Homöopathie-Special im „Stern“

Werbliche Infosurrogate zur Desinformation von Lesern und Patienten

Produzenten von homöopathischen Präparaten dürfen normalerweise nicht damit werben, dass sie bestimmte Wirkungen haben. Und Journalisten seriöser Medien nicht jeden Unsinn schreiben. Der Verlag Gruner+Jahr scheint eine lukrative Möglichkeit gefunden zu haben, beide Beschränkungen zu umgehen.


„Natürlich & gesund“ steht groß über einem „Homöopathie-Special“ im aktuellen „Stern“. Es ist von sanften Impulsen die Rede, die bei vielen akuten und chronischen Beschwerden wirken würden – genannt sind etwa Allergien, Blasenentzündung, Gelenkschmerzen oder „Überessen am Buffet“. Sonnenbrand und Fieber seien das klassische Einsatzgebiet homöopathischer Tollkirsche-Mittel; eine aus der Lava des isländischen Vulkans Hekla gewonnene Arznei gehöre unverzichtbar zum Spektrum orthopädischer Homöopathie. „Die Wirksamkeit der Homöopathie ist durch eine Vielzahl von Studien belegt“, heißt es in dem Text – mehr als hundert davon entsprächen höchsten Standards.

Derartige Aussagen widersprechen eklatant dem, was sonst im „Stern“ zu lesen ist. Unter der Überschrift „Ich konnte doch meine Patienten nicht betrügen“ machte das Magazin beispielsweise die Homöopathie-Aussteigerin Natalie Grams bekannt. Die Online-Redaktion wies auf den Fall eines Jungen hin, der nach offensichtlich unwirksamer homöopathischer Behandlung verstarb – oder darauf, dass „gesicherte wissenschaftliche Grundlagen und Nachweise fehlen“. Und „Stern“-Redakteurin Nicole Heißmann verfasste mit einem Kollegen das Buch „Die Homöopathie-Lüge: So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen“.

Die Ärztin Grams sagt, sie sei fast hintenüber gefallen, als sie das „Special“ im „Stern“ las. „Nicht einmal auf den Homepages der Homöopathen stehen so freche Behauptungen. Das ist eine Verkehrung der Tatsachen in ihr Gegenteil.“ Grams fordert zusammen mit anderen Gesundheits-Experten der Initiative „Münsteraner Kreis“, die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ für Ärzte zu streichen. Die Artikel im „Stern“ nennt sie einen „dreisten Lügentext“.

Medizinjournalismus der anderen Art

Ihren aktuellen Platz in der Illustrierten hat sich die Homöopathie wohl auf besondere Weise verdient – denn über den vier Seiten steht: „Verlags-Sonderveröffentlichung“. Diese ist Teil eines längeren „Extras“ zum Thema Gesundheit, das „mit eigener Aufmacherseite und individueller Optik“ daherkommt, wie es in der Werbepreisliste des Magazins heißt. Verantwortlich für den Inhalt zeichnet in einem eigenen Impressum der Verlag Gruner+Jahr. Als verantwortliche Autorin ist Sabine Lotz genannt – laut ihrer Homepage eine Medizin-Journalistin, die Stipendiatin des Wissenschaftsjournalismus-Programms der Robert-Bosch-Stiftung war und für das Gruner+Jahr-Magazin „Eltern“ Texte wie einen „Erste-Hilfe-Guide der anderen Art“ zur Homöopathie schrieb. In Sachen „Grafik, Text und Koordination“ führt das Impressum außerdem die Vermarktungstochter G+J EMS auf.

Mögliche Geldquellen für die „Sonderveröffentlichung“ sind nicht genannt. Ein Info-Kasten führt auf der vierten Seite unter anderem Links zu Seiten des Homöopathie-Herstellers DHU sowie Bücher aus dem Verlag Gräfe und Unzer auf, die zusammen mit der Krankenkasse BKK ProVita auf der folgenden Heftseite Werbeanzeigen geschaltet haben. „Sanft und ganzheitlich!“, textet die Krankenkasse, die laut der Anzeige bis zu 500 Euro Kosten für Homöopathie und Osteopathie erstattet. „Jetzt wechseln!“

Was soll der Leser glauben?

