es gibt berühmte Twitterer, die immer nach dem gleichen Schema twittern, zu den immer gleichen Themen, denn ihre Follower erwarten das. Wenn Twitter dein Geschäftsmodell ist, dann willst du, dass sie dich lieben. Oder wenigstens hassen für deine Tweets, zumindest die auf der anderen Seite. Die Ablehnung gibt deiner Timeline erst richtig Zunder. Es gibt Twitterer, auch Journalisten, die twittern nur rechts ran, damit es von links Ärger gibt. So wie die liberale „New York Times“ zu ihrer Meinungsseite immer wieder extrem rechte Autoren einlädt, weil sie natürlich weiß, dass die Stammleser die unfassbaren Artikel empört teilen werden. Getrollt wird auf allen Niveaus. Bei Twitter darf das jeder.


Unerwartet viele Likes oder Retweets bedeuten etwas, vielleicht ist man auf eine Wasserader im kollektiven Unterbewusstsein gestoßen, und wenn es so ein Unterbewusstsein tatsächlich gibt, dann ist es vermutlich Twitter. Hive mind nennen sie Twitter auch, das „Schwarmbewusstsein“. Und obwohl Twitter ständig in der Kritik steht, zum Beispiel weil der Laden Nazis nicht systematisch rauswirft, aber tatsächlich Diskriminierte wegen Nichtigkeiten blockt, trotz der ungezählten Pöbeleien und Unverschämtheiten, ist Twitter doch ein Ort der kleinen und großen Wunder, der ästhetischen, menschlichen, politischen Wunder. Twitter ist die einzige gesellschaftlich relevante Kunstform, an der wir alle mitwirken können. Eine Kunstform, die Rechtschaffenheit genauso mit Aufmerksamkeit belohnt wie Bigotterie. Auf welcher Seite wirst du stehen, Du musst Dich entscheiden. Neutraler Beobachter auf Twitter? Come on, wir sind hier doch nicht beim Fernsehen.


Manchmal wird ein Tweet so groß, dass er die eigene Blase sprengt. Wenn er von Leuten retweetet wird, die sehr viel mehr Follower haben als man selbst, sehen plötzlich zehn- oder hunderttausende den Tweet, den sonst nur ein paar Dutzend gelesen hätten, die dir folgen, die deinen Humor teilen, die wissen, wie das zu verstehen ist.  Der explodierte Tweet hat aber immer die gleichen Folgen: Schlagartig hast du ein riesiges Publikum und darunter finden sich natürlich sehr viel mehr dahingerotzte Replies, unbedachte Gemeinheiten und böswilliges Gepöbel als ohnehin schon. Ich kenne keinen Twitterer, der sich nach einem sehr erfolgreichen Tweet mehr davon gewünscht hätte. Ich habe mal das hier getwittert:

„Ich hätte gerne einen Bund Petersilie.“
„PETERSILIE IST LÄNDERSACHE!!!!“

Das war vermutlich mein erfolgreichster Tweet, aber spätestens nach dem tausendsten Fav schwappen Tweets auch in die witzbefreite Zone. Einer schrieb allen Ernstes, wenn überhaupt sei Petersilie Europasache, der Witz sei also „falsch“. Du brauchst nur ein paar mittelerfolgreiche Tweets und dein Vertrauen in die Menschheit ist hin.


Ich habe eine Doktorarbeit geschrieben – nach Twitter, trotz Twitter, dank Twitter, ich weiß es nicht. Einen langen, mühsam zu lesenden, theoretischen Text über ein randständiges Thema. Meist schrieb ich am Nachmittag, aber vorher musste ich durch das Zeug in meinem Kopf durch, die vielen kleinen ungeordneten, wiederkehrenden Fetzen von Ideen, von Begriffen und Quatsch. Das Fett, das sich wie bei Erdnussbutter am oberen Rand abgesetzt hat, musste ich abschütten, das Fett vom Rand meines Bewusstseins, in Twitter hinein. Ich bin nicht alleine mit diesem Verhalten, manche Twitterer nennen das ihre „Tweetdrüsenreinigung“. So leergetwittert und von all dem halbgaren Zeug gereinigt konnte ich mich dann ans Schreiben der Dissertation machen.


