„13 Fragen“

Eine Talkshow, die den Konsens sucht, nicht den Krawall

Um das direkt klarzustellen: Öffentlich-rechtliche Polit-Talkshows schaue ich mir so gut wie nie an. Die Abende, an denen ich „Anne Will“, „Hart, aber fair“ oder „Markus Lanz“ geschaut habe, kann ich an einer Hand abzählen. Für eine Medienjournalistin ist das vermutlich eine Todsünde, aber für Menschen in meinem Alter gar nicht so ungewöhnlich – in meinem Freundeskreis sind die Polit-Talks einfach kein Thema.

Umso höher rechne ich es ZDFKultur an, eine Talkshow für Leute wie mich erfunden zu haben: „13 Fragen“ ist unterhaltsam, politisch und konstruktiv. Schon seit der ersten Staffel rufe ich das Format regelmäßig in der Mediathek ab und vergesse beim Anschauen dann meistens, dass ich nebenher kochen wollte, weil mich die Debatten so fesseln.

Die Diskutanten zum Thema Impfen Foto: ZDF

Die Folge zum Umgang mit Ungeimpften, zum Beispiel, hat mich im November noch tagelang grübeln lassen. Sechs Menschen diskutieren darin, ob es gerecht ist, wenn Bars und Clubs nur noch Geimpfte und Genesene einlassen. Es geht um das Nachtleben als Ort der Begegnung für alle und um die Frage, wie weit ein Staat Freiheiten einschränken darf. Beim Zuschauen konnte ich zum ersten Mal richtig nachfühlen, was manche Gegnerinnen und Gegner der Pandemie-Maßnahmen bewegt.

Mit meiner Begeisterung bin ich nicht alleine. Auf YouTube, wo das Video auf dem Kanal von ZDFheute steht, bekommt es viel Zuspruch. „Für mich eines der wichtigsten Formate aktuell. So eine Gesprächskultur und -offenheit fehlt uns in der Gesellschaft so sehr“, hat ein YouTube-User geschrieben. Ein anderer kommentiert: „Bin selbst in der Gastronomie tätig und momentan teilweise am Ende meiner psychischen Leistungsfähigkeit. Dieses Video gibt mir irgendwie Kraft.“

Der Clip über den Umgang mit Ungeimpften hat auf YouTube fast zwei Millionen Klicks gesammelt; darunter stehen bislang über 29.000 Kommentare. Die Episode ist die bislang erfolgreichste Folge von „13 Fragen“, das im Herbst 2020 online gegangen ist. Statt um Krawall und Konflikt geht es in der Show um Konsens und Kompromiss. Die Gäste sollen nicht nur markige Statements in die Welt setzen, sondern einander zuhören und aufeinander eingehen. Entwickelt wurde das Format in Zusammenarbeit von ZDFkultur und der Produktionsfirma hyperbole, und zwar für Menschen wie mich: „Ziel war es, 25- bis 35-Jährige zu erreichen. Wir erreichen aber genauso viele noch unter 25“, sagt mir Stefan Münker, beim ZDF für die Redaktion der Sendung verantwortlich.

Annäherung auf einer Art Schachfeld

Mit den etablierten Gesprächsrunden im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm hat „13 Fragen“ wenig zu tun. Statt in bequemen Sesseln im Hochglanzstudio diskutieren die Gäste in der stylisch-schäbigen Kulisse einer ehemaligen Berliner Brauerei – im Stehen. Denn die Debatte ist als Spiel angelegt, mit dem Ziel, gemeinsam einen Kompromiss auszuhandeln. Die sechs Gäste platzieren sich dafür je nach Meinung auf einer Art großem Schachfeld. Wenn sie einer Äußerung der Gegenseite zustimmen, machen sie einen Schritt aufeinander zu, bei Ablehnung gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes auf Abstand. Die Hosts Salwa Houmsi und Jo Schück, die das Format im Wechsel moderieren, haben die Aufgabe, alle Teilnehmenden mit 13 gezielt gestellten Fragen möglichst nah zusammenzubringen.

In den ersten drei Staffeln hat die Redaktion so schon eine ganze Reihe von Themen abgearbeitet. Das Spektrum reicht von aktuellen Debatten über autofreie Innenstädte oder Eingriffe in den Wohnungsmarkt bis hin zu Grundsatzfragen wie Sterbehilfe, Abtreibung oder gar die Zukunft des Kapitalismus. Das Konzept hat sich aus Sendersicht bewährt: In dieser Woche startet die vierte Staffel mit 20 weiteren Folgen.

