Sat.1-Doku mit Paul Ronzheimer

Diagnose: „Bild“-Amnesie

Exklusiv für Übonnenten
Paul Ronzheimer (r.) im Gespräch mit Höcke-Fan Uwe Staps
Paul Ronzheimer (r.) im Gespräch mit Höcke-Fan Uwe Staps Screenshot: Sat.1

Paul Ronzheimer kann einfach gut mit den Leuten. In seiner neuen Doku „Wie geht’s, Deutschland?“, in der der bekannte Reporter mal nicht für „Bild“, sondern für Sat.1 unterwegs ist, kommt er wirklich mit jedem ins Plaudern. Vom spontanen Gespräch auf der Straße bis zum Interview mit dem SPD-Parteivorsitzenden, vom glühenden Höcke-Anhänger bis zum frauenverachtenden Salafisten. Er wolle „hinterfragen, verstehen, für Klarheiten sorgen“, sagt er über seine Motivation für die Reihe, die im Fernsehen und im Netz auf Joyn läuft. Bisher gibt es zwei Teile. Im ersten geht es um die „seit Monaten aufgeheizte“ Stimmung und die Spaltung der Gesellschaft.

Ronzheimer, den man vor allem von seinen Auslandseinsätzen in Kriegsgebieten kennt, hat den nächsten Krisenherd nun also im eigenen Land ausgemacht. Im ersten Teil der Doku reist er dafür in Deutschlands aktuelles Krisengebiet: den Osten. Im zweiten Teil beschäftigt er sich mit Deutschlands aktuell wichtigstem Krisenthema. Nein, nicht die Schuldenbremse, nicht die einstürzenden Brücken, nicht das Rentensystem und sicher nicht das Klima. Es geht, natürlich: um Migration.

Die beiden Filme sind multiperspektivisch, persönlich, mit leichtem Hang zum Rührseligen (etwa, wenn Ronzheimer einen Freund und ehemaligen syrischen Flüchtling wieder trifft, der sein Kind nach dem Reporter Paul genannt hat), und sie sind weder investigativ noch originell. Szenen mit Reportern, die auf AfD-Veranstaltungen oder Demonstrationen angepöbelt werden, sind nun wirklich nicht neu. Die RTL-Journalistin Sophia Maier drehte für ihre Reihe „WHY“  vor zwei Jahren teilweise an denselben Orten für dieselbe Produktionsfirma.

Man hat vieles davon also schon gesehen. Nur halt nicht mit Paul Ronzheimer.

Interessanter ist daher, was die Doku komplett ausspart: Dass Ronzheimer stellvertretender Chefredakteur der „Bild“ ist. Aber wäre nicht gerade das für die eigene Fragestellung relevant?

Paul Ronzheimer ist ein verdienter Kriegs- und Krisenreporter, er wurde 2022 sogar zum „Journalisten des Jahres“ gewählt, gilt als der „gute Mann von ‚Bild'“. Es wäre falsch, ihn mit allem gleichzusetzen, was „Bild“ macht, ihm zu unterstellen, er sei für jede einzelne reißerische Schlagzeile verantwortlich. Dennoch trägt er als Mitglied der Chefredaktion die Entscheidungen der Blattmacher mit. Und er ist das Markengesicht, das Axel Springer nach außen repräsentiert.

Kann man also in einem Film, in dem es um Stimmung und Spaltung im Land geht, so einfach die Rolle der größten Boulevardzeitung weglassen, die an Stimmung und Spaltung im Land einen nicht unwichtigen Anteil hat?

Die Macher der Sat.1-Doku haben sich dazu entschieden. Und das führt gerade in den Szenen, in denen es um Lieblingsthemen der „Bild“ geht, zu absurden Situationen. In diesen Momenten drängen sich einem die entsprechenden „Bild“-Schlagzeilen gedanklich fast auf.

Zum Beispiel, als Ronzheimer den Polizei-Pensionär und Höcke-Anhänger Uwe Staps trifft, der zu Protokoll gibt, „dass der Bürger im Osten“ keinen Wert auf diesen „Genderscheiß“ lege. Der Reporter entgegnet ihm, dass ihn ja niemand zum Gendern zwinge. Er hakt auch nach: „Wer zwingt sie denn, zu gendern?“ Er tut also das, was ein Journalist in diesem Moment machen sollte: kritisch hinterfragen.

Nur: Wo haben Menschen wie Herr Staps das bloß her? Sicher gehört die Mär von…

2 Kommentare

  1. Die erste Folge hat mich sehr stark an die Reihe „Deutschland, warum bist du so?“ (https://www.zdf.de/politik/deutschland-warum-bist-du-so) erinnert. Teilweise sogar mit denselben Drehorten und Akteuren. Inhaltlich und von der Herangehensweise auch sehr ähnlich.

    Ich kann mir diese Reihe mit Ronzheimer auf 2 Arten erklären. Entweder er ist so naiv, zu glauben, dass der „typische BILD-Leser“ jetzt diese Doku-Reihe guckt und dann sein Weltbild korrigiert (also so eine Art Wiedergutmachungs-Versuch). Oder er kalkuliert damit, dass der „typische BILD-Leser“ garantiert nicht SAT1 einschalten wird, wo man dann rausfinden könnte, dass die Verantwortlichen bei BILD mit zweierlei Maß messen. Aber wahrscheinlich ist es irgendwas dazwischen.

  2. Ich würde sogar sagen, dass mir Paul Ronzheimer viel besser erscheint für eine solche Art der versöhnlichen Dokumentation (wenn ich das richtig rausgelesen habe) als es zum Beispiel Dunja Hayali wäre.
    In Ermangelung eines besseren Ausdrucks hat er vielleicht die nötige „Street Credibility“ bei den Leuten, die diese Doku vielleicht etwas umstimmen könnte und kann so tatsächlich gegen die Polarisierung etwas abbauen.
    Der Besitzer eines 4-Liter-Turbo-Motors hat ja auch ein deutlich größere Wirkung für andere Benzin-Junkies, wenn er positiv von E-Autos redet als der Bio-Veganer aus der Ökosiedlung.

    Natürlich wäre es jeweils besser, der vorherige Schaden wäre gar nicht angerichtet worden, aber das ist passé. Ist mir jedenfalls lieber so, als würde er kräftig weiter polarisieren.

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