Bahnhofskiosk

Alles, was Sie immer schon über alles wissen wollten

Okay, ich hätte nicht gedacht, dass das einmal passieren würde, aber heute treffen wir auf eine fast schon mythische Art – auf etwas, dass es eigentlich gar nicht geben kann: „Hörzu Wissen“ ist nach meiner sicher ungenauen Zählung1)Da haben vor mir und zwischendurch mal Rezensenten mehrere Magazine gleichzeitig besprochen, was potenziell alles durcheinanderbringt. das 87. Magazin, das im Bahnhofskiosk besprochen wird, und es ist das erste absolut fehlerfreie2)Ich drücke ein Auge zu: Auf Seite 85 wird – Fun Fact! – behauptet, in „La Paloma“ von Hans Albers käme keine Taube vor. Das ist nicht ganz korrekt: Die allerletzte Zeile des Textes lautet: „La Paloma, adieu!“ Allerdings lautet die genaue Behauptung „In dem von Helmut Käutner geschriebenen Liedtext“ käme sie nicht vor, und den habe ich so schnell nicht im Original gefunden, vielleicht kommt da wirklich keine vor.. Das ist mal irre. Irre toll, aber auch irre merkwürdig, ich komme gleich noch drauf, wieso, aber in jedem Fall ist es ein Ausweis nüchterner Professionalität, und ich beglückwünsche das.

„Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht“ ist ein Heft über absolut alles3) Alles, was legal und jugendfrei ist jedenfalls.. Die Mischung ist kompletter Freestyle: Was ist ein Erdbeermond, Wendepunkte der Geschichte4)Goldrausch, Ende der Sowjetunion, 9/11, 1. Weltkrieg, Reformation, Jerusalem fällt, Rom wird geteilt, solche Sachen, Galapagos, Chemiewaffen, Polarforscher, die Frage, warum wir uns gerne in Horrorfilmen gruseln, Wald und Nacktmulle! Nacktmulle sind sehr, sehr toll und können übrigens keinen Krebs kriegen, just sayin’. Außerdem bauen Chinesen offenbar die Titanic als Hotel nach.

Hach, diese Chinesen, die könnte „Hörzu Wissen“ eigentlich einfach so mal erklären: Was denken sich eigentlich so Chinesen? Abgesehen von der Antwort auf diese Frage weiß ich aber jetzt, nach der Lektüre des Heftes, ziemlich genau alles, fragt mich ruhig ab.

Das Prinzip ist so einfach wie genial: „Hörzu Wissen“ kann seine Abstammung von einer Fernsehzeitschrift nicht ganz verleugnen5)Der Name verrät sie natürlich als ganz ursprünglich mal „Rundfunkzeitschrift“. Ich wünsche mir übrigens eine Fernsehzeitschrift mit dem Namen „Was guckst du?“ Das nur so nebenbei, die Fußnoten liest ja eh keiner mehr, jetzt, wo es viel zu einfach ist., und ein recht großer Teil der Geschichten ist getrieben vom aktuellen Fernsehprogramm, in dem Sinne, dass zum Beispiel die Galapagos-Reportage im Heft nicht auf den Galapagos-Inseln recherchiert wurde, sondern durch Angucken einer jetzt im Fernsehen laufenden, zweiteiligen Galapagos-Dokumentation.

Das macht die Geschichte aber nicht schlecht, die ist mindestens völlig okay, genau wie die Geschichte über den Polarforscher Frank Wild, der während der spektakulär schiefgegangenen Shackleton-Expedition mit 22 Mann monatelang auf der Eisscholle zurückblieb, während der Chef mit fünf weiteren in einem Rettungsboot Hilfe holen fuhr. Wild ist es offenbar zu verdanken, dass sie alle überlebten, und die Geschichte beruht auf einem neu erschienenen Buch, das Reinhold Messner6)Den gibt es wirklich. Wen es wahrscheinlich nicht gibt, ist der Yeti. Man kann die leicht verwechseln. Meine Theorie dazu ist, dass Reinhold Messner, der ja behauptet, einen Yeti getroffen zu haben, dieser Verwechslung aufgesessen ist und sich selbst für den Yeti gehalten hat, was total verständlich wäre. Ich meine, guckt ihn doch mal an. über ihn geschrieben hat. Und die Geschichte über den Berliner Kommissar, der die Kriminaltechnik erfunden hat, ist offenbar inspiriert von der Tatsache, dass er in der vor allem unfassbar teuer produzierten Serie „Babylon Berlin“ auftaucht.

