Der ehemalige SWR-Intendant Peter Voß liebt es, das politische Geschehen in Gedichtform zu kommentieren. Beim munteren Reimen gerät aber nicht nur das Versmaß bisweilen aus dem Takt.
Porträt des Dichters als junger Mann: Der damalige Südwestfunk-Intendant Peter Voß in seinem Büro. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1993. Foto: IMAGO/teutopress
Bitte fürchten Sie sich nicht: Dieser Text ist kein Gedicht. Auch wenn’s gerade noch so scheint Und sich beinah‘ sogar reimt Würd’s albern doch auf lange Sicht.
Soviel von mir. Peter Voß hingegen liebt Gedichte, und er verfasst sie auch gerne selbst. Er tat das schon, als er noch Chef des Südwestrundfunks (SWR) war. Damals ließ er seine Verse auch im Hausblatt des Senders veröffentlichen. Die FAZ nannte ihn den „dichtenden Intendanten“. Aus der Tatsache, dass Voss im Jahr 2000 einen (von ihr positiv besprochenen) Gedichtband mit dem Titel „Zwischen den Kratern“ vorlegte, schloss die Zeitung, dass er „zu den Gebildeten unter den Journalisten“ gehört. Sie veröffentlichte seine gereimten Gedanken zu aktuellen Medienthemen sogar gelegentlich in einem Kasten direkt neben der eigentlichen Berichterstattung. Die „taz“ hingegen ätzte, dass seine Gedichte Voß „regelmäßig den Spott der Branche einbringen“.
Das alles hatte ich aber schon wieder vergessen, als ich neulich zufällig auf Gedichte von Peter Voß stieß: im „Weekly“-Newsletter des Fachmagazins „Politik & Kommunikation“. Hier erscheinen seine wochenpolitischen Gedichte jeden Freitag, gefühlt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, jedenfalls ohne sichtbare Resonanz. Aber das lässt sich ja ändern. (Ob es nötig ist, ist eine andere Frage – ich komme darauf zurück.)
Notizblog
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und BILDblog. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“. In seinem Notizblog macht er Anmerkungen zu aktuellen Medienthemen. Hier können Sie alle Folgen lesen.
Von Rente und Moralpredigern
Früher hieß die Newsletter-Rubrik „Pietspolitpoesie“, inzwischen nennt sie sich „Vossische Verszeitung“. Die angestrengte Originalität des Titels steht in einem gewissen Kontrast zu der Erwartbarkeit dessen, was der Konservative Peter Voß so meint.
In einem Gedicht über Rentenpolitik zum Beispiel findet er, der einzige Ausweg aus dem Dilemma sei, dass alle mehr arbeiten. Zur „Stadtbild“-Debatte fällt ihm ein, dass wir Eingeborenen uns schon selbst darum kümmern müssten, dass unsere Städte nicht verkommen, aber die Rolle von Migration auch nicht ausklammern dürften. Und in die Kirche mag er nicht mehr gehen, seit ihm da dauernd gepredigt werde, dass er sich nicht von „Rechtem“ verführen lassen soll:
Ob’s da dem Glauben hilft, bleibt offen, wenn von der Kanzel uns betroffen ein Irgendwer mit leichtem Grollen verkündigt, wo wir bei den Wahlen (nicht) unser Kreuzchen machen sollen.
„Flüchtlingsbeichte“ ist das Gedicht doppeldeutig überschrieben, denn Voß flieht am Ende aus der Kirche in die Kneipe,
wo ich mit Kumpeln und beim Bier das Sportgeschehen diskutier.
Was holpert hier so?
Doch die Frage, was uns der Dichter sagen will, ist bei der Analyse von Gedichten womöglich der uninteressanteste Teil im Vergleich zur Form. Blenden wir uns also beispielhaft ein in das neueste Werk namens „Rentenbescheid“:
Die Rente drückt wie eine zentner- schwer aufgehäufte Last auf Rentner, wenn sie zu wenig davon kriegen. Zugleich bedrückt sie junge Leute, die sehn sich im System als Beute, auch wenn nicht alle schon kapieren, dass sie die Last einst schwer bezahlen.
