Sterben fürs Leistungsschutzrecht
Seit Jahren kämpfen die deutschen Presseverlage mit allen Mitteln für ein eigenes Leistungsschutzrecht. Es war nicht leicht, sich eine weitere Eskalation der Debatte vorzustellen. Aber jetzt bekommt die Kampagne doch noch eine neue Qualität. Nun zieht ein Kriegsreporter in den Kampf.
Er heißt Sammy Ketz, leitet aktuell das Büro der Nachrichtenagentur AFP in Bagdad und hat einen offenen Brief an die Abgeordneten des EU-Parlamentes geschrieben. Er warnt: Die für kommenden Monat angesetzte Abstimmung über ein neues Leistungsschutzrecht sei eine „Frage von Leben und Tod“.
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass das nicht nur irgendwie metaphorisch gemeint ist, zeigt der „Tagesspiegel“ in seinem Bericht über den Brief, wie Sammy Ketz tatsächlich in höchster Lebensgefahr schwebt: bei einem Einsatz in der syrischen Stadt Maalula vor fünf Jahren, als er unter Feuer von Scharfschützen der Rebellen geriet. Er kam nur knapp davon.
Dieser Mann hat einen Angriff fundamentalistischer Gotteskrieger überlebt, scheint die Aufmachung zu sagen, aber nun wird er hinterrücks von Parlamentarieren ermordet! Oder auch: Dieser Mann riskiert sein Leben für den Journalismus und ist dann schutzlos den Mördervampiren von Google und Facebook ausgeliefert!
Caroline Fetscher schreibt im „Tagesspiegel“ über Ketz‘ Brief:
Es hört sich an, als berichte er von einem anderen Kriegsschauplatz.
Und fügt, falls es noch irgendwelche Zweifel daran gegeben haben sollte, nach einem Absatz hinzu:
Und so ist es.
Der politische Kampf um ein Leistungsschutzrecht hat ein Upgrade zum Krieg bekommen, und weil es das Sprichwort so fordert, geht als erstes die Wahrheit über den Jordan.
„Tagesspiegel“-Autorin Fetscher beschreibt das Ziel des Leistungsschutzrechtes, über das im EU-Parlament abgestimmt wird, so:
Im Kern soll es möglich werden, dass News-Aggregatoren wie Google, Facebook oder Youtube die Inhalte, die immateriellen Güter, die von Medienverlagen und deren Mitarbeitern erwirtschaftet werden, nicht mehr millionenfach verbreiten können, ohne dafür einen Cent zu bezahlen.
Man sollte denken, dass die Verlage sich freuen, wenn Google und Facebook (und vielleicht nicht unbedingt Youtube) ihre Inhalte „millionenfach verbreiten“, denn sie machen sie ja nur zugänglich und verweisen mit kurzen Exzerpten darauf. Warum sollten sie für diese Leistung für die Verlage auch noch bezahlen?
Fetscher schreibt:
Die Netzriesen saugen die Redaktionen systematisch aus. Schwer erarbeitete, teure redaktionelle Inhalte wie die Berichte der Kriegsreporter kommen ins Internet, Konsumenten bedienen sich gratis, die Netzriesen kassieren Werbeeinnahmen durch Anzeigen im Flimmerumfeld an den Rändern der Berichte und die Medien verlieren: Einkommen, Auflagen, Angestellte, Mittel für Recherchen, Produktion und Druck.
„Teure redaktionelle Inhalte kommen ins Internet“ ist eine verräterisch vage Formulierung. In aller Regel stellen die Verlage selbst sie dort hinein und hoffen, dass sie von Menschen auf Facebook geteilt und von Suchmaschinen gefunden werden. Fetschers Formulierung suggeriert, dass die „Netzriesen“ etwas kostenlos zugänglich machen, was eigentlich kostenpflichtig wäre und ihnen nicht gehört. Auf Nachfrage sagt sie: „Aufwändiger, seriöser Journalismus wird durch das digitale Abschöpfen immer unbezahlbarer für die Verlage.“
Fetscher schreibt:
Allein Google-News hält mit 95 Prozent Marktanteil an der News-Verbreitung ein quasi globales Monopol.