Aufgrund der „langen Hymne auf die ach so heilsame Homöopathie“ sowie der anschließenden Anzeigen müsse man davon ausgehen, dass es sich um eine werblich motivierte, bezahlte Veröffentlichung handelt, sagt Volker Lilienthal, Journalistik-Professor an der Uni Hamburg. „Heute nennt man das ‚Content-Marketing‘, früher sprach man treffender von Schleichwerbung.“

Gruner+Jahr müsse sich vorhalten lassen, „mutwillig und potenziell markenschädlich einen Widerspruch zwischen seriöser Medizin-Berichterstattung im ‚Stern‘ und mutmaßlich bezahltem Content Marketing pro Homöopathie in der Verlagsbeilage herzustellen“, sagt Lilienthal. „Der kritische Leser reagiert irritiert – was soll er noch glauben?“

Auch rechtlich tauge der beschönigende Begriff „Sonderveröffentlichung“ nicht als Ersatz für das eindeutige Wort „Anzeige“. Die relativ vielen Verlage, die dennoch damit arbeiten, müssten sich die gleichen Qualitätsmaßstäbe gefallen lassen, die auch an normalen Journalismus angelegt werden. Sein Fazit zum Homöopathie-Special: „Es handelt sich um nicht mehr als werbliche Infosurrogate, die zur Desinformation von Leser und Patienten beitragen.“

„Eindeutig gekennzeichnet“

Auf eine Anfrage nach dem Hintergrund der Veröffentlichung antwortet eine Pressesprecherin von G+J EMS nur mit einem kurzen Statement: „Es handelt sich um eine Verlags-Sonderveröffentlichung, wie sie in vielen Tageszeitungen und Magazinen hierzulande üblich ist.“ Sie gehöre nicht zum durch die Redaktion verantworteten Inhalt. Die Inhalte seien klar voneinander abgegrenzt; das Homöopathie-Special sei durch das Impressum „eindeutig gekennzeichnet“.

Für die Sonderveröffentlichung sei kein Geld von einem Kunden geflossen, sagt die Sprecherin. Warum gibt es das vierseitige „Special“ dann überhaupt? „Es ist ein Thema, das viele Leser und User bewegt.“ Sie will nicht auf die kritisierten Inhalte eingehen: Unterschiedliche Meinungen gebe es zu vielen Themen.

Unklar ist ihr zunächst, ob die Anzeigenseite zur Sonderveröffentlichung gehört, später bestreitet sie dies. Hat der Verlag den Werbekunden durch die für sie positiven Texte einen Gefallen getan, um sie zu binden? Oder haben mehr als den Listenpreis bezahlt und so das „Special“ indirekt finanziert? „Wir sagen grundsätzlich nichts zu den Geschäftsbeziehungen zu unseren Kunden.“

Linke Seite: Interview mit Homöopath, der auch für DHU Vorträge hält. Rechte Seite: Homöopathie-Anzeigen von DHU und Krankenkasse. Ausriss: „Stern“

Ein Trick, um Beschränkungen zu umgehen?

Wie auch immer der Deal genau aussieht: Für Pharmahersteller wie die DHU ist er besonders reizvoll. Sie dürften Inhalte wie jene aus der Sonderveröffentlichung selber nämlich nicht publizieren. Werbung für Arzneimittel ist gesetzlich reglementiert. Homöopathika ohne Wirknachweis und ohne echte Zulassung werden als „registrierte Arzneimittel“ auf den Markt gebracht. Den Herstellern ist in diesen Fällen die Bewerbung mit Anwendungsgebieten wie beispielsweise Allergien oder Gelenkschmerzen, wie sie in der Sonderveröffentlichung aufgeführt sind, verboten. Ähnliches geschah auch in einer Artikelserie auf „Focus Online“, die offenbar von der DHU gesponsert wurde (Übermedien berichtete). Pharmafirmen könnten dies nach Einschätzung von Lilienthal als Trick nutzen, um die gesetzlichen Beschränkungen zu umgehen.

