Über Druck

Eine Verteidigung der Titelbild-Lautmalerei

Die Titelseite der Zeitschrift „Glamour“ vom Juni zeigt ein Model mit offenem Mund und einem geblümten Oberteil, darüber der Claim „56 Sommerstart Looks“. Dann steht da noch: „Bauch, Beine, Busen … das Styling für ihre Schokoseite.“

Das Cover des Interview-Magazins „Galore“ zeigt zwölf kleine Bilder von Menschen, die man interviewt hat.

Das Magazin „Land & Meer“ zeigt einen Leuchtturm.

„Myself“ zeigt eine junge Frau, rechts neben ihrem Kopf steht „Tschüss Cellulite“.

„Yps“ zeigt einen Urzeitkrebs.

„GQ“ zeigt einen prominenten Mann in Jeans.

„Architektur & Wohnen“ zeigt einen Sessel und eine Lampe.

Das „Mountainbiking Magazin“ einen Mann auf einem Mountainbike.

So what? Stimmt, ist nicht so neu, dass der Großteil der Titel am Kiosk ziemlich einfallslos ist. Was ich aber nicht wusste: Die Redaktionen sind auch noch stolz auf diese, nun ja: Ideen. Denn alle vorab genannten Titel wurden beim Medienfachdienst „New Business“ eingereicht – für den Wettbewerb „Cover des Monats“.

Fairerweise muss man sagen, dass die Cover, die dann tatsächlich prämiert werden, deutlich besser sind: Im April gewann „Cicero“ mit einer Zeichnung von Martin Schulz als Heißluftballon (auf dem aktuellen „Stern“ ist Schulz ebenfalls ein Ballon, den Merkel platzen lässt). Den zweiten Platz belegte der „Spiegel“ mit einer Illustration, die Kim Jong Un und Donald Trump als Babies auf einer Bombe zeigt.

Trump ist weltweit seit Monaten omnipräsent auf den Titelseiten: Die Gesichtsmimik und Frisur, die er mitbringt, sind derart realsatirisch, dass sich viele Blattmacher ein Verfremden einfach sparen und Trump wahlweise mit zusammengekniffenen Augen, stocherndem Zeigefinger, mit zusammen gepressten Lippen oder schlicht schreiend auf den Titel packen.

Das irische Magazin „Village“ rückte ihn ins Fadenkreuz und schrieb dazu „Why not“*. Großer Aufschrei natürlich, obwohl es ähnliche Cover mit Osama Bin Laden zigfach gab, ohne dass es jemanden gestört hätte.

Trump ist jedenfalls ein Glücksfall für Blattmacher, allein der „Spiegel“ hat ihm von Januar 2016 an bis jetzt neun Titel gewidmet. Einmal sauste Trump als Komet auf die Welt zu, ein anderes Mal posierte er mit Machete und dem abgeschlagenen Kopf der Freiheitsstatue. Diese Illustration wurde in den USA zu einem beliebten Motiv auf den Demonstrationen der Anti-Trump-Bewegung. Die New Yorker „Daily News“ ließ Trump die Freiheitsstatue übrigens bereits im Dezember 2015 köpfen.

Während die „Washington Post“ den „Spiegel“ lobte, sah die „Süddeutsche Zeitung“ eine Grenze überschritten und den Weg in die Entgrenzung vorgezeichnet. Der Job politischer Medien bestehe darin, „den öffentlichen Diskurs zu organisieren. Sie prägen ihn, ganz gleich, welches ihre Absichten jeweils sind. Unter diesem Aspekt ist das ‚Spiegel‘-Cover verheerend“, schulmeisterte Detlef Esslinger in der SZ.

Den öffentlichen Diskurs organisieren? Klingt mehr nach einer Aufgabe für Politiker, jedenfalls nicht für Titelgrafiker.

