Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Das Konzept der Zeitschrift „Galore – Interviews“ besteht darin, dass es praktisch nur Interviews enthält. Über dieses Konzept muss man nicht diskutieren, man kann die journalistische Form des Interviews – das ich hier verstehe als wortgetreu wiedergegebene Fragen und Antworten – mögen oder nicht. Wem Interviews in dieser Dosis auf die Nerven gehen, der wird wenig Freude an dem Heft haben und sollte es nicht lesen. Fertig. Ich habe acht Sorten Olivenöl im Schrank und werde nicht mit jemandem, der kein Olivenöl mag, ihre Feinheiten diskutieren*. Deshalb als Warnung vorweg: Dieses hier wird eine Abhandlung über verschiedene Möglichkeiten innerhalb der journalistischen Form des Interviews. Aber das kann interessant sein, und wenn es das hier nicht ist, liegt es nicht an „Galore“, sondern an mir.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Die erste Grundsatzentscheidung, die man zu treffen hat, wenn man ein ganzes Heft voller Frage-und-Antwort-Interviews macht (die ich im Folgenden der Kürze wegen leicht peinlich berührt mit dem voll coolen englischen Kürzel „Q&A“ benamsen werde), ist: Wen interviewen wir? Bei „Galore“ ist die Antwort offenbar: Menschen, die wir gut und aktuell interessant finden.
Das hat den Vorteil, dass die Menschen, die im Heft vorkommen, mindestens einigermaßen sympathisch sind und etwas zu erzählen haben – natürlich, so ist das Leben, nicht selten über ihr aktuell erscheinendes Kulturprodukt. Es hat gleichzeitig einen direkten und einen indirekten Nachteil: Der direkte ist, dass man Menschen, die (oder deren Werk) man gut findet, nur schwer widersprechen kann (Debbie Harry wird vorgestellt als „der coolste Mensch der Welt“).
Es findet sich in der kompletten Ausgabe von „Galore“ nicht eine wirklich kritische Frage; nicht einmal in einem Interview, bei dem darauf hingewiesen wird, dass sich der Interviewer in der Tradition des amerikanischen „Roast“ sieht, also einer betont konfrontativen Interviewtechnik. Das liegt auch daran, dass der in diesem Fall interviewte, der Schriftsteller Philipp Winkler, geradezu brutal abwägende, verständnisvolle Antworten zu seinem Buchthema „Hooligans“ gibt. Der Mann will einfach keinen Streit, und vor allem will er keine unterkomplexen Antworten geben.
Eine andere Interviewte im Heft, die Sozialunternehmerin Sina Trinkwalder, gibt an anderer Stelle im Heft sehr pointierte Antworten – „Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und freue mich schon auf die bösen Mails, Anrufe und Kommentare bei Facebook: Ein Veganer will Ihnen durch aktive Askese eigentlich nur beweisen, dass er ein Übermensch ist und sich besonders gut im Griff hat“ –, bekommt aber keinen Widerspruch. Die Interviewerin gibt ihr mit der nächsten Frage implizit recht. Ich kann das verstehen, ich persönlich bewundere Sina Trinkwalder und glaube, ich hätte mich während des Interviews unsterblich in sie verliebt, aber als Leser würde ich mich freuen, wenn sie im Gespräch mehr Gegenwehr erfahren hätte**.
Und damit kommen wir zum zweiten, dem indirekten Nachteil: Auf dem Cover sind die Interviews angekündigt als „Anregende Gespräche mit …“. Nach meiner persönlichen Auffassung davon, was ein Gespräch konstituiert, ist im ganzen Heft kein einziges.
Ich bin ein großer Fan des Satzes des Philosophen Hans-Georg Gadamer, der auf die Frage, warum die deutsche Talkshow-Kultur so grausam ist, sagte: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der Andere recht haben könnte.“ Er ist damit schon einen Schritt weiter, als wir es im Fall von „Galore“ sind, weil die an ihn gerichtete Frage impliziert, dass da zwei oder mehr Diskutanten mit verschiedenen Meinungen aufeinandertreffen. Daran scheitert es hier: Die Interviewer verstehen sich als Stichwortgeber.
Gespräche entstehen so nicht. Anregende Gespräche schonmal gar nicht, wenn man wie ich davon ausgeht, ein anregendes Gespräch würde dazu führen, dass der Interviewte durch die Gesprächsführung gezwungen wird, Gedanken zu entwickeln, die er sonst nicht gehabt hätte.
