Notizblog (34)

Kein Lerneffekt: „Bild“ hält unzulässigen Suizid-Bericht für „mustergültig“

Ein Mann nimmt sich offenbar das Leben und „Bild“ berichtet darüber mit vielen Details. Nach Beschwerden lobt sich das Blatt gegenüber dem Presserat selbst. Doch der Presserat rätselt über die Argumentation des Axel-Springer-Verlags – und zeigt sich verblüffend verblüfft.
Exklusiv für Übonnenten

Die Entscheidungen des Presserates sind keine Dokumente der Leidenschaft. Nüchtern und bürokratisch listen sie Argumente und Positionen auf. Das Höchste der Gefühle, das die Beschwerdeausschüsse sich in ihren Berichten erlauben, ist ein Erstaunen darüber, was Medien veröffentlicht oder wie sie die Veröffentlichung gerechtfertigt haben.

Weißer Schriftzug der „Bild“-Zeitung auf schwarzem Hintergrund
Logo: „Bild“ / Montage: Übermedien

Die Rüge, die der Presserat am 3. Dezember 2024 gegen die „Bild“-Zeitung aussprach, ist ein solcher seltener Fall, und man kann die Verblüffung, die das Gremium in seiner Entscheidung ausdrückt, leicht als Fassungslosigkeit interpretieren.

Am 5. August 2024 berichtet „Bild“ über den mutmaßlichen Suizid eines Managers. „An dieser Eiche endete ein Streit ums Sorgerecht“, titelt das Blatt. „Bild“ zeigt das Foto von der Stelle, wo der Mann mit seinem Auto gegen einen Baum gerast ist, und darin eingeklinkt ein Portraitbild des Mannes. Seinen Nachnamen kürzt „Bild“ ab, nennt aber Vornamen, Alter, Arbeitgeber, Wohnort: Er ist für alle, die ihn kennen, sofort zu erkennen und für alle anderen extrem leicht zu identifizieren.

„Tragisch“: Suizid-Bericht als Abo-Werbung

„Bild“-Redakteurin Lena Zander nennt in ihrem Artikel Ort und Straße, wo es passierte, zitiert aus einer „letzten Nachricht“, die der Mann an Freunde und Bekannte verschickt hatte, und schildert ausführlich die Anschuldigungen, denen er sich ausgesetzt gesehen habe: Seine Ehefrau soll ihm den sexuellen Missbrauch seines Kindes vorgeworfen haben – zu Unrecht, wie „Bild“ nahelegt. Zu einem Gerichtsurteil kam es nicht mehr.

Vor der Payw…

5 Kommentare

  1. Danke, Herr Niggemeier, dass Sie dranbleiben! So wird zumindest das Muster hinter der abstoßenden Bild-Berichterstattung deutlicher sichtbar und belegt.

    Konsequenzen müssten andere ziehen. Ich frage mich, ob es dazu Untersuchungen gibt – also ob Menschen welche Bild kaufen, dass unterlassen, wenn sie von solchem Fehlverhalten erfahren.

  2. @1:
    „Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“
    Die Zielgruppe kauft sich das ja nicht, um den Horizont zu erweitern, sondern um ihn mit Stacheldraht abzustecken. Bis hierhin und nicht weiter!

    Die „Wir helfen!“ Kampagne 2015 war lt. Döpfner der größte finanzielle Reinfall für Friedes Medienimperium. Kognitive Dissonanzen mag der Bildkunde nicht; der Ausländer hat da die designierte Rolle zu spielen. Wenn nicht, wird was compacteres gekauft, da steht dann das drin, was man hören will und nachplappern kann.

    Man darf halt nicht vergessen:
    – Die AfD Wähler wandern von der DU / SU / FDP ab. Die wählen den, der ihnen sagt, was sie hören wollen („Der Ausländer ist Schuld.“ in verschiedenen Geschmacksrichtungen). Die AfD speist sich aus „enttäuschten Konservativen“, die aber m. E. eher nicht an Konservierung interessiert sind. Aber mit Aufrichtigkeit haben die es eh nicht so.
    – Kramp-Karrenbauer ist aus dem Christenverein ausgetreten, als dieser die unmenschliche Politik der Unionsparteien kritisierte. Nicht aus der CDU. Die Message spricht doch für sich.

    Vielleicht stimmt es ja wirklich, dass linksgrün Ideologen sind und rechtsbraun dann folgerichtig halt Opportunisten, die ihr Fähnchen in den Wind hängen.
    Wie sagte Pispers noch sinngemäß „Die CDU kann nicht umfallen, die haben ja noch nie für etwas gestanden.“

  3. Ich könnte mir vorstellen, dass das Motiv hinter diesem Artikel die Propaganda von sogenannten Väterrechtlern ist. Denen geht es unter anderem darum, Mütter zu diskreditieren und zu unterstellen, Gewalt- und/oder Missbrauchsvorwürfe gegen den Vater würden erfunden, um sich bei Sorgerechtsstreitigkeiten Vorteile zu verschaffen. Im Deutschlandfunk gab es einen Beitrag dazu bzw. zu dem unrichtigen Konzept der „Eltern-Kind-Entfremdung“: https://www.hoerspielundfeature.de/die-entfremdungs-luege-100.html

  4. Ich möchte Anna unterstützen, das ist wahrscheinlich die Stoßrichtung. Das Anti-Woke richtet sich natürlich auch gegen Frauen und Frauenrechte.

    Außerdem sieht man hier, was Trump und andere vormachen: einfach behaupten, man habe alles richtig gemacht. Eine Alternative Realität aufbauen. Sich mit Vorwürfen auseinandersetzen ist linksgrün, oder so. Presse zur Herstellung einer gemeinsamen Faktenbasis ist vorbei.

  5. @Anna und Paddepat:
    Theoretisch ja, aber die würden in der Praxis wohl so etwas schreiben wie: „Hat diese Frau (Nachname abgekürzt, aber Vorname, Alter, Wohnort, Beruf und natürlich der Vorname des Kindes) ihn in den Freitod getrieben?“

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