Bahnhofskiosk

Die sich für Kunst halten

Ich habe fürs Magazinmachen eine Theorie aus der Luxus-Hotellerie übernommen: Die wirklich guten Hotels haben praktisch kaum mehr Möglichkeiten, den Luxus weiter zu erhöhen. Sie können Highlights setzen, aber irgendwann trägt der vierte goldene Pralinenlöffel nicht mehr zu einem besseren Erlebnis bei. Gleichzeitig kann man den tollsten Urlaub in dem luxuriösesten Resort machen, wenn aber von 14 Tagen an einem das Klo verstopft ist, behält man ausgerechnet das überproportional in Erinnerung. Und es muss gar nicht zu Katastrophen kommen: Kleine, unangenehme – vielleicht nicht einmal wirklich bewusst erlebte – Details können die Qualität schmälern (erklärt hat mir das der damalige Direktor vom Sandy Lane’s auf Barbados, wo sie zu dem Zeitpunkt einen „Maintenance-Tunnel“ bauten, damit kein Gast zusehen muss, wie sich Personal am Gepäck abschleppt – denn das könnte unangenehm sein).

Ich glaube, das gilt genauso für Magazine: Ab einem bestimmten Punkt kann man keine Highlights mehr setzen, es wäre sogar kontraproduktiv, weil ein Heft aus lauter Highlights seinen Rhythmus verliert*. Man kann nicht mehr gewinnen, aber man kann irrsinnig verlieren, wenn die Qualitätskontrolle nicht funktioniert und irgendwo die metaphorische Toilette verstopft.

Willkommen bei „Monopol – Magazin für Kunst und Leben“! Ich habe das schon böse anmoderiert mit meinem Klo-Vergleich, weil ich böse bin, was zum einen an gleich drei Grundfehlern in dem Heft liegt, und zum zweiten daran, dass ich mich eigentlich heute gerne mal auf eine Sache konzentriert hätte, aber die sind alle drei zu nervig, als dass man über sie hinweggehen könnte. Und Kunstkritiker sollten Kritik vertragen können, möchte man glauben (knihihihihi, natürlich wissen wir das besser. Mimosen!).

Womit wir allerdings schon mitten im Problem wären: Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich bei „Monopol“ als Kunstkritiker verstehen. Das Magazin handelt von Kunst und Künstlern, was es in jedem Fall zu einem Kunstmagazin macht, und es hat sicher auch Anteile von einem Kunst-Lifestyle- und Kunstgeschichts-Magazin, und es gibt andere Magazine, die Kunst zum Beispiel nur als Investition behandeln, aber meine Frage ist: Kann ein Kunstmagazin kein Kunstkritikmagazin sein?

Ich lasse das für einen Moment unbeantwortet, weil „Monopol“ für sich selbst tatsächlich eine Beschreibung formuliert, in einer Eigenanzeige im Heft, in der für die Nachbestellung von Archivausgaben geworben wird. Da steht: „Wir sind Kunst“.

Das ist natürlich Quatsch, den sich eine Werbeagentur ausgedacht hat. Magazine können Kunst sein (nehmen wir die frühe Phase von „Andy Warhol’s Interview“), aber Magazine, die Kunst zum Thema haben, sind bitteschön nicht Kunst. Sie sind Teil des Kunstbetriebs, meinetwegen, aber der Kunstbetrieb ist so wenig Kunst wie das Bäckereigewerbe Brot ist. Ich möchte mir einen Kunstmagazinredakteur, der glaubt, sein Heft wäre Kunst, so wenig vorstellen wie einen Politikredakteur, der glaubt, seine Zeitung wäre an der Regierung. Oder in der APO. Das ist falsch, und falsch ist scheiße. Insofern habe ich das als Werbeagenturgedöns genommen – bis ich den Kommentar der Chefredakteurin ziemlich am Anfang des Heftes gelesen habe. Er beginnt:

Für gewöhnlich ist die Kunst nicht auf der Seite der Ikonoklasten. Doch bei dem Bilderverbot, das die französische Zeitung „Le Monde“ jetzt verhängte, könnte das erstmals anders sein. Man wolle prinzipiell keine Bilder von Terroristen mehr zeigen, kündigte ihr Chefredakteur […] an. Denn die Bilder […] tragen tragen zur Glorifizierung der Verbrecher bei.

