„Ist die AfD eigentlich ein Problem für die Demokratie?“ Diese Frage stellte das Erste am 16. September zur besten Sendezeit, in der Debatten-Show „Die 100 – was Deutschland bewegt“. Wie Übermedien berichtete, verbreiteten AfD-Politiker anschließend die Lüge, einige der 100 Teilnehmer seien nicht mit ihrer persönlichen Meinung aufgetreten, sondern für ihre Teilnahme bezahlt worden. Richtig ist: Ein Teilnehmer ist Hobby-Komparse und war schon in anderen Fernsehformaten zu sehen. Richtig ist auch: Mehrere Teilnehmer engagieren sich parteipolitisch, was in der Sendung aber nicht transparent gemacht wurde. Wir haben die verantwortliche NDR-Redakteurin Julia Saldenholz gefragt, wie der Sender die Teilnehmenden auswählt, welche Rolle dabei eine Auftragsagentur spielt und wie gut „Die 100“ die Debatte um die AfD wirklich abbildet.
Ihre Debattensendung „Die 100“ zur Frage, ob die AfD ein Problem ist, ist Mitte September heftig kritisiert worden. Unter den Teilnehmenden waren mehrere Kleindarsteller, außerdem Menschen, die sich parteipolitisch engagieren. War das Absicht oder ein Versehen?
Julia Saldenholz: Weder, noch. Wir fragen die Teilnehmenden vorher gar nicht nach ihrer Parteizugehörigkeit, sondern nur, ob sie ein politisches Amt oder ein Mandat haben. Wir möchten ja, dass die Menschen sich bei uns mit ihrer persönlichen Meinung äußern und nicht für eine Partei sprechen. Neun Leute, die in der Sendung im September dabei waren, hatten angegeben, dass sie sich politisch engagieren. Davon haben drei ein Amt – in Ortschaftsräten oder als Sprecher einer Hochschulgruppe. Manche haben ihre Partei mit angegeben, das reichte von der SPD über die Freien Wähler, von „Die Partei“ über die Grüne Hochschulgruppe bis zur Europa-Union, einer Bürgerinitiative.
Zur Interviewpartnerin
Foto: Christian Spielmann
Julia Saldenholz ist seit 2014 Redakteurin beim NDR und dort eigentlich für Dokumentationen und Reportagen zuständig. Die Idee für die Sendung habe sie gemeinsam mit Kollegen beim Mittagessen gehabt, sagt sie.
Das heißt aber, Menschen aus der CDU, FDP oder AfD fehlten.
Das weiß ich nicht genau, denn wir haben ja nicht danach gefragt. Wer nur Mitglied ist ohne ein Amt innezuhaben, musste uns das nicht sagen. Nochmal: Uns ist nicht wichtig, ob jemand Mitglied einer Partei ist. Entscheidend ist, dass wir Menschen auf dem Feld haben, die zu der gestellten Frage eine unterschiedliche Meinung haben. Also Menschen, die die AfD für eine Gefahr halten, und Menschen, die das anders sehen, sie sogar gut finden. Das war bei unseren 100 Teilnehmenden der Fall und darauf kommt es an.
Und der viel kritisierte Komparse?
Auch Nebentätigkeiten fragen wir nicht ab. Wir fragen die Leute auch nicht nach ihren Hobbys oder wann sie das letzte Mal auf einer Demo waren – würden wir alles von ihnen wissen wollen, müssten wir ihnen einen riesigen Fragenkatalog vorlegen. Das wollen wir nicht. Wir fragen unter anderem nach dem Wohnort, dem Geschlecht, dem Beruf und dem Alter und nach der Meinung zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen. Es geht darum, in der Sendung eine gute Mischung zu haben – unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ansichten.
Unter den Teilnehmenden war ein Vorsitzender aus einem SPD-Ortsverein, ein SPD-Gemeinderatsmitglied und ein ehemaliger stellvertretender Bezirksbürgermeister der SPD. Die Regierungspartei war also sehr präsent. Hätten Sie das nicht vorher besser erfassen oder zumindest kennzeichnen müssen?
