Distanzverlust schon beim Durchblättern. Die erste aufgeschlagene Doppelseite, weit hinten im Magazin „Cut“ ist eine Illustration des Fotografen Fabian Beger, der die Baublocks von Kopenhagen aus Smørrebrød ausgeschnitten und daraus einen Stadtplan gelegt hat. Grünanlagen wie der Folkets Park oder der Assistens Friedhof sind mit Schnittlauch belegt, auf Wasserflächen wie dem Peblinge-See und dem Sortedams-See liegen Blaubeeren. Eine richtig schöne Seite. Das ist nicht von irgendwelchen Inspirationsseiten aus dem Internet gemopst, sondern für das Magazin fotografiert. So wie auch die Fotos auf den Seiten des Stadtporträts keine zusammengesuchten Stockfotos sind, sondern sehr offensichtlich von einem einzigen Fotografen gemacht sind. Nicht jeder Schuss der Bildstrecke von Severin Wohlleben ist ein Treffer, aber es ist verrückt, wie stark man inzwischen spürt, ob es einen echten Autor gab oder ob die Fotos lieblos aus billigen Stockfotos zusammengestoppelt sind.
Den zweiten Punkt holt das Magazin mit dem Text. „Cut“ ist in erster Linie ein Handarbeits- oder Bastelheft, wie man das noch nannte, bevor aus der Manufakturarbeit des Selbermachens eine Crafting-, Yarning-, Scrapbook-Industrie wurde. Was redaktionell vorgestellt wird, ist ebenfalls in Handarbeit beschrieben und nicht aus Pressemappen abgetippt. An keiner Stelle verfällt die Tonlage in diesen schmierigen „Hey, das kannst Du auch!“-Ton, und wenn der Berliner Modedesigner Hien Le vorgestellt wird, ist das eine Reportage aus der Sicht einer Eintagespraktikantin. Der Beruf wird nüchtern vorgestellt, und Erwartungen über den Glamour der Modewelt werden eher gedämpft.
Heavy Häkeln
Zwar gehen die Wortspielpferde an mehreren Stellen des Hefts mit den Autorinnen durch, aber das gehört vermutlich auch zum Programm des detailverliebten Konzepts. „Denn Häkeln ist nicht nur härrlich leicht, sondern auch optisch härvorragend“, lautet das gekalauerte Intro zum „Heavy Häkel“-Schwerpunkt. Am Layout dieser Seite kann man übrigens auch die Arbeitsweise der beiden Artdirektorinnen und Gründerinnen Lucie Heselich und Marta Olesniewicz studieren. Das große „H“ von „Häkeln“ formt sich mit einem Naturwollfaden, der auf zwölf Löcher im Papier gespannt ist, und weil das Heft einen Themenschwerpunkt „Typografie“ hat, ist mit einem winzigen Script-Font die verwendete Schriftart angezeichnet. Kleine Textiletiketten dienen im Verlauf der Seiten durchgehend der Rubrizierung, und das klingt verspielter als es ist – insgesamt ist das Layout sehr klar und aufgeräumt, obwohl in dieser Typo-Sonderausgabe einige Dutzend Schriftschnitte zum Einsatz kamen.
Überraschend in die Tiefe geht es bei einem Interview mit dem Schriftfont FF Hertz. Nicht der Entwerfer Jens Kutílek kommt zu Wort, sondern die Schrift selbst spricht darüber, wie sich durch Internet und E-Books auch die Anforderungen an eine lesbare Satzschrift geändert haben und warum die Monitore eine noch stärkere Nuancierung der Strichstärken fordern. (Der Schrift FF Hertz kann man übrigens unter @hertzfont auf Twitter folgen. Dort sieht man im Tagestakt vergrößerte Formdetails und Sonderzeichen.)