Auf Frage von Übermedien nach der Quelle für diese erstaunliche Zahl ändert der „Tagesspiegel“ die Passage und schreibt statt „Google-News“ nur noch „Google“. Doch auch das ist Unsinn. Google hat vielleicht einen Marktanteil von über 90 Prozent – im Markt der Suchmaschinen. Das ist aber ein ganz anderer als der der Nachrichtenverbreitung, der kaum zu messen ist und an dem auch Facebook einen hohen Anteil hat, aber natürlich auch die Medien und ihre Webseiten selbst.
Unter dem „Tagesspiegel“-Artikel steht jetzt der Hinweis:
In einer früheren Version des Textes hieß es, „Google-News“ halte ein Monopol an der Verbreitung von Inhalten. Es handelt sich tatsächlich um „Google“. Wir haben den Fehler korrigiert.
Ja. Nein.
Fetscher schreibt:
In der Folge wurden EU-Parlamentarier von Adepten [sic!] des freien Netzes nachgerade beschossen mit Abertausenden von E-Mails und Tweets, etwa von der „Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht“, kurz Igel. „Heckenschützen-Lobbyismus“ nennt das Jan Hegemann, Urheberrechtler der Kanzlei Raue in Berlin, der Verleger im Ringen mit Google & Co vertritt.
IGEL* hat nach eigener Aussage ein einziges Mal eine E-Mail an alle Abgeordneten verschickt. Die Zahl der Tweets ist sehr überschaubar. Auf die Bitte, die Formulierung zu erklären, schreibt Fetscher:
Die Position von IGEL und dessen Gegnerschaft zu den Plänen der EU ist derart einflussreich, dass die Initiative als einer der Hauptlieferanten für Argumente der Gegner gelten darf.
Aus einem „Hauptlieferanten für Argumente“ wird im „Tagesspiegel“ ein Heckenschütze, der Abgeordnete mit „Abertausenden von E-Mails“ beschießt. In der Online-Version des Artikels ist die Passage unauffällig entschärft worden, dort sind die Abertausenden E-Mails nun nur noch „inspiriert“ von IGEL.
Fetscher schreibt über die ausbleibende Wirkung des deutschen Leistungsschutzrechts:
(…) Google setzte die Verlage unter Druck: Entweder sie beugen sich den Google-Praktiken oder ihre Inhalte tauchen bei Google nicht mehr auf.
Auch das ist grob irreführend. Die Verlage wollten Google untersagen, in den Suchergebnissen ohne ihre Genehmigung außer dem jeweiligen Link und der Überschrift auch eine kurze Vorschau des Inhalts anzuzeigen. Also kündigte Google an, das nicht mehr zu tun – es sei denn, der Verlag gab die Einwilligung zur kostenlosen Anzeige solcher Snippets. Google hatte nicht damit gedroht, die Verlagsinhalte gar nicht mehr als Suchergebnisse anzuzeigen.
Auf Nachfrage erklärt die „Tagesspiegel“-Autorin: „Wenn Google keine Vorschauen / ‚Snippets‘ mehr anzeigt, (…) können deren Inhalte nicht mehr gefunden werden. Daher kommt das einem Zurückhalten der Inhalte gleich.“ Man könnte anders und mit ihren Worten sagen: Sie fordert, dass Google weiter gefälligst die Verlage abschöpft und aussaugt.
Sie fordert, dass die „Netzriesen“ Google und Facebook weiter diese Dienstleistung für die Verlage erbringen und einen Beitrag dazu leisten, dass man ihre Inhalte auch findet. Ihr Kollege Sammy Ketz beschreibt das in seinem Brief hingegen so:
Es ist so, als ob ein Fremder kommen und sich schamlos die Früchte deiner Arbeit schnappen würde. Es ist moralisch und demokratisch nicht zu rechtfertigen.
Er behauptet, dass nicht die Medien „die Profite einstreichen“, wenn sie viel Geld ausgeben, um ein „zuverlässiges, vollständiges, vertrauenswürdiges und vielfältiges Nachrichtenangebot zu produzieren“, „sondern die Internetplattformen, die sich daran bedienen, ohne einen Cent zu zahlen“.