Nein, weil die Menschen nicht für die SPD sprechen und mit der Regierung ja nun wirklich nichts zu tun haben. Wenn wir Mitgliedschaften abfragen und dann feststellen, dass wir drei Menschen mit SPD-Parteibuch haben, stellt sich natürlich die Frage: Wie viele Leute brauchen wir jetzt mit einem AfD-Parteibuch oder von Grünen, CDU, FDP oder BSW? Wir wollen aber gar nicht so viele Menschen mit Parteibuch in die Sendung einladen, sondern ganz normale Leute, die Lust haben, ihre Meinung zu sagen, egal ob sie Mitglied einer Partei sind, bei Fridays for Future mitmachen oder beim Rotary Club. Es gehört zum Leben dazu, dass sich Menschen engagieren. Wenn jemand eine herausgehobene Position hat, machen wir das kenntlich. Also immer dann, wenn wir annehmen müssen, dass sich die persönliche Meinung von der Tätigkeit, die man ausübt, nicht trennen lässt. Wir hatten die ehemalige NRW-Spitzenkandidatin der Linken in der AfD-Sendung. Das haben wir eingeblendet, weil uns das aus Transparenzgründen wichtig erschien. Je nach Thema der Sendung könnte auch eine Vorstandstätigkeit im Unternehmerverband oder bei Greenpeace so wichtig sein, dass wir das einblenden.
Das heißt, Sie wollen eine gute Mischung, aber nicht repräsentativ sein?
Wir können nicht repräsentativ sein, weil 100 Leute zahlenmäßig zu wenig sind, um 80 Millionen Deutsche zu repräsentieren. Deswegen sagen wir: Wir sind offen für alle, bewerbt euch! Die Leute wissen vorher nicht, worum es gehen wird, wir stellen aber im Vorfeld mehrere Fragen zu verschiedenen Themen. Zum Beispiel zur Handynutzung für Jugendliche, dem öffentlichen Nahverkehr, zu politischen Parteien, dem Klimawandel. Eine Frage davon bezieht sich auf das Thema in der Sendung. Welche das ist, wissen die Menschen natürlich nicht und umgekehrt wissen wir nicht, was die die Teilnehmenden dann in der Sendung genau sagen werden. Das macht für uns den Reiz aus.
Das Konzept
In der Politshow „Die 100 – was Deutschland bewegt“ positionieren sich 100 Menschen aus ganz Deutschland zu einer politischen Frage, und das ganz praktisch auf einer großen Skala auf dem Studioboden. Im Anschluss liefern zwei Journalisten Pro- und Contra-Argumente, zu denen die Menschen sich in kurzen Statements äußern können – bis hin zur Frage am Schluss, ob und warum sie ihre Meinung geändert haben. Moderiert wird die einstündige Sendung von Ingo Zamperoni.
Die ersten beiden Folgen von „Die 100“ drehten sich 2023 um Zuwanderung und Klimaschutz und liefen im WDR und NDR, die die Sendung gemeinsam mit der Produktionsfirma „Ansager & Schnipselmann“ produzieren. Die Ausgabe zur AfD im September war erstmals auch im Ersten zu sehen. Drei weitere Folgen sind für dieses Jahr noch geplant, die nächste am 23. Oktober um 22 Uhr zum Thema Vier-Tage-Woche – ausgestrahlt von WDR, NDR und in der ARD-Mediathek.
Sie arbeiten mit einer Casting-Agentur, um die Leute zu finden. Wie läuft das ab?
Wir haben extra keine Casting-Agentur ausgewählt, denn wir wollen nicht casten, sondern wir wollen Menschen einladen, die Lust auf die Sendung haben – ohne Vorbereitung, ohne Gage. Wir haben uns lange Gedanken darüber gemacht, wer uns helfen kann, 100 Leute zu finden und zu betreuen. In unseren Fernseh- und Radiosendungen und im Internet rufen wir zwar dazu auf, sich zu bewerben, aber das reicht nicht und wir sprechen damit auch nur einen Teil der Gesellschaft an. Deswegen arbeiten wir mit der Ticket-Agentur „MyShow“ von Banijay Media Germany zusammen, die normalerweise Publikum in große Shows einlädt, vor allem in Unterhaltungsshows wie „Wer wird Millionär?“ oder „The Masked Singer“. Banijay hat Verteiler mit Menschen aus ganz Deutschland, die gerne bei Fernsehsendungen dabei sind. Diese Menschen haben wir unter anderem gefragt, ob sie Lust haben, bei „Die 100“ dabei zu sein.