Das bedeutet nicht, dass diese Menschen nicht interessante Dinge sagen. Viele tun das. Aber sie tun es, weil sie interessante Menschen sind, und in dem Fall, in dem ich es vergleichen kann, tun sie es in anderen Medien auch***.
Es gab immer wieder Versuche, die Form des „echten“ Gesprächs in Magazinform zu bringen, die berühmteste Variante ist „Andy Warhols Interview“, in der Künstler sich quasi gegenseitig interviewen. Die deutsche Version hat mit dem amerikanischen Original allerdings nichts mehr zu tun.
Abgesehen davon gibt es im Kern drei Techniken für das klassische Q&A, und sie finden sich in Ansätzen in „Galore“. Die erste, die einem Gespräch am nächsten kommt, ist die des Zuhörens: Der Interviewer beginnt mit einem Thema, seine Fragen ergeben sich aber aus den Antworten des Interviewten. Ein „Galore“-Beispiel aus einem Interview mit der Schauspielerin Hannah Herzsprung.
Herzsprung: […] Vielleicht so: Ich möchte mein Leben leben – und nichts daraus hinterlassen.
Galore: Auch nicht künstlerisch?
Das ist die logische, richtige und wichtige Frage, die man sich stellt, wenn eine Künstlerin sagt, sie wolle aus ihrem Leben nichts hinterlassen. Es wird an diesem Beispiel nicht deutlich, aber für diese Art der Interviewtechnik muss der Interviewer einigermaßen – am besten sehr – bewandert sein in dem Thema, über das er fragt. In diesem Beispiel reicht es natürlich, zu wissen dass Hannah Herzsprung Filme dreht, aber das Prinzip ist klar. Aus Gründen, die nachher noch klar werden, würde ich die Beispiele gerne anhand der Technik der wahrscheinlich bekanntesten deutschen Interviewer-Slash-Gesprächleiter bebildern, nämlich der Talkmaster. Diese Technik – umfangreiches Wissen, Zuhören – ist zum Beispiel die von Anne Will****.
Die zweite Technik ist, einen Katalog vorbereiteter Fragen abzufeuern. Manche Kollegen benutzen das als eine Art Notfallprogramm für solche Gesprächspartner, die völlig unwillig sind, ein Gespräch zu führen. Im Interview mit Herzsprung kommt eine Kaskade vor, bei der ich glaube, dass sie so entstanden ist. Die Fragen beziehen sich nämlich höchstens, sagen wir, subtil auf die vorangegangenen Antworten*****.
Wie gut stecken Sie Kritik weg?
Angenommen, auf der Party nach so einer Preisverleihung werden Sie in ein Gespräch verwickelt, das Ihnen unangenehm wird. Wie entkommen Sie?
Wie gut können Sie anderen gegenüber eingestehen, dass Sie einen Fehler gemacht haben?
Das ist, man ahnt es, ein Stück weit die Technik von Günther Jauch, dessen Selbstverständnis ist, die Fragen zu stellen, die der mäßig vorgebildete Zuschauer hat. Sie führt meiner Meinung nach selten zu wirklich tollen Antworten, hat aber den Vorteil, dass der Interviewte seine Routine ausspielen kann, und zumindest bei solchen Menschen, zu deren Beruf es gehört, regelmäßig interviewt zu werden, ist diese Routine nicht selten sehr unterhaltsam.
Das hat sich allerdings inzwischen zu so einer abgewichsten Spirale entwickelt, dass es seit vielen Jahren schon die Persiflage davon gibt: Moritz von Uslar, der für das „SZ Magazin“ 100 Fragen in rasender Geschwindigkeit abfeuerte und dessen Beschreibungen der Reaktionen des Interviewten genau so wichtig waren wie die Antworten******.
