Bahnhofskiosk

Nicht Fisch, nicht Fleisch

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Der Kabarettist Hagen Rether ist inzwischen Veganer und mag keine Veganerwitze. Schreibt das Magazin „vegan“ und trägt damit eine Sojaeule nach Athen. Denn es gibt zwar sehr viele, aber nachweislich keinen einzigen wirklich lustigen Veganerwitz. Sehr wunderlich ist die Auswahl des Hagen-Rether-Fotos geraten: Er neigt sich in körnigem Schwarzweiß und bedrohlicher Untersicht zur Kamera und sieht überhaupt nicht lustig aus. Nicht einmal entspannt und heiter. Mit seinem schwarzen Anzug und dem zurückgeölten Schopf wirkt er eher wie ein vegetarischer Nosferatu, der sich mit Hypnoseblick über eine Blutorange beugt. (Blutorange – Veganer, verstehste, verstehste?)

Ähnlich irritierend geht es weiter: Auf der nächsten Doppelseite sieht man eine große Menge asiatischer Menschen, und viele von ihnen tragen ein Smartphone in der Hand. Es könnte sich um eine Messe handeln. In einem Textkasten erfährt man, dass Maja Prinzessin von Hohenzollern auf der „Asia Pet Fair“ in Shanghai eine geschlechterspezifische Kollektion für Hunde, Katzen Kleinnager vorstellte. Es muss sich bei der Prinzessin um die einzige Europäerin auf dem Bild handeln – eine geschlechterspezifisch rosa angezogene Dame, die sich leider im Unschärfebereich der Kamera aufhält. Das ist jetzt dumm, weil es von ihr so viele schöne Fotos gibt. Die meisten davon erschienen allerdings in der Yellow Press und hätten inhaltlich nicht gepasst.

Laut „vegan“ ist die an- und wieder abgeheiratete Hohenzollern-Prinzessin eine der international bekanntesten Tierschützerinnen und lebt mit Fix und Foffi, pardon: ihren 13 Hunden und 37 anderen Tieren zusammen. Im Volksmund nennt man das eher Hoarding als Tierschutz, und über den tierschützerischen Sinn der veganen rosa Kuschelhöhle „My Princess“ für Kleinnager (gesteppt, mit Plüschrand und silberner Kronenstickerei) könnte man noch ein paar Zeilen mehr schreiben, aber schnell weiter im Text.

kontroverse kleinschreibung

Die Leserbriefe-Seite gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die niedrige Reizschwelle der Leserschaft. Denn die Prügel, die Anton Hofreiter für ein Interview bezieht – Zitat: „weil er die Tierleichenteile isst“ – möchte man als Betroffener lieber nicht erleben. Pros und Contras erntet in Leserzuschriften die durchgehende Kleinschreibung des Magazins. Das ist nicht neu, der Kampf gegen die Majuskeln wird nicht erst seit Otl Aicher geführt. Bereits zehn Jahre nach Martin Luthers Tod erschienen dessen Tierfabeln in Kleinschrift. Textprobe? „es lieff ein hund durch ein wasser strom und hatte ein stuck fleischs ym maul.“

Auf ganzen 22 Seiten des Magazins plus Titel sieht man die junge Mutter Katharina Kuhlmann. Sie hat am 8. Oktober 2015, kurz vor Redaktionsschluss, einem gesunden Buben das Leben geschenkt, und die Bildstrecke über ihr Kinderglück muss noch im Wochenbett geschossen worden sein. Offenbar ist sie unter Veganern bekannt. Wikipedia kennt tatsächlich ihr Engagement als „bekennende Veganerin“ der „Tierrechtsorganisation PETA“. Vorher war sie „Miss Tuning“ und Präsentatorin eines Wellness Cars auf Basis eines Mercedes Benz 500SL, was mit einem Biturbo und 455 PS sicher sehr entspannend ist.

Katharina Kuhlmann klagt über die Nöte einer vegan lebenden und stillenden Mutter, deren Ernährungsgewohnheiten nicht immer auf Verständnis beim medizinischen Personal stoßen. „unglaublich, wie viel aufklärungsarbeit hier noch vor uns liegt“, sagt sie, und in ihrem Interview mit Dr. Rüdiger Dahlke, dessen esoterischer Lichtnahrungs-Background nicht erwähnt wird, darf die junge Mutter Katharina Kuhlmann die Stichworte liefern, zu denen er referiert: „die mutter muss sich bei normaler ausgewogener peace-food-kost gar nicht um spezielle nährstoffe kümmern“, und: „spätestens alle drei tage sollte sie sich eine halbe stunde sonne auf mindestens der halben körperoberfläche gönnen“.