Salwa Houmsi und Jo Schück
Die Moderatoren Salwa Houmsi und Jo Schück Foto: ZDF/David Biene

Auch bei „13 Fragen“ sind wie in anderen Talkshows ab und an Politikerinnen und Politiker zu sehen, genauso wie Buchautoren und Journalistinnen. Viel häufiger jedoch diskutieren Betroffene, Aktivistinnen und Influencer. „Wir wollen Leute, deren Leben mit diesen Themen direkt etwas zu tun haben“, sagt ZDF-Redakteur Münker. So sind bei der Debatte über ein Prostitutionsverbot nur Frauen eingeladen, darunter eine Erotik-Influencerin und eine Sozialarbeiterin, die Armutsprostituierten beim Ausstieg hilft. Über den Afghanistan-Einsatz diskutiert unter anderem ein Ex-Soldat mit einer afghanischen Studentin. Dadurch werden die ausgetauschten Statements persönlich und emotional, denn diejenigen, über die man sich äußert, stehen im Zweifelsfall nur wenige Meter weiter. Ein Nachteil ist, dass sachliche und emotionale Argumente manchmal bunt durcheinanderpurzeln. Ab und zu blendet die Redaktion deswegen kurze Faktenchecks ein.

Mehr Frauen, mehr Influencer

Eines sticht im Vergleich zu anderen Talkshows sofort ins Auge: Die Besetzung bei „13 Fragen“ ist weiblicher und diverser; es war erklärtes Ziel bei der Formatentwicklung, mehr Frauen anzusprechen. Zusätzlich spielt die Reichweite der Eingeladenen eine Rolle, als Teil der Strategie, das Format in den sozialen Netzwerken weit zu streuen. Die passenden Gäste zu finden, ist für die Produktionsfirma der größte Zeitaufwand, heißt es in der Redaktion. Denn wenn die zwei Seiten unausgeglichen sind oder einzelne Gäste stur auf ihrer Position beharren, anstatt ins Gespräch zu kommen, kippt die Dramaturgie.

Es sei kein Nachteil, wenn es bei manchen Themen keine Einigung gebe, findet Stefan Münker. Oft entwickelt sich durchaus ein Diskurs, bei dem Gäste Zugeständnisse an die andere Seite machen. Moderatorin Salwa Houmsi zufolge passiert es immer wieder, dass Teilnehmende nach dem Dreh Nummern austauschen, um in Kontakt zu bleiben.

Im linearen Fernsehen war „13 Fragen“ nur wenige Wochen lang im Sommer zu sehen, in acht Folgen vor der Bundestagswahl bei ZDFneo. Die Quoten waren sonntagabends um 23.15 Uhr eher mager, am Premierenabend schalteten rund 120.000 Menschen ein. Ihr wahres Zuhause hat die Show hingegen auf YouTube gefunden, wo die meisten Folgen mehrere Hunderttausend Klicks generieren. Die Bindung der Zielgruppe an das Format habe viel mit dem Community Management zu tun, sagt ZDF-Redakteur Münker. Die Redaktion antwortet auf Kommentare und moderiert die Debatte. In den ersten 24 Stunden nach der Veröffentlichung übernehme das die Produktionsfirma, im Anschluss dann das Social-Media-Team des ZDF. Wie viel Aufwand das sei, hänge auch von Thema der Sendung ab.

Die Gäste bei der Abtreibungs-Diskussion Foto: ZDF

Zu einer der meistgeklickten Folgen gehört eine Episode über Schwangerschaftsabbrüche, an der nicht nur zwei Gynäkolog*innen teilnehmen (für jede Seite eine*r), sondern auch eine Lebensrechtaktivistin und eine Modebloggerin, die abgetrieben hat. Obwohl sich die Gäste am Ende nicht einigen können, stehen fast alle im Kompromissfeld, weil sie trotz grundlegender Meinungsverschiedenheiten auch Gemeinsamkeiten gefunden haben.