Das sind auf der einen Seite recht einfache Mittel, mit denen eine allen Zwängen der redaktionellen Gegenwart unterworfene Redaktion den kostenintensiven Teil der Recherche outsourced an Filmemacher und Schneemenschen, aber das Ergebnis ist so sauber und professionell umgesetzt, dass man beim Lesen gerne gerade sitzen würde, um nichts unordentlich zu machen. Wenn „Hörzu Wissen“ ein Mensch wäre, dann hätte er nicht deswegen keinen Sex, weil er ein Besserwisser wäre – denn er wäre ein durchaus sympathischer, schnuckeliger Besserwisser mit einem süßen Nacktmull –, sondern aus freier Entscheidung und hygienischen Gründen. In seiner ganzen Perfektion ist das Heft auch ein bisschen harmlos, aber das muss man jetzt tatsächlich als meine ganz persönliche, von subjektiven Präferenzen geprägte Einschätzung verstehen. Ich mag es, wenn es ein bisschen kracht und stinkt, und „Hörzu Wissen“ ist mit ungeheurer Sorgfalt auf Konsumierbarkeit getrimmt. Und, wie gesagt, ich verbeuge mich davor.

Es gibt eine Stelle, die wie eine Ausnahme davon wirken könnte, wenn sie nicht auch so perfekt wäre: das Cover. Die Titelzeilen sind voll mit Triggern, die Spannung und Aufregung versprechen. Da ist die Rede von „grausam Töten“, „Katastrophen“, „Horror“, „Angst“, „Grauen“, „Terror“, „Angriff“ und „Kampfansage“ – doch, ernsthaft, alles Begriffe auf einem einzigen Titel. Aber das wohlige Schaudern bleibt sehr sauber eingepegelt auf einer sehr sicheren Seite von Faszination am Bösen. Die Geschichte über die Lust am Horror, konzepttreu aufgehängt am Filmstart von Stephen Kings „Es“, wird mit zwei potenziell gruseligen Filmbildern illustriert, aber superseriös flankiert von einem Expertengespräch und, als Zusatzbeispiel, einem Gemälde von Hieronymus Bosch.

Überhaupt sind Bildauswahl und Gestaltung genau so perfekt wie der ganze Rest: Die Bilder sind haargenau professionell schön und das Layout super-, super-, supersolide mit fein dosierten Ausflügen in kreative Gestaltung, wie in der Geschichte des Kriminalisten, die mit Blutspritzern und optischen „Stern Crime“-Elementen besprenkelt ist. Merkt man langsam, dass es mich nervt, nichts zu meckern zu haben?

Das ist natürlich halb witzig gemeint. In Wahrheit bewundere ich gleichzeitig die Leistung und merke dabei zumindest für das Protokoll an, dass „Hörzu Wissen“ in dem Wunsch, allen zu gefallen, ein ganz kleines bisschen in die Narzissten-Falle tappt: Das Heft hat keine von mir erkennbare Persönlichkeit. Mir fehlt das. Aber für Menschen, die tatsächlich einfach nur interessant unterhalten, dabei sogar noch ein bisschen gebildet werden möchten und sich für eine sehr breite Palette von Themen interessieren, ist dieses Heft nicht nur gut, sondern wirklich komplett ohne Ausschläge nach unten. Es ist wie eine Neubauwohnung: Vielleicht hat sie nicht den Charakter des von Efeu umrankten Altbaus, aber dafür funktioniert alles. Die Fenster sind super isoliert. Und im Bad ist Fußbodenheizung.

Und davon träume ich schon manchmal morgens, wenn ich barfuss auf den kalten Fließen stehe und „La Paloma“ pfeife.

