Notizblog (24)

Deppen-Berichte über den Deppen-Apostroph

Christel's Friseur-Stube
Foto: Philipp Jost CC BY-SA 3.0

Was ist schlimmer als ein falscher Apostroph? Richtig: seine Legalisierung.

Als wäre es nicht schlimm genug, dass Menschen nicht davon abzubringen sind, ihre Geschäfte „Moni’s Waschsalon“, „Oma’s Küche“ oder „Toni’s Taverne“ zu nennen, sollen diese Schreibweisen nun nicht einmal mehr falsch sein! Zahlreiche Medien berichten, dass der Deutsche Rechtschreibrat die Regeln jetzt entsprechend geändert habe.

Das allerdings stimmt so gar nicht. Das Gremium hatte solche von Kritikern als „Deppenapostroph“ geschmähte Verwendungen des Satzzeichens immer schon für zulässig erklärt. In der ersten von ihm herausgegebenen Fassung des Amtlichen Regelwerks aus dem Jahr 2006 hieß es:

Von dem Apostroph als Auslassungszeichen zu unterscheiden ist der gelegentliche Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens vor der Genitivendung -s oder vor dem Adjektivsuffix -sch: Carlo’s Taverne, Einstein’sche Relativitätstheorie

Dieselben Beispiele hatte auch das Vorgängergremium des Rechtschreibrates, die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung, schon aufgeführt.

Alter’s Hut

Auch der Duden hat schon vor vielen Jahren unter Bezug auf diese amtlichen Regeln den Apostroph bei Namen vor dem Genitiv-S für zulässig erklärt, und das nicht nur bei „Andrea’s Blumenecke“ (zur Unterscheidung vom männlichen Vornamen Andreas, analog zu „Carlo“ und „Carlos“), sondern auch bei „Willi’s Würstchenbude“.

Auch im „Wahrig“-Wörterbuch hieß es schon 2012, dass der Apostroph zur Abtrennung des Genitiv-S „zur Verdeutlichung von Eigennamen“ zugelassen sei und nennt als Beispiel „Christina’s Blumenshop“.

Das ist also, anders als viele Medien gerade behaupten, nicht neu. In der aktuellen Fassung hat der Rechtschreibrat diese Ausnahme allerdings ausdrücklich auf Fälle von Geschäftsnamen bezogen – man könnte auch sagen, beschränkt:

Die Verwendung des Apostrophs zur Abgrenzung des Genitiv-s bei Eigennamen ist möglich, wenn die Gesamtkonstruktion ein Eigenname ist: Eva’s Blumenladen oder Evas Blumenladen, Peter’s Taverne oder Peters Taverne; aber Evas Mutter, Peters Brille

Diese neue Formulierung ist streng genommen auch schon keine Neuigkeit mehr. Der Rechtschreibrat hat sein Regelwerk, in dem sie enthalten ist, bereits im Juli veröffentlicht. (Damals löste er, die Älteren werden sich erinnern, völlig fehlgeleitete Euphorie über die vermeintliche Abschaffung des Gendersterns aus.)

Steht jetzt überall

Es gibt also wirklich gar keinen Grund, ausgerechnet jetzt über den angeblich jetzt erlaubten „Deppen-Apostroph“ zu berichten. Und trotzdem tun das (fast) alle:

„Bild“ meldete:

Neue Rechtschreib-Regel Deppen-Apostroph jetzt erlaubt
Screenshot: bild.de

Der „Stern“ behauptete:

„Deppen-Apostroph“ laut neuer Rechtschreibregel jetzt erlaubt
Screenshot: stern.de

Die „Augsburger Allgemeine“ meinte:

Der "Deppen-Apostroph" wird jetzt erlaubt
Screenshot: augsburger-allgemeine.de

Zahlreiche andere Medien verbreiteten die Deppen-Meldung ebenfalls in nachrichtlicher oder launiger Form.

