Bundesverfassungsgericht stärkt die Pressefreiheit
Vor drei Jahren nahmen Polizei und Staatsanwaltschaft den kleinen Freiburger Sender Radio Dreyeckland ins Visier – bloß weil er das Archiv von „linksunten.indymedia“ verlinkt hatte. Sogar die Wohnung eines Redakteurs wurde deshalb durchsucht. Aber: War das rechtens? Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat nun eine wichtige Grenze gezogen.
Mit diesem Beschluss endet ein jahrelanger Konflikt zwischen dem Freiburger Sender Radio Dreyeckland, der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und den Gerichten der ersten Instanzen. Es ging um fragwürdige Strafverfolgung und eine simple Verlinkung in einem Online-Text, weswegen die Polizei sogar die private Wohnung eines Journalisten durchsuchte. Die Kläger:innen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalistenverbände hatten das lautstark kritisiert. Und das Bundesverfassungsgericht hat nun eine deutliche und wichtige Grenze gezogen.
Radio Dreyeckland
Das älteste Freie Radio in Deutschland sendet bereits seit 1977. Das links-alternative Radioprojekt war zunächst ein politischer Piratensender, der maßgeblich aus der Anti-AKW-Bewegung hervorging. Seit 1988 hat er eine offizielle Sendelizenz für lokalen Hörfunk. Auch prominente Journalisten wie „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle arbeiteten einst für den Sender.
Ausgangspunkt war ein Artikel des Redakteurs Fabian Kienert vom Juli 2022. Kienert berichtete dort über ein eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche frühere Betreiber:innen der verbotenen linksradikalen Plattform „linksunten.indymedia“. Diese war vom Bundesinnenministerium im August 2017 mit einem bis dahin kaum genutzten juristischen Kniff verboten worden: Die Plattform wurde nicht als Presse- oder Telemedienangebot behandelt, sondern als „Verein“ eingestuft – und damit dem wesentlich niedrigschwelligeren Vereinsrecht unterworfen.
Aufgeheizte politische Stimmung
Die Konstruktion war bemerkenswert, weil es für einen solchen Vereinscharakter weder formale Strukturen noch belastbare Hinweise gab; die angeblichen Betreiber bestritten stets, ein Verein zu sein. Das Vorgehen erlaubte dem Staat jedoch, die hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen eines Medienverbots (inklusive Abwägung der Pressefreiheit) zu umgehen. In der aufgeheizten politischen Stimmung nach den Hamburger G20-Krawallen wurde dieser Weg kaum hinterfragt – und das Verbot blieb viele Jahre lang bestehen, obwohl die Ermittlungen später vollständig eingestellt wurden.
Durchsuchung bei Radio DreyecklandFoto: Radio Dreyeckland; Unkenntlichmachung: Ü
Kienerts Text enthielt einen Link zu einem öffentlich zugänglichen Archiv der Seite „linksunten.indymedia“ – eine reine Spiegelung, die seit Jahren unverändert online steht. Für die Staatsanwaltschaft genügte dieser einfache Link für den Verdacht, Kienert unterstütze eine verbotene Vereinigung. Im Januar 2023 durchsuchte die Polizei deshalb zwei Privatwohnungen sowie die Räume des Senders und beschlagnahmte mehrere Laptops und Datenträger. Die Ermittler:innen stützten sich im Kern auf die Annahme, die verbotene Vereinigung existiere fort. Ob es dafür belastbare Anhaltspunkte gab, blieb lange unklar; die bloße Existenz des Archivs wurde aber bereits als Indiz gewertet. Dass auch andere Medien, beispielsweise die „taz“ und der „Tagesspiegel“, ebenfalls auf dasselbe Archiv verlinkt hatten, spielte in der Bewertung der Behörden keine erkennbare Rolle.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun ausdrücklich festgestellt, dass die Durchsuchung der Wohnung eines Rundfunkjournalisten einen erheblichen Eingriff in die Rundfunkfreiheit darstellt und nur auf Grundlage belastbarer Tatsachen zulässig wäre. Auch wurde erstmals klar benannt, dass Durchsuchungen auch dann in die Rundfunkfreiheit eingreifen können, wenn die Privatwohnung eines Journalisten betroffen ist – vor allem dann, wenn dort Arbeitsmaterial aufbewahrt wird.
Die im Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe enthaltenen Hinweise seien lediglich „vage Anhaltspunkte“ gewesen, die für eine Durchsuchung nicht ausreichten, heißt es in der Entscheidung. Insbesondere sei nicht ersichtlich gewesen, dass die verbotene Vereinigung überhaupt noch existiert habe, als der Artikel erschien. Die Frage, ob es überhaupt schon als strafbare Unterstützung gelten kann, wenn man einen Link zu einem Archiv setzt, beantwortete das Gericht leider nicht mehr. Allerdings war Kienert bereits im Juni 2024 vom Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen Vereinigung freigesprochen worden; auch ein Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Betreiber der Archivseite wurde im Mai 2025 eingestellt.