Hörzu Wissen
Funke Programmzeitschriften GmbH
3,80 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Da haben vor mir und zwischendurch mal Rezensenten mehrere Magazine gleichzeitig besprochen, was potenziell alles durcheinanderbringt.
2 Ich drücke ein Auge zu: Auf Seite 85 wird – Fun Fact! – behauptet, in „La Paloma“ von Hans Albers käme keine Taube vor. Das ist nicht ganz korrekt: Die allerletzte Zeile des Textes lautet: „La Paloma, adieu!“ Allerdings lautet die genaue Behauptung „In dem von Helmut Käutner geschriebenen Liedtext“ käme sie nicht vor, und den habe ich so schnell nicht im Original gefunden, vielleicht kommt da wirklich keine vor.
3 Alles, was legal und jugendfrei ist jedenfalls.
4 Goldrausch, Ende der Sowjetunion, 9/11, 1. Weltkrieg, Reformation, Jerusalem fällt, Rom wird geteilt, solche Sachen
5 Der Name verrät sie natürlich als ganz ursprünglich mal „Rundfunkzeitschrift“. Ich wünsche mir übrigens eine Fernsehzeitschrift mit dem Namen „Was guckst du?“ Das nur so nebenbei, die Fußnoten liest ja eh keiner mehr, jetzt, wo es viel zu einfach ist.
6 Den gibt es wirklich. Wen es wahrscheinlich nicht gibt, ist der Yeti. Man kann die leicht verwechseln. Meine Theorie dazu ist, dass Reinhold Messner, der ja behauptet, einen Yeti getroffen zu haben, dieser Verwechslung aufgesessen ist und sich selbst für den Yeti gehalten hat, was total verständlich wäre. Ich meine, guckt ihn doch mal an.

9 Kommentare

  1. Wenn Sie gerne meckern:
    wenn ich den Geo-Artikel über die Shackelton-Expedition richtig in Erinnerung habe, waren die schon nicht mehr auf eine Eisscholle, sondern auf einer schmelzsicheren Felsinsel, als der Chef mit dem Rettungsboot aufbrach. Und sie waren zu dritt im Boot, iirc, nicht zu sechst. (Oder Hörzu ist richtiger als Geo…)

    Aber ich lese Fußnoten auch dann noch, wenn sie nicht mehr am Fuß stehen. Also bittebitte beibehalten. :)

  2. @Fußnote 5: Perfide Unterstellung, die ich für meine Person auf das Schärfste zurückweise. MP kann dem Gelesenwerden auch durch noch so schmutzige Formatänderungstricks keinesfalls entkommen. Basta.

  3. Bittebittebitte die Fußnoten wieder ans Ende! Sie sind wie das Dessert, das man doch auch nicht zwischen den Gängen einsprenkelt, nur weil man gerade an Mousse au Chocolat dachte!

  4. Macht doch büttebüttebütte drei Versionen:
    Eine mit den alten Fußnoten für die Traditionalisten, eine mit den neuen Fußnoten für die anderen und eine ohne Fußnoten…für mich!

    Dankedankedanke!

  5. Für mich dann bitte einmal nur die Fußnoten.

    (Man könnte auch über ein System nachdenken, bei dem man für Übermedien eine InArticle-Currency einführt, Gold-Üs beispielsweise, mittels derer man dann die einzelnen Fußnoten freischalten kann.)

  6. @ SH

    Was haben Sie denn gegen schöne Erinnerungen?
    Die jetzige Lösung ist doch super, modern (oder super-modern) und komfortabel. Man könnte fast sagen, es wäre der Fortschritt. Die Freiheit sich das Lesen des Textes zu erschweren haben Sie doch trotzdem. So können Sie erst den Text lesen, die Tooltips ignorieren und danach nochmal mühsam nach denen suchen. Zur Hilfestellung sind die ja durchnummeriert. Wenn das noch nicht schwierig genug ist, wäre es auch möglich – zumindest prinzipiell – beim Lesen einen Handstand zu machen und dabei Mousse au Chocolat zu essen. ;)

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