Notizblog (35)

Das „Stern“ verblasst

In den vergangenen Jahren wurde der einst markante Schriftzug auf dem Cover des Magazins „Stern“ immer transparenter – bis er irgendwann gar nicht mehr da war. Was haben sich die Gestalter dabei nur gedacht?

Sie haben jetzt beim „Stern“ das Wort „Stern“ auf dem Cover erfolgreich ausgeschlichen.

Ich stelle mir das so vor, dass die Leute, die für die Gestaltung der Illustrierten zuständig sind, auf den markanten Schriftzug oben auf der Titelseite jede Woche ähnlich entnervt geblickt haben wie ein chronischer Patient auf seine Dose mit den Tabletten – mit derselben Frage: Können wir darauf nicht langsam mal verzichten?

Aber weil es sein kann, dass es eine lebenserhaltende Maßnahme für eine Zeitschrift ist, wenn ihr Name außen groß auf ihr zu lesen ist, haben sich diese Leute dann nicht getraut, das Wort „Stern“ einfach abrupt wegzulassen, und stattdessen einen langwierigen Ausschleichprozess begonnen. Seit Jahren lassen sie den Schriftzug immer blasser und durchsichtiger werden. In vielen Wochen war da nur noch ein Hauch von „Stern“.

Manchmal wirkte es wie einer dieser Tests für die Augen, nach dem Motto: Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie hier das Wort „Stern“ lesen können, ist ihr Sehvermögen noch gut. Belohnen Sie sich dafür doch gern mit dem Kauf dieser Illustrierten.

Aber zuletzt war da immer häufiger nicht einmal mehr eine vage Ahnung eines Schriftzugs, sondern: nichts.

Jahrzehntelange Tradition

Den „Stern“ gibt es seit 1948. Seit Herbst 1959 erscheint er mit dem weißem Sechszack auf rotem Rechteck in der linken oberen Ecke und dem Schriftzug „stern“ daneben.

"Stern"-Cover mit Romy Schneider und Curd Jürgens

Die Wortmarke wurde in den Jahrzehnten danach ein paar Mal leicht modernisiert, aber im Grunde kaum verändert. Der Schriftzug war mal weiß, mal schwarz, und fast immer mit größtem Kontrast zu dem Titelbild, das von ihm überdeckt wurde.

Ab Mitte der 60er Jahre rückte er immer wieder mal nach hinten, so dass Teile des Schriftzugs hinter Köpfen oder anderen Bild-Elementen verschwanden. Es war kein Schriftzug, der immer darauf beharrte, im Vordergrund zu sein, er machte Platz, wenn es nötig war, aber er war massiv und selbstbewusst.

"Stern"-Cover mit Boris Becker und Prince Charles

Mitte 2019 begann er zu verblassen. Zunächst nur gelegentlich, wie hier in Heft 28/2019 über einer überraschend nahen Kuh.

"Stern"-Cover mit Kuh und transparentem Schriftzug

Vor allem bei Reiseheften nahm er sich anfangs zurück, egal ob es nach Griechenland ging oder nach Kanada.

Ende 2019, in Heft 48, erschien er zum letzten Mal in massivem Schwarz.

Transparenz-Offensive

Seitdem spielten die Titeldesigner mit unterschiedlichen Formen von Durchsichtigkeit und Unsichtbarkeit:

Sie schienen viel Ehrgeiz darauf zu verwenden, Farbkombinationen zwischen kaum erkennbaren Nuancen von Eierschalenbeige und Taubenkotgrau zu finden:

Manchmal lugten hinter den Köpfen noch einzelne blasse Buchstaben durch:

Manchmal nicht mehr.

"Stern"-Cover mit Salman Rushdie und Donald Trump, ohne "Stern"-Schriftzug

Gelegentlich konnte man sich immerhin vorstellen, dass der Schriftzug theoretisch noch da war, nur halt überdeckt von irgendwelchen Flaschen.

"Stern"-Cover mit Bierkasten und Gerhard Schröder

Es hatte etwas Spielerisches, aber es wirkte auch so, als hätten die Designer umso mehr Freude, je weniger „Stern“ auf dem „Stern“ stand.

Und jetzt sind schon drei Hefte in Folge ohne Schriftzug erschienen. Es scheint endgültig.

Der Chefredakteur äußert sich öffentlich nicht

Warum macht der „Stern“ das? Welchen Sinn hat es, den eigenen Namen nicht mehr aufs Cover zu schreiben? Hält man das rote Logo für so markant, dass sich jedes Ausbuchstabieren erübrigt? Dafür spricht, dass der „Stern“ seit kurzem auch online auf das Wort „Stern“ im Seitenkopf verzichtet und dort nur das Logo etwas verloren herumstehen lässt.

Fragt man „Stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz, was hinter dem Ausschleichen des Logos steht, bekommt man nur eine leicht beleidigt klingende Antwort, die man nicht zitieren darf. Es scheint ein Politikum zu sein. Oder eine Geheimsache.

