Hasswort (57)

Brandmauer

Eine faule und falsche Metapher, die nun auch noch von der anderen Seite instrumentalisiert wird: Warum der Begriff „Brandmauer“ beispielhaft für die fehlende Strategie gegen die AfD steht.

Der Tag, an dem sich die „Brandmauer“ für mich als politische Metapher erledigte, war der 5. Februar 2020. Ich saß als Reporter im Erfurter Landtag und hörte zu, wie Thomas Kemmerich schwor, seine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen, Verfassung und Gesetze zu wahren sowie Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben.

Von diesem Moment an amtierte er für kurze Zeit als neuer FDP-Ministerpräsident Thüringens, mit besten Grüßen von der AfD. Nur dank ihrer Stimmen hatte er die Mehrheit bekommen. Sozialdemokraten, Grüne und Linke sowie eine gewisse CDU-Politikerin namens Annegret Kramp-Karrenbauer waren sich in ihrer Analyse einig: Die Brandmauer war zerborsten.

Der gerade von dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gesalbte Regent wollte dies freilich völlig anders betrachtet haben. „Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke“, sagte Kemmerich. „Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen.“

Ein Wort, viele Interpretationen

Und damit bin ich beim ersten der drei Probleme der „Brandmauer“: der Begriffsdefinition. Während die Zielbeschreibung – die AfD von der Macht fernzuhalten – noch einigermaßen klar umrissen erscheint, existiert kein einheitliches Verständnis der Funktionsweise. Stattdessen gibt es mindestens so viele Interpretationen wie Parteien.

Geht es zum Beispiel nach CDU und FDP, können die beiden Parteien im Thüringer Landtag mal eben an der „Brandmauer“ vorbei mit der AfD eine Steuer senken. Oder sie beschließen im Bundestag gemeinsam einen Migrationsantrag. Solange man in der Opposition sitzt, scheint die „Brandmauer“ eher eine halboffene Angelegenheit zu sein. Der Sozialdemokrat Rolf Mützenich sah hingegen durch den gemeinsamen Migrationsbeschluss von Union und Liberalen „das Tor zur Hölle“ geöffnet.

Das zweite Problem mit der „Brandmauer“ ist ein semantisches: Das Bild passte nie. Eine reale Brandmauer schützt ein Gebäude oder auch nur einen bestimmten Gebäudeteil vor dem Übergreifen eines bereits in der Nachbarschaft lodernden Feuers. Die anderen Teile oder Häuser drumherum brennen im Zweifelsfall ab. Ist also die „Brandmauer“ die demokratietheoretische Abwandlung des Sankt-Florians-Prinzips? Verschon‘ mein Haus, zünd‘ andre an?

Wie untauglich die Metapher ist, zeigte sich schon nach der Kemmerich-Wahl. Während die einen vom „Einsturz“ der „Brandmauer“ redeten, empörten sich andere über einen „Dammbruch“. Für sie war die AfD nicht ein Feuer, das die Demokratie verbrennt, sondern Wasser, das sie ertränkt. Oder so ähnlich.

Auch die AfD wollte eine „Brandmauer“

Das dritte Problem des Begriffs ist systematisch. Denn es gab schon eine behauptete „Brandmauer“: gegen die Linke, als sie noch PDS hieß, also eine Partei, die sich seit 1990 schrittweise ins demokratische System integrierte. Die AfD geht jedoch den umgekehrten Weg – und dies, obwohl sie selbst intern eine „Brandmauer“ beschwor. „Extremismus ist mit uns nicht machbar“, sagte 2019 Parteichef Jörg Meuthen. „Wir brauchen diese Brandmauer nach Rechtsaußen.“

Wir wissen, wie diese „Brandmauer“ endete. Meuthens Nachfolgerin Alice Weidel hat die Bedeutung inzwischen einfach umgedreht. Sie definiert die „Brandmauer“ als Machtinstrument der herrschenden Klasse, um die angeblich einzig wahre Oppositionspartei zu entrechten. „Die Brandmauer muss weg“, lautet eine ihrer zentralen Parolen.

Das Framing wirkt bei der eigenen Klientel auch deshalb, weil Weidel bloß auf die jüngsten Nachrichten verweisen muss. Dass im Bundestag kein Vizepräsident der AfD gewählt wurde, dass die Partei keinen der ihr zustehenden Ausschusschefposten erhält und dass sie sich als zweitgrößte Fraktion in den drittgrößten Saal zwängen muss: All das bestärkt die gängige Opfererzählung eines angeblichen Parteienkartells, das zehn Millionen Wählerinnen und Wähler ausgrenzt.