Dann bastelt das ehemalige Playboy-Bunny (ein Lebensereignis, das in der Wikipedia seltsamerweise nicht erwähnt wird), noch weihnachtliche Salzkekse, klebt ihnen mit veganem giftfreien Mehl-Kleber Glitzersterne auf und kocht ein Weihnachtsmenü. Hatte sie einige Seiten zuvor noch geklagt, bei anderen (nicht-veganen) Müttern setze sich zum Teil das Nikotin in der abgepumpten Muttermilch ab, führt sie nun ein Glas Merlot zum Mund. Bevor es Kritik an der stillenden Mutter hagelt: Sie tut es sicher nur für das Foto und hey – locker bleiben.


Convenience-Food

Was an dem Weihnachtsmenü etwas auffällig ist, ist der unbefangene Umgang mit hochverarbeiteten Lebensmitteln und aufwändigen Verpackungsmaterialien. Da steht im Zutatenbildchen die Pappverpackung mit den Knödeln neben den Plastiksack mit den Soja-Fleischersatzfetzen (der Markenname wird für weniger visuelle Menschen im Text noch einmal erwähnt) und der Maronen-Box, davor die gefrosteten Rotkohl-Bälle und ebenfalls tiefgefrorene Rosenkohl-Rosen. Man kann der Vegan-Industrie wirklich keinen Hang zu trostlosen Öko-Verpackungen vorwerfen – das Zeug sieht aus wie lupenreines Convenience-Food, und das „Wild-Ragout“ auf Basis eines mit Aromen versetzten Sojaproteinkonzentrats könnte man sich durchaus auch auf der Raumstation ISS vorstellen.

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Überhaupt bemüht sich „vegan“ um den Look eines wissenschaftlichen Zugangs zu seinem Thema. „Das Team von Dr. Pandalis entdeckte eine heimische Queckenart mit aktivem b12“, heißt es beiläufig in der mit dekorativen Formeln bebilderten Strecke über die Süßgerste, die das Vitamin enthält. Damit soll das Vorurteil von Nicht-Veganern entkräftet werden, ein Komplettverzicht auf tierische Lebensmittel führe zu Mangelerscheinungen. Besonders dieses – für Blutbildung und Zellteilung wichtige – Vitamin kommt in Pflanzen kaum vor. Der Entdecker der Queckenart, Dr. Georgios Pandalis, ist neben seiner Forschungstätigkeit übrigens auch der Inhaber der Naturprodukte Dr. Pandalis GmbH & Co. KG, die eine „Urheimische Philosophie“ pflegt und die bio-veganen B12-Kautabletten seit Januar anbietet.

In „vegan“ geht es um einen ganzheitlichen veganen Lebensstil, der auch Mode, Kosmetik und Wellness (Vegan + Yoga = Yogan) umfasst. Eine malerische Bildstrecke über ein als Haustier gehaltenes Schwein spricht über Empathie und Mitgefühl für die Kreatur, verliert aber rasch diesen peacigen Ton, wenn es gegen die „Fleischfresser“ geht. Und die letzte Seite, die den Namen „social“ trägt, liefert schließlich für den Schlagabtausch mit den Fleischfressern in den sozialen Netzen die optimalen Konter für die gängigen Scharmützel. Das Heft ist die Papier gewordene Sexyness eines Lebens in permanenter Missionarsstellung. Was jetzt auch kein besonders guter Veganerwitz ist, aber die Wissenschaft der Veganerwitze ist in diesem Punkt noch am Anfang.

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„vegan“
148 Seiten
dez/jan 2016
Verlag: ethiconomy services



 

13 Kommentare

  1. Gibt es sowas wie „sachliche Ironie“ ? Zumindest glaube ich, diese in diesem Artikel entdeckt zu haben…und zwar reichlich. Gefällt mir sehr gut.

  2. Und am lustigsten ist doch, dass einer der beiden Herausgeber, Käse und Fleisch z.B an Edeka oder Bürgerking verdickt. Stefan Reese ist auch GF des Hamburger Käselagers. Ist wirklich wahr……

    anschrift in allen rechtlichen
    fragen und rechnungsanschrift:
    verlag
    ethiconomy services gmbh,
    hermann-wüsthof-ring 11
    21035 hamburg.
    geschäftsführer:
    stefan reese,
    christian vagedes

  3. Wie immer: Verfehlungen der Veganindustrie und Vegankultur (Nähe zu Esotherikern, Radikale Blockwarte, etc.) werden lächerlich gemacht und somit muss sich der Einzelne nicht mehr mit seinem Konsum auseinandersetzen.
    Sind ja eh alle bekloppt, die Veganer, die kann man ja nicht ernst nehmen.
    Und jetzt beiße ich mit großem Witz in meine Butorange -Ach nein, in mein blutiges Steak HAHAHA DA HABT IHRS IHR DÄMLICHEN ÖKOS! -srsly?