Ähnlich miesepetrig schrieb ausgerechnet die „taz“, die sich ja viel auf ihre zuweilen originellen Titelseiten zugute hält, dass anscheinend nicht nur die Freiheitsstatue, sondern auch der „Spiegel“ den Kopf verloren habe: „Das aktuelle Schocker-Foto lässt kaum Spielraum für die Zukunft.“ Abgesehen davon, dass es ja gar kein Foto war (Trump hat nicht wirklich der Freiheitsstatue den Kopf abgeschlagen, liebe „taz“), fragt man sich, ob die „taz“ auch John Heartfield geraten hätte, seine Anti-Hitler-Plakate nicht auch erst mit Bekanntwerden des Holocaust zu veröffentlichen, anstatt mit ihnen bereits frühzeitig vor dem drohenden Unheil zu warnen.

Die SZ legte am vergangenen Wochenende einen weiteren Appell zur grafischen Appeasementpolitik nach. Selbst die schöne Coveridee des „Stern“, dem türkischen Autokraten Erdoğan den Halbmond so auf den Kopf zu montieren, dass es aussieht, als hätte er Teufelshörner, wurde als viel zu weitgehend gegeißelt. Dafür habe sich der „Stern“ für den „inoffiziellen Wettbewerb um das härteste Präsidenten-Cover“ beworben, barmte die SZ. Echt jetzt? Indem man Erdoğan mit Teufelshörnern zeigt? Ach Gottchen.

Als Konfidenten für diese Mimoserei zitiert man den ehemaligen „Spiegel“-Titel-Grafiker Rainer Wörtmann, der seine Nachfolger natürlich gern zurechtweist. Ein Cover müsse zum einen unter allen Umständen auf eine Geschichte im Blatt verweisen, weil sonst die Leser enttäuscht seien, und, noch wichtiger: „Es ist nicht die Aufgabe des ‚Spiegel‘, zu polemisieren und zu provozieren.“ Das ist insofern interessant, weil man ja bislang glauben konnte, dass Polemik und Provokation quasi zum Kerngeschäft des „Spiegel“ gehören.

Und selbst wenn man Polemik und Provokation in den Artikeln ablehnt, ist es ja gerade der Sinn eines Titels, überspitzt zu sein, zuweilen polemisch, gern provokativ, satirisch oder polarisierend. Er muss auch gar nicht zwingend auf eine Geschichte im Blatt verweisen. Kein Leser wird sich über ein gutes Titelbild beschweren, weil es keine Einszueins-Wiedergabe des Inhalts ist. Wenn eine Cover-Idee klug ist, lustig oder mutig, fragen sich die Leser, wie klug, lustig oder mutig es wohl im Heft weitergeht. So organisiert man vielleicht keinen politischen Diskurs, aber macht Lust aufs Blatt.

Allein schon um die SZ zu ärgern, würde ich als „Spiegel“-Artdirektor jetzt mal Trump mit Hitlerbärtchen zeigen.

*) Korrektur, 24. Mai. Ursprünglich hatten wir das falsch zitiert mit einem Fragezeichen: „Why not?“ Scheint eine Winzigkeit, verändert aber tatsächlich den Sinn.

2 Kommentare

  1. Die Gleichsetzung von Trump und bin Laden finde ich völlig inakzeptabel. Trump ist ein widerwärtiges, arrogantes, psychisch labiles, demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt. Der andere ist ein Massenmörder.

    Hinzu kommt, dass die Cover, die bin Laden im Fadenkreuz zeigten, selten mit der Aufforderung einhergingen, ihn zu töten. Es waren nach meiner Erinnerung eher Beschreibungen der Fahndung nach dem Motto „UBL im Fadenkreuz der USA“ oder „Hauptziel No 1 für Amerika“. Das ist ein sachlicher Bericht, keine Aufforderung, ihn zu töten.

    Im Übrigen sieht das vermutlich selbst „Village“ so. Denn die Schlagzeile ist eben nicht „Why not?“, sondern „Why not“. Es geht eben nicht darum, ob man Trump nicht töten sollte, sondern ganz im Gegenteil wird erklärt, dass und warum man ihn nicht töten sollte. Das hier hinzugedichtete Fragezeichen gibt der kurzen Überschrift einen völlig neuen Spin, der mit der Geschichte im Heft nichts zu tun hat. Der Artikel endet mit „The calculus is clearly against violence, even in the case of Trump. Stick to democracy, rigorously but applied, as necessary, stealthily and aggressively.“

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.