Der Vieltwitterer denkt und fühlt seine Follower mit. Du bist nicht mehr alleine als Autor, du bist ein Knotenpunkt und das kannst du körperlich fühlen. Du weißt, wenn ich das schreibe, dann tue ich einer Gruppe meiner Follower unrecht, ich kann das so nicht schreiben. Wenn ich das hier so verkürze, meldet sich die andere Gruppe, weil die es natürlich besser weiß, diese Leute haben das studiert und machen seit Jahren nichts anders. Und wenn ich das jetzt so schreibe, greift das einer raus und twittert es mit einem spöttischen „Naja!“ drüber. Ich hab das selbst oft genug gemacht. Irgendwann denkst du die Kritik mit, die berechtigte und die unberechtigte. Du liest deinen Text durch deine Follower, zumindest durch die, die sich bemerkbar machen. Aber nicht so sehr bemerkbar, dass es nervt und man sie stummstellt oder entfolgt. Es bleibt also das Komitee der Wohlgesonnenen. Und wenn du Glück hast, sind das deine besten Kritiker.

Es klappt aber nicht immer. Ich twitterte neulich, dass sich meine links-intellektuelle Followerschaft über Fußballfans lustig macht und dass das eigentlich genau das elitäre Gehabe ist, das man sich ja so mühsam abzugewöhnen versucht. Eine empörte Followerin schrieb, dass Fußballfans für sie stellvertretend für rücksichtslose, brutale Männlichkeit stehen, dass sie selbst Gewalt hat erleiden müssen und die Horden grölender Fans sie immer wieder traumatisieren. Dass ich Leuten, die auf Fußballfans nicht klarkommen, Klassismus unterstellte, sei unmöglich. Ich habe mich für den Tweet entschuldigt, geholfen hat es nichts, sie ist mir entfolgt. Aber in mir bleibt diese Reaktion zurück, die Wunde, die ich mit einem hingeworfenen Aperçu unbeabsichtigt aufgekratzt habe.


In meiner Timeline ist es jetzt so, dass es eigentlich nicht mehr zum Aushalten ist. Sie bildet also wohl ganz gut ab, was passiert.

Als ich mit Twitter angefangen habe, war ich in einer Filterblase (avant la lettre). Jetzt nicht mehr. Alles zerrt jetzt an einem. Selbst die guten Sachen, die einen aus der Timeline heraus überfallen. Gerade wenn man nicht ganz fit ist, wirkt Twitter wie eine Druckbetankung mit Welt. So viele mir neue, mir unbekannte Stimmen müssen gehört werden. Immer wieder muss die Intuition deren Glaubwürdigkeit beurteilen. Ich kann nicht alles überprüfen und recherchieren, ich muss also vertrauen – auf das Urteilsvermögen der Leute, denen ich folge, und auf die eigene Intuition. Es geht ja gar nicht anders. Und jeden Tag muss man sich fragen: Sind meine Annahmen richtig? Hat die Welt in meinem Kopf irgendwas mit der Welt zu tun? Alles ist irgendwie auf Twitter, aber du musst die Struktur drüberstülpen – und das ist unmöglich, wenn du halbwegs aufrichtig sein willst.

Twitter ist die andauernde Ohrfeige, dass dein Weltbild primitiv ist – und dass die Verunsicherung nie aufhören darf. Und das ist natürlich furchtbar anstrengend, aber gibt es ein gutes moralisches Argument dagegen, sich ständig verunsichern zu lassen? (Ja, es gibt Argumente, aber die sind rein pragmatisch und das ist auch okay. Aber ein moralisches Anrecht auf einen Kanon gibt es nicht.)


Es heißt immer, die erst 140, dann 280 Zeichen pro Tweet erlaubten keine langwierigen Argumentationen, auch nicht in einem Thread, in dem ein Tweet auf den nächsten folgt. Nicht, weil es technisch nicht ginge, sondern weil jeder Tweet aus dem Zusammenhang gerissen retweetet, kommentiert und entstellt werden kann. Deshalb muss jeder Tweet sitzen, jeder Bestandteil eines längeren Texts muss für sich stehen können, jeder Satz ein Aphorismus wider Willen.

