Zu nah dran?

Wechsel zu Intel: Interne Kritik an Ex-MDR-Reporter

Lange und intensiv berichtete ein Redakteur für den MDR über den möglichen Bau zweier Intel-Chipfabriken in Magdeburg. Dann wechselte er selbst in das Unternehmen. Aus der Redaktion dringt nun die Kritik, dass seine Berichterstattung auch zuvor schon zu nahe am Konzern gewesen sein soll. Was ist dran an den Vorwürfen?
Lange und intensiv berichtete ein Redakteur für den MDR über den möglichen Bau zweier Intel-Chipfabriken in Magdeburg. Dann wechselte er selbst in das Unternehmen. Aus der Redaktion dringt nun die Kritik, dass seine Berichterstattung auch zuvor schon zu nahe am Konzern gewesen sein soll. Was ist dran an den Vorwürfen?
In Magdeburg wollte der US-Chiphersteller Intel zwei Fabriken bauen. Foto: Imago

Es ging um nicht weniger als die größte Firmenansiedlung in Deutschland seit Jahrzehnten: Am 14. März 2022 gab der Chiphersteller Intel bekannt, sich in der anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg ansiedeln zu wollen. Entsprechend groß waren die Hoffnungen in der Region: Angelockt durch die zwei geplanten Fabriken des US-Konzerns, sollten sich weitere Firmen dort niederlassen und Arbeitsplätze entstehen. Ostdeutschland würde an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen und Deutschland sowie die EU sich unabhängiger von der Chipindustrie im Ausland machen. Mit zehn Milliarden Euro wollte der Bund das Vorhaben am Ende subventionieren.

Da ist es nur normal, dass der MDR als öffentlich-rechtlicher Sender für die Region das Projekt mit seiner Berichterstattung eng begleitet. Nicht ganz so normal ist hingegen, dass der mit dem Thema maßgeblich betraute MDR-Redakteur mittendrin die Rollen wechselt und „State Government Affairs Manager“ – also Lobbyist – für eben diesen Konzern in Deutschland wird.

Doch genau das ist im vergangenen Sommer passiert. Sebastian Mantei, gut 30 Jahre lang Journalist beim MDR Sachsen-Anhalt, heuerte bei Intel an, nachdem er vorher intensiv über den Konzern und seine Pläne berichtet hatte. In seiner Abschiedsmail an die Kollegen, von der Übermedien ein Screenshot vorliegt, schrieb er am 3. September: „Ich bleibe der Stadt, dem MDR im Herzen und dem Thema Intel treu und werde versuchen, die Ansiedlung am Eulenberg durch meinen Einsatz voranzubringen.“

Prägende Rolle in der Intel-Berichterstattung

Klar, in seiner neuen Rolle muss sich Mantei für die Pläne von Intel einsetzen. Doch Reaktionen aus dem Sender legen nun nahe, dass ihm die Ansiedlung des Konzerns auch schon als Reporter etwas zu sehr am Herzen gelegen haben könnte.

So sagen zwei MDR-Journalisten gegenüber Übermedien, sie seien nicht wirklich überrascht gewesen, als Mantei seinen Wechsel ankündigte. Die Mitarbeitenden wollen anonym bleiben, geben aber an, zu einer Gruppe von mehreren Personen innerhalb des Senders zu gehören, für die nicht nur Manteis neuer Job ein gewisses Geschmäckle habe, sondern auch seine Berichterstattung über den Konzern in den zwei Jahren zuvor. Sie zeichnen das Bild eines Journalisten, der viel zu unkritisch und einseitig über die geplante Ansiedlung berichtete. Was ist dran an diesen Vorwürfen?

Es lässt sich nicht zweifelsfrei klären, wie dominant Manteis Rolle in der Berichterstattung des Senders über das Prestigeprojekt wirklich war. So gibt ein MDR-Sprecher auf Übermedien-Anfrage an, dass Mantei nicht der einzige Mitarbeiter gewesen sei, der über Intel berichtet habe. Andere Kollegen aus dem Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt und der Wirtschaftsredaktion der Programmdirektion Leipzig hätten sich ebenfalls beteiligt.

Nach Informationen von Übermedien war die Wirtschaftsredaktion in Leipzig allerdings nur zu Beginn in die Intel-Berichterstattung eingebunden. Später habe es dann die Absprache gegeben, das Thema für den ganzen Sender primär aus Magdeburg zu betreuen. Und dort wiederum wäre Mantei der Ansprechpartner gewesen. Der MDR wollte das auf Anfrage nicht kommentieren. Bei der Recherche zeigt sich aber: Wenn es im entsprechenden Zeitraum Beiträge zu Intel mit klarer Autorenkennzeichnung gab, dann stammen diese zu einem überwiegenden Teil von Mantei. Auch bei einem Studiogespräch wurde er als hauseigener Experte für das Thema präsentiert.