Die dritte Form ist ein Teil der in dieser „Galore“-Ausgabe schief gelaufenen Form des „Roast“, nämlich der Versuch, den Interviewer bei komplexen Fragen zu einer Entscheidung zu zwingen. Frank Plasberg macht das in „Hart aber fair“:
„Antworten Sie nur ganz kurz: Eurobonds, ja oder nein?“
Ich weiß, dass viele diese Art zu fragen als gar nicht fair empfinden, aber das liegt meiner Meinung nach eher daran, dass Plasberg seine Sympathien und Antipathien für einzelne Gäste und deren Positionen nicht im Griff hat, als an der Frage. Die Zuspitzung auf die Frage „Ja oder nein“ ist ein Grundelement der Demokratie, wo letztlich alles dadurch entschieden wird, ob man eine Mehrheit dazu bekommt, einen Antrag abzulehnen oder ihm zuzustimmen – ohne dass dafür alle die gleichen Gründe haben mögen*******.
Für ein Printformat eignet sich diese Technik kaum, weil die Abbildung von Komplexität zu den Vorteilen von Printprodukten gehört. Meiner Meinung nach funktioniert sie nicht einmal da, wo sie locker gemeint ist, nämlich in diesem Fragebögen: Beatles oder Stones? Sekt oder Selters? Was von beiden ist mehr scheißegal?
Was, wenn man die Prämisse eines reinen Interviewmagazins mag, in „Galore“ wirklich gelungen ist, ist die Breite der Themen. Da reden interessante Menschen über ihre Bücher und Filme, aber vor allem die Bücher umfassen eben Themen wie soziales Unternehmertum, Ornithologie********, die Behandlung von Pädophilen und eben Hooligans.
Und ich habe gerade beschlossen: Nächste Woche bespreche ich ein Heft über Olivenöl.
Galore
Dialog GmbH
5,90 Euro
*) Mit Menschen, die kein Olivenöl mögen, sollte man wahrscheinlich gar nichts diskutieren, aber das ist ein anderes Thema.
**) Um jeden Rest einer Gefahr auszuschließen, dass eine Antwort zu provokant ausgefallen sein könnte, wird das Interview im Vorspann damit anmoderiert, Trinkwalder formuliere „mit Kante, aber nie ohne Humor“.
***) Der von mir ziemlich geliebte Michael Caine gibt gerade pausenlos Interviews zum Start seines neuen Films, und die sind überall gut, auch das in „Galore“.
****) Die von sich behauptet, ihr umfangreiches Wissen käme von ihrem Redaktionsleiter über den kleinen Knopf in ihrem Ohr, aber ich war ein paar Mal in ihrer Sendung, und diese Frau ist wahnsinnig gut vorbereitet. Wirklich wahnsinnig, wahnsinnig gut.
*****) So etwas kann natürlich auch entstehen, weil dazwischen Teile des Gesprächs für die geschriebene Version gekürzt oder für das bessere Verständnis umgeschrieben werden mussten oder das Gespräch unterbrochen wurde.
******) Er hat das Format inzwischen als „99 Fragen an“ für das „Zeit Magazin“ wiederbelebt.
*******) Die Fragestellung abzulehnen entspricht ein bisschen dem Impuls, nicht zu wählen, weil man keine Partei oder keinen Kandidaten perfekt findet: Es ist undemokratisch in dem Sinn, dass es keine Demokratie mehr gäbe, wenn es alle anderen auch täten.
********) Spitzenwitz: Ornanitologie ist Vögeln beobachten!
Tolle Kolumne, Michalis! Es gefällt mir gut, wenn du neben der Kritik am spezifischen Heft noch Background zum Magazine-Machen lieferst.
Insbesondere taugt es mir, wenn ein Heft so wie hier nicht nur gut wegkommt – das mag an meiner Persönlichkeitsstruktur liegen, aber deine nahezu überschwängliche Besprechung aus vergangener Zeit hat mit ein The Weekender-Abo eingebracht -, aber auch nicht in Grund und Boden geredet wird. Differenzierungsfähigkeit (und Differenziertheit) ist es ja, die oft zu kurz kommt.
Ich glaube, man hat es geschafft, den Text eindrücklich genug aufzunehmen, wenn man die unzähligen Sternchen im Anschluß an den Artikel der Reihe nach durchlesen und den Zusammenhang herstellen kann, ohne erneut nach oben scrollen zu müssen. Das gelingt mir leider immer noch nicht vollends.
Aber eine Heftkritik, die mich aufgrund des Zufalls, daß ich über wikipedia genau heute ein auf Galore verlinktes Interview fand, das in seiner Gänze leider nur Abonnenten zuteil werden darf, wirklich freut.
Ob ich dieses Abo nun abschließe oder nicht, weiß ich allerdings immer noch nicht,
Livio oder Bertolli?