Manchmal schreibe ich einen Tweet, der so viele Likes bekommt, dass ich ihn spontan zum Startpunkt eines Threads mache und den hingeworfenen Gedanken wieder aufhebe und auspacke, zusammen mit den Leserinnen und Lesern, Tweet um Tweet. Die Zahl der Likes lässt dann meist von Tweet zu Tweet immer weiter nach, meine geschriebene Standup-Nummer säuft langsam ab, das Publikum zieht weiter und ich kann aufhören. Ich kann natürlich nicht aufhören. Der nächste Tweet reißt es vielleicht raus. Und dann gibt es 100 Retweets. Und dann kommen wieder die Doofis. Aber so darfst du nicht denken. Doch, darfst du, das sind nicht deine Follower.

Teile dieses Beitrags sind bereits als Tweets erschienen.

16 Kommentare

  1. Toller Beitrag, der klug und reflektiert ist! Das hätte nicht mal Sascha Lobo so gut (be)schreiben können (maximales Lob). Danke!

  2. Ein „redaktioneller Beitrag“ ausschließlich über das Produkt der Firma Twitter Inc.? Und diese Begeisterung für die großen und kleinen Wunder, für das Auditorium, was man plötzlich bekommen kann – ja, quasi eine ekstatische Begeisterung für dieses tolle Produkt, das die Twitter Aktiengesellschaft der Menschheit da zur Verfügung gestellt hat.

    In machen Frauenzeitschriften sind die Redakteure ähnlich begeistert von den Schlankheitsmitteln eines bestimmten Herstellers. Und sie schreiben deshalb mit großem Elan und Enthusiasmus „redaktionelle Beiträge“ über diese tollen Mittel, die der jeweilige Hersteller selbstverständlich aus reiner Menschenfreundlichkeit produziert.

    Zitat aus dem Bericht auf der Webseite https://uebermedien.de/17299/bei-diaet-werbung-macht-sich-der-bauer-verlag-einen-schlanken-fuss/ : „Es sei zwar grundsätzlich in Ordnung, über Abnehmmethoden zu berichten, schreibt der Beschwerdeausschuss in seiner Begründung. Allerdings hätte die Redaktion den werblichen Effekt minimieren müssen, ‚zum Beispiel durch Nennung weiterer Anbieter der Methode oder Alternativmethoden bzw. der redaktionellen Einordnung des jeweiligen Produktes gegenüber Konkurrenzprodukten‘.“

    Wo ist denn hier die Nennung weiterer Anbieter oder die Einordnung des Produkts der Firma Twitter Inc. gegenüber Konkurrenzprodukten?

    Die Firma Twitter Inc. ist eine Firma unter vielen, die Dienste zum Veröffentlichen von Statusmeldungen und Blogging anbieten. Diskutieren kann man beispielsweise auch im demokratisch selbstverwalteten Usenet oder in Fido-over-IP, es gibt von diversen Anbietern Software bzw. Plugins für Diskussionen unter eigener Domain im Web (wo dann genauso geteilt und geliket werden kann, lediglich lauten die Begriffe dafür manchmal anders).

    Und schließlich gibt es mit dem OStatus-Protokoll, das unter anderem von Mastodon und GNUsocial unterstützt wird, ein Konkurrenzprodukt zu dem Produkt der Firma Twitter Inc., das sogar in dessen äußerem Erscheinungsbild direkt vergleichbar ist.

  3. @Rehbein:

    Grundsätzlich berechtigter Verdacht, weil es natürlich oft so läuft wie von Ihnen beschrieben.

    Bei so Digital-Zeugs allerdings funktioniert die Elitekreisüberhöhung und Avantgarde-Selbstüberidentifizierung vor allem bei Millennials und „Junggebliebenen“ tatsächlich genau so unreflektiert wie es sich hier anfühlt.
    (So absurd es dem Aussenseiter erscheinen mag: Genau das hat Twitter marketingtechnisch hinbekommen. Das war das SM für die Intelligenteren und die Auswahlavantgarde. Das Apple der SM szg.)

    Und die ernüchterte Enttäuschung ist ebenso real, wenn die Entzauberung einsetzt. Dann beginnt die Suche nach anderen Hipsterdefinierenden Produkten an die man andocken kann. Mit den angesagten Bands, die nur die echten Connaisseurs zum Fan haben, funktioniert das auch nicht anders.