Casting hätte geheißen, jemand wäre aktiv nach Teilnehmern auf die Suche gegangen?
Wenn ich Leute caste, habe ich eine Vorstellung, wen ich haben will, zum Beispiel jemanden, der alleinerziehend ist, Bürgergeld empfängt und im Osten wohnt – und sich gut äußern kann. Wir wollen die Menschen aber nicht so spezifisch auswählen. Das Prinzip Zufall soll durchaus eine Rolle spielen.
Auf einer siebenstufigen Skala sollen sich die Teilnehmenden von „Die 100“ zur Frage der Sendung positionieren Screenshot: ARD Mediathek
Haben sich viele Menschen bei Ihnen gemeldet?
Das war gar nicht so einfach, weil die Sendung erst einmal bekannt werden muss. Es haben sich nicht sehr viel mehr Leute beworben, als wir tatsächlich einladen konnten. Glücklicherweise hatten wir mit ihnen aber eine gute Mischung aus Alt und Jung, Menschen mit verschiedenen Berufen und aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands.
Gab es Ausschlusskriterien für die Teilnahme?
Wir schließen grundsätzlich niemanden aus, der offen ist, sich auf das Konzept der Sendung einzulassen. Ausschließen würden wir nur jemanden bei dem wir das Gefühl haben, er oder sie kommt nur, um zu stören, oder jemand spricht für seine Institution oder aus einem kommerziellen Interesse. So einen Fall hatten wir bisher nicht.
Lässt sich denn überhaupt feststellen, ob jemand ein kommerzielles Interesse hat? Kann Ihnen nicht auch jemand untergeschoben werden?
Natürlich kann das passieren. Wir fordern ja weder das polizeiliche Führungszeugnis an, noch prüfen wir die Teilnehmenden mit den Mitteln eines Geheimdienstes. Dass wir das Thema der Sendung vorher nicht verraten, macht es schwieriger, jemanden mit Agenda einzuschleusen. Trotzdem lässt es sich nicht ganz ausschließen. Es gehört dazu, dass wir den Menschen vertrauen.
Haben Sie aus der Kritik an Ihrem Format etwas mitgenommen?
Wir haben nochmal darüber diskutiert, ob wir die Menschen nach einer Parteimitgliedschaft fragen sollten, uns aber dagegen entschieden. Vor allem, weil wir dann, wie schon gesagt, für einen gewissen Proporz sorgen müssten. Wenn wir zum Beispiel die Handynutzung von Jugendlichen oder die Vier-Tage-Woche diskutieren, spielt es zudem überhaupt keine Rolle, ob jemand Mitglied einer Partei ist. Was wir jetzt sicherheitshalber abfragen, ist, ob die Teilnehmenden schon mal im Fernsehen aufgetreten sind. Wenn wir mehrere Leute dabeihätten, die regelmäßig überall vor der Kamera stehen – weil sie Fernsehen einfach so toll finden – würden wir im Einzelfall sagen: Das passt nicht so gut. Wenn jemand nebenbei als Kleindarsteller arbeitet, ist für uns kein Ausschlussgrund – nach wie vor nicht.
Speziell bei der Sendung über die AfD spielt die Parteimitgliedschaft vielleicht schon eine Rolle. Man hätte erwarten können, dass entsprechend der aktuellen Umfragen 17 oder 18 Prozent der Teilnehmenden die AfD unterstützen. Sonst wäre die Debatte ja verzerrt worden.
Wir haben die Menschen vorher auf einer Skala von eins bis sieben gefragt: „AfD – Fluch oder Segen?“ Ungefähr ein Drittel hat die AfD neutral bis positiv gesehen. Das trifft so auch ungefähr auf die Bevölkerung zu. Als wir in der Sendung selbst gefragt haben, ob jemand AfD-Mitglied ist, hat sich zwar niemand gemeldet. Es haben sich aber viele Menschen positiv zur AfD geäußert und sehr skeptisch gegenüber den Ampel-Parteien. Das Meinungsspektrum war sehr divers.
Die Idee ist, dass „normale“ Bürgerinnen und Bürger teilnehmen. Gibt es auch Gruppen oder Stimmen, die bei so einem Format fehlen?