In dramatischen, pathetischen Worten erzählt er von der zweifellos verdienstvollen Arbeit, die er und seine Kollegen in Kriegsgebieten leisten, und erweckt den Eindruck, es gebe nur einen einzigen Grund, warum diese Arbeit bedroht ist: Weil Google und Facebook ihnen widerrechtlich ihre Inhalte klauen. Ketz macht den Leser glauben, mit einem Leistungsschutzrecht werde alles wieder gut. Im Kern lautet sein Argument: Die Konzerne ham’s ja.
Mehrere Dutzend Kollegen, vor allem Reporter und Korrespondenten, haben diesen Brief bislang unterschrieben. Aus Deutschland sind Wolfgang Bauer („Die Zeit“), Fioana Ehlers („Der Spiegel“), Antonia Rados (RTL), Christoph Reuter („Der Spiegel“), Katrin Sandmann (ehemals N24) und Carsten Stormer („Zeitenspiegel“) dabei.
Ach, und Caroline Fetscher, „Tagesspiegel“-Redakteurin, die diese Tatsache in ihrem Artikel über Ketz und seinen Brief sicher nur vergessen hat zu erwähnen.
Ketz ist wieder in den Krieg gezogen, diesmal als Kämpfer. Caroline Fetscher kämpft als Kriegsberichterstatterin an seiner Seite, und es ist ironisch, aber nicht untypisch, dass ihr Bericht, der so leidenschaftlich für die Rettung des guten, gründlichen, sorgfältigen Journalismus plädiert, selbst kein Beispiel dafür ist.
*) Offenlegung: Ich bin Unterstützer der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL), weil ich ihre Argumente gegen ein Leistungsschutzrecht überzeugend finde.
Nachtrag, 11. Dezember 2018. Das französische Online-Magazin „La Lettre A“ berichtet, dass AFP nach der überraschenden Ablehnung der Urheberrechtsrichtlinie im EU-Parlament im Juli die Lobby-Agentur GPlus mit einer Kampagne beauftragt habe. Der offene Brief von Samy Ketz sei Teil dieser AFP-Kampagne für das Leistungsschutzrecht gewesen. Sie habe rund 15.000 Euro gekostet.
Das deutsche Pressewesen, im Felde unbesiegt, von einem Igel und einer Firma aus dem Silikontal hinterrücks gemeuchelt.
Vielleicht hat der „Postillon“ noch einen Arbeitsplatz für Sammy Katz frei, da passt er mit seinem Stil prima hin.
Tja.
Es bleibt dabei, dass es kein einziges Argument für das Leistungsschutzrecht gibt. Das hat aber dessen Verfechterinnen in der Vergangenheit nicht gestört und ist wohl auch nicht zukünftig zu erwarten. Schlimm ist halt, dass man diese Leute nicht einfach ignoriert oder bestenfalls auslacht.
Da fehlt irgendwo ein Absatz. Der dritt- und der zweitletzte Absatz schliessen nicht aneinander an.
#guterjournalismus
gruss,
sh
Fehlt nur noch die Klickköderstrecke: „Sterben fürs Leistungsschutzrecht – es ist so traurig.“
@Stefan Herwig: Wo genau?
Und dann funktioniert mit google news noch nicht mal meine tollen clickbait Title:
https://i.redd.it/x5d1s24m80i11.png
(aktuell aus https://www.reddit.com/r/de/comments/99vscn/google_news_spoilert_den_clickbait/)
Nach der Logik der Verlage könnten Bordellbetreiber folgendermaßen Argumentieren:
Taxifahrer müssen uns für jeden Fahrgast, den sie zu unserem Bordell bringen Geld bezahlen. Der Taxifahrer verdient schließlich an der Leistung von uns, weil der Kunde zu unseren Dienstleistern will.
Der Taxifahrer hat außerdem ein quasimonopol, weil ja er ja dem Fahrgast empfiehlt in welches Bordell er den Fahrgast fahren soll (snippets). Außerdem reicht es ja manchen Fahrgästen schon, die Beschreibung unserer Dienstleister zu bekommen um ausreichend erregt zu werden.
Daher entgehen uns nun Fahrgäste, die eigentlich zu uns kommen würden und deshalb steht uns ein Anteil an den Einkommen der Taxifahrer zu.