    Ich finds ja immer wieder höchst putzig, wie ernst die jeweiligen Follower das nehmen.

    Es hat halt auch was von der Wahrnehmung angesagter Szeneviertel: Erst kommen da die echt unkonventionellen Avantgardisten hin, dann folgen die Hipster und am Ende ist es überlaufen mit Möchtegerns, wegen denen man da weg muss, wenn man Wert auf seinen Ruf legt.

    Nur die wirklich RICHTIG guten Sachen bleiben ewig Geheimtipp. So wie Übermedien zb.

  4. PSTLDR:
    Will damit sagen: Ich halte daher diesen Text für authentisch und nicht für einen Anführungszeichenpflichtigen „Redaktionellen Beitrag“.

  5. Okay, die Anführungszeichen waren wohl tatsächlich übertrieben. Vermutlich ist Gabriel Yoran tatsächlich so unglaublich begeistert von dem Produkt der Firma Twitter. Für den von mir aus einem anderen Beitrag der Übermedien genannten Position des Presserats „Allerdings hätte die Redaktion den werblichen Effekt minimieren müssen …“ ist es allerdings völlig irrelevant, ob der Redakteur den Artikel, der sich ausschließlich um das Produkt einer einzigen Firma dreht, aus persönlicher Begeisterung oder aus anderen Gründen geschrieben.

    Persönlich begeistert ist ja auch Jürgen Vogel von seinem E-Bike. Er hat vom Hersteller seiner Wahl ein E-Bike geschenkt bekommen (Twitter-Accounts bekommt man auch geschenkt), und nun schwärmt er in höchsten Tönen davon. Boris Rosenkranz sieht das durchaus problematisch:

    https://uebermedien.de/27473/fahrrad-magazin-karl-hat-einen-werbe-vogel/

    Was mich aber vor allem ärgert, ist das auch von Symboltroll im Kommentar #5 beschriebe total Identifikation mit einem einzelnen Online-Dienst. Es wird ja völlig ausgeblendet, daß Twitter eben gerade kein standardisierter Internet-Dienst ist (wie zum Beispiel E-Mail), sondern ein einzelner kommerzieller Anbieter. Die Firma Twitter ist ein einzelner Marktteilnehmer, aber dieser Markt wird völlig ignoriert, es wird so getan, als wäre Twitter ein Internet-Standard, quasi definiert in einem RFC-Dokument.

    Und das ganze auch noch in den Übermedien, die doch eigentlich kritisch auf Medienorgane blicken wollen.

  6. @Daniel Rehbein: Enthusiastisch? Unglaublich begeistert? Anscheinend wird bei Ihnen da oben ein anderer Text angezeigt als bei mir.

    Und klar kann man Twitter darauf reduzieren, dass es ein kommerzielles Produkt ist, und darauf hinweisen, dass es noch andere Produkte, kommerziell und nicht kommerziell, gibt, die teilweise ähnliche Formen der Kommunikation ermöglichen. Aber Twitter ist ein besonderer Ort, der auf eine besondere Weise funktioniert, und der für viele Menschen besondere Funktionen erfüllt und in besonderer Weise begeistern und frustrieren kann, sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

    Ich finde, es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen, und ich mag die sehr persönliche Art, wie sich dieser Text damit auseinandersetzt.

  7. Ich übersetze das mal in eine Vorlage, wie der Bauer-Verlag demnächst auf Kritik an seinem Artikel zum Beispiel über das Schlankheitsmittel XY reagieren könnte:

    „Selbstverständlich kann man XY darauf reduzieren, daß es ein kommerzielles Produkt ist und das es noch andere Methoden zum Abnehmen gibt, sowohl kommerzielle Produkte als auch allgemeine Empfehlungen und Techniken. Aber XY ist ein besonderes Mittel, das auf besonderen Wirkstoffkombinationen basiert, und das deswegen für viele Menschen besonderen Erfolg verspricht und sie damit begeistert, bei falscher Anwendung aber auch frustrieren kann. Wir sind der Überzeugung, es lohnt sich, sich speziell mit XY auseinanderzusetzen. Wir lieben die spezielle Art, mit der unser Redakteur seine ganz persönlichen Erfahrungen mit XY beschreibt.“