Bei uns sprechen die Menschen nicht unter Pseudonym oder mit Nickname wie auf Social Media. Sie halten ihr Gesicht in die Kamera, sie lassen uns ihren vollen Namen einblenden, und dabei geht es um kontroverse, politische Themen. Müssen wir die Zuwanderung nach Deutschland begrenzen? Sollte die Politik mehr Verbote aussprechen, um das Klima zu schützen? Es gehört Mut dazu, sich dem zu stellen und offen und frei zu sprechen. Ich glaube, nicht jeder würde so im Fernsehen seine politische Meinung sagen – aber das betrifft nicht unbedingt bestimmte Gruppen. Wir haben bisher Schwierigkeiten gehabt, Menschen zu erreichen, die einen Migrationshintergrund haben. Aber das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass wir sie mit unseren Programmen nicht so gut erreichen.
Seit ein paar Jahren bemühen sich viele Sender, Bürgerinnen und Bürger mehr mit einzubeziehen. Aber eine richtige Debatte, ein Austausch von Argumenten, entsteht bei „Die 100“ gar nicht, die Teilnehmenden liefern immer nur kurze Statements ab. Ist das echte Partizipation oder nicht doch eher Beteiligungssimulation?
Wir haben 2022 auch das „Bürgerparlament“ ausprobiert, ein Format, in dem sich Bürgerinnen und Bürger gegenübersitzen und unter der Leitung eines Moderators diskutieren. Wenn nur Meinungen ausgetauscht werden, ist das interessant und hat auch seinen Platz. Mir persönlich haben in der Sendung manchmal harte Fakten gefehlt. Bei „Die 100“ probieren wir das Zusammenspiel mit journalistisch recherchierten Fakten auf der einen Seite und Meinungen der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite aus. Ich finde, es ist interessant zu hören, was die Teilnehmenden aus ihrem Alltag einbringen, wie sie die Fakten bewerten und wie sie zum Teil auch ihre Meinung neu justieren, nachdem sie sich zwei Seiten angehört haben. Deswegen hat dieses Format einen Wert – genauso wie Talkshows, in denen Expertinnen und Experten miteinander ringen, oder Townhall-Formate, in denen politische Verantwortliche von Bürgerinnen und Bürgern befragt werden. Am Ende macht es die Mischung.
Ist die Sendung für Sie dann gelungen, wenn sich viele Teilnehmende tatsächlich überzeugen lassen? Und auch Zuschauende ihre Meinung ändern?
Ich freue mich, wenn unsere sorgfältig recherchierten Fakten die Menschen erreichen. Wir stellen die nicht nur nüchtern dar, sondern versuchen, sie auch erlebbar zu machen – vergangenes Jahr mit einem Flüchtlingsboot in der Sendung zum Beispiel. Aber es ist nicht unser Ziel, dass sich die Leute unbedingt bewegen. Bei der Sendung „13 Fragen“ im ZDF geht es ja darum, die Leute in ein Kompromissfeld zu lotsen, das hat etwas Spielerisches und ist spannend. Darum geht es in unserem Format nicht. Es ist völlig in Ordnung, dass wir unterschiedliche Meinungen haben. Gleichzeitig ist es in einer Demokratie wichtig, dass wir uns den Argumenten für beide Seiten zuwenden. „Die 100“ ist damit auch eine Antwort auf das Internet und Social Media, wo ich mehr Inhalte zu den Meinungen ausgespielt bekomme, die ich ohnehin präferiere. Bei uns geht es darum, auch der Gegenseite Gehör zu schenken. Unser Format ist nicht auf Krawall ausgerichtet, die Äußerungen sind sehr fair und respektvoll. Das hat einen großen Wert in Zeiten, wo man das Gefühl hat, dass auf manchen Plattformen im Netz nur noch anonyme Schreihälse unterwegs sind.
Sollte die Zuwanderung begrenzt werden? In der Ausgabe von „Die 100“ zu dieser Frage sollten Teilnehmende in einem echten Flüchtlingsboot Platz nehmen Foto: ARD
Es geht um die Debatte, aber auch um die Show. Das Flüchtlingsboot, in das Teilnehmende einsteigen sollten, ist ein Beispiel. Ein anderes sind die Lichtblitze und Bombensounds, die in der Sendung über Migration die Situation von Kriegsflüchtlingen verdeutlichen sollten. Wie viel ist Show, wie viel echte Debatte?
