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Dozieren über Herzensangelegenheiten

Wer ein Magazin macht, muss ein paar Dinge voraussetzen: Dass es irgendwo Menschen gibt, die gerne lesen. Die sich für das Thema des Heftes interessieren. Aber vor allem das: zu erwarten, dass ein Leser in irgendeiner Form bereit ist, eine Transferleistung zu erbringen. Denn jemandem eine Seite hinzulegen, auf der Bilder und Texte miteinander in Bezug stehen und eine Geschichte erzählen, löst erst einmal Fragen aus: Was ist das? Was bedeutet das?

Man kann das mit jedem Thema machen, von „Wölbt sich auf diesem Bild von Prinzessin Blabla ein Babybauch?“ bis zu „Ist diese Welt nicht ungerecht und grausam?“ oder „Wer bin ich?“ Also von voyeuristischer Teilnahme an fremden Leben bis zu existenziellen Fragen des eigenen, manchmal sogar alles gleichzeitig. Was nie gelingt: jemandem die Welt zu erklären, der nicht mit eigener Leistung folgen will oder kann.

Kurz: Es gibt nichts Schöneres als den eigenen glasklar geführten Gedanken oder das eigene intensive Gefühl, und nichts Schwierigeres, als jemandem zu folgen, der doziert. Deshalb arbeiten alle guten Erzähler mit einer zweiten Ebene. Sie erzählen eine konkrete Geschichte, anhand der die Empfänger eigene Gedanken und Empfindungen entwickeln.

Leider ist das nicht die Art, wie man als Erzähler anfängt. Manche kommen nie dort an. Als junger Schreiber zum Beispiel will man sich alle Gedanken selbst machen und sie so kristallklar formulieren, dass ein Leser nicht anders kann, als dem exakten Gedanken zu folgen – und danach voller Bewunderung für die Brillanz des Gegenübers bekehrt zu sein. Man kann junge Autoren zur Verzweiflung treiben, indem man sich das Recht nimmt, ihre Texte so zu verstehen, wie man will, und dabei möglicherweise auch noch feinste Nuancen zu übersehen.

Journalisten sind alle Mimosen1)Ich zitiere hier, glaube ich zumindest, Jürgen Frohner, einen ehemaligen Leiter der Deutschen Journalistenschule, den ich selbst nie getroffen habe. . Es ist ein Spaß.

Auftritt „Kater Demos – Das utopische Politikmagazin“. Der Untertitel sagt es schon2)Während der Name mir persönlich nichts sagt und ich ihn kein bisschen herleiten kann, was überhaupt nicht schlimm ist, aber: Er erinnert mich so doll an den kurzzeitigen ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Papadimos, dass ich den immer mitdenke. Was nur so halb gut ist, aber das bin tatsächlich nur ich.: Ein junges Heft von guten Menschen, die sich in der ebenfalls jungen Tradition des „Constructive Journalism“ sehen, also eines Journalismus, der nicht nur Missstände beschreiben, sondern auch Lösungen anbieten will. Und es ist eine uneingeschränkte Freude, dass es „Kater Demos“ gibt: ein liebevoll mit spürbarem Herzblut gestaltetes Heft, bei dem von 130 Seiten mangels Werbung 130 Seiten vollgepackt sind mit Herzensangelegenheiten, Ideen und Gedanken zur Welt. Allerdings ist für mich die größte Freude, dass ich hier Menschen beim Denken zusehen kann, und ich glaube, ich mag ein paar Sachen, die so gar nicht beabsichtigt waren.

Ein utopisches Politikmagazin sanfter, guter Menschen ist schon in seiner Grundanlage „preaching to the choir“, ein Blasenmagazin. Daran ist erst einmal nichts falsch. Natürlich sind hier menschenfreundliche, sich zumindest links fühlende, weltoffene Geister am Werk, und wahrscheinlich wird nie jemand, der grundsätzlich anders politisch verortet ist, die 11,90 Euro ausgeben, um von dem Heft einmal seine Überzeugungen durchschütteln zu lassen oder sich sanft zu ekeln.

Es ist auch keine echte Provokation für die eigene Klientel im Heft, insofern bleibt als Grundlage für die Existenz des Heftkonzeptes nur das wärmende Gefühl des Lagerfeuers, um das man sich versammelt, um sich zu versichern, wie richtig man liegt, und die fortlaufende Ausstattung mit Argumenten, um die eigenen Positionen weiter zu festigen und auszubauen.

Nochmal, das ist keine Kritik, sondern nur eine Feststellung. Magazine sind keine Kunstwerke, sondern durch Kunsthandwerk hergestellte Informations-Produkte, sie brauchen einen Grund zur Existenz, und es steht ein Preis drauf. Und an diesem Lagerfeuer ist „Kater Demos“ ein Wortführer, der möglicherweise ein bisschen nervt, weil er nicht aufhören kann zu reden, aber gleichzeitig ein bisschen verzaubert mit dem Enthusiasmus, mit dem er seine Sache vertritt.