In einem Rechtsstreit, der bis zum Bundesverfassungsgericht ging, unterlag ein Homöopathie-Hersteller auch in Bezug auf die laut Gericht nicht belegte Aussage, sein Mittel fördere die Selbstheilungskräfte. „Bei jeder homöopathischen Behandlung geht es darum, den Körper zur Selbstheilung anzuregen“, heißt es dennoch in der Sonderveröffentlichung im „Stern“ – die verwendeten Arzneimittel stellten eine „regulierende, sanfte Medizin“ dar.

Auch die Bewerbung von homöopathischen Mitteln als „natürlich“ hatte ein Gericht einem Hersteller verboten. Schon mit den Überschriften „Natürlich & gesund“ sowie „Mit der Kraft der Natur“ legt die Sonderveröffentlichung im „Stern“ ähnliches nahe, obwohl die Präparate teils auf giftigen Stoffe wie Arsen oder Quecksilber basieren oder synthetische Zusatzstoffe enthalten. Die im Impressum angegebene „Verantwortliche Autorin“ Lotz antwortete auf eine Frage von Übermedien hierzu nicht. Handelt es sich um Werbung oder einen journalistischen Text? „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

BKK ProVita wollte keine genauen Angaben über Zusammenarbeit und Finanzierung machen. Ein Sprecher der Krankenkasse sagte: „An der Abstimmung der Inhalte der Texte der Sonderveröffentlichung waren wir nicht beteiligt.“ Die DHU antwortete nicht auf Fragen.

Gesellschaftliche Verpflichtung

Gruner+Jahr legt die Messlatte hoch, was den eigenen Anspruch betrifft. „Journalismus auf höchstem Niveau“ enthalte der „Stern“, heißt es in einer Broschüre für Werbekunden. Verlagschefin Julia Jäkel hatte im vergangenen September im Interview mit dem „Handelsblatt“ erklärt, dass es große Unterschiede zwischen „oft krudem“ nutzergeneriertem Inhalt und unabhängigem, hochwertigem Journalismus gebe, der Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung liefere. Werbetreibende sollten sich überlegen, wem sie ihr Geld geben. „Wenn wir es übertreiben, dann dürfen wir uns in fünf oder zehn Jahren nicht wundern, wenn unsere gesamte Medienlandschaft eine andere geworden ist“, erklärte sie. „Die Krise der demokratischen Öffentlichkeit und das eigene Verhalten gehörten dann direkt zusammen.“ Jäkel warb für eine „Corporate Media Responsibility“: Unternehmer sollten sich für Pressefreiheit sowie unabhängige Medien und gegen „Fake News“ aussprechen. „Selbstverständlichkeiten eigentlich, im Sinne einer gesellschaftlichen Verpflichtung.“

Angesichts der Sonderveröffentlichung urteilt die Ärztin Grams: „Das konterkariert alles, was sie selber sagt.“

Nachtrag, 7. Juni. Dieselben Seiten, mit anderem Aufmacherbild, finden sich auch in der aktuellen Ausgabe der G+J-Frauenzeitschrift „Brigitte“:

Nachtrag, 12. Juni. Auch die aktuelle Ausgabe der G+J-Zeitschrift „Eltern“ enthält dasselbe „Special“ mit einem maßgeschneiderten Aufmacherbild:

Weitere Fragen zum Thema wollte G+J uns nicht beantworten. Der Verlag lehnte es ab zu sagen, inwiefern die Sonderveröffentlichung direkt oder indirekt finanziert wurde. Und er wollte keine Angaben machen, welche Standards im Verlag für derartige Veröffentlichungen gelten – ob der Presse- oder der Werbekodex maßgeblich ist.

