Wieso ist das so? (22)

Wie arbeitet eine Korrespondentin, die über ein riesiges Gebiet berichtet?

Katharina Willinger bei einer Schalte aus Hayat, wo 2023 ein Erdbeben viele Orte zerstörte.
Katharina Willinger bei einer Schalte aus der türkischen Provinz Hatay, wo 2023 ein Erdbeben viele Orte zerstörte. Foto: BR

Das ARD-Studio Istanbul mit insgesamt vier Korrespondenten ist für die Länder Türkei, Zypern und Iran zuständig – und damit für ein riesiges Gebiet vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Wie schafft man es, da den Überblick zu behalten? Und wie frei kann man überhaupt aus Ländern berichten, in denen die Pressefreiheit stark eingeschränkt ist bzw. in denen es keine freien Medien gibt? Darüber haben wir mit Katharina Willinger gesprochen, Leiterin des ARD-Studios in Istanbul. Erreicht haben wie sie in der türkischen Region Hatay, wo nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 die Zerstörung noch immer allgegenwärtig ist.


Übermedien: Frau Willinger, Sie und Ihre Kollegen berichten für die ARD aus der Türkei, dem Iran und Zypern. Das ist ein großes Gebiet mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Wie machen Sie das?

Katharina Willinger: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir arbeiten mit sogenannten Producern vor Ort zusammen. Die sind teilweise schon 20 oder 30 Jahre für die ARD tätig. Mit der Zeit baut man sich auch sein eigenes Netzwerk aus Lokalpolitikern, Aktivisten, NGOs und Privatmenschen auf. Wir müssen dabei immer aufpassen, dass wir den Blick für die entlegeneren Regionen nicht verlieren. Als Korrespondent lebt man an einem festen Standort, hat vielleicht sogar Familie dort. Man muss möglichst viel reisen, raus aus Teheran oder Istanbul, damit man nicht in einer Großstadt-Bubble feststeckt.

Können Sie das denn so einfach?

In der Türkei können wir uns weitgehend unbehelligt bewegen. In Zypern auch, bis auf die militärischen Sperrgebiete. Aber im Iran ist das ein großes Problem. Für jede Drehreise außerhalb der Hauptstadt braucht man vorher eine Genehmigung der zuständigen Behörden. Man kann also nicht einfach mal so in die kurdischen Provinzen fahren, zum Beispiel. Das ist eine immense Einschränkung, die dazu führen kann, dass man eben nicht mehr den Gesamtüberblick hat.

Meinen Sie, den Leuten ist bewusst, wie Ihre Beiträge entstehen, wenn sie abends die „Tagesschau“ sehen?

Ich glaube, den meisten nicht. Menschen sagen: Wir haben deine Stimme gehört. Du hast da über den Beitrag gesprochen. Aber dass ich den Beitrag vor Ort selbst produziert habe, die Geschichte zusammen mit meinen Kollegen selbst gefunden habe, das wird oft nicht mitgedacht. Den wenigsten Menschen ist klar, wie schwierig es ist, einen Beitrag in einem Land zu produzieren, in dem keine Pressefreiheit herrscht. Wie schwierig es ist, im Iran nur auf die Straße zu gehen und da Bilder zu drehen. Jeder, der Kritik am Regime übt, kann sich mit einem Interview in Gefahr bringen. Lokale Mitarbeiter in Ländern, in denen die Presse nicht frei ist, gehen regelmäßig ein großes Risiko ein. Da gilt es als Korrespondentin immer wieder die Balance zu finden, zwischen Sicherheit für die Menschen und dem was berichtet werden muss. Und diese Gemengelage kommt in einem 1:20-Beitrag in der Tagesschau natürlich nicht rüber. Und das soll’s manchmal auch gar nicht.

Wie finden Sie Ihre Themen und Geschichten?

Auch wir haben natürlich unsere festen Nachrichtenseiten, die wir uns standardmäßig durchlesen. Das sind hauptsächlich türkische Tageszeitungen oder Online-Plattformen und natürlich Social Media. Das gleiche gilt für den Iran. Aber: Im Iran gibt es keine oppositionelle Presse im eigentlichen Sinne. Also achten wir natürlich auch auf iranische Exilmedien. Dann kriegt man ein Gefühl für die Tagespolitik und dafür, was gerade wichtig ist in dem Berichtsgebiet. Aber aus meiner Sicht sind es vor allem die Reisen und die verschiedenen Kontakte in die Regionen und Städte, die man als Auslandskorrespondent hat – und das klappt eben nur dann, wenn man auch dauerhaft in den Ländern lebt und vor Ort ist.