Und dann will ich endlich selbst etwas tun. Einen Sweater zu nähen traue ich mir nicht zu, außerdem kann ich die Nähmaschine, die ich vor ein paar Jahren gekauft habe, nicht einmal bedienen. Die Umhängetasche „Clap Flap“ ist wirklich schick, aber will ich wirklich das Leder einer halben Kuh kaufen und dann mittendrin beim Basteln scheitern? Prägen ginge eventuell. Dazu müsste ich allerdings Prägesets bei Dawanda bestellen, und etwas in mir sperrt sich gegen handgehämmerte Sinnsprüche auf Mäppchen. Zum Schluss laufe ich zum Drogeriemarkt und erstehe ein Knäuel Wolle und die einzige verfügbare Häkelnadel in Größe 6.
Das „Happy Häkeln Step-by-Step“ richtet sich an Anfänger, die noch nie gehäkelt haben. Ich bin also Zielgruppe. Die Anleitung ist wirklich gut bebildert und der Text ist klar geschrieben. Es dauert trotzdem eine gute Stunde, bis sich auf meiner Nadel die ersten unordentlichen Luftmaschen bilden. Außerdem ist mir wahnsinnig langweilig.
Vielleicht sollte ich nun doch das Prägeset bestellen und „Scheitern als Chance“ auf irgendetwas dengeln.
Fazit: „Cut“ ist ein solide gemachtes Bastelheft ohne den zeitgemäßen Cocooning- und Wellness-Schmus. Die Texte machen Spaß, die Gestaltung ist eine echte Augenweide und das Naturpapier des Hefts fasst man gerne an, weil es „volumig“ ist – sich also stärker anfühlt, als das Gewicht des Papieres vermuten ließe. Herausgegeben wird es vom Münchener Moser Verlag und erscheint seit 2009 zwei Mal im Jahr.
CUT Nr. 14 / 01/16
146 Seiten, 9,50 Euro
Moser Verlag, München
Der Autor
Peter Breuer ist freier Werbetexter aus Hamburg und geht für Übermedien regelmäßig zum Bahnhof, aber nicht zum Zug, sondern in den Kiosk. Dort zieht er Magazine aus den Regalen und schreibt drüber. Möglicherweise backt er demnächst auch seinen ersten Kuchen.
3 Kommentare
Ich hatte ja schon bei der Chronos-Review ein gutes Gefühl, und hier hatte Herr Breuer mich schon bei der Überschrift. Respekt. Gerade positive Rezensionen sind nach meiner Erfahrung echt schwer unterhaltsam zu schreiben, und das ist hier wieder ausgezeichnet gelungen.
Danke!
Kann mich nur anschließen.
Mochte schon den vorherigen und dieser ebenfalls ein feiner Text.
Gern mehr.
Hab übrigens bisher null Grund gehabt, mein Abo zu bereuen. Schaue immer gern und täglich beim großen Ü vorbei.
… das dann übrigens auch mein bisher einziger Grund wäre. Bisher brachte mich das Ü immer zuverlässig zum eigenen Blog. Diese Zeiten sind vorbei.
Hättet ihr euer Blog nicht wenigstens … weiß nicht, ueberverschiedenemedien.de nennen können, oder ueberziemlichvielvältigemedien.de?
Ich hatte ja schon bei der Chronos-Review ein gutes Gefühl, und hier hatte Herr Breuer mich schon bei der Überschrift. Respekt. Gerade positive Rezensionen sind nach meiner Erfahrung echt schwer unterhaltsam zu schreiben, und das ist hier wieder ausgezeichnet gelungen.
Danke!
Kann mich nur anschließen.
Mochte schon den vorherigen und dieser ebenfalls ein feiner Text.
Gern mehr.
Hab übrigens bisher null Grund gehabt, mein Abo zu bereuen. Schaue immer gern und täglich beim großen Ü vorbei.
… das dann übrigens auch mein bisher einziger Grund wäre. Bisher brachte mich das Ü immer zuverlässig zum eigenen Blog. Diese Zeiten sind vorbei.
Hättet ihr euer Blog nicht wenigstens … weiß nicht, ueberverschiedenemedien.de nennen können, oder ueberziemlichvielvältigemedien.de?