6 Kommentare

  1. Die verlogene Moral bzw Ethik bzw vorsätzliche Unfähigkeit des real praktizierten Journalismus in Deutschland ist seit Jahrzehnten bekannt.

    Mit dem Aufkommen des Internets gab es endlich die Möglichkeit, den Flaschenhals „gewerblicher Journalismus“ zu umgehen und selbst zu veröffentlichen. Viele Mißstände wurden Journalisten mitgeteilt – und von diesen ebenso ignoriert. Selbst auf dem Silberteller überreichtes Material wurde beantwortet mit „Ich sehe die Story nicht.“

    Der Journalist sah die Story nicht. Was blieb dem Bürger anderes übrig als selbst ins WWW zu gehen und selbst zu veröffentlichen?

    In Blogs und Foren sind die Praktiken der Magazine und Zeitungen, der Redaktionen und Verlage immer und immer wieder kritisiert worden. Immer und immer wieder.

    Warum also sich jetzt auf einmal aufregen? Es is ist – und es war – doch schon alles bekannt.

  2. Wenn ich es richtig verstehe läuft das darauf hinaus das die h+ eingestellte Journalistin Sabine Lotz, an der Hauptredaktion vorbei, ein Lügenpamphlet ins Heft gebracht hat?

    Ausgehend davon was man in der Vergangenheit so über Homöopathie gelesen hat überrascht es mich nicht das es auch unter Medizinautoren ein paar verbohrte Geister gibt die an den Stuss unbedingt glauben wollen und ihn entsprechend verteidigen. Bei der Aktion werden am Ende aber so ziemlich alle verlieren.
    Das Magazin weil seine Redaktion offenbar keinerlei Kontrolle hat.
    Der Verlag weil er willfährig so Zeug platziert.
    Die Anzeigenkunden, die auf den Inhalt angeblich keinen Einfluss hatten (aber doch genau wussten wo sie ihre Anzeigen schalten mussten).
    Die Autorin die sich, gegenüber der Spiegelredaktion, damit so ziemlich ins Aus geschossen haben dürfte.
    Der Leser weil er schlecht „informiert“ wurde.

  3. Apropos Anspruch: Macht man sich bei Gruner+Jahr eigentlich Gedanken darüber, was eine boulevardeske Schrott-Sendung wie Stern TV mit dem Image der Marke ‚Stern‘ anstellt? Aber vermutlich ist sowieso alles egal und dann kann man auch ein Homöopathie-Special bringen.

  4. Eigentlich sollte ich nicht überrascht sein. Und doch bleibt mir da echt die Spucke weg.

  5. Solche werblichen und natürlich bezahlten „Sonderveröffentlichungen“ gibt es im Medizinjournalismus – in Publikums- und in Fachmedien – seit vielen Jahren, Tendenz seit Beginn der „Print-Krise“ steigend. Wie hier bezahlt wurde, ob direkt oder indirekt mit Anzeigen, unter Vermittlung einer Agentur oder nicht, ist eigentlich egal. Sehr viel mehr als das übliche Geschwätz von Verlagsmanagern wie hier von Frau Jäkel würde mich interessieren, warum sich die für die Inhalte der jeweiligem Medien verantwortlichen Chefredakteure nicht gegen so etwas wehren. Haben sie nichts mehr zu melden? Und wo sind denn die kritischen und ach so unabhängigen Redakteure von Gruner und Jahr? Warum protestieren sie nicht lautstark gegen solche Koppelgeschäfte, die der Glaubwürdigkeit der Medien schaden? Angst um den Arbeitsplatz, um Boni? Oder ist es ihnen in Wirklichkeit egal, zumal solche werbenden Pseudoinformationen ihre oft recht guten Gehälter sichern?

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.