Kritik wird schnell zur Seite geschoben

Der Standpunkt des Reporters wird relativ schnell klar. In seinem MDR-Kommentar vom 21. Juni 2023 – nachdem die Verträge zur Ansiedlung unterschrieben worden waren – schreibt er: „Das ist unglaublich und doch wahr. Für die Menschen in Sachsen-Anhalt, einem Bundesland, das seit über 30 Jahren mit den Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs der einstigen volkseigenen Betriebe kämpft, mehr als ein Lichtblick.“ Im Anschluss heißt es: „Auf einmal wird hier nicht nur Geschichte geschrieben mit Werksschließungen, sondern Erfolgsgeschichte, die auf Zukunftstechnologien setzt. Was hier auf dem platten Acker gebaut wird, hilft, den Anschluss an die Weltspitze in der Halbleiterindustrie zu schaffen.“ Die Kritik, ob es dafür eine Förderung von zehn Milliarden Euro braucht, schiebt er schnell zur Seite.

Es ist legitim, in einem Kommentar klar Position zu beziehen. Es wäre aber Manteis Aufgabe als mit dem Thema betreuter Reporter gewesen, in seiner übrigen Berichterstattung auch kritischen Stimmen ausreichend Raum zu geben. Ist das so geschehen? Übermedien hat dazu 24 seiner Artikel mit Bezug zur Intel-Ansiedlung gesichtet, die zum Zeitpunkt der Recherche noch einsehbar waren. In keinem davon geht es ausführlich um Kritik. Und wenn doch mal entsprechende Positionen angesprochen werden, dann werden sie von Mantei schnell zur Seite gewischt.

So etwa im Beitrag „Intel in Magdeburg: Bremst der Förderpoker die Ansiedlung?”, veröffentlicht am 23. Februar 2023. Bis zu dem Zeitpunkt hatte Intel eine Förderzusage des Bundes in Höhe von 6,8 Milliarden Euro bekommen, wollte nun aber drei Milliarden Euro mehr. Innerhalb der Bundesregierung wurde über die Forderung diskutiert. Der damalige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, man sei nicht erpressbar, gibt Mantei wieder. Er schreibt aber auch im gleichen Satz, dass diese Aussage „wenig zielführend“ sei. „Denn bei der Ansiedlung in Magdeburg geht es nicht nur um Deutschland, sondern um die Zukunft der europäischen Halbleiterindustrie.“ Als Kommentar ist der Artikel nicht gekennzeichnet.

Ein weiteres Beispiel ist ein Studiogespräch vom 20. Juni 2023, in dem Mantei in seiner Rolle als Intel-Experte vom Moderator zum Stand der Dinge befragt wird. Das 3:25 Minuten lange TV-Gespräch ist nicht mehr online verfügbar, liegt Übermedien aber vor. Nach gut 1:45 Minuten gibt Mantei auf die Frage, ob es auch kritische Stimmen gibt, eine bemerkenswerte Antwort. Denn er benennt nur drei eher allgemeine Randaspekte (Wasser, Energie, Bodenversiegelung), die sich leicht abmoderieren lassen. Und er macht deutlich, dass die Kritik für ihn keine Berechtigung hat – schließlich ginge es ja um das Wohl der ganzen Region: „Und ansonsten 30 Milliarden Euro, die hier im Osten investiert werden, davon wird eine ganze Region was haben und auch die Leute, die nicht bei Intel arbeiten“.

„Dieses Studiogespräch ist vielen Kollegen im Gedächtnis geblieben“, sagt einer der MDR-Journalisten zu Übermedien. „Mantei antwortet hier wie ein Pressesprecher und moderiert kritische Punkte einfach ab. Spätestens jetzt hätte es in der Chefetage auffallen müssen.“

Experten hatten eine andere Meinung

Von anderen damals diskutierten Kritikpunkten ist in Manteis Antwort und seinen weiteren Beiträgen gar keine Rede – dabei gab es die durchaus. So erläuterte etwa Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), schon im Februar 2023 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, warum er von den Plänen insgesamt und erst recht von der Bundesförderung nichts halte. Darin zweifelte er unter anderem die erhofften Effekte auf den Wirtschaftsstandort Magdeburg sowie den regionalen Arbeitsmarkt an. Auch die Höhe der Subventionen ließe sich laut Gropp hinterfragen.