In der Episode zum Umgang mit Ungeimpften hingegen gehen die Gäste zwar aufeinander zu, zu einem Konsens kommt es aber nicht. „Bei dem Thema war es abzusehen, dass wir keine einvernehmliche Lösung finden werden“, zieht Moderator Jo Schück zum Schluss Bilanz. Darum geht es aber vielleicht auch gar nicht – sondern darum, neue Formate zu finden, wie wir über unterschiedliche Meinungen respektvoll diskutieren können.

Ob „13 Fragen“ das besser kann als die klassischen Talkshows, kann ich naturgemäß nicht beurteilen (siehe oben). Aber für mich kann ich sagen: Auf der Suche nach einer besseren Debattenkultur, gerade auch im Netz und in sozialen Netzwerken, ist „13 Fragen“ ein großer Schritt nach vorne.


Am 9. Februar startet die vierte Staffel von „13 Fragen“ mit dem Thema: „Müssen wir Corona-Impfpatente freigeben?“. 20 Folgen werden im Zwei-Wochen-Rhythmus auf dem YouTube-Kanal von ZDFheute und in der ZDF-Mediathek veröffentlicht.

3 Kommentare

  1. Eine Idee, die Rumpeligkeit aus Anne Will und Co. rauszubekommen wäre doch sicherlich, die privaten Produktionsfirmen der Sendungen nicht weiter zu engagieren. Ein hart aber fair funktioniert auch ohne Frank Plasberg und seine Produktionsfirma. Anne Will kann auch Dunja Hayali heißen und vom ZDF direkt produziert werden, das wird dem Zuschauer letztlich egal sein, solange er Lauterbach, Montgomery und Till Schweiger bekommt.
    Die Privatunternehmen, die seit Anfang der 10er Jahre diese Sendungen produzieren sind halt auf Gewinnmaximierung aus. Und Krawall ist gut für Gewinn. Das wurde ja auch schon x-fach so von klügeren Menschen analysiert. Da hat man als ÖR Sender doch eh nichts von, außer vllt. bisschen höhere Quote. Das Geld bleibt bei Anne Will und Co.

  2. Ich hab ein Grundsatz-Problem mit der Sendung – was mein Grundsatz-Problem mit den meisten Diskursen ist. Dass man alle Themen auf genau zwei Positionen kürzen will. Ja/Nein. Dafür/Dagegen. Mehr/Weniger.

  3. @2: Das Gehirn ist doch auch ein Entscheidungsorgan und eine Entscheidung ist vom Prinzip her erst mal ein Entweder/Oder als Resultat eines Prozesses. Selbst wenn man rational unschlüssig ist, gibt’s doch sicher eine Tendenz, die sich eben binär abbilden lässt.

    13 Fragen zeigt doch sehr schön, wie Menschen zu ihren Entscheidungen kommen und dass eine Entscheidung eben auch fluide sein kann und nicht in Stein gemeißelt ist.

    Außerdem ist das „Spielfeld“ ja alles anderes als binär gestaltet. Es gibt zwar die beiden Seiten, aber eben auch noch Abstufungen. Mir ist kein besseres Format bekannt, dass deinen Kritikpunkt besser anpackt, um ein Thema und die Position von Personen differenziert abzubilden.

    Zudem greift die Sendung ja auch öffentliche Debatten auf, die bereits in der Gesellschaft oder Medien eher binär geführt werden.

    Da ich es im Prinzip auch bedenklich finde, dass viele Diskurse (und Sendungen) eher einen Wettstreit mit Sieges-Absichten darstellen, würde mich sehr interessieren, wie das Dilemma zu lösen gedenkst. Wie müsste die Sendung aufgebaut sein? Klare und zunächst simpel erscheinende Position helfen ja auch, sich überhaupt in Thema einzufinden.

    Ansonsten kann ich Frau Schneider nur zustimmen. Die Sendung ist eine wahre Perle. Es ist eine Wonne zu sehen, wie die Teilnehmer eben nicht versuchen, andere Meinungen platt zu machen. Zudem finde ich die Moderation meist sehr gut, da sie sich weitgehend neutral verhält und nicht anstachelt und provoziert, wie das etwa der Lanz gerne macht. Manche Fragen lassen zwar ein bestimmtes einseitiges Framing erkennen, aber oft wird dies ja auch gleich als Spielball aufgenommen und zerpflückt.

    Was mich noch aufgefallen ist. Die Sendung ist für mich als Zuschauer deutlich anstrengender als andere Talk-Shows. Da ist halt wenig Gelblubber und alle kommen schnell zum Punkt. Großartig.

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