Je Apostroph, desto Witz

Besonders bestürzend ist, was die vermeintliche News bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ auslöste: Dort kommentierte Andreas Platthaus, verantwortlich für „literarisches Leben“, die angebliche „Legitimierung des Deppen-S“ (obwohl der Gebrauch des „S“ an dieser Stelle völlig unstrittig und der Buchstabe jenseits jenes Textes bislang nicht unter Deppenverdacht stand). Die Überschrift „Apo’stroph“ entpuppt sich leider als programmatisch für die gesamte Glosse. Ihr, nun ja, Witz besteht darin, dass der Autor großzügige Apostrophe vor „s“ gestreuselt hat :

Die’se Glo’sse i’st in einer Schreibwei’se verfa’sst, die dem Stand der deut’schen ­Orthographie in etwa fünfzig Jahren ent’sprechen könnte. Der Deut’sche Rat für Recht’schreibung hat un’s ja im letzten Vierteljahrhundert nicht eben verwöhnt mit kon’sequenten Ent’scheidungen (von sinnvollen wollen wir gar nicht er’st reden). Nun hat er mitgeteilt, da’ss die Apo’strophierung de’s Genitiv-S künftig bei Eigennamen erlaubt sein soll.

(…) wir dürfen ge’spannt sein, ob sich da bei „Haushalt’s Bedarf“ oder „Wirt’s Haus“ nicht auch das Gefühl fest’setzen wird, genau richtig zu firmieren. Zumal e’s ja offenbar nur eine Frage de’s kon’sequent fal’schen Gebrauch’s und der dann ein’setzenden Gewohnheit der Le’ser i’st, ob sich nicht noch der grö’ßte Humbug durch’setzt. De’shalb legen wir hier denn auch schon einmal damit lo’s. Und mit dem angedeuteten Un’sinn mu’s’s ja noch lange nicht ’Schlu’s’s ’sein.

Man kann nur vermuten, dass der Autor offenbar davon ausging, dass sein Text mit jedem falschen Apostroph noch lustiger wurde. Gäbe es doch bloß einen Deutschen Glossen-Rat, der hier Standards definierte oder gar Sanktionsmöglichkeiten hätte!

Falsch ist der FAZ-Text, wie eingangs erklärt, noch dazu, und er gibt der angeblichen Legalisierung des apostrophierten Genitiv-S bei Eigennamen auch noch ein spezielles Datum: „Von September 2025“ an sei es erlaubt. Das ist besonders rätselhaft, weil das Regelwerk ja längst gilt. Das Datum findet sich auch in einigen anderen Berichten – und führt zu einer Erklärung für die Berichterstattungswelle.

Orrrr, Österreich

Schuld ist Österreich. Genauer gesagt, der Österreichische Bundesverlag (öbv), in dem das Österreichische Wörterbuch erscheint. Er hat vergangene Woche eine Pressemitteilung herausgegeben, in dem er einen Überblick über die im Juli beschlossenen neuen Regeln gibt. Darin heißt es: „Die neuen Regeln treten im Herbst 2025 in Kraft; ab dann läuft eine Übergangsfrist von zwei Jahren“ – das sind die staatlichen Regeln in Österreich.

Die Sache mit dem Herbst 2025 haben aber diverse deutsche Medien offenbar blind aus den österreichischen Medien abgeschrieben, wo auch die abwegige Aufregung um die vermeintlich jetzt erfolgte Legalisierung des „Deppen-Apostrophen“ besonders heftig tobt. Sie wurde unter anderem vom „Standard“ befeuert, der meinte, ein „Machtwort“ des Rechtschreibrats in dieser Sache gehört zu haben. Die ORF-Nachrichtensendung „ZIB 2“ fantasierte auf ihrer Facebook-Seite gar von einer „Revolution beim Rechtschreibrat“.