Das gilt nun umso mehr. Denn inzwischen steht fest, dass Intel seine Fabriken mindestens in den kommenden zwei Jahren nicht bauen wird – trotz der genehmigten Förderzusage von zehn Milliarden Euro. Der Konzern steckt in der Krise.

Man kann Mantei nun nicht einfach im Nachhinein vorwerfen, diese Entwicklung vor lauter Begeisterung für das Projekt nicht vorhergesehen zu haben. Aber feststeht, dass er den damals schon offensichtlichen kritischen Aspekten nicht im journalistisch gebotenen Maß Raum gab.

Nix los: Intel hat den Bau seiner Chipfabriken bei Magdeburg gestoppt. Foto: Imago

Interne Kritik erzeugte auch Manteis Interview mit dem damaligen Konzernchef Pat Gelsinger. Geführt wurde es in Berlin, nachdem Intel den Vertrag mit dem Bund zur Finanzierung unterzeichnet hatte. „Das war ein reines Feel-good-Interview“, sagt einer der beiden Journalisten. Der Beitrag ist online ebenfalls nicht mehr einsehbar, Übermedien hat das rund achtminütige Interview aber vorliegen.

Schon die erste Frage erinnert an ein Fußballer-Interview direkt nach dem Abpfiff. Wie der CEO sich denn nun fühle, nachdem er gerade den Vertrag unterschrieben hat, fragt Mantei. Im Anschluss möchte er wissen, warum die Verhandlungen 15 Monate dauerten und wie es nun weitergehen soll. Gelsinger darf antworten, was und wie lange er möchte. Die Stimmung ist gelöst.

Man hätte Gelsinger zum Beispiel fragen können, warum sein Unternehmen eine so hohe Förderung benötige. Wie sich eine Unabhängigkeit von Asien herstellen lässt, wenn von dort immer noch entscheidende Rohstoffe kommen. Oder wie es eigentlich um Intel wirtschaftlich und technologisch bestellt ist. Stattdessen ist Manteis letzte Frage, wie Gelsinger als Lutheraner denn die Stadt Wittenberg so erlebt habe.

War die Nähe gewüscht?

Wie konnte es dazu kommen, dass ein einzelner Redakteur die Berichterstattung eines Senders zu einem Thema weitgehend übernimmt und dabei offenbar seine kritische Distanz verliert? Die MDR-Journalisten, denen das aufgefallen ist, sagen zu Übermedien, dass sie keine Chance gesehen haben, einzugreifen. „Ich glaube, am Anfang waren alle froh, dass Mantei sich um Intel kümmern wollte“, sagt einer. Nur habe sich im Anschluss ein fataler Automatismus entwickelt.

Innerhalb einzelner Redaktionen seien die zahlreichen Inhalte von Mantei hin und wieder durchaus diskutiert worden. Braucht es so viele Intel-Beiträge, ist das nicht zu unkritisch? Solche Fragen seien schon aufgekommen, sagt einer der MDR-Journalisten. Allerdings: „Bei uns kam die Botschaft an: Es war gewünscht, dass Mantei so nah an Intel dran ist.“ Durch offizielle Dienstanweisungen in E-Mails oder Chat-Nachrichten lässt sich diese Aussage allerdings nicht belegen.

Tatsächlich gibt es vom MDR einige kritische Intel-Artikel aus der betreffenden Zeit. So kommt in einem Beitrag vom 20. März 2023 auch Wissenschaftler Gropp vom Leibniz-Institut zu Wort. Bezeichnend ist allerdings, dass es sich dabei eben nicht um einen Autorenbeitrag handelt. Vielmehr basiert die Meldung auf einem „Spiegel“-Text sowie einem Interview bei „MDR Aktuell“. Bei der Durchsicht weiterer Veröffentlichungen zeigt sich: Viele kritische Intel-Berichte des MDR waren nachrichtliche Beiträge ohne klare Autorenkennzeichnung. Dennoch: Dass der MDR insgesamt unausgewogen berichtet hätte, lässt sich nicht eindeutig feststellen.