Wir wollen mit diesem Format auch Leute erreichen, die sich nicht jede Woche drei politische Talkshows anschauen. Über die großen Fragen wie Migration, AfD und Klima diskutieren schließlich auch diejenigen, die nicht jeden Tag die „Tagesthemen“ oder das „Heute Journal“ sehen. „Die 100“ ist ein Versuch, große politische Streitthemen mal anders darzustellen und ja – sie auch unterhaltsam zu präsentieren.
Die Sendung ist eine Stunde lang. Wie viel von der ursprünglichen Debatte sehen wir darin?
In der Regel müssen wir aus der Aufzeichnung zehn bis fünfzehn Minuten rausnehmen und einzelne Aussagen auch mal kürzen. Es ist normal, dass man auch mal zu lang wird, wenn man miteinander redet. Wir versuchen, nicht so viel schneiden zu müssen. Die AfD-Sendung wurde am Samstag aufgenommen und am Montag gesendet, da bleibt uns ohnehin nicht viel Zeit für die Bearbeitung. Es kann im Eifer des Gefechts auch mal passieren, dass jemand etwas sagt, was gar nicht stimmt. Falsche Fakten würden wir natürlich nicht senden – schon deswegen nicht, weil wir in der Verbreiterhaftung sind. Können wir das Gesagte in der Sendung nicht spontan richtig stellen, würden wir das schneiden.
Werden auch Statements, die nicht gelungen sind, wiederholt?
Das haben wir noch nie gemacht. Erfahrungsgemäß funktioniert das auch nicht – entweder es klappt beim ersten Mal oder gar nicht. Mit Profis kann man etwas wiederholen, sonst nicht.
Dafür sind die Statements der Menschen erstaunlich knapp und auf den Punkt, ohne lange Monologe.
Das funktioniert, wenn die Leute wirklich spontan und ehrlich ihre Meinung sagen. Wenn sie versuchen, eine Botschaft zu platzieren, merkt man das schnell.
Im November sind zwei weitere Aufzeichnungen geplant. Macht Ihnen das noch Spaß, wenn Sie jetzt unter so genauer Beobachtung stehen?
Wir merken, dass es heftigen Gegenwind vor allem von rechts gibt. Diese Menschen führen mit uns keine Interviews, sondern posten im Netz irgendwelche Listen mit Namen von angeblichen Teilnehmern, die angeblich gekauft oder für Parteien dabei sind. Dabei stimmen noch nicht einmal alle Namen auf diesen Listen. Das zu lesen, macht keinen Spaß. Dazu kommt, dass wir nicht ganz ausschließen können, dass uns Leute in die Sendung geschickt werden, um irgendetwas Seltsames zu schwurbeln. Das würden wir dann schneiden. Allerdings vermutlich mit dem Ergebnis, dass das später skandalisiert wird, nach dem Motto: „Ich habe ja die Wahrheit gesagt, aber ich wurde rausgeschnitten.“ Das werden wir nicht verhindern können – das ist auch bei dieser Sendung passiert.
Hat sich da auch jemand darüber beschwert, rausgeschnitten worden zu sein?
Ein YouTuber hat einen unserer Teilnehmer interviewt. Bei dem hatten wir etwas gekürzt und er echauffierte sich, das sei nur passiert, weil er so kritisch gewesen sei. Daran würde man ja sehen, dass wir eine klare Agenda hätten. Wir sind dann angewiesen auf kritische kluge Medien, die das nicht einfach übernehmen, sondern prüfen, was tatsächlich gelaufen ist. Dann bleiben solche Vorwürfe in diesen rechten Blogs und verbreiten sich nicht weiter. Wenn diese Kreise es aber schaffen, ihr Gift der Desinformation und Verunsicherung in bürgerlichen Kreisen zu verbreiten, wird es in meinen Augen gefährlich. Ich sehe, dass viel versucht wird, um unsere Glaubwürdigkeit zu untergraben – mit dem Ziel, die Gesellschaft insgesamt zu verunsichern.
Zudem Sie ja manche Menschen mit öffentlich-rechtlichem Programm gar nicht mehr erreichen. Haben Sie da nicht manchmal das Gefühl, Sie könnten das Ganze auch sein lassen?