Wenn Sie wie ich sind und Gedichte immer mindestens im Kopf vor sich hinsprechen müssen, wette ich, dass Sie, erstens, bei einigen Zeilen mehrere Anläufe brauchten, um einen halbwegs funktionierenden Betonungsrhythmus zu finden, und, zweitens, am „bezahlen“ verzweifeln. Keine Sorge: Im nächsten Vers endet, etwas später als erwartet, eine Zeile auf „Wahlen“. Puh.
Womöglich spricht es nicht gegen seine Gedichte, sondern nur gegen mich, dass ich mich dem Versglück nicht einfach hingebe, sondern spießig die Reime zu sortieren versuche. Beim nächsten hatte ich auf der Suche nach dem Schema sogar mit Farben die verschiedenen Paare markiert:
Da hat der Merz mal wieder was gesagt, was hochbesorgte Kritiker erregt, weil er recht locker zuzuspitzen wagt was allerdings nicht wenige bewegt –
Das Stadtbild, ach, ist oft nicht grad gepflegt, ob Ost, ob West, ob Ruhrpott, ob Berlin, was manchenorts inzwischen nur bestreitet wer gerne durch vermüllte Viertel schreitet, sich froh in Parks ergeht, die so versifft sind, wie junge Leute auf der Bank bekifft sind – womöglich fühlt er sich schon fast beglückt, wenn keiner jäh vor ihm das Messer zückt.
Alles vergebens: Nichts reimt sich auf Berlin!
Ein Alleinstellungsmerkmal unter Kolumnisten
Manchmal dagegen scheint sich Voß von seiner Reimlust fröhlich aus der Kurve tragen zu lassen. Wie in seinem Gedicht zur Diskussion, ob Prostitution illegal werden soll („Zur Gewerbeordnung“):
Bleibt dem Sexgeschäft nur der Untergrund, stößt man sich erst recht kriminell gesund, Totalverbote sind allemal im Sinn der Moral die simpelste Wahl und enden ganz unerwartet fatal.
Solange der Sex uns verführt wie der Suff, geht’s nicht ohne Kneipe und kaum ohne Puff.
Das Formulieren in Reimen verschafft Voß nicht nur ein gewisses Alleinstellungsmerkmal unter den Kolumnisten. Es erlaubt ihm auch, zu sagen, dass ihm Donald Trump auf den Sack geht, ohne sagen zu müssen, dass ihm Donald Trump auf den Sack geht:
Lang schon geht’s mir auf den Beutel: wie ist dieser Trump so eitel, so gehässig, so verlogen, nein, dem werd ich nie gewogen!
Gar nicht mal so unvergnüglich
Das Gedicht mit dem Titel „Bekenntnis“ endet mit einem durchaus differenzierten Lob für das Wirken des amerikanischen Präsidenten im Nahen Osten:
Doch wie man’s nun dreht und wendet und wie immer das mal endet, scheint ein Weg zum Frieden offen, viele Menschen dürfen hoffen – muss man ihn auch deshalb nicht einen Friedensfürsten nennen, (ach, der Preis!) will ich zwar schlicht, doch ganz offen hier bekennen:
Trump, und quasi über Nacht, hat das jetzt sehr gut gemacht!
Auch vor Kritik an seinen früheren öffentlich-rechtlichen Kollegen scheut sich Peter Voß nicht. Ein Gedicht über den Umgang mit Julia Ruhs im NDR endet bitter-sarkastisch:
Es kann zwar, mal ganz allgemein, nicht jeder wie Frau Reschke sein (so sachlich, ach, und ausgewogen), doch als Kollege sieht man ein: dem Senderfrieden kann’s nur nützen, die Meinungsfreiheit nicht zu schützen, wenn sich die Meute links formiert, damit sie nicht an Macht verliert.
Und deshalb lasst uns lieber schweigen von Senderchefs, die sich da beugen.
Ganz ehrlich: Gerade wenn man Voß‘ Polemik nicht teilt, ist es doch vergnüglicher, sie sich vorreimen zu lassen.
Wo bleibt der Tusch?