Kann ich so nicht beantworten. Kommt drauf an, ob Sie damit Gartenmöbel abreiben wollen oder eine Fahrradkette schmieren.
Und was empfehlen Sie, wenn ich meine Bruschette abreiben oder mein Carpaccio schmieren will?
@ 5 Inga: Wie man https://uebermedien.de/12566/stiftung-warentext/ entnehmen kann, ist https://www.artefakten.net/ eine gute Anlaufstelle für gute Olivenöle. * Und in der Tat: Ich bin restlos begeistert davon. Bislang ist mein Favorit aus 2016 & 2017 die Nr. 27 in der fruchtigen Version. Auch das mit Zitronen aromatisierte Ölivenöl (die ganzen Zitronen werden mit den Oliven vermahlen, nicht einfach irgendwelche Aromen hinzugefügt) ist grandios, um damit beispielsweise Garnelen anzubraten.
Mit Hilfe der Nr. 27 habe ich es übrigens auch geschafft, meine Mutter – die Olivenöl bislang fast immer ablehnte – so sehr vom Geschmack zu überzeugen, daß sie ebenfalls einen Kanister für sich bestellt hat. ** Es ist einfach ein sehr mildes aber nichtsdestowenigertrotz *** ungemein köstliches Öl.
Von daher: Bitte, bitte – eine Olivenölheftbesprechung!
* Es wäre nett, wenn mir jemand verraten würde, wie man in den Kommentaren Links formatieren/einbinden kann. Ich habe schon in dem ein oder anderen Kommentar gesehen, daß es geht. Aber wie? BBCode? HTML?
** Bestellt man als Neukunde, kann man übrigens angeben, von wem man von der Seite erfahren hat. Derjenige bekommt dann – so heißt es – eine Marmelade als Dankeschön. Meine Mutter gab mich an, allerdings habe ich bisher nichts bekommen. Mich würde ja mal interessieren, ob Michalis Pantelouris, den ich als Werbenden angegeben habe, seine bekommen hat.
*** Extra für Elke Heidenreich, die – da bin ich sicher – jeden Kommentar zu jedem Artikel hier liest.
Wenn demnächst nochmal jemand die Anzahl von Fußnoten in meinen Texten kritisieren sollte, werde ich sie oder ihn an Sie verweisen. Und bezüglich überschwänglicher Heftbesprechungen kann ich ein Katapult Abo vorweisen, was ich definitiv weiterempfehlen kann. Des weiteren: ja, gute Kolumne.
@Raoul: Oh, herzlichen Dank! Diese Heftbesprechung ist mir doch tatsächlich entgangen. Wie peinlich…
Der Artikel gefällt mir super.
Ich schließe mich aber dem zweiten Kommentar an:
Ich bleibe immer wieder an den Fußnoten / Sternchen hängen. Ich will nicht den ganzen Artikel immer wieder bis zum Ende wischen, um die Auflösung zu lesen. Sobald ich aber ein Sternchen stehe, entsteht in meinem Kopf ein Frage/Aufgabe, die mich beim Weiterlesen beschäftigt und ablenkt. Wenn ich dann am Ende des Artikels angekommen bin und die Fußnoten sehe, fehlt mir leider im Gedächtnis der komplette Kontext der Fußnote.
Der amerikanische Fernsehkritiker Alan Sepinwall arbeitet auch sehr gerne mit Fußnoten. Er löst sie aber direkt nach dem Absatz, in dem sie vorkommen, auf. Das finde ich viel angenehmer und flüssiger zu lesen.
Ab Fußnoten mit 27 Sternchen (***************************************************************) sollte man vielleicht auf hochgestellte Zahlen ausweichen. Oder Anmerkungen in Klammern. Die Zuordnung wird allmählich schwierig. Kein Mensch hat Lust, nach unten zu scrollen, herumzuirren und dann oben den verlorenen Faden wieder zu suchen. Eine Online-Seite ist keine gedruckte Seminararbeit.
****************************************************************** Es sind vielleicht auch nur 23 oder 95 Asteriske (1)
1 ) Nicht zu verwechseln mit Asterix
@ # 4
Fahrradketten soll man nicht ölen, sondern fetten. Natürlich mit besonders jungfräulichem, kaltgepresstem Olivenfett.