Wie sehr können Sie sich auf das verlassen, was in inländischen Medien und Exilmedien gebracht wird?

Man kann nicht annehmen, dass das, was in den Medien steht, die Meinung der Mehrheitsgesellschaft widerspiegelt. In der Türkei gelten 90 bis 95 Prozent der Medien als regierungsnah. Über diese Medien kann ich aber erfühlen, was der Regierung gerade wichtig ist. Und über die oppositionellen Medien im Land kann ich das Gegengewicht herstellen. Ich muss aber auch immer in der Lage sein, die Zeilen dazwischen zu lesen. Das kann man hauptsächlich mit Erfahrung, wenn man über mehrere Jahre vor Ort ist und auch die Sprache spricht. Exilmedien sind wichtig für die Länder, in denen es gar keine freien, oppositionellen Medien gibt, wie den Iran. Es gibt zwar auch da kritische Töne. Zeitungen, die regelmäßig dafür abgestraft werden. Reporter, die vor Ort extreme Risiken eingehen. Aber völlig frei können sie nicht berichten. Für den Iran gibt es persischsprachige Programme. Das kann BBC Farsi sein. Auch die Deutsche Welle hat ein persischsprachiges Programm. Dort arbeiten oft Reporterinnen und Reporter, die selbst lange im Iran gelebt und berichtet, aber den Druck einfach nicht mehr ausgehalten haben. Oder die verfolgt wurden.

Für ausländische Journalisten ist es sehr schwierig, aus dem Iran zu berichten. Sie tun das seit 2020. Als im Herbst 2022 große Proteste ausbrachen, kamen Sie aber erst mal nicht mehr rein.

Die Proteste sind Mitte September 2022 gestartet, nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Da hatten wir jetzt gerade den zweiten Jahrestag. Ich habe damals ein Visum beantragt und kam fast vier Monate nicht ins Land. Ich musste von Istanbul aus berichten. Das ist natürlich für eine Reporterin hochgradig frustrierend, wenn man nicht da hinkommt, wo gerade das Geschehen ist und worüber man die ganze Zeit spricht. Das heißt, gerade dann ist man auf Augen und Ohren von Mitarbeitern vor Ort angewiesen, von Kontakten und Bekanntschaften, denen man vertraut. Das geht natürlich nicht, wenn du noch nie da warst.

Wie können Sie aktuell aus Iran berichten?

Ich reise mit einem Journalistenvisum ein, oft ist das nur auf ein bis zwei Wochen begrenzt. Im Idealfall gibt es eine Art Multiple-Entry-Visum, dann ist man nicht so extrem auf einen Zeitraum begrenzt. Die Arbeit ist, wie gesagt, herausfordernd, da Meinungs- und Pressefreiheit extrem eingeschränkt sind und wir versuchen alles, was uns möglich ist, um nach unseren Maßstäben unabhängige Berichterstattung zu liefern.

Prüfen Länder wie Iran, was Sie senden? Und kann man von dort wirklich kritisch berichten?

Man kann davon ausgehen, dass sowohl in Zypern, aber vor allen Dingen in der Türkei und dem Iran, ganz genau von den Behörden beobachtet wird, was wir produzieren. Gerade in einem Land wie dem Iran, wo nur sehr wenige westliche Medien berichten, stehen wir im Fokus. Das, was ich sage, prägt die Meinung der Öffentlichkeit in Deutschland maßgeblich. Wir kriegen auch Reaktionen von Behörden. Das ist ein Balance-Akt für mich als Büro-Leitung, weil ich Verantwortung trage für die Mitarbeiter vor Ort. Ich fliege da ja nicht hin, mache die Story, die mir vielleicht einen großen Journalistenpreis ermöglicht, und lasse mich dann nicht mehr blicken.

Der sogenannte Fallschirm-Journalismus.

Wir haben in all den Ländern, aus denen wir regelmäßig berichten, Mitarbeiter und tragen Verantwortung für sie. Es kann mir nicht egal sein, was mit den Leuten vor Ort passiert. Ich habe auch eine Verantwortung der ARD gegenüber, dass ich dort wieder hin kann. Aber zur Wahrheit gehört auch, und ich versuche das immer transparent zu vermitteln, dass wir eben nicht mit allen Menschen sprechen können. Weil wir sie unter Umständen in Gefahr bringen würden. Was nicht heißt, dass ich Selbstzensur an meinen Worten vornehme. Ich würde schon sagen, dass wir sehr kritisch sind und Missstände auch klar benennen.