Der Versuch der Ermittler, aus einem Hyperlink eine Straftat abzuleiten, hätte – wäre er erfolgreich gewesen – tief in den redaktionellen Alltag eingegriffen. Journalistisches Arbeiten im digitalen Raum beruht auf Kontextualisierung, und dazu gehört regelmäßig auch das Verlinken problematischer, radikaler oder sogar strafrechtlich relevanter Inhalte. Eine Kriminalisierung solcher Verweise hätte die Berichterstattung über extremistische Milieus erheblich erschwert. Mit diesem Ansatz ist die Staatsanwaltschaft nun nach mehreren Jahren – und auf Kosten der Allgemeinheit – auf ganzer Linie gescheitert. Die bloße Verlinkung auf eine statische Archivseite reicht eben nicht aus, um eine weiterhin bestehende Organisation zu konstruieren. Dass dies im Jahr 2025 von Deutschlands höchstem Gericht betont werden muss, wirkt rückblickend ernüchternd.
„Nachhilfe in Grundrechten“
Mit dem Beschluss korrigiert das Bundesverfassungsgericht zugleich Entscheidungen des Amtsgerichts Karlsruhe und des Oberlandesgerichts Stuttgart, die die Ermittlungen bis zuletzt gestützt hatten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Verfassungsbeschwerde unterstützte, bewertet das Urteil als „dringend nötige Nachhilfe in Grundrechten“ für Staatsanwaltschaft und untere Instanzen. Es sei „ein wichtiges Signal gegen leichtfertige Eingriffe in Redaktionen“, so GFF-Verfahrenskoordinator David Werdermann. Polizei und Staatsanwaltschaft dürften sich nicht auf Verdachtsbilder stützen, wenn Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis berührt seien.
Kienerts Rechtsanwältin Angela Furmaniak spricht von einer Entscheidung, die das „verfassungsrechtlich unzureichende Verständnis der Strafprozessordnung“ der Vorinstanzen zurechtrücke: „Die Entscheidung stärkt die Pressefreiheit, sie ist ein deutliches Signal an die Ermittlungsbehörden“, sagt Furmaniak im Gespräch mit Übermedien. „Auch im Fall von Strafverfahren gegen Journalistinnen ist der hohe Wert der Presse- und Rundfunkfreiheit zu beachten. Hausdurchsuchungen und sonstige Zwangsmaßnahmen gegen Journalist:innen müssen immer an der Bedeutung des Artikels 5 Grundgesetz gemessen werden. Leichtfertige Durchsuchungen sind unzulässig.“
Häusliche Arbeitsplätze geschützt
Das Urteil macht auch deutlich, dass die Eingriffsbefugnisse der Ermittler nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Sobald journalistische Arbeitsmittel betroffen sind, greifen die Anforderungen der Rundfunk- und Pressefreiheit als eigenständige Schutzschicht. Das Gericht formuliert es ungewöhnlich klar: Die Pressefreiheit schütze „auch diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten“, ohne die Medien ihre Funktion nicht erfüllen könnten. Dazu gehöre zwingend, die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit zu schützen. Häusliche Arbeitsplätze stellten ein „funktionales Äquivalent“ dar – in Zeiten zunehmender „Homeoffice“-Tätigkeit eine wichtige Feststellung.
Für Fabian Kienert bedeutet die Entscheidung eine späte Rehabilitierung. Die Durchsuchung habe seine Privatsphäre und das Redaktionsgeheimnis „mit Füßen getreten“, sagt er in einer Stellungnahme. Er hoffe, dass der Beschluss dazu beitrage, dass Staatsanwaltschaften und Polizei „weniger leichtfertig“ mit Grundrechten umgehen.
Der Fall zeigt, wie schnell journalistische Arbeit zur Zielscheibe strafprozessualer Maßnahmen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat nun betont, dass vage Vermutungen nicht genügen – und dass Presse- und Rundfunkfreiheit kein nachrangiges Abwägungsgut, sondern zentraler Bestandteil der demokratischen Öffentlichkeit sind. Ob diese Klarheit künftig auch in der Praxis der Ermittlungsbehörden ankommt, wird sich erst noch zeigen müssen.
Andrej Reisin ist freier Journalist, derzeit vor allem als Chef vom Dienst für „funk“, das junge Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Daneben ist er u.a. für Übermedien, „Medium Magazin“ und „11 Freunde“ tätig, zuvor lange für den NDR („Tagesschau“, „Panorama“, „Zapp“). Er gewann zusammen mit der Redaktion den Grimme-Preis für die „Panorama“-Berichterstattung zum Hamburger G20-Gipfel.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Turnstile. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
No comment?
Um kommentieren zu können, müssen Sie Übonnent sein.