Begriff steht für fehlende Strategie

Vielleicht ist nicht nur der Begriff „Brandmauer“ falsch gewählt. Es gibt auch bislang keinerlei kohärente Strategie um Umgang mit der AfD. Als Journalist begleite ich die Partei seit zwölf Jahren. In dieser Zeit wurde aus einem rechtspopulistischen, reaktionären und revisionistischen Chaosverein mit radikalen Einsprengseln eine machtvolle, wirkmächtige und ja: vorwiegend rechtsextreme Organisation. Doch die Abwehrversuche der Mitte blieben über all die Zeit unkoordiniert und hilflos. Sie reichten vom Klein- oder Großreden der Partei über das Vereinnahmen oder Stigmatisieren der Wählerschaft bis zur widerwilligen Teilintegration oder der kompletten Ausgrenzung von Parlamentsfraktionen.

Das bundesrepublikanische System zeigte sich von seinen Gegnern überfordert. Ich beobachtete, wie Ausschussvorsitzende im Bundestag gewählt oder wieder abgewählt worden, wie ein linker Ministerpräsident einen AfD-Vizelandtagspräsidenten mit ins Amt hob, wie es – mal geplant, mal nicht – zu wechselnden Mehrheiten kam, wie Geschäftsordnungen geändert und die Verfassungsgerichte angerufen wurden. Ich sah, wie Wahlen immer wieder wiederholt wurden, für Posten, die der AfD formal zustanden. Als Revanche verhinderte die AfD in Thüringen Richterwahlen, indem sie die Wahl der notwendigen Ausschüsse blockierte.

Wir sollten besser von einer Linie sprechen

Und jedes Mal wurde von der jeweils interessierten Seite die „Brandmauer“ bemüht. Dabei gibt es, wenn es denn eine Metapher sein soll, weder eine Mauer noch einen Damm zu verteidigen, sondern eine Linie. Davor befindet sich die liberale Demokratie. Dahinter beginnt nicht unbedingt der Faschismus, aber sehr wohl die Autokratie.

Die Erfahrung aus der eigenen Geschichte und von vielen anderen Ländern besagt: Um diese Linie zu halten, dürfen extreme und autoritäre Kräfte keine Gestaltungsmacht erhalten. Das bedeutet: keine Koalition, keine aktive Zusammenarbeit, keine wissentlich herbeigeführten Mehrheiten.

Aber es bedeutet ausdrücklich nicht: demokratische Regeln beugen, sich hinter den Gutachten eines Nachrichtendienstes verstecken oder erratische Verbotsdebatten führen. Denn dies alles nützt nur jenen, die damit bekämpft werden sollen. Und schwächt die Demokratie.

3 Kommentare

  1. Moin,
    danke fürs Diskutieren es des Begriffs! Konkreter zu werden, scheint Text, Interview und auch die Strategieüberlegungen interessanter zu machen.

    Bei den „erratischen Verbotsdebatten“ hinkt mein Verständnis hinterher. Neben dem sprechen von Linien, sollten wir sicherlich darüber diskutieren wie mit dem gebotenen Verbot umzugehen ist.

    Sarah Bosetti erklärt hier übrigens „Nazis“ warum es ein AfD Verbot braucht:
    https://mastodon.social/@sarahbosetti/114708555527585899 Und zeigt damit fast, dass die Sprache der AfD Anhänger manchmal präziser geeignet ist, als bröselige „Brandmauern“ – sie kommt ohne aus.

  2. Die AfD abgesehen von Regierungsbeteiligungen gleich zu behandeln ist naiv und gefährlich! AfD inszeniert sich als Opfer völlig unabhängig von jeglicher Realität.

    Dazu gab es ja auch hier bei Übermedien genug Beiträge.

    Faschisten haben kein Recht auf Ämter, Bühnen oder staatliche Finanzierung.

  3. „Ist also die „Brandmauer“ die demokratietheoretische Abwandlung des Sankt-Florians-Prinzips? Verschon‘ mein Haus, zünd‘ andre an?“
    Der „Brand“ in der Metapher wären AfD-Ideen, die nicht auf andere Parteien übergreifen soll(t)en. Die Mauer ist dann eine Mauer in den Köpfen.
    Es ginge also nicht darum, „andere anzuzünden“, sondern um den Schaden zu begrenzen.
    Ist jetzt trotzdem keine gute Metapher, weil es ja darum gehen müsste, den „Brand“ nicht nur nicht zu entfachen oder immerhin einzu“dämmen“, sondern zu löschen.

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