Das Studio Istanbul ist für drei Länder zuständig. Beim Studio Wien sind es sogar 12. In Paris oder London hingegen dürfen sich die Kollegen auf ein Land konzentrieren. Wieso ist das so ungleich verteilt?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, man kann und muss hinterfragen, ob das im Jahr 2024 in jedem Berichtsgebiet noch so passt. Das ist historisch gewachsen. Die Studios gehören jeweils zu den Landesrundfunkanstalten. Unser Studio gehört zum Bayerischen Rundfunk. Wir covern für die ARD Iran, Türkei und Zypern. Auch Israel und die palästinensischen Gebiete sind beim BR. Wir haben Rom für Italien, Griechenland, und Malta. Und eben Wien für Österreich und den Balkan. Der WDR zum Beispiel hat andere Berichtsgebiete wie Russland oder die Ukraine. Aber die Politik und das politische Klima haben sich in den letzten Jahren teilweise so verschoben und auch verhärtet, dass manche Gebiete nicht mehr wie vorher abgedeckt werden können. Etwa weil Kollegen in ein bestimmtes Land nicht mehr einreisen können.

In welchem Gebiet war das zum Beispiel der Fall?

Das haben wir am Beispiel Russland und Ukraine gesehen. Vorher war das Studio Moskau für die Ukraine zuständig. Das ist seit dem Angriffskrieg nicht mehr möglich. Leider gibt es solche Fälle immer wieder, auch innerhalb unserer Berichtsgebiete, dass Zugänge plötzlich verloren gehen. Ich erinnere mich an den syrischen Bürgerkrieg. Die Kollegen aus Kairo, die für Syrien zuständig sind, konnten teilweise nicht einreisen, weil sie nicht von Assad-Gebiet in Regionen reisen konnten, die von Oppositionellen gehalten wurden oder andersrum. Die Zugänge aus der Türkei waren aber unter Umständen da. Da ist es wichtig, und ich glaube da hat sich die ARD auch entwickelt, dass man sich kollegial unterstützt. Wie zum Beispiel bei den Waldbränden auf Rhodos vergangenes Jahr. Es war damals leichter für mich, vom türkischen Festland aus dorthin zu gelangen. Eigentlich wäre Rom zuständig gewesen. Diese Flexibilität muss sein und die muss auch noch größer werden in den nächsten Jahren.

Wann berichten Sie aus dem Studio, wann sind Sie unterwegs?

Das kommt auf die Nachrichtenlage an. Sagen wir, es gibt zum Beispiel ein Erdbeben, wie vergangenes Jahr in der Türkei und Nordsyrien. Da ist sofort klar: Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich in die Region zu kommen. Anders ist das, wenn zum Beispiel Erdoğan in Ankara ein Treffen mit Putin hinter verschlossenen Türen hat. Da komme ich eh nicht rein. Muss ich dann für einen Tagesschau-Aufsager nach Ankara fliegen? Wenn die Bilder am Ende ohnehin von Agenturen kommen und der Experte, den wir zum Thema interviewen, in Istanbul sitzt? Wenn es keinen journalistischen Mehrwert hat, bleibe ich im Studio, und konzentriere mich darauf, dass Beiträge produziert werden.

Werden die Beiträge von der ARD bestellt oder müssen Sie Themen vorschlagen?

Beides. Es gibt natürlich Termin-Journalismus. Wenn Olaf Scholz zu Besuch in Ankara ist, ist klar, dass die „Tagesschau“ was dazu bringen will und wir da hingehen. Die Redaktion bestellt das dann im besten Fall ein paar Tage vorher schon. Für unser Auslandsmagazin, den „Weltspiegel“, schlagen hauptsächlich wir die Themen vor. So wie in meinem Fall aktuell: Ich bin gerade in Hatay, im Süden der Türkei, das vom Erdbeben fast komplett zerstört wurde, und wir begleiten dort ein Orchester und andere Menschen, die versuchen, endlich wieder auf die Beine zu kommen. Ein Thema, abseits der Tagespolitik, aber mindestens genauso wichtig.

Wenn die Breaking-Lagen vorüber sind, wird oft nicht mehr hingeguckt. Wie schauen Sie als Korrespondentin auf diesen Vorwurf?

Da fühlt man sich manchmal ein bisschen hilflos. Weil man denkt: Moment, ich gucke doch hin. Aber manchmal liegt es nicht in unserer Hand, weil es viele Kriterien gibt, auf die wir als Korrespondenten keinen Einfluss haben. Manchmal ist das Programm vielleicht schon so gefüllt mit Themen aus anderen Teilen der Welt, dass die Redaktionen, ob sie jetzt in Hamburg sitzen oder in Mainz, entscheiden, dass andere Themen wichtiger sind, und wir es nicht in die Nachrichten schaffen. Da muss man hartnäckig bleiben. Manchmal muss man wirklich drei-, viermal anrufen, um die Redakteurinnen und Redakteure zu überzeugen.