Dass unsere Sendung von dieser Seite so unter Beschuss gerät, zeigt meiner Meinung nach, dass einige Menschen an keinem ehrlichen Diskurs interessiert sind – entweder weil sie schon so frustriert sind, dass sie gar nicht mehr erreichbar sind, oder weil sie sowieso eine ganz andere Gesellschaft vor Augen haben. Aber von den „100“, die bei uns teilgenommen haben, waren die Rückmeldungen wahnsinnig positiv. Das Fernsehpublikum konnte auch mit abstimmen und über 70 Prozent der Menschen fanden die Argumente ausgewogen, die Sendung wurde insgesamt sehr, sehr gut bewertet. Nicht jeder muss „Die 100“ mögen, aber es gibt viele Menschen, die diese Art von Diskussion gewinnbringend und bereichernd finden – und auf die fokussieren wir uns.
Es ist wichtig, dass wir es uns bewahren, offen zu unserer Meinung zu stehen und die Meinung von anderen gelten zu lassen. Wir wurden schon gefragt, warum wir Leute mit vollem Namen und Wohnort zeigen. Ich kann das ein Stück weit verstehen angesichts der Tatsache, dass einige Menschen, die bei uns mitgemacht haben, sich auf irgendwelchen Listen im Internet wiedergefunden haben – teilweise mit der Angabe, welcher Partei der Ehemann oder die Ehefrau angehört. Das ist absurd. Mich erschreckt, dass wir darüber reden müssen, ob es okay ist, sich in einer Sendung mit Gesicht und vollem Namen zu äußern. Ich jedenfalls möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Diskurs und Debatte nur noch hinter verschlossenen Türen oder anonymisiert auf Social Media stattfinden.
Die Autorin
Foto: Evgeny Makarov
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat als freie Autorin, Moderatorin und Redakteurin unter anderem für „Mediasres“ (Deutschlandfunk) und das „Altpapier“ (MDR) gearbeitet, außerdem für das Medienmagazin des WDR. Sie hat Journalistik und Politikwissenschaft in Eichstätt und Erlangen studiert und ihr journalistisches Handwerk im Lokalen gelernt.
4 Kommentare
Ich finde es gut, dass es auch so eine Sendung gibt. Den Vorwurf, Aussagen zu verkürzen, könnte man entkräften, wenn man in der Mediathek auch die ungekürzte Fassung einstellen würde. Was mich bei der Sendung zum AfD-Verbot störte, war, dass die Darsteller der beiden Positionen diese nur vortrugen, persönlich aber gar nicht davon überzeugt sein mussten.
@1:
Es gibt keine ungekürzte Fassung. Es gibt nur das eine Format, aus dem „10-15 Minuten rausgeschnitten“ sind.
Außerdem würde das Rumgeheule ja weiter gehen: „Nur Online? Sieht doch keiner! Unterdrückung!“
Sie haben sich das Interview vollständig durchgelesen und kommen dann zu dem Schluss, dass es Darsteller sind, die Texte aufsagen?
Glückwunsch zu diesem gelungenen Interview!
Saldenholz argumetiert und erklärt so abgewogen wie überzeugend – das macht es noch einmal besonders schön.
Ich finde es gut, dass es auch so eine Sendung gibt. Den Vorwurf, Aussagen zu verkürzen, könnte man entkräften, wenn man in der Mediathek auch die ungekürzte Fassung einstellen würde. Was mich bei der Sendung zum AfD-Verbot störte, war, dass die Darsteller der beiden Positionen diese nur vortrugen, persönlich aber gar nicht davon überzeugt sein mussten.
@1:
Es gibt keine ungekürzte Fassung. Es gibt nur das eine Format, aus dem „10-15 Minuten rausgeschnitten“ sind.
Außerdem würde das Rumgeheule ja weiter gehen: „Nur Online? Sieht doch keiner! Unterdrückung!“
Sie haben sich das Interview vollständig durchgelesen und kommen dann zu dem Schluss, dass es Darsteller sind, die Texte aufsagen?
Glückwunsch zu diesem gelungenen Interview!
Saldenholz argumetiert und erklärt so abgewogen wie überzeugend – das macht es noch einmal besonders schön.
Danke für das Interview.