    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, daß der Bauer-Verlag die Argumentation, daß andere Produkte nicht das Thema des Artikels gewesen seien, tatsächlich auch verwendet:

    „Der Presserat verkennt aber die Pressefreiheit, wenn er dann der Redaktion Schleichwerbung vorwirft, nur weil andere Abnehm-Methoden nicht auch im Text erwähnt wurden, um die es redaktionell aber gar nicht ging. Zum besseren Verständnis: Wenn beispielsweise im Ressort Reise positiv über das Salzburger Land als interessante Tourismusregion berichtet wird, verlangt der Presserat auch nicht, dass zusätzlich und vergleichend die Vorzüge der Nordseeküste als alternative Tourismusregion vorgestellt werden, damit ein eventueller Werbeeffekt für das Salzburger Land minimiert wird.“

    Autor Mats Schönauer fasst diese Stellungnahme des Bauer-Verlags dann zusammen mit den Worten:

    „Werden sie weiter Schleichwerbung machen? Aber sicher doch.“

  8. Ich habe twitter so lange für ein beliebiges Produkt gehalten, bis ich mitgemacht habe. Und ja, seitdem ist es für mich Druckbetankung mit Welt.

    Der Bitcoinpreis wird manipuliert und wie genau? 2017 auf Twitter erfahren, nicht in einer Wirtschaftszeitung.

    Rassismus gibt es immer noch und wie! Durch #metwo erfahren.

    Andere sind wie ich Autisten und fühlen wie ich? In #diemaskeabnehmen erfahren. Welche Zeitschrift hätte solch ein Randthema je so intensiv behandelt?

    Twitter ist echt krass. Oft nicht zum Aushalten, oft schlimm, aber bestimmt nicht beliebig.

  9. Also wer als Twitterer dann schon den Hashtag #metoo nicht richtig schreiben kann.?

    Ansonsten hat Twitter durch viele Nutzer natürlich etwas besonderes, aber es geht hier doch einfach mal darum, dass es auch Twitter-Alternativen gibt, die nicht von einer einzelnen Firma beherrscht werden und das gleiche (oder besseres) bieten können, derzeit aber einfach noch weniger Nutzer haben.
    Ob man die jetzt in jedem Artikel zu Twitter ansprechen kann, sei dahin gestellt. Immerhin ist Twitter nun mal r der größte Microblogging-Dienst – ja, so nannte man das früher mal.

    Und zu dem Kommentar zum „Osratutusen“: sehr witzig. Tatsächlich nennt man so was sehr viel netter, zB bei Mastodon heißt es tooten (statt twittern).

  10. Erinnert sich denn eigentlich noch jemand an das Cyberspace-Manifest? In den 1990ern, als durch die graphische Oberfläche (das World Wide Web) das Internet sich rasant verbreitete und die Politik sich weltweit anfing, dafür zu interesieren, was dort vorgeht, traf dieses Manifest genau den Nerv der Internet-Nutzer:

    „Regierungen der Industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngigkeitserkl%C3%A4rung_des_Cyberspace

    Das Cyberspace-Manifest wurde im Jahr 1996 verfasst. Das Internet wurde damals begriffen als ein weltweites Netzwerk gleichberechtigter Knoten, die je nach Anwendung mit Hilfe verschiedener Protokolle (alle basierend auf TCP/IP) miteinander kommunizieren. Mit der Liste der „Well known ports“ wurden den verschiedenen Protokollen jeweils Ports in der TCP/IP-Transportschicht zugewiesen, ansonsten war alles recht frei. Man fühlte sich frei von jeglicher Regierung, im Sinne der Brechtschen Radiotheorie konnte jeder nach Belieben Sender und Empfänger sein – unabhängig von kultureller Herkunft, von Hautfarbe, Geschlecht, Alter, akademischem Grad oder anderen Merkmalen. Daß man sich bei der Kommunikation im Internet mal mit „Sie“ anreden würde, war undenkbar.