In Österreich wurde die Diskussion noch durch eine weitere Fehlinterpretation verschärft, die auf die Pressemitteilung des Österreichischen Bundesverlags zurückgeht. Darin heißt es, der Genitiv-Apostroph sei „in Eigennamen von Lokalen und Institutionen nun obligatorisch, z.B. ‚Rudi’s Würstelstand‘.“

Bereits im September hatte sich die Chefredakteurin des Wörterbuchs, Christine Pabst, gegenüber den „Niederösterreichischen Nachrichten“ (NÖN) so irreführend geäußert, dass die titelten:

Usus wird Norm: "Deppen-Apostroph" wird künftig zur Pflicht
Screenshot: noen.at

Auf Nachfrage von Übermedien räumte die Pressesprecherin des Verlages den Fehler ein: Man habe ihn bereits bei den entsprechenden Redaktionen richtiggestellt und eine korrigierte Version der Pressemitteilung verschickt.

Deppen für die Welt

Immerhin dieser Fehler scheint es nicht über die Grenze nach Deutschland geschafft zu haben, aber dafür die ganze Geschichte nun auch noch in den englischen Sprachraum. Der „Guardian“ berichtet unter der Überschrift „Germans decry influence of English as ‚idiot’s apostrophe‘ gets official approval“ über die vermeintlich neuen Regeln.

PS: Allen, die die Gelegenheit nutzen wollen, den Kaninchenbau, den die Verwendung des Apostroph zur Markierung des Wortstamms in der Geschichte der deutschen Sprache darstellt, in all seiner beachtlichen Tiefe zu erkunden, sei der entsprechende Wikipedia-Artikel empfohlen. Er dokumentiert unter anderem, dass Mitte des 19. Jahrhundert die Schreibung „Göthe’s Werke“ als richtig galt.

Und CUS, der inzwischen verstorbene Rätselmacher des „SZ-Magazins“, schilderte vor einigen Jahren in seiner Sprachkolumne zum Thema, wie Thomas Mann, „in seine Gesamtausgabe von 1960 wieder die Apostrophe hinein korrigierte, die ein übereifriger Lektor herausgestrichen hatte“: „Tonio’s“ schrieb er und „Rebecca’s“.

20 Kommentare

  1. Polarisierende Themen verkaufen sich besser, deshalb kommen diese Zombie-Artikel mittlerweile auch anlasslos aus dem Archiv.
    „Verfall deutscher Werte“ geht immer, gerade in der jetzigen Phase der Konterrevolution. Zuwanderung is‘ Schuld, erklärt mir bestimmt Reichelt oder Tichy.
    Der Sharapova-Text war auch so ein Wiedergänger, eine Klick-Cow sozusagen.

  2. Aber waren es „Göthe‘s Werke“ (mit Abführungszeichen) oder wohl doch eher „Göthe’s“ (sowie „Tonio’s“ und „Rebecca’s“)? Nur um es wirklich ganz genau zu nehmen ;-)

  3. Sehr schön in ihrem Text, ob Absicht oder nicht, ist die Trennung des Rechtschreibrates zum

    Rechtschrei-
    brat

    ist der Begriff brat denn immer noch in Mode oder nicht doch schon wieder out?

  4. #3: Das ist ein beliebter Fehler, auch die Wikipedia schreibt natürlich korrekt »Göthe’s Werke« Das »‘« ist kein Apostroph, sondern ein einfaches Anführungszeichen oben. Gerne wird auch der Accent grave »`« als Apostroph verwendet. Das finde ich persönlich ziemlich unästhetisch. (Wohl eine Nebenwirkung der beruflichen Beschäftigung mit Typographie.)

    Etwas verrückt bei Stern und Augsburger Allgemeine, dass sie beide die – strenggenommen nur für Schreibmaschinen oder alte Computersysteme erlaubten – »“« als Anführungszeichen benutzen, also selbst mit der Zeichensetzung schludern. Sowohl „ als auch “ waren zwar nicht in den noch bis Anfang der 2000er Jahre überwiegend verwendeten Latein-Zeichencodierungen enthalten und daher in E-Mails oft problematisch. Das Web basiert allerdings seit 1997 (HTML 4.0) auf Unicode als Zeichensatz. Da sind die deutschen Anführungszeichen drin. Kein Grund, 2024 noch den Schreibmaschinensatz zu verwenden. (Streng genommen ist das auch falsch.)