Die Redaktion wählt für jede Ausgabe einen Oberbegriff, was das klassische Verhalten jeder Journalistenschulklasse ist. Die machen das alle in ihrem Übungsmagazinen. In Wahrheit ist das nur ein Trick, weil Journalistenschüler noch nicht in der Lage sind (das ist kein Vorwurf, wie denn auch), ein Heftkonzept zu machen3)Wenn man eine Journalistenschulklasse bittet, für ein Heftkonzept den Charakter eines Heftes zu entwickeln und ihm einen Namen zu geben, kommt in 84 Prozent der Fälle als Vorschlag der Name „Echt“ und als Charakter „so aufschreiben, wie es wirklich ist“..

Ein Oberthema setzt eine Leitplanke, an der sich Kreativität leichter entwickelt als im gefühlt freien Raum. Das Geheimnis dahinter ist, dass man mit ein bisschen mentalem Biegen exakt jedes Thema der Welt unter jeden Oberbegriff quetschen kann. Das Thema der aktuellen „Kater Demos“ ist „Das Fremde“, und es kommt eine Geschichte über Dörfer darin vor, die dem Kohlebergbau weichen müssen, nach dem Motto „Fremd im eigenen Dorf“. Es geht alles.

Das Bezaubernde ist der Nachdruck, mit dem Autoren hier ihre Standpunkte in den Leser drücken zu versuchen. Eine Geschichte zur Frage „Wie schauen wir Menschen derzeit auf die Zukunft“4)Die Zukunft ist uns ja noch fremd. Merkste, ne? beginnt mit den Sätzen:

Digitalisierung. Automatisierung. Klimawandel. Langsam werden es alle mitbekommen haben. Wir befinden uns derzeit in einem der größten gesellschaftlichen Umbrüche seit der industriellen Revolution.

Ein paar Seiten weiter schreibt derselbe Autor unter der in ihrer Grobheit geradezu umwerfend anmutigen Überschrift „Konservative Politik ist Quatsch“ darüber, dass angesichts der Realität einer sich ständig verändernden Welt das Bewahren als politische Strategie falsch sein muss, schließlich „stehen wir vor den größten gesellschaftlichen Umbrüchen seit der industriellen Revolution“.

Man sieht und spürt, es ist ihm ein Anliegen, dass ich das verstehe. Er will mir etwas Gutes, indem er mir das sagt, und ich nehme das kein bisschen übel. Aber es fehlt mir die zweite Ebene. Ich würde es gerne selbst erleben, anstatt es doziert zu bekommen. Es gibt das erzählerische Axiom „Show don’t tell“, und „Kater Demos“ humpelt ein bisschen mit der Bürde, dass dieselbe Begeisterung, die dafür sorgt, dass es diese Heft überhaupt gibt, einhergeht mit der Unmöglichkeit, mal eine Sekunde die eigene Meinung nicht auf einem Plakat vor sich herzutragen.

Die Themenbreite ist dabei riesig, wie gesagt, alles ist ja irgendwie irgendwann irgendwo fremd. Es gibt Geschichten über fremde Menschen, was heißen kann, sie kommen aus fernen Ländern oder fernliegenden Filter-Bubbles, über Hollywoods Umgang mit Fremdem, über sexuelle Orientierungen und über das größte Familienfest der Welt5)In Wahrheit sind wir nämlich tatsächlich alle miteinander verwandt..

Es macht an vielen Stellen Freude zu sehen, wie die Gedanken gewesen sein müssen, um dieses oder jenes Thema in Richtung des Heftes zu drehen, und manchmal ist es auf nerdige Art absurd. Beispiel, wir machen das jetzt mal selbst: Die erste große Geschichte im Heft ist ein Interview mit der tollen Ulrike Guerot zu ihrem Herzensthema „Republik Europa“. Dachzeile: Schwerpunkt Das Fremde. Headline, als Zitat: „Ey, lass mal springen“. Unterzeile:

Wir trafen Ulrike Guerot in Berlin-Mitte und sprachen mit ihr über ihre Utopie der Europäischen Republik, warum „Kevin aus Anklam“ gegen Europa ist und die AfD wählt und weshalb die europäische Linke nicht aus dem Knick kommt.

Ja, an dieser Unterzeile ist handwerklich alles falsch, aber das meine ich nicht. Unsere Aufgabe hier ist jetzt: Wie bebildern wir das? Mit einem Bild von Guerot? Interview-Situation? Europa? Das „Lass mal springen“-Zitat aus der Headline sollte irgendwie zu dem Bild passen, das ist ja so jetzt völlig unverständlich. Ist nicht so einfach, oder? Die Aufgabe wird dadurch erschwert, dass die Headline so konkret ist und die Unterzeile gar nichts erklärt, nicht einmal, wer Ulrike Guerot ist6)Mach ich jetzt hier auch nicht. Google doch!, aber es muss doch …

Okay, ich sage, wie die „Kater Demos“-Redaktion es gelöst hat. Mit einem Bild von einem Sternenhimmel. Doch! Nein, ich habe auch keine Ahnung, was das soll, es ist ein Rätsel, aber doch: ein Sternenhimmel. Das ist schon wieder lustig, oder nicht?