    Heute haben wir das Internet zwar immer noch weitgehend frei von Regierungseinfluß gehalten (zumindest hier in der westlichen Welt), haben aber eine Art Ersatzregierungen in Form der großen Firmen Google, Facebook und Twitter. Diese Firmen steuern, wie wir miteinander kommunizieren. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit und legen andererseits auch die Regeln fest, wie wir selbst Aufmerksamkeit gewinnen. Sie steuern, welche öffentlichen Äußerungen (und Abbildungen) erlaubt und welche nicht. Sie versuchen, uns wie ein Volk von Untertanen einzuhegen und zu kontrollieren, können uns aber auch nach Gutdünken aus ihrem Hoheitsgebiet ausschließen, ohne daß es dazu ein faires Verfahren oder überhaupt einen funktionierenden Kommunikationsweg für einen Widerspruch gibt.

    Warum haben wir es so weit kommen lassen? Warum haben wir das Ideal des freien Netzes derartig verraten? Warum wird der Server einer Firma als „besonderer Ort, der auf eine besondere Weise funktioniert“ hochstilisiert? Warum werden die Möglichkeiten, die das Internet mit seiner Technologie als weltweites Netzwerk jedem einzelnen bietet, so konsequent ignoriert?

    Es ist traurig: Wer sich noch bewusst daran erinnern kann, ein Internet ohne Google erlebt zu haben, muß inzwischen schon älter als 30 Jahre sein. Und wer sich noch an ein Internet erinnern kann, in dem nicht das World Wide Web der dominierende Dienst gewesen ist, sondern in dem für unterschiedliche Anwendungswünsche jeweils den passenden Dienst gab, der muß noch deutlich älter sein. So weit ist es gekommen!

  11. Lieber Herr Rehbein, ich bin vierzig und kenne das Cyberspace-Manifest. Aber mein Beitrag ist kein normativer Text darüber, wie das Internet sein sollte, was politisch, gesellschaftlich, technologisch wünschenswert wäre, was die Vorzüge von federated social networks wären, also sozialer Netzwerke, die nicht von *einem* Unternehmen exklusiv betreiben würden (ich arbeitete in einer Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission zu diesem Thema).

    Das sind alles wichtige und legitime Punkte, aber darum geht es nicht in meinem Beitrag. Mein Text handelt von der Art und Weise, wie ein bestimmtes Produkt in der Welt ist, wie es auf seine Nutzer wirkt und wie seine Nutzer es verwenden. Ich schrieb nicht über Mastodon oder andere alternative Angebote, weil die Netzwerkeffekte, die Twitter so wirkmächtig machen, eben auf Twitter stattfinden und nicht auf Mastodon-Servern oder anderswo.

    Ich beschreibe einen Zustand wie er jetzt gerade ist, wo Twitter hunderte Millionen Nutzer hat. Es mag sein, dass sich die Psychologie der Twitternutzung dem Nichtnutzer nicht erschließt und offenbar schafft mein Text auch nicht verlässlich, eine Ahnung davon zu vermitteln. Zu Ihrem Verweis auf Twitter als den „Server einer Firma“, den ich vorgeblich hochstilisiere: Das ist eine ziemliche Reduktion. Was wir hier online machen, Sie, ich, auf Twitter oder hier bei Übermedien oder sonstwo, ist nie reduzierbar auf ein Stück Hardware oder Software, auf ein Protokoll, ein Verfahren oder eine Lizenz. Das Wesentliche ist ein Austausch zwischen Menschen und wenn Sie meinen Text lesen, werden Sie sehen, dass es mir darum ging.

  12. @Daniel Rehbein: Ihre Kommentare hier kann man wohl als Langfassung einer RfH bezeichnen. Jedenfalls lösen sie heftige Kopfschmerzen aus, verursacht durch Schütteltrauma und gegen die Stirn klatschende Hände.

    Twitter ist (derzeit) eben KEIN x-beliebiges Produkt, ebenso wenig wie Google, Facebook, WhatsApp und Amazon oder anderswo Weibo und VK. Wären das nur beliebige Produkte, müsste man sich um deren Regulierung kaum Gedanken machen, wären deren Regeln nicht so ein Politikum usw.

    Klar wäre es schöner, wenn Twitter ein offener Standard und kein kommerzielles Produkt wäre. Ist es aber. Das macht es aber nicht x-beliebig.

    Ansonsten schließe ich mich, da ich ja weder Stern noch Herzchen vergeben kann, Kommentar 1 an. Vielen Dank!

