Fußnoten (40)

Ein Interview aus dem „Manufactum“-Katalog

In seinem großen Titelinterview will der "Spiegel" Robert Habeck in die Zange nehmen. Doch statt konkreter Kritik gibt es nur sehr merkwürdige Fragen und ganz viel Gefühle.
Ausriss: Der Spiegel

Die Headline ist gut. „Ich kann mit einigen Ihrer Fragen nicht viel anfangen“, steht über dem großen Kanzlerkandidaten-Interview mit Robert Habeck in der aktuellen Print-Ausgabe des „Spiegel“. Das erweckt den Eindruck, er hätte es mit ungemein harten Fragen zu tun gehabt, wahrscheinlich mit beinharter Kritik an seiner Bilanz als Wirtschaftsminister. Aber beim Nachrichtenmagazin hat man sich für eine andere, für mich – und offenbar auch für ihn – überraschende Strategie entschieden, um den erfahrenen Grünen-Politiker Habeck rhetorisch in die Zange zu nehmen: Sie stellen ihm einfach sehr, sehr merkwürdige Fragen.

Für jemanden, der das Interview nicht gelesen hat, wird das jetzt ein bisschen unglaubwürdig klingen, aber es ist wirklich so: Das Gespräch beginnt mit einem Fragenkomplex zu den Online-Videos mit Erklärungen zur aktuellen Politik, die Habeck immer wieder in Sozialen Netzwerken postet. Zusammengefasst lauten die Fragen in etwa (aber eigentlich ziemlich genau):

  • Wollten Sie mal Prediger werden?
  • Ist Ihnen nie aufgefallen, dass Sie wie ein Prediger klingen?
  • Gefallen Sie sich, wenn Sie in die Kamera sprechen?
  • Nochmal: Gefallen Sie sich, wenn Sie in die Kamera sprechen? (Sie gefallen sich doch, wenn Sie in die Kamera sprechen, oder?)
  • Ist das nicht cringe, wie Sie da sprechen? So gefühlig?

Um dann, nachdem das alles zu, sagen wir mal, absolut gar nichts geführt hat, in einer Volte, bei der ich mich noch nicht entscheiden kann, ob sie nur sagenhaft unbeholfen oder bizarr unverschämt ist, in der Frage zu münden: „Uns ist dafür das Wort Neopopulismus eingefallen. Einverstanden?“1) Spoiler: die Antwort ist „Nein“.

Komplett im Emotionsmodus

Es gab Zeiten, da hätte man von „Spiegel“-Mitarbeitenden erwartet, die relativ konkret definierte Bedeutung des Wortes Populismus zu kennen2)Die in jedem Fall anti-elitär ist, was den Grünen wahrscheinlich überhaupt nie jemand unterstellt hat. Die wollen doch die Currywurst VERBIETEN, den Kraftriegel des kleinen Mannes. , bevor sie frei darüber assoziieren – aber damit würde man wahrscheinlich dem ganzen Ansatz dieses Interviews nicht gerecht. Es geht hier offensichtlich nicht wie sonst um ein Duell mit Worten, es muss sich für Robert Habeck eher anfühlen, als würde er mit einem Partner Walzer tanzen, der nur auf einem Bein auf und ab hüpft und dabei atonal auf einer Trompete improvisiert. Immerhin ist es für Habeck dabei einfach, gut auszusehen. Die zwei „Spiegel“-Redakteur:innen konfrontieren den Wirtschaftsminister nicht zu wenig mit konkreter Kritik, sondern gar nicht.

Die nächste Welle an Fragen folgt in etwa der Logik: „Friedrich Merz sagt, Sie waren total schlecht“, „Was haben Sie denn alles falsch gemacht?“, „Jetzt sagen Sie schon, was Sie alles falsch gemacht haben!“ und „Ach, menno, gar keine Selbstkritik?“3) Nicht wörtlich zitiert, sondern spirituell. Es ist, um mal die Interviewer:innen zu zitieren, cringe.

Das pochende Herz des gedruckten Interviews bleiben jedenfalls selbst Gefühle, denn jetzt wechseln auch die Fragestellenden in den Emotionsmodus. Sinngemäß klingt das dann so: „Bereuen Sie es schon, zurück auf X zu sein?“4) Wir erinnern uns: Habeck hatte sich mal, in einer Art kommunikativem Burn-out, von Twitter verabschiedet. „Welchen Führungsstil hat Olaf Scholz? Welchen haben Sie?“5) Habeck ist natürlich schlau genug, zu sagen, er möchte lieber über Inhalte reden als über Stilfragen, was die Rollen praktisch umkehrt: Normalerweise ist der Interviewte blumig und die Fragen müssen ihn am Boden halten. „Haben Sie zwischendurch ernsthaft erwogen, mit der Politik aufzuhören?“

Als Habeck konkret fordert, den Wehr-Etat auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts* aufzustocken, kommt die Nachfrage, ob seine Partei da nicht Probleme macht. Habecks Antwort ist: „Das glaube ich nicht, in meiner Partei ist das Konsens. Wir müssen viel mehr für unsere Verteidigung ausgeben.“ Jetzt könnte hier die Interpunktion in die Irre führen, aber einmal so gelesen, wie es da steht: Bei den ehemals pazifistischen Grünen soll es Konsens sein, dass man mehr für Verteidigung ausgeben muss als bis vor Kurzem selbst Donald Trump gefordert hat?6) Inzwischen fordert Trump offenbar fünf Prozent, aber man darf davon ausgehen, dass es Trumps Strategie ist, einfach immer mehr zu fordern. Wie gesagt, es mag sein, dass hier der Bezug falsch ist und der Punkt nach dem ersten Satz ein Doppelpunkt sein müsste, weil nur gemeint ist: Es ist zumindest Konsens, dass mehr für die Verteidigung ausgegeben werden muss. Aber warum muss ich mich selbst das fragen, sollte nicht der „Spiegel“ es den Grünen-Kanzlerkandidaten fragen?