Traurig finde ich immer, dass in Zeiten, wo „Lügenpresse!“ in die Gegend zu pöbeln mancher Leute liebstes Hobby ist, es eigentlich kaum wichtiger sein könnte, mit Wahrheit und Wahrhaftigkeit und guter Berichterstattung die mancherorts verlorene Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Journalismus zurückzugewinnen und zu fördern. Und was machen diese abgefeimten LSR-Lobbyisten? Stellen ihre eigenen Spezialinteressen über alles andere und lügen sich gegenseitig, der Öffentlichkeit und den Abgeordneten was ins Fäustchen, verbreiten einseitigste Propaganda bar jeder Realität, erfinden falsche Fakten, diskreditieren Kritiker und Experten, bauschen nach Gusto hier auf und spielen dort herunter, erzählen wilde Märchen um sich ein maßgeschneidertes Blödsinnsgesetz bei der Politik einzukaufen…
Man tut gut daran, sich sehr genau anzusehen wer da was sagt, wie sie es sagen, um sich dann in Zukunft sehr genau daran zu erinnern wer das ist den man da einstellt oder nicht, oder dessen Produkt man kauft oder nicht, usw. Ich für meinen Teil neige jedenfalls sehr stark dazu, mir immer genau zu merken, wer mich mal belogen hat oder versucht hat mich zu betrügen. Fool me once, shame on you – fool me twice, shame on me.
@Ludoergosum
..grandios!
Holtzbrinck Ventures ist an einem ziemlichen Monopolisten beteiligt, dem flixbus. Leider steigen dadurch auch die Preise, seitdem meinfernbus, bex u.a. im Norden und Westen verschwunden sind. So stark wie die Google-Machstellung werden Monopole, die wirkluch Geld kosten, leider nucht kritisiert.
Das ist ein noch schöneres Argument, wenn man bedenkt, dass es zumindest in der Gastronomie üblich ist, dass der Funkwagenfahrer dem Kneipier einen Euro o.ä. bei bestellten Fahrten auf den Tresen legt. Im Rotlichmilieu könnte das deutlich lukrativer sein.
Mich hat eben die Nutzung von Google News neulich dazu gebracht, ein Digital-Abo abzuschließen. In dem Moment dachte ich noch, dass ich wahrscheinlich ja nicht der einzige bin, dem es so geht.
ohne newsaggretatoren hätte ich gar nicht gewusst, dass es den Tagesspiegel überhaupt gibt. Und wenn die nicht umsonst gelesen werden wollen, warum stellen sie dann ihre Inhalte kostenlos ins Netz?
das sind so typische kämpfe von leuten die nur und völlig in ihrem job aufgehen und dadurch aber völlig den bezug zur realität verloren haben, sich mit nichts anderem gründlich auseinandersetzen, keine argumente megr abwägen, ganz reserviert bis agressiv gegen scheinbare angriffen reagieren und sich dementsprechend völlig borniert auf etwas versteifen.
Mir ist Herrn Niggemeiers mittlerweile doch etwas tibetanischegebetsmühlenhafte Anti-LSR-Lyrik ihrerseits etwas zu schlicht. Ich biete daher folgendes Gegenbild an, um auf die in Wahrheit wohl etwas komplexere Situation aufmerksam zu machen:
Versetze Dich ins Berlin der wilden Zwanziger. Menschen lesen vor allem Papierzeitungen. Stelle Dir nun überall in der Stadt Litfaßsäulen vor, betrieben von einem findigen Geschäftsmann namens Lorenz Gugl-Neuss. Die Litfaßsäule zeigt derzeit vor allem Werbeplakate und Lorenz generiert sein Einkommen aus den Mieten, die seine Werbekunden für das Anbringen ihrer Plakate zahlen.
Lorenz ist allerdings mit seiner Einnahmesituation unzufrieden. Lange überlegt er herum. Dann hat er einen Geistesblitz. Am nächsten Tag schickt er seinen Lehrling, den jungen Serge, mit einer Kamera in der Stadt. Serge soll jeden Morgen die Schlagzeilen aller großen Zeitungen von der „Vossischen“ bis zur „Morgenpost“ fotografieren. Die Fotografien lässt Lorenz vergrößern und klebt sie dann zwischen die Werbeplakate auf seine Litfaßsäulen.