  13. Der Satz „Es mag sein, dass sich die Psychologie der Twitternutzung dem Nichtnutzer nicht erschließt und offenbar schafft mein Text auch nicht verlässlich, eine Ahnung davon zu vermitteln“ lässt durchscheinen, daß ich Nichtnutzer sei. Das ist aber nicht richtig, tatsächlich nutze ich Twitter seit einigen Jahren.

    Im Juli 2013 (also vor inzwischen über fünf Jahren) habe ich beschlossen, daß ich mich mal mit Twitter beschäftigen sollte. Dazu habe ich mir zum Testen einen Account bei Twitter eingerichtet, und ich habe mich in die API von Twitter eingelesen. Dann habe ich mich bei Twitter als Developer registriert (man bekommt dann einen ConsumerKey, ein ConsumerKeySecret, ein AccessToken und ein AccessTokenSecret), und dann habe ich mir eine Java-Klasse programmiert, die Tweets absetzen kann.

    Ich habe da ein wenig herumprobiert, zuerst hatte ich Probleme mit Umlauten, später habe ich dann auch mit kyrillischen Zeichen experimentiert. Mein Twitter-Account, mit dem ich das ausprobiert habe, existiert tatsächlich noch:

    https://twitter.com/Software_Drei

    Als sich bei mir dann das Gefühl eingestellt hatte „Jawoll, ich kann’s! Ich habe jetzt verstanden, wie Twitter funktioniert“, dann habe ich es wieder beiseitegelegt und mich mit anderen Dingen beschäftigt. Irgendeine Form von „Faszination“ hatte sich bei mir jedenfalls nicht eingestellt.

    Im Jahr 2015 habe ich angefangen, Videos zu drehen, auf Youtube zu veröffentlichen und auf meinen Webseiten einzubinden. Da habe ich mich damit beschäftigt, welche Meta-Tags in den Header-Bereich meiner Webseiten einbetten muß, damit Verlinkungen auf Facebook und Twitter gut aussehen.

    Passend dazu habe ich mir dann einen Twitter-Account mit meinem Namen eingerichtet und Links gepostet. Ich habe dann auch angefangen, ab und zu auf andere Tweets zu reagieren, also zu diskutieren, habe ich aber schnell gemerkt, daß ich aufgrund der Reduktion auf 160 Zeichen fast permanent mißverstanden werde. Später hat Twitter das Zeichenlimit verdoppelt, dann ging das einigermaßen.

    Dieser Artikel hier gibt selbst ein schönes Beispiel für Mißverständnisse auf Twitter: Da schreibt jemand „Petersilie ist Ländersache“. Alle amüsieren sich darüber, alles ist gut. Dann möchte jemand den Witz noch ein bischen weiterdrehen und schreibt „Nein, das ist falsch. Angelegenheiten zur Petersilie sollten in Europa entschieden werden“. Und plötzlich wird derjenige, der den Witz bloß noch ein bischen weitergesponnen hat, in der „witzbefreite Zone“ verortet.

    Bei mir war das eher bei Sarkasmus: Jemand ärgert sich über irgendeinen Mißstand und überträgt diesen Mißstand auf eine andere Lebenssituation, wodurch dessen Unsinnigkeit deutlicher wird. Ich lese das, bin genau derselben Meinung, und mir fällt noch eine weitere Analogie ein, womit man das noch besser illustrieren kann, und ich poste das entsprechend. Daraufhin schreibt der ursprüngliche Verfasser mit Dinge wie „Du solltest meinen Tweet noch mal genau lesen!“ oder „Was Du schreibst, meinst Du hoffentlich nicht ernst!“. Und ich schüttele den Kopf und denke „Hey, ich habe Dir doch zugestimmt! Ich habe doch das, was Du geschrieben hast, noch mal deutlich bekräftigt!“.

    Und dann fallen mir bei Twitter die diversen Posts auf, die eigentlich in ein thematisch sortierstes System gehören. Da sucht jemand eine Wohnung in Hamburg, jemand anders einen Ausbildungsplatz in München, ein weiterer eine Wohnung in Frankfurt, und jemand einen inklusiven Kindergarten für sein autistisches Kind in Worms. Und das alles wird bundesweit retweetet, auf daß jeder es lesen solle. Da denke ich mir dann dann: „Leute, warum lasst ihr das Usenet so verkümmern? Da gibt es thematisch sortierte Gruppen, und wo es sinnvoll ist, auch Gruppen für einzelne Orte bzw. Städte. Und es gibt einen definierten demokratischen Prozess zur Einrichtung neuer Gruppen oder zum Löschen nicht mehr benötigter Diskussiongruppen“.