Ich jedenfalls habe daran Freude, denn es schafft auf wahrscheinlich unbeabsichtigte Weise das einzige, was diesem Heft wirklich und tief fehlt, wenn es die Form des Magazins ernst nehmen will: die zweite Ebene. Denn manche Gedanken und Gefühle muss man den Lesern überlassen.

Kater Demos
Kater Demos Verlag
11,90 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Ich zitiere hier, glaube ich zumindest, Jürgen Frohner, einen ehemaligen Leiter der Deutschen Journalistenschule, den ich selbst nie getroffen habe.
2 Während der Name mir persönlich nichts sagt und ich ihn kein bisschen herleiten kann, was überhaupt nicht schlimm ist, aber: Er erinnert mich so doll an den kurzzeitigen ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Papadimos, dass ich den immer mitdenke. Was nur so halb gut ist, aber das bin tatsächlich nur ich.
3 Wenn man eine Journalistenschulklasse bittet, für ein Heftkonzept den Charakter eines Heftes zu entwickeln und ihm einen Namen zu geben, kommt in 84 Prozent der Fälle als Vorschlag der Name „Echt“ und als Charakter „so aufschreiben, wie es wirklich ist“.
4 Die Zukunft ist uns ja noch fremd. Merkste, ne?
5 In Wahrheit sind wir nämlich tatsächlich alle miteinander verwandt.
6 Mach ich jetzt hier auch nicht. Google doch!

13 Kommentare

  1. Erstmal dem MP ein Super-Like dalassen, für die erquicklichen Gedanken und Gefühle beim Lesen. <3

    "Das Thema der aktuellen „Kater Demos“ ist „Das Fremde“ […] „Fremd im eigenen Dorf“ […] Die Zukunft ist uns ja noch fremd."
    Bei sowas möchte ich immer schreiend davonlaufen.
    Aaaargh!

  2. ..Sternenhimmel?
    Hallo?
    Ist doch völlig klar: das schaft die Verbindung zur Europäischen Union mit der Sternenflagge!

    *weint_leise*

  3. Es soll „Ausgabe“ heißen statt „Aufgabe“, oder?

    Das mit dem Sternenhimmel und der Flagge hab‘ ich aus sofort verstanden.

  4. Mich lässt diese „Rezension“ etwas ratlos zurück. Ich bin nicht Teil der Redaktion von Kater Demos, aber Freundin und Unterstützerin und frage mich, was ich aus der Lektüre mitnehmen soll. Von Kritik wird sich mehrfach distanziert, um dann aber im Subtext aufzuzeigen, dass die (nicht klassisch journalistisch geschulten) AutorInnen handwerklich so gut wie alles falsch machen. Das findet der Autor aber irgendwie süß. Das wirkt sehr gönnerhaft und von oben herab. Im Sinne eines konstruktivistischen Journalismus wäre es ja fast schön, wenn Michalis Pantelouris seine handwerkliche Expertise zur Verfügung stellen könnte   (Den Kommentar poste ich auch unter den Text auf der Seite)

  5. Ich habe das jetzt so verstanden, dass das keine Kritik im abwertenden Sinne sein soll, sondern einfach Tatsachen aufführt. Oder, genauer gesagt, Eindrücke, „Tatsachen“ klingt so faktisch.

    Als Leser dieser Kritik habe ich den Eindruck gewonnen, dass es im Heft nicht darum geht, Leute zu überzeugen, dass bspw. Konservative unrecht haben, sondern diejenigen Leute, die bereits davon überzeugt sind, dass Konservative Unrecht haben, zu unterstützen.

    Ja, gut, k.A., ob’s stimmt, aber das ist schon eine ziemlich harte Kritik. Vorbei die Zeiten, wo noch darüber sinniert wurde, dass der Playboy wohl eher nicht für Playboys geschrieben wird.

  6. Ich finde dieses von oben herab auch schwierig.
    „Ja, an dieser Unterzeile ist handwerklich alles falsch, aber das meine ich nicht.“
    Hier lesen ja nicht nur Leute, die selber Journalisten sind. Was ist denn genau falsch? Und sogar so falsch, dass man es gar nicht mehr benennen muss?

  7. Schön, wenn junge Menschen von der Straße wech sind- wo sie hundertpro nur Unsinn machen würden- und stattdessen machen sie son duftes Magazin für 11,90 Euro.

    Als älterer Konservativer begrüße ich das.

  8. Ich meinte übrigens konstruktiven Journalismus. Da war ich in Gedanken wohl bei der Doktorarbeit…

  9. Diese Folge hat mir überhaupt nicht gefallen. Dabei ist das gar nicht der oberlehrerhafte Stil (ich mag den, bin selber so) oder das bewusste Auslassen (mich hätten die Vorspänne auch interessiert, deshalb werd ich definitiv die aktuelle Kolumne lesen) von Kritik. Vielleicht hat einfach die Transferleistung meinerseits gefehlt – oder war es der Umstand, dass mir Herrn Pantelouris Sätze diesmal besonders lang vorkamen? Einige musste ich ungelogen dreimal lesen, um sie zu verstehen. Über Fußnote 2 grüble ich immer noch …

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