Das aktuelle Cover ist das Rätselhafteste. Es nutzt die Fläche, an der früher der „Stern“-Schriftzug stand, nicht als zu gestaltenden Raum, sondern lässt sie frei. Himmel! Es sieht fast aus, als sei das nicht der neue „Stern“, sondern die aktuelle Ausgabe der „Wien“.

"Stern"-Cover WIEN

Und ich habe plötzlich den schrecklichen Verdacht, dass nach den Jahren des Ausschleichens nun bald ein neuer Schriftzug an dieser Stelle eingeschlichen werden könnte, der die neuen Macht- und Besitzverhältnisse beim „Stern“ sichtbar macht:

„Stern“-Cover mit RTL-Logo
Fotomontage: Ü

9 Kommentare

  1. „Fragt man „Stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz, … bekommt man nur eine leicht beleidigt klingende Antwort, die man nicht zitieren darf.“
    Jetzt macht mein Kopfkino Überstunden. Made my day!

  2. Diese Entscheidung finde ich im Hinterkopf damit, dass das Medium nunmal stern heißt, und zwar nicht nur im Print, sondern auch online stern.de oder in den sozialen Medien, durchaus mutig. Wenn man zunehmend darauf verzichtet, wird ja auch die Auffindbarkeit irgendwann schwieriger. Klar, der stern ist bekannt, aber in so schnelllebigen Zeiten wie heute sollte man so etwas nicht unterschätzen. Zumal die Stelle des Schriftzuges, wie bei der aktuellen Ausgabe, einfach freizulassen, dann doch eher wie ein Versehen aussieht.

    Gerade im Hinblick auf die zunehmenden Kooperationen zwischen stern und RTL halte ich es aber für durchaus möglich, dass das stark damit zu tun haben könnte. Inwiefern der Verzicht auf das Wort stern dabei aber hilft – ich bleibe gespannt.

  3. Alleine schon wegen eines Satzes wie dem mit den Flaschen bin ich Niggi Fanboy und Übermedien Abonennt.

  4. Der Weg von einem Schriftzug zu einem echten Logo. Finde ich nur modern. Sowas gibts doch auch im Fernsehen. Ich denke da an das Programm der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“, wo auch nur eine eingekringelte 1 oben in der Ecke eingeblendet wird. ;-) Der Schriftzug wäre auch etwas sperrig …

  5. Wenn Wort- und Bildmarke „stern“ aussagen, kann man auf eine verzichten. Dann muss man seine Titelflasche auch nicht in die Wortmarke des Hefts einhäkeln, wobei keiner von beiden jemals gut aussieht.

  6. Laut E-Paper wird der nächste Stern wieder „stern“ draufstehen haben, und das zum ersten mal seit Langem sogar nicht transparent, sondern massiv, wenn auch teilweise von einem Kopf verdeckt.

    In der Sache: mir scheint, dass man bei RTL, wie auch in vielen anderen Unternehmen, die eigene Bedeutung überschätzt. Ein Logo, das nicht gelesen werden muss, sondern auf Anhieb erkannt wird, ist aus Marketingsicht das Optimum: Der Nike-Woosh. Der Mercedes-Stern. Raider wurde als Twix wiedererkannt, weil der Schriftzug nur ein Element in der Gestaltung ist, neben anderen. ProSieben wird sofort am Logo erkannt, ohne dass die „7“ schriftlich aufgelöst werden muss. Es kann funktionieren, wenn man es schafft, dem Logo auch eine emotionale Bedeutung zu geben.

    Wenn man aber die Kraft des Logos (oder des Corporate Identity allgemein) aber überschätzt, so dass die Marke gar nicht mehr erkannt wird, erreicht man das Gegenteil. Der „stern“ hatte vor fünfzig, vierzig, vermutlich auch noch vor dreißig Jahren (als ich vermutlich das letzte Mal ein Heft in der Hand hatte) noch eine Relevanz, die er heute längst nicht mehr hat. Ich wüsste auch gar nicht, wofür der stern heute eigentlich steht. Im Bertelsmann-Konzern, wo nur noch nach Synergien zwischen seinen Inhaltefabriken gesucht wird, und die kulturelle, emotionale Ebene, mit der Medienmarken notwendigerweise verbunden sein müssen, um relevant zu sein, völlig ignoriert, vermutlich auch nicht. Der Verzicht auf den Schriftzug erscheint vor diesem Hintergrund nicht aus ein Ausdruck von Stärke, sondern als eine Simulation davon, die die tatsächliche Schwäche kompensieren soll.

  7. Sie spielen übrigens weiter mit dem Schriftzug. Nachdem die Helfe 15, 16 und 17 dieses Jahr das Logo ganz wegließen, war es in Heft 18 wieder in massivem Weiß auf Schwarz, in den Heften 19 und 20 dann in Schwarz auf dunklem Hintergrund und größtenteils verdeckt.

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