Fragen, die ihre Antwort schon vorwegnehmen

Grundsätzlich bleibt es dabei: Kritik an Habecks konkreter Politik wird immer nur über Bande erwähnt, nie hat man das Gefühl, die Politikjournalist:innen des „Spiegel“ hätten aufgrund der eigenen Expertise oder Analyse etwas auszusetzen. Und nie wird sie so beharrlich verfolgt, dass er sich dazu äußern müsste. Stattdessen kommen Fragen, bei denen jeder von uns Habecks Antwort geben könnte: „Wollen die Leute in Wahlkämpfen überhaupt die Wahrheit hören?“ Was soll er darauf antworten? Nein, deshalb sage ich lieber, was die Leute hören wollen? Oder diese Frage: „Unterschätzen Sie womöglich die Folgen einer zweiten Trump-Präsidentschaft für Europas und Deutschlands Sicherheit?“ Gibt es auch nur den Hauch einer Chance, dass Habeck darauf antwortet: Das kann natürlich sein, ich sehe das eher locker?7) Spoiler: nein.

Es sind in Wahrheit keine Fragen, sondern das, was man in Talkshow-Redaktionen eine „Rampe“ nennt: Stell diese Frage, dann wird er jenes antworten. In einem Live-Gespräch im Fernsehen kann das nötig sein, weil man versucht, zumindest ein bisschen die Dramaturgie im Griff zu behalten, und man ja ahnt, was Politiker alles sagen werden, selbst wenn man sie nicht danach fragt. Der „Spiegel“ hätte das nicht nötig. Der muss das schon wollen.

Ich weiß auch nicht, ob es Strategie war, sich während des Gesprächs auch noch einmal argumentativ um die eigene Achse zu drehen und den Mann, für den man eben noch das Wort Neopopulismus erfunden hat, gegen Ende zu fragen, ob seine Partei mit ihrer „von vielen als bevormundend empfundenen“ Politik nicht mitschuldig sei am Erstarken der AfD. Es wirkt nicht wie Strategie. Es wirkt debil. Was denn nun, möchte man rufen, redet er dem Volk zu sehr nach dem Mund oder bevormundet er es? Oder ist das egal, weil die Vorbereitung auf das Interview mit der Beobachtung abgeschlossen war, seine Videos wären gefühlig?

Früh im Interview teilen die Interviewer:innen jedenfalls eine Beobachtung: „Auf uns wirken Ihre Botschaften wolkig-weich, wie Politik aus dem Manufactum-Katalog.“ Nach dem Lesen des Interviews geht es mir eher mit den Fragen des „Spiegel“ so. Mit den meisten kann ich nicht viel anfangen. Aber die Headline ist gut.

*Korrekturhinweis: Wir hatten zuerst geschrieben, Robert Habeck wolle den Wehretat auf 3,5 Prozent „des Haushalts“ erhöhen. Korrekt ist natürlich „des Bruttoinlandsprodukts“. 

Fußnoten

Fußnoten
1 Spoiler: die Antwort ist „Nein“.
2 Die in jedem Fall anti-elitär ist, was den Grünen wahrscheinlich überhaupt nie jemand unterstellt hat. Die wollen doch die Currywurst VERBIETEN, den Kraftriegel des kleinen Mannes.
3 Nicht wörtlich zitiert, sondern spirituell.
4 Wir erinnern uns: Habeck hatte sich mal, in einer Art kommunikativem Burn-out, von Twitter verabschiedet.
5 Habeck ist natürlich schlau genug, zu sagen, er möchte lieber über Inhalte reden als über Stilfragen, was die Rollen praktisch umkehrt: Normalerweise ist der Interviewte blumig und die Fragen müssen ihn am Boden halten.
6 Inzwischen fordert Trump offenbar fünf Prozent, aber man darf davon ausgehen, dass es Trumps Strategie ist, einfach immer mehr zu fordern.
7 Spoiler: nein.

6 Kommentare

  1. Danke! Ich habe das Interview gestern gelesen und gezweifelt, ob nur ich diese Fragen so merkwürdig finde. Sehr schön hingegen, dass es (mal wieder) neue „Fußnoten“ gibt.

  2. Ich nehme an, daß die Interviewer:innen eher jüngeren Alters waren – einer Altersgruppe, der Emotionen oft wichtiger sind als Sachfragen oder Fakten. Besonders im eher linken Milieu. Die Gefühle der anderen dürfen nicht angetastet oder gar angegriffen werden. – Nur so eine Vermutung.

  3. Das ist jetzt schon der zweite zu recht kritische Kommentar über einen Spiegelartikel, den ich in den letzten 2 Tagen gelesen habe und da frage ich mich schon ein wenig: Krieg das Flaggschiff Schlagseite?

  4. als sei die entpolitisierung des spiegels allgemein und von SPON insbesonders etwas neues.
    aber, ernsthaft, ich habe keine zweifel, dass habeck auch richtige politische nachfragen gut hätte beantworten können.
    das schlimme ist wirklich, dass alle politiker:innen heutzutage so weichgespült interviewt werden.
    das ist ein ganz klares defizit der heutigen journalist:innen. woher das kommt, woran es mangelt? am politischen verständnis UND an konfliktscheue…

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