Seine Idee zündet. Fortan bleiben mehr Leute vor den Säulen stehen und lesen die Schlagzeilen. Die Werbekunden von Lorenz sind hocherfreut, denn sie bemerken einen Umsatzanstieg. Viele der Neukunden geben an, die Werbung für die betreffenden Produkte wahrgenommen zu haben, als sie gerade die Zeitungsschlagzeilen zur Kenntnis nahmen.
Bald aber rücken Lorenz die Zeitungsverleger auf die Pelle. Sie behaupten, es würden merklich weniger Zeitungen gekauft, da viele Kunden sich damit zufrieden gäben, nur die Schlagzeilen auf Lorenz Litfaßsäulen zu lesen. Lorenz hält dagegen: Er habe eigene Umfragen unter den Betrachtern seiner Säulen gemacht. Viele fühlten sich durch die Lektüre überhaupt erst angeregt, eine bestimmte Zeitung zu kaufen, um den dazugehörigen Artikel zu lesen.
Die Zeitungsverleger wollen einen solchen Effekt zwar nicht bestreiten, aber behaupten, dass der dadurch generierte Zugewinn den viel höheren Kundenverlust wirtschaftlich nicht ausgleichen könne.
Listig schlägt Lorenz den Verlegern vor, einzelne Zeitungen auf Wunsch wieder von seinen Säulen herunterzunehmen. Allerdings hat Lorenz mittlerweile noch weitere Wege gefunden, seine Litfaßsäulen attraktiv zu machen. Auf Knopfdruck an der Säule erreicht man nun auch Fräuleins in einer von Lorenz betriebenen Infozentrale, die einem sagen können, wie man von A nach B kommt oder wann die nächste Tram fährt. Auf den Litfaßsäulen finden sich nun neben der Werbung und den Zeitungsschlagzeilen, auch Kontaktbörsen, Kauf- und Tauschangebote, Buchexzerpte und aus den Lautsprechern ertönt Musik. In verrufenen Gegenden wurden an den Säulen sogar schon Nacktfotos berühmt-berüchtigter Schönheiten aus dem Berliner Nachtleben gesichtet. Die Litfaßsäulen sind zu immenser Popularität aufgestiegen und aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Es gibt bereits erste Nervenärzte, die bei manchem Bürger eine Litfaßsucht konstatieren wollen.
Manche Zeitungsverleger gestehen daher zähneknirschend ein, dass es geschäftsschädigend wäre, auf den Litfaßsäulen nicht präsent zu sein; jedenfalls so lange noch irgendein Konkurrent dort zu finden sei. Sie sehen sich in einer Erpressungssituation und bitten Reichspräsident Ebert um eine Zeitungsrettungsnotverordnung, die ihnen einen Teil der Einnahmen von Lorenz Litfaßsäulen zuspricht.
Langes Beispiel, kurzer Sinn. Im Kern behaupten die heutigen Zeitungsverleger, Google verhalte sich parasitär. Die Gegner des LSR behaupten – wie oben gesagt – es handele sich in Wahrheit um eine symbiotische Beziehung.
Die Wahrheit ist m.E.: Es ist ein bisschen von beidem. Viel interessanter ist m.E. die Frage, inwieweit sich symbiotischer und parasitärer Anteil wirtschaftlich die Waage halten, oder ob – wie von den Zeitungsverlegern behauptet – der parasitäre Anteil monetär überwiegt. Um das allerdings genau festzustellen, müssten sich sowohl Verlage als auch Google umfassend in die Bücher schauen lassen.
tl,dr: Das LSR ist zu komplex für einseitige Metaphern. Google sind nicht die Bösen, die Verleger aber auch nicht. Empirie tut not.
Insofern ist es dann doch eine kleine, aber feine Überraschung, dass gerade der Leiter des nicht eben urheberrechtsunkritischen Max-Planck-Instituts für Immaterialgüterrechte eine Dissertation betreut, die zu dem Ergebnis kommt, dass das LSR vielleicht doch eine ganz gute Sache ist: https://bit.ly/2MD04af
In diesem Sinne: Ihr Thomas Elbel
Der Artikel ist beim Tagesspiegel (und bei den Potsdamer Neuesten Nachrichten) inzwischen wieder verschwunden. Man findet ihn noch bei archive.org (Tagesspiegel) bzw. im Google-Cache (PNN).