Übermedien hat sowohl den MDR als auch Intel und Mantei konfrontiert. „Zunächst möchten wir festhalten, dass auch für Journalisten die Berufsfreiheit gilt und Wechsel nicht ungewöhnlich sind“, schreibt ein MDR-Sprecher. Als Mantei den Sender über seine Pläne informierte, habe man ihn „unverzüglich von sämtlicher Berichterstattung zum Thema Intel abgezogen. Darüber haben wir innerhalb der Redaktion informiert. Dieser Schritt war notwendig, um möglichen Interessenskonflikten vorzubeugen, und steht im Einklang mit unseren Compliance-Standards.“

Auf die Frage, ob Mantei objektiv und sorgfältig genug berichtet habe, antwortet der Sprecher: „Wir folgen in unserer Berichterstattung grundsätzlich den journalistischen Prinzipien von Objektivität und Sorgfalt.“ Auch zum Thema Intel habe man „objektiv und angemessen aus unterschiedlichen Perspektiven recherchiert und berichtet“.

Mantei selbst sagt, dass er zum 1. Oktober aus persönlichen Gründen zu Intel gewechselt sei. Beim MDR habe er bereits am 24. Juni gekündigt. „Zugleich habe ich meinen Wechsel zu Intel gegenüber der Redaktionsleitung transparent gemacht.” Danach habe er für den Sender nicht mehr über den Konzern berichtet und bestehendes Recherchematerial an seine redaktionsinternen Nachfolger beziehungsweise der Redaktionsleitung Wirtschaft & Politik übergeben.

„Der angekündigte Wechsel erfolgte sehr korrekt, transparent und professionell. Sowohl meinerseits als auch seitens der Redaktion wurde stets sichergestellt, dass es zu keinerlei Interessenkonflikten kommt”, ist Mantei überzeugt. Zu seiner Intel-Berichterstattung schreibt er: „Meine vorangegangene Berichterstattung über Intel und das Ansiedlungsprojekt folgte stets journalistischen Maßstäben und war zu jeder Zeit unabhängig und ausgewogen.“

Und Intel erklärt auf die Frage, warum Mantei eingestellt wurde: „Herr Mantei hatte sich regulär auf die zuvor öffentlich ausgeschriebene Stelle als ‚State Government Affairs Manager‘ beworben. Im Rahmen unseres internen Rekrutierungsverfahrens hat er sich erfolgreich als Kandidat für die Position qualifiziert und ist seit dem 1. Oktober 2024 bei Intel tätig.“

Warum Wechsel in die PR für Diskussionen sorgen

Klar ist: Wechsel vom Journalismus in die PR-Welt kommen immer wieder vor. So waren etwa mit Steffen Hebestreit, Wolfgang Büchner und Christiane Hoffmann alle drei Regierungssprecher der geplatzten Ampel-Koalition zuvor auch Politikjournalisten. Hoffmann, ehemalige stellvertretende Leiterin des „Spiegel“-Hauptstadtbüros wechselte direkt vom Nachrichtenmagazin in den Regierungsbezirk. Der „Spiegel“ berichtete im Dezember 2021 selbst über den Wechsel.

Solche „Seitenwechsel“ sind per se nicht verwerflich, werden in der Branche – und teilweise auch in der Öffentlichkeit – dennoch nicht immer wohlwollend aufgenommen. Nähren sie doch das Vorurteil von zu großer Nähe zwischen Medien und den Gegenständen ihrer Berichterstattung. Als etwa ARD-Hauptstadtjournalist Michael Stempfle Sprecher von Verteidigungsminister Boris Pistorius wurde, mutete es für manche Beobachter ziemlich seltsam an, dass er nur wenige Tage zuvor für „tagesschau.de“ noch einen sehr lobenden Kommentar über den Minister veröffentlicht hatte. Der SWR fügte dem Beitrag später einen Transparenzhinweis an.

Der MDR hat keine öffentlich auffindbare Meldung zu Manteis Wechsel publiziert und auch keinen Hinweis unter seinen Berichten angefügt. Verpflichtet ist der Sender dazu nicht – geschadet hätte eine solche Transparenz gegenüber dem Publikum aber sicher nicht.

Sebastian Mantei wiederum hat mit seinem Wechsel vermutlich sogar die richtige Entscheidung getroffen. Denn mit Blick auf seine Berichterstattung über Intel und seiner offensichtlichen Begeisterung für das Projekt ist er als Mitarbeiter bei dem Konzern wahrscheinlich besser aufgehoben. Wobei es sein kann, dass er in seiner neuen Rolle bald nicht mehr so viel zu tun hat: Intel-CEO Pat Gelsinger ist inzwischen zurückgetreten – und laut einem MDR-Artikel sorgt das nicht gerade für Zuversicht, dass die Intel-Fabriken jemals in Magdeburg eröffnet werden.

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