Ich halte mich nicht damit auf, dass eine Zeitung keine Bilderverbote verhängen kann, zur Qualitätskontrolle komme ich nämlich später noch. Mein Problem ist, dass „Monopol“-Chefredakteurin in der Folge ausführlich den Soziologen Georg Simmel zitiert, der vor hundert Jahren die Überforderung des Menschen durch Reizüberflutung beschrieben hat, aber keinen einzigen Künstler. Wenn dieser Text die These belegen soll (was er natürlich nicht tut), in diesem Fall wäre „die Kunst“ auf Seiten der Ikonoklasten**, dann bleibt gar kein anderer Schluss übrig als der, dass Elke Buhr sich oder ihr Heft als „die Kunst“ oder zumindest einen Teil davon betrachtet. Das verstört mich.

Es erklärt aber auch die einigermaßen wahllose Themenauswahl im Heft. Auf dem Cover ist ein Bild von Tupac mit der Zeile „Status: Yo! – Die Kunst des Aufruhrs“. Wie sich niemand denken kann, verbirgt sich dahinter eine Geschichte des Hiphop. Außerdem gibt es im Heft eine Geschichte über den vielleicht großartigsten Dokumentaristen des Aufruhrs des schwarzen Amerika, Gordon Parks, was diese Ausgabe von „Monopol“ zu einer Art „Black Lives Matter“-Special unter Umgehung der „Black Lives Matter“-Bewegung macht, denn das ist natürlich einigermaßen rückwärtsgewandt (der Fairness halber: Natürlich wirkt Hiphop bis heute, und das kommt auch in der Geschichte vor). Dazu kommt eine Geschichte über die Fotos des später als Popjournalisten bekannt gewordenen Jon Savage über London in den Siebzigern.

Die aktuellen Geschichten sind eine über den hochgradig amüsanten Kai Althoff, eine über den zumindest erst seit gut 20 Jahren toten Maler Patrick Angus und eine Strecke mit Bildern der Malerin Etel Adnan, letzteres der so genannte „Künstlerbeitrag“, ein Alleinstellungsmerkmal von „Monopol“, wo laut Eigenanzeige jeden Monat „exklusive, nie gezeigte Kunstwerke“ abgedruckt werden. Ich habe ein kleines Problem mit dem Konzept, Künstler ausgerechnet nach nie gezeigten Bildern zu fragen, weil ich immer befürchten würde, es hätte vielleicht einen Grund, dass der Künstler sie nie jemandem gezeigt hat, aber es gibt mir die hyperelegante Möglichkeit, auf forgotify.com hinzuweisen, eine Seite, von der man die vielen Millionen Songs auf Spotify streamen kann, die noch nie jemand freiwillig gestreamt hat. Wie geil ist das denn?

Jedenfalls: Ich fühle mich in der Gegenwartskunst nicht gut genug abgeholt von „Monopol“. Diese Ausgabe riecht für mich ein bisschen alt. Ich bin zu jung, als dass man mir Hiphop episch erklären müsste, auch nicht in Form eines „hybriden, globalisierten Etwas“. Aber das bin tatsächlich nur ich, das mag für jeden anderen total anders gelten.

Aber das hier nicht: Eine Seite in der Rubrik „Interpol“ (was wohl ein Wortspiel auf international und Monopol sein soll, haha) beschäftigt sich mit der Kunstszene in der Türkei nach dem Putschversuch. Ein gutes Thema. Der Vorspann ist:

Auswandern oder Weitermachen? Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei grassieren unter den Kulturschaffenden Entsetzen und Angst

Die Geschichte beginnt so:

„The coolest city in the world“. 2005 rief das amerikanische Magazin „Newsweek“ die türkische Metropole zur Weltkulturhauptstadt aus. Sieben Jahre später berauschte sich die „New York Times“ an der „Art Boom Bubble“ am Bosporus. Wie es mit dem vielbejubelten Kunstwunder am Bosporus nach dem gescheiterten Militärputsch weitergeht, steht in den Sternen. In der Szene vor Ort grassieren derzeit vor allem zwei Dinge: Entsetzen über den Coup, Angst vor Erdogans Rache.