Anscheinend war es ihnen jetzt doch zu peinlich, was sie da verzapft haben. Da wird ja quasi der Untergang des Abendlandes beschworen („Das Europäische Parlament muss mit überwältigender Mehrheit für die Leistungsschutzrechte und damit für das Überleben der Demokratie und eines ihrer bemerkenswertesten Symbole stimmen: den Journalismus.“), an Pathetik kaum zu überbieten.
@15:
Eigentlich hinkt das Beispiel bereits, weil Google News, wie schon oft gesagt, eben keine Werbung zeigt. Wir würden also von einer Litfassäule reden, die eben nur die Schlagzeilen zeigt. Keine Werbung und nichts anderes.
Aber man kann das Beispiel auch weiterspinnen:
Damit das Beispiel jedoch noch ein wenig vergleichbar bleibt müsste man es jedoch jedoch etwas Ergänzen:
1. Die Zeitungen haben vorher Ihre Schlagzeilen bereits frei Verteilt und in Großen Schaukästen ausgestellt, um für Ihre Zeitung zu Werben. Es gab quasi Flyer mit dem Schlagzeilen. Die Zeitungen wollen Werbung für Ihre Inhalte.
2. Herr Lorenz hat diese Flyer genommen, die die Zeitungen bereitwillig zur Verfügung gestellt haben und auf die Litfaßsäulen ohne Werbung geklebt. Kostenlos, wohlgemerkt.
3. Die Zeitungen überschlagen sich in Ihren Bemühungen möglichst prominent auf den Säulen zu erscheinen. Extra große bunte Aufkleber zum Beispiel.
Die Dame die auf Knopfdruck erreichbar ist, sagt einem welche Tagesszeitungen Informationen zu einem Bestimmten Thema haben, und ließt quasi den ersten Satz des Artikels vor.
All das weiterhin kostenlos für die Zeitungen.
Dass Problem ist nur, dass die Litfassäulen die Werbemethode geworden sind. Die Werbekunden die vorher in den Zeitungen inseriert haben hängen die Plakate an die Litfaßsäulen. Nicht weil dort die Nachrichten sind, sondern weil dort die Leute hinschauen.
Die Zeitungen verlieren also die Werbeeinnahmen, weil sich die Welt verändert. Die Zeitungen wollen also auch ihn Ihrem Beispiel weiter die Kostenlose Werbung, aber sie wollen nun auch bezahlt werden dafür.
Die Litfaßsäulen ohne Werbung nur mit den Schlagzeilen können schnell abgeschafft werden und auch das Fräulein braucht niemand mehr die Zeitungen zu nennen. Aber doch, die Zeitungen wollen es, weil es kostenlose Werbung ist.
Die Leute kommen eben, wie wir an der Erweiterung Ihres Beispiels sehen nicht wegen der Zeitungen zu den Litfassäulen, sondern wegen all der anderen Dienstleistungen die man dort bekommt. Die Zeitungen sind ein Teil von vielem, der für Herrn Lorenz vermutlich keine Bedeutung hat. Deshalb kann er auch bereitwillig und schnell dieses Angebot einstellen.
Was die Zeitungen nun wollen würden, um beim Leistungsschutzrecht zu bleiben, wäre das Herr Lorenz gezwungen wird Ihre Werbung zu zeigen und die Zeitungen zusätzlich zu bezahlen.
Wenn es also einen parasitären Anteil gibt, dann ist er eher gering.
Übersetzt: Wenn der Nutzen von Google News so wichtig wäre, würde Google das Angebot nicht einfach einstellen, oder die Verlage auslisten die darauf beharren.
@15: Wunderschön lyrisches Beispiel, einzig: Bei Googlenews wird keine Werbung eingeblendet.
Möglicherweise sind Litfasssäulen wohl einfach das bessere -und zu Zeitungen grundsätzlich unverwandte- Geschäftsmodell. Aber immerhin, Radio und (Farb-)fernsehen haben auch trotz technologischer Vorteile die Presse nicht völlig verdrängt.
@17
zu 1. Verstehe ich nicht. Bitte übersetzen.
zu 2. Klar kostenlos. Er profitiert ja davon. Warum sollte er das sonst tun? Weil er Zeitungen so lieb hat?
zu 3. So ist das mit Monopolisten. Man ist auf sie angewiesen … zähneknirschend.