Oft heißt es auch, die Öffentlich-Rechtlichen seien zu langsam, zu spät.

Ich kann es verstehen, wenn kritisiert wird, dass im Ersten eine Unterhaltungssendung läuft, während Iran Raketen nach Israel schickt. Gleichzeitig ist das Erste kein Nachrichtensender. Dafür haben wir „Tagesschau 24“, zum Beispiel. Aber wir arbeiten daran, dass wir noch mehr Präsenz haben im Nachrichtenbereich. Wir haben eine wahnsinnige Stärke, gerade wegen des großen Korrespondentennetzes. Unsere Informationen sind verlässlich. Ich nehme da sehr guten, fundierten Journalismus wahr.

Üblicherweise werden Korrespondentenstellen etwa alle fünf bis sieben Jahre gewechselt. Auch Ihre Stelle ist zeitlich begrenzt. Ist das sinnvoll?

Ich glaube das hat Vor- und Nachteile. Natürlich denkt man: Jetzt bin ich sieben, acht Jahre auf dieser Stelle und kenne dieses Land so gut wie kein anderer aus dem Sender. Das sehen die Redaktionen und die Zuschauenden unter Umständen auch so. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass man sich als Auslandskorrespondentin den frischen Blick auf Themen erhält. Weil man ja eben nicht für ein inländisches Publikum berichtet, sondern für ein ausländisches. Das sind Menschen, die sich nicht jeden Tag mit diesem Land beschäftigen. Als Korrespondentin hat man unter Umständen dieselben Geschichten schon fünfmal erzählt: Warum gibt es in diesem Land keine Pressefreiheit? Warum gibt es in diesem Land Probleme mit den Frauenrechten, den Menschenrechten? Aber ja: Manchmal ist so ein Wechsel auch echt schade. Weil sehr viel Kompetenz verloren geht. Im besten Fall weiß der Sender es gut zu nutzen und man setzt die Kolleginnen dann weiter im Auslandsbereich ein.

Und wo geht’s für Sie als nächstes hin?

Erstmal zurück nach Istanbul und von dort dann in den Iran.

4 Kommentare

  1. Im Einleitungstext scheint ein Fehler zu sein. Istanbul ist eine Stadt, kein Land. Es sollte wohl Iran heißen, oder?

  2. Ich war neulich nach Jahren wieder bei „meinem“ Stammtisch in meiner Heimatstadt. Habe mich da eigentlich komplett ausgeklinkt, aber ich wollte einige Leute mal wiedersehen. Für die meisten habe ich es bereut. Und zwar war genau diese Frau Willinger Thema. Warum denn so eine schöne Frau überhaupt diesen Job machen würde und ob ihr nicht klar ist, zu welcher Zielscheibe sie sich da mache. Die dortigen Männer hätten sich ja nicht im Griff. Das Wort Ausbreitungstyp fiel auch. Als dann jemand scherzte, auf Pornhub hätte sie sicher einen lukrativeren und einfacheren Job, musste ich die Veranstaltung endgültig verlassen. Ich schimpfte noch wild herum, von wegen wer sich hier gerade nicht in Griff hat und dass offenbar keiner weiter entwickelt sei als die spekulierten Notgeilen Südländer. Selten habe ich eine Entscheidung so bereit. Auf WhatsApp taten alle ganz unschuldig; was denn mit mir los war? Ich fasste die Unterhaltung nochmal zusammen und habe die Gruppe endlich verlassen. Warum Frau Willinger besonders im Fokus war, ist mir immer noch ein Rätsel. Ich konnte den Namen nichtmal zuordnen.

  3. @3: Das Übliche, oder?

    Frau macht irgendwas –> Mann muss es kommentieren (und ist Opfer von linksgrüner Gesinnung, wenn das niemanden interessiert)

    Und die eigenen rape fantasies (weil die Frau ja gut aussieht) kaschiert man dann mit „Sorge um ihr Wohlergehen“ und Pornhub Witzen. Die Bereitschaft zu sexuellen Übergriffen wird auf andere projiziert.

    Seien Sie froh, dass die Dame kein Nasenpiercing hatte, oder andere Dinge, die Cisheten verunsichern könnten. Oder wenn sie gar eine BMI >17 hätte.
    Dann is‘ Stammtisch. Dann geht’s ganz schnell in die „hat se verdient“ Richtung.

    Aber wir wissen ja: Gillamoos is Deutschland, nicht Kreuzberg.

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