  4. @ Heidrun M.: Was ist aber nun die Schlussfolgerung? Dass alles was mit vegan zu tun hat Blödsinn ist, weil deren Geschäftsführer auch auf dem Fleischmarkt mitmischen?
    Ich meine klar ist es einfach auf andere zu zeigen und zu sagen: Guck mal, der verkauft vegan, stellt aber Käse her. Kann ich nicht ernst nehmen, diese Veganer, also esse ich Steak.
    Ich finde man sollte keine persönliche Konseqenz aus dem Fehlverhalten Anderer ziehen.
    Lieber mal über den eigenen Konsum nachdenken.
    Ich ernähre mich auch nicht vegan und finde diese Magazine ebenfalls total daneben (das hier ist ja in Sachen Esotherik noch ertragbar …) aber es zwingt einen ja auch niemand, den Quark zu lesen. Ebenso wie uns keiner dazu zwingt, tagealtes Hackfleisch beim Aldi zu kaufen.

  5. Ja und amen. Danke für den Beitrag.
    Dieses Magazin ist wirklich nicht sonderlich lesenswert. Dafür bedauernswert, denn es zieht manch netten veganen Einfall durch seine Scharmützel in den Dreck.

    Die armen Tiere! Und ja, sie sind arm dran. Jetzt ganz ohne Ironie. Da rütteln auch keine Blutorangenwitze dran… Aber ich sehe ein, dass es das Magazin nicht anders verdient. Es ist zu Scheisse.

  6. Ich bin weiß Gott kein Freund von missionseifrigen Veganern und für Peta habe ich nur Verachtung übrig aber nach dieser Kolumne habe ich fast das Verlangen dieses Magazin vor dem Kolumneschreiber in Schutz nehmen. Statt sich mit tatsächlich fraglichen Inhalten auseinander zu setzen, Stichwort hochverarbeitete Lebensmittel oder Hassattacken auf „Fleischfresser“, wird sich über gefrosteten Rosenkohl und in Kunststoff verpacktes Sojafleisch lustig gemacht. Und das wenn jedes Schweinesteak bei Edeka oder Real in überdimensionierten Plasteschalen verkauft wird und wahrscheinlich jeder von uns schon mal TK-Erbsen nach Hause getragen hat. Dazu noch Lästereien über vermeintlich hässliche Fotos und als Sahnehäubchen etwas slut-shaming mit der Erwähnung von Frau Kuhlmanns Auftritt im Playboy, der mit dem Thema Veganismus nun wirklich nichts zu tun hat. Mein Fazit zu diesem Artikel: Thema verfehlt! Sechs, setzen!

  7. Auch von meiner Seite: Danke für den interessanten Beitrag.

    Meiner Meinung nach sind Vegetarier ja noch zu ertragen; aber Veganer sind Leute, die von Natur und Natürlichkeit nur eine sehr verklärten Blick haben der mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

    Dieses Magazin mag nicht jedem Veganer gerecht werden, aber es spricht trotzdem Bände.

  8. Veganer haben von Natur und Natürlichkeit nur einen sehr verklärten Blick, schreibt Jense in den Kommentaren. Der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern aus Massentierhaltung ist wohl kaum natürlich, aber nur so sind die heute nachgefragten Mengen zu produzieren. Eine drastische Reduktion tierischer Produkte wäre notwendig, wenn man diese Ernährung einigermaßen natürlich praktizieren will.

    Umgekehrt gilt, dass man sich auch als Veganer von natürlichen Produkten ernähren kann, ganz ohne Convenience Food. Mache ich seit 13 Jahren so. Damals gab es das ganze vegane Fertigzeug auch noch gar nicht in dem Umfang.

    Mit Pauschalurteilen von beiden Seiten kommt man in dieser Diskussion meiner Meinung nach nicht weiter.

    Das Magazin vegan habe ich übrigens auch nach einem Probekauf nie mehr gelesen. Einfach schlecht!

  9. Was für ein billiges vegan-bashing. Und wenn sogar schon ein Playboy-Auftritt dafür herhalten muss, um irgendwie einen zweifelhaften Eindruck zu vermitteln, dann kann es ja um die Veganer nicht so schlimm bestellt sein.

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