Zitat: „Dass Problem ist nur, dass die Litfassäulen die Werbemethode geworden sind. “
Moment. Eingangs sagten Sie doch, da sei gar keine Werbung auf der Litfaßsäule. Wat denn nu?
Zitat: „Die Leute kommen eben, wie wir an der Erweiterung Ihres Beispiels sehen nicht wegen der Zeitungen zu den Litfassäulen, sondern wegen all der anderen Dienstleistungen die man dort bekommt.“
Falsch. Die Leute kommen wegen allem anderen UND wegen der Zeitungen.
Zitat: „Die Zeitungen sind ein Teil von vielem, der für Herrn Lorenz vermutlich keine Bedeutung hat.“ Deswegen hat Herr Lorenz in Form der Mitfinanzierung der IGEL-Initiative auch so massiv gegen das LSR gekämpft. Nicht etwa weil die Zeitungen für ihn vielleicht doch eine Bedeutung hätten, sondern aus purer Philantropie. Yeah, right.
Zitat: „Deshalb kann er auch bereitwillig und schnell dieses Angebot einstellen.“ Das kann Herr Lorenz vor allem deswegen, weil seine Litfaßsäulen ein Marktanteil von über 90% hat. Das ist die typische „Jetzt zeig ich Euch mal, was ne Harke ist“-Taktik von Monopolisten. Das dieser Monopolist auch noch mehrere Standbeine hat, sodass er von Öl vorübergehend auch einfach mal auf Gas umsteigen kann, um den Scheichs zu zeigen, dass er mit Putin genauso gut kann, macht es nicht wirklich besser.
Zitat: „Wenn es also einen parasitären Anteil gibt, dann ist er eher gering.“ Die einzige wichtige Frage ist, wie gering (oder vielleicht doch gar nicht so gering) genau.
tl;dr: Ich stimme Ihnen zu: Google verhält sich mindestens teilparasitär. Google ist zudem ein Monopolparasit, der sich mittlerweile zwischen de Wirt und seine Nahrungsquelle zwischengeschaltet hat. So lange die Zeitungen nur einen Verhandlungspartner haben, ist ihre Position unmöglich. Das nennt man ökonomisch Marktversagen. Ein Ausweg, wäre Google zu zerschlagen, wie einstmals die „Bells“, aber da können wir bei dem momentanen politischen Klima wohl lange drauf warten. Also muss die EU tun, was sie kann, um zu verhindern, dass Google den europäischen Medienmarkt abholzt.
„Das LSR ist zu komplex für einseitige Metaphern.“
Und dann alles auf ein biologisches „Parasiten vs. Symbiose“ reduzieren.
Wer Litfaßsäulen-Vergleiche braucht, um Google News zu verstehen, der lässt sich wahrscheinlich auch noch Wikipedia Seiten von seinem Volontär ausdrucken. Texte am Monitor lesen ist ja auch schlecht für die Augen.
@20
Und wer nicht argumentieren kann, der grätscht dann einfach in den Mann.
@fr.osch: Der „Tagesspiegel“-Artikel ist wieder online.
@Stefan Niggemeier: Tatsächlich. Erstaunlich.
da weiß man wenigstens, wofür so das Studium an einer Journalisten-Schule gut war. Da lernt man gutes Formulieren, um aus dem Fakt, dass die Verlage per Lobbyismus in der Politik Google und Co. dazu zwingen wollen, deren Inhalte anzuzeigen und gleichzeitig dafür zu bezahlen, die scheinbare Tatsache zu konstruieren, die Netzgrößen wollten die Verlage nur beklauen. Alle Achtung. Da gehört schon eine gute Portion Skrupellosigkeit dazu. Oder Dummheit. Vielleicht mögen manchem Kriegsreporter die Erlebnisse auf dem Schlachtfeld mit der Zeit auch die Sinne verwirrt haben.
Dass die Vertreter der Verlage seit Jahren immer den gleichen Quatsch zum Leistungsschutzrecht verbreiten und dabei keine noch so infame Lüge auslassen, lässt sich ja noch erklären. Ich frage mich allerdings ob diese verlogenen Gesellen eigentlich noch immer nicht bemerkt haben, dass ihre Masche längst durchschaut ist.