  5. Das Deppen-Apostroph hat meiner Meinung nach nur bei einer echten Institution etwas zu suchen: bei Franky’s Video Power. Ein todsicheres Ding! :-)

  6. @rax: Oh ja, stimmt. Ich hab’s korrigiert. (Problem ist auch, dass Redaktionssysteme oder Textverarbeitungen teilweise automatisch Zeichen umwandeln und nicht immer richtig.)

    @Gerlind: Hm, ja. Ich geh dem mal nach.

  7. Da irgendeines von ‚, ´und ´ auch einen Verschlusslaut markieren kann, werde ich in Zukunft „Lehrer’innen“ statt „Lehrer*innen“ schreiben.
    So triggere ich möglichst viele Leute gleichzeitig, und das ist ja der Sinn von Sprache.

  8. Richtig Freude macht das Ganze nur mit einem accent de gue anstelle eines Apostrophs. ;o)

    Aber Spaß beiseite. Ich habe mich als gelernter Grafik-Designer selber von dann und wann darüber lustig gemacht. Heutzutage denke ich mir allerdings, dass die Aufregung und Wertung des Verwenders (»Deppen«) komplett übertrieben ist. In 99% der Fälle wird der Rezipient verstehen wie eine solche (Firmen-)Bezeichnung gemeint ist, ob nun mit oder ohne Apostroph. Also kein Grund sich aufzuregen, auch wenn es vielleicht keine perfekte Rechtschreibung ist.

  9. Es dürfte mindestens 40 Jahre her sein, dass Hermann Gremliza einen unermüdlichen und immer vergeblichen Kampf gegen das Deppen-Apostroph geführt hat. Inzwischen sind Geschäfte wie „Gabi’s Teeladen“ so allgegenwärtig, dass es nahezu unvermeidlich war, die Kritik daran einzustellen. Dass diese Geschäfte schon seit Jahren den offiziellen Segen haben war mir unbekannt.

  10. Vielen Dank für den verlinkten CUS-Artikel. Alles an der Recherche ist schön und lesenswert, aber der Link
    Macht es zu Gold.

    Bin aber dennoch gespannt, wie sich die 1960 erklären. Keep us posted, please.

  11. @Peter (#11): Das Internet wurde aber doch erfunden, um sich über die Rechtschreibung anderer aufzuregen… tststs

  12. @Gerlind & @Stefan Niggemeier

    Bei Wikipedia steht die Gesamtausgabe so gelistet:
    „Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Hrsg. von der Akademie der Künste der DDR (in Zusammenarbeit mit Thomas Mann, hrsg. von Hans Mayer und Erich Neumann für die Textrevision). Aufbau-Verlag, Berlin 1955. Neuausgabe Frankfurt am Main 1960.“
    Die gesammelten Werke sind also in Zusammenarbeit mit Thomas Mann schon 1955 erstmals erschienen, die Neuausgabe scheint dann fünf Jahre später im S. Fischer Verlag und nicht im Aufbau-Verlag erschienen zu sein.

    Ansonsten scheint die beschriebene Haltung von Thomas Mann zum Apostroph zu stimmen bzw. in der Thomas Mann Forschung als richtig zu gelten, z.B. in diesem Review (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1600-0730.2007.00928.x) steht in der Fußnote (ohne weitere Quelle) erläutert:
    „Thomas Mann urteilte im Tagebuch: ,,Spricht über den Joseph wie Rabbi’s13 über die Thora‘‘ (Tagebuch 26. Januar 1946). […]
    13 Gemeint sind Rabbiner im Plural. Thomas Mann hielt den Apostroph vor dem Genitiv-s nach vokalischem Auslaut für angebracht.“

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