    Und dann ist da diese komische „Folgen“-Funktion. Die ersten zwei Jahre habe ich Twitter nur über das Web (also im Browser) genutzt. Da ergibt die „Folgen“-Funktion ja keinen Sinn, denn um diese nutzen zu können, müsste man sich ja jedesmal erst einloggen, auch wenn man gerade nur lesen will. Ich habe die Accounts von verschiedenen Personen gelesen, und ab und zu habe ich mich eingeloggt und auch etwas geschrieben. Und am Ende habe ich jeweils den Browser geschlossen, wodurch automatisch alle Cookies gelöscht wurden.

    Dann bin ich auf die Nutzung mit Smartphone umgestiegen, weil ich öfter mal Photos posten wollte. Ich poste zum Beispiel Urlaubsbilder.

    https://twitter.com/bilderbein/status/1010966471202295808

    … oder hintersinniges

    https://twitter.com/bilderbein/status/981086823295406080

    Seitdem nutze ich die Twitter-App, habe also keine Adreßzeile im Browser mehr, sondern bin auf die „Folgen“-Funktion umgestiegen. In dem Moment, wo ich angefangen habe, bei anderen Accounts auf „Folgen“ zu klicken, ist bei mir plötzlich auch die Zahl der „Follower“ gestiegen. Warum?

    Es wäre ja ein doller Zufall, wenn die anderen Nutzer gleichzeitig mit mir auch in händischer URL-Eingabe (oder von Browser-Bookmarks) auf die „Folgen“-Funktion umgestiegen sind. Oder finden Nutzer meine Tweets plötzlich interessant, nur weil ich jetzt die „Folgen“-Funktion nutze? Ich schreibe doch inhaltlich nichts anderes als vorher (ich habe ja auch nicht sofort mit dem Posten von Urlaubsbildern angefangen). Und habe ich habe doch vorher andere Accounts nicht heimlich gelesen, sondern habe auch geantwortet und weitergeleitet (retweetet). Es war also doch auch schon vorher offensichtlich, daß ich andere Accounts lese, daß ich lediglich nicht die „Folgen“-Funktion dafür nutze.

    Das mit dem „Folgen“ ist mir ohnehin ein Rätsel. Da sortiert mir Twitter eine Timeline mit den Posts aller Accounts, bei denen ich auf „Folgen“ gedrückt habe. Das ist so eine große Menge, die kann ich doch gar nicht kontinuierlich mitlesen. Es gibt aber Nutzer, die haben bei „Folge ich“ eine größere vierstellige Zahl stehen. Wie kommen die damit zurecht? Verlieren die da nicht den Überblick über das, was da alles vorbeiscrollt?

    Dann findest man auf Twitter den Kundenkontakt mancher Unternehmen, zum Beispiel Rewe. Aber wenn ich denke, daß ich dort nach etwas fragen könnte, was mich interessiert, und was mir in der Filiale nicht beantwortet werden konnte, dann bekomme ich da auch keine brauchbare Antwort.

    https://twitter.com/bilderbein/status/744946841150709760

    Ganz extrem ist das bei der Deutschen Bahn AG. Was das Twitter-Team der Bahn antwortet, ist manchmal sogar irreführend, meistens aber das, was man auf der Webseite der Bahn oder in der Fahrplanauskunft auch selbst nachlesen könnte. Wenn man wirkliche Tipps zum Bahnfahren, zu Anschlüssen bei Verspätungen oder zu günstigen Tickets haben möchte, ist man bei einem Webforum mit erfahrenen Bahnfahrern deutlich besser beraten. Und Fragen nach organisatorischen Hintergründen werden gar nicht beantwortet.

    https://twitter.com/bilderbein/status/981188171458326529

    Wo ist nun die Faszination, die sich nur den Nichtnutzern nicht erschließt? Wo ist die „Wirkmächtigkeit“, wo die „Druckbetankung“? Bei mir stellen sich derartige Empfindungen jedenfalls nicht ein.

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