Wo fangen wir an? Vielleicht damit: Liebe „Monopol“-Textredaktion, Ihr kriegt die Dopplung des sperrigen Wortes Bosporus innerhalb von zwei Zeilen hin, aber nicht die Nennung des Namens der Stadt (der selbstverständlich Konstantinopel lautet; Anm. d. Griechen in mir)? Und wenn man euch so folgt, kriegt man den Eindruck, wichtige Sachen stehen entweder in „Newsweek“, der „New York Times“ oder den Sternen, aber auf keinen Fall in „Monopol“, ich finde das unglücklich. Und noch viel unglücklicher, dass bis auf die Fremdzitate der erste Absatz dem Vorspann nichts hinzufügt. Das ist ein Verstopftes-Klo-Moment. Das ist das, was bei mir von dem Magazin hängenbleibt, und wie man sieht, erzähle ich es weiter. Das ist schlechte Textpflege. Es wird im Verlauf des Textes sogar noch schlimmer, mein Ober-Mega-Lieblingssatz lautet:

Keine Überraschung also, dass sich auch die 2013 gegründete, auf internationale Sammler ausgerichtete Kunstmesse Art International, die der Londoner Messe-Unternehmer Sandy Angus 2013 gegen die Contemporary Istanbul (CI), den zehn Jahre alten Lokalmatador des Touristik-Unternehmers Ali Güreli, in Stellung gebracht hatte, auf September 2017 vertagte.

Hä?

Der Satz hat 351 Zeichen. Ich habe extra oben den Satz mit forgotify.com eingefügt, um zu zeigen, dass ich nichts gegen Endlossätze habe (meiner hat sogar 422 Zeichen! Bäm!), aber das hier ist doch Murks. Was soll das, dass hier zwei völlig scheißegale Irgendwas-Unternehmer eingeführt werden, sich die Messe aber selbst vertagt? Hat nicht vielleicht Sandy Angus sie vertagt? Oder hat er sie nur in Stellung gebracht, weil sie das am Anfang noch nicht allein konnte, aber vertagen kann sich die Messe dann schon selbst, sie ist ja inzwischen immerhin schon drei?

Mich ärgert das vielleicht auch deshalb so, weil „Monopol“ mal ein ziemliches Spitzenteam hatte. Eine zeitlang hatten sie mit Thomas Kaiser den besten Textchef im deutschsprachigen Raum. Wenn er den Satz gedruckt sehen würde, würden seine Augen bluten und seine Seele ein kleines bisschen sterben (er ist heute beim „Freitag“, guckt euch die subtilen Headlines an). Und ich weiß auch wirklich nur sehr vage, was alles nach diesem ganzen Ringier-Verlags-Ausstieg und dem Management-Buy-Out bei „Cicero“ und der Übernahme von „Monopol“ passiert ist, aber es sind eine Menge Leute bei „Monopol“ gegangen worden, und für mich sieht es sehr danach aus, als wären es aus Sicht des Heftes die Falschen gewesen.

Für mich stimmen bei „Monopol“ weder die Heftidentität, noch die Themenauswahl oder die breite Qualität. Ich weiß, wie arrogant das klingt, aber ich setze sogar noch einen drauf und behaupte, es liegt zum Teil an einer inneren Arroganz des Heftes. „Wir sind Kunst“? Klar, und eure Kinder sind alle hochbegabt. Aber an das Heft sollte man aus meiner Sicht nochmal ran.

Monopol
Res Publica Verlags GmbH
9,50 Euro

*) Mein Kollege und Freund Oliver Wurm hat vor zehn Jahren das großartige Fußball-Lifestyle-Magazin „Player“ gemacht, dem man vorwerfen könnte, dass es zu viele Highlights hatte. Ein Vorwurf, der ein bisschen klingt, als würde man einer Frau sagen, sie sei zu schön (was aber tatsächlich ein Problem sein kann. Fragen Sie mal eine zu schöne Frau – wenn Sie sich trauen, sie anzusprechen …).

**) Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob man dieses Wort nicht hätte auflösen oder erklären müssen, und wenn ich mir nicht sicher bin nehme ich das als Zeichen, dass ich es tun muss. Zum Glück ist das hier das Internet und ich kann das so machen.

10 Kommentare

  1. Wie immer wunderbar, aber die Bemerkung mit der zu schönen Frau hätte für mich echt nicht sein müssen, die hinterlässt bei mir einen unangenehm sexistischen Geschmack.
    Und müsstest du nicht offen legen, dass du auch über Kunst – hey, aua, nich, das, ja, ich bin ja schon still.