Bei manchen Gedichten ist man allerdings versucht, nach jedem Absatz einen Tusch mitzudenken. Das könnte natürlich daran liegen, dass die Tradition des (mehr oder weniger) politischen Gedichts heutzutage vor allem noch im Karneval überlebt. Andererseits liegt es vielleicht auch an den Inhalten.
Wie in einem Gedicht mit dem Titel „Konsequenz“, in dem Peter Voß sich fragt, ob man Frauen, wenn man die Sache mit der Quote zu Ende denkt, nicht häufiger einsperren müsste, damit sie nicht in Gefängnissen unterrepräsentiert sind? Und in dem er sich fast fragt, ob man sie nicht auch umbringen müsste, damit sie nicht länger leben als Männer.
Ja, wirklich:
Auch ist es schwerlich möglich zu bestreiten, dass seit geraumer Zeit in unsern Breiten die Frauen länger als die Männer leben, muss sich daran nicht auch Protest entzünden? Schon gut, da kann es keine Lösung geben, wenn man(n) nicht viele Frauen – ach, betreten weich ich zurück vorm schnöden Verbum „töten“, kaum angedacht, wirkt’s allemal nicht ethisch, so hingesagt, mein ich’s zwar theoretisch und seh ich mich dennoch in Gewissensnöten.
Weshalb ich mir den Hinweis nicht verzeihe und ihn sogleich und öffentlich bereue.
Dichterische Freiheit am Limit
Am radikalsten und waghalsigsten nutzt Voß aber die Freiheit des Dichters in einem Stück namens „Kulturelle Aneignung“, und das geht so:
Ich war mal weiß und hab mich schwarz gefärbt, die Weißheit hatte ich ja bloß geerbt, bin nun so schwarz wie manchmal mein Humor und komm mir wie der Mohr im Märchen vor, seit ich den Makel durch die Tat verlor.
War ich doch nie, wie ich hier eingesteh, so weiß wie einst dem Kind der erste Schnee und jene Schwäne und ihr Bild im See, sah eher schweinchenrosa aus und scheckig, an trüben Tagen fast kartoffelfleckig –
Und dann mein Gang, so ungelenk und eckig, mein Tanz nicht rhythmisch rund, kaum elegant genug fürs Bierzelt auf dem plattsten Land, wo ich betroffen an der Tränke stand und trotzig wie ein Kind die Lösung fand.
Was nicht besagt, dass ich nun gut zu Fuß bin, doch blick ich in das Spieglein an der Wand, geb ich mich nicht nur eitel dem Genuss hin, auch kulturell ist klar ein Plus erkennbar und vom seither gefühlten Glück untrennbar.
Ich traue mich kaum, das zu analysieren, weil gewagte Annahmen und rassistische Klischees hier so tief und unbekümmert eingeflochten sind, dass mir kaum eine erträgliche Interpretation einfällt. Nehmen wir zu Voß‘ Gunsten mal an, dass das „Ich“ hier ausnahmsweise ein lyrisches Ich ist: Dann entdeckt jemand Blackfacing als Möglichkeit, das Glück zu erleben, als Schwarzer durch die (deutsche) Welt zu laufen, mit all den Vorteilen, die das hat, kulturell und überhaupt? Ist es so anmaßend oder macht es sich über solche Anmaßung lustig?
Ist das eine Kritik an „kultureller Aneignung“ oder eine Kritik an der Kritik? Will es die (behauptete) Höherschätzung von Nicht-Weißen in manchen weißen Milieus kritisieren? Das Betrachten von Weißsein als „Makel“?
Hefte raus, Klassenarbeit!
Es gehört ja zum Reiz von Kunst, wozu man auch Gedichte zählen muss, nicht zuletzt mit einer gewissen Uneindeutigkeit zum Nachdenken anzuregen. Aber gelegentlich wünscht man sich doch, sich in manchen Gedankengängen nicht verirrt zu haben.
Wir haben also jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir machen uns alle – Hefte raus, Klassenarbeit! – daran, das Gedicht von Peter Voß gemeinsam zu interpretieren. Oder wir versuchen einfach wieder zu vergessen, dass er Woche für Woche in einem Newsletter Gedichte schreibt.
In diesem Sinne möchte ich mich für diesen Text entschuldigen.
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