  2. „If you want to be happy for the rest of your life, never make a pretty Women your wife. So for my personal point of view, get an ugly Girl to marry you.“
    Jimmy Soul, 1963

  3. Muriel, ich verstehe den schon wieder nicht. Muss ich echt was offenlegen oder ist das ein Witz (ich würde irre gern offenlegen, dass ich mit Kunst was zu tun habe jenseits der Bilder, die ich privat sammle, aber was?)?

  4. Ich hatte gehofft, durch den Abschluss deutlich gemacht zu haben, dass es nur ein Gag in Erinnerung an mein Scharmützel mit Herrn Kachelmann war, pardon.
    Ernst gemeint war nur das mit dem Sexismus.

  5. @Muriel
    Gut, den Gag hatte ich verstanden. Hab‘ das Scharmützel nämlich schmunzelnd verfolgt.
    Dafür verstehe ich das Problem mit dem (angeblichen) Sexismus nicht.

  6. Oh, btw…
    @Michalis
    Diese Serie war nicht der Grund für das Abo, das nun nicht.
    Aber sie ist ein guter Grund es beizubehalten. Das jeweilige Highlight der Woche. Respekt.

  7. @Dietmar: Frank Reichelts Kommentar illustriert ihn auch noch mal ganz gut.
    Aber ich versuche trotzdem, es zu erklären.
    Michalis hat das gewiss nicht so gemeint (denn er ist ein ehrenwerter … Man kennt das.), aber die Bemerkung perpetuiert das alte Klischee von Schönheit als erstes vorrangig weiblicher und zweitens auch für Frauen maßgeblich definierender Eigenschaft, und drittens finde ich schließlich auch die Idee problematisch, Männer würden sich generell nicht trauen, besonders schöne Frauen anzusprechen (Da wäre ich allerdings aufgeschlossen für Daten, die die These stützen. Meine Auffassung speist sich nur daraus, dass ich keine Frau kenne, die darüber klagt, zu wenig von wildfremden Männern angesprochen zu werden…).
    Ergibt das Sinn für dich?

  8. ICH würde mich nicht trauen, eine SEHR schöne Frau anzusprechen. Auch nicht in einer Situation, in der der gesellschaftliche Konsens dahin geht, dass sie (auch) der Partnersuche dienen soll. Denn:
    1. ich vermute, dass sie kein Single ist
    2. ich vermute, dass sie andernfalls vllt. angesprochen werden will, aber nicht von mir, sondern von Männern ihrer eigenen Schönheitsklasse (ich gehe in dem Zusammenhang nämlich nicht davon aus, dass nur Frauen schön sein können oder dass nur Männer auf Äußerlichkeiten achten)
    Ja, ich kann mit beidem Unrecht haben. Kalkulierte Risikovermeidung. Der Spruch ist insofern sexistisch, als dass er männerfeindlich ist: Männer sind oft zu feige, um gutaussehende Frauen anzusprechen. Sicher gibt es zig Männer, die da anders drauf sind.

    Im Zusammenhang mit einer Zeitschrift, die ZU viele Highlights hat, soll das wohl heißen: so viele, dass das beiläufige Publikum sich überfordert fühlt oder abgeschreckt wird, und sich das Ding nicht so gut verkauft.

  9. Ein Artikel voller Highlights und einer – naja, nicht verstopften Toilette, aber vielleicht wackligen Klobrille. Es wäre sehr viel angenehmer, wenn die Fußnoten im Text verlinkt wären. Immerhin ist das hier das Internet ;)

  10. Kommentare, die so viel später als der eigentliche Text und alle restlichen Kommentare kommentiert werden, verraten ja immer schon sehr viel auf der Metaebene, ein bisschen, als würde man nachts um halb zwei das Facebookfoto des Ex-Freundes von Portugal 2010 liken. Dazu sage ich also nichts, habe aber über forgotify.com gleich als erstes das schöne Stück „Lemuria“ von Peter A.Schmid (so ohne Leerzeichen bei Spotify!) gefunden und wollte das gerne teilen. Auch noch mit der mitgelieferten Theorie, das fehlende Leerzeichen erkläre eventuell das absichtliche Nicht-Streamen, und damit den grundlegenden Zusammenhang zwischen Rechtschreibkorrektur und kommerziellem musikalischen Erfolg.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.