Werbekampagne

„Bild“ feiert die „klare Meinung“ der Anti-AfD-Demos, hat aber selbst keine

Dass in Deutschland seit Wochen Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, ist keine große Sache für „Bild“. Die Kundgebungen schaffen es selten groß ins Blatt, nur zweimal waren sie auf der Titelseite.

Wieder Hunderttausende Demonstranten
„Hunderttausende Demonstranten“, eine kleine Meldung auf Seite 2 Ausriss: „Bild“

Online gibt es kaum prominente Berichterstattung. Selbst an einem Tag wie dem 27. Januar, als in weit über Hundert Städten Hunderttausende demonstrierten und allein in Düsseldorf nach Polizeiangaben bis zu 100.000 auf den Straßen gewesen sein sollen, fand sich auf der Bild.de-Startseite nur eine kleine Kachel mit der Schlagzeile „Tausende bei Protesten gegen Rechtsextremismus“.

Weit über 100.000 Demonstranten auf den Straßen, „Tausende“ weit unten auf Bild.de

Einmal immerhin, am 22. Januar, machte „Bild“ eine Aufnahme von einer Kundgebung in Leipzig zum „Bild des Tages“ und fand unter der Schlagzeile „Pochers Angst um Papa!“ gerade noch Platz für die Überschrift „Ein Land auf der Straße: Das größte Demo-Wochenende seit Jahrzehnten“.

Angst um Papa
Ausriss: „Bild“, 22. Januar 2024

In dem zugehörigen Bericht fand „Bild“ es „brisant“, dass auch „Politiker der Mitte vielerorts an den Protesten teilnahmen“. In seinem Kommentar nannte Kai Wiese die Großdemos „ein Zeichen des guten Willens“, aber „leider auch ein Stück Weit von Hilflosigkeit. Denn werden die Demos die AfD schrumpfen? Nein, dafür muss der Kanzler sorgen.“

„Bild“-Kolumnist Gunnar Schupelius warf den 150.000 Menschen, die sich am 3. Februar vor dem Reichstag versammelten, vor, dass sie nur gegen Rechtsextremisten demonstrierten und nicht gegen Linksextremisten und Islamisten: „(…) alle Teilnehmer der Demonstration vom Sonnabend sollten sich die Frage gefallen lassen, wo sie am 23. Oktober waren“, als nur 10.000 Menschen gegen Terror und Antisemitismus demonstrierten, „und bei allen anderen Kundgebungen gegen Hass und Hetze seit dem 7. Oktober.“

Die Redaktion von Deutschlands größter Boulevardzeitung fremdelt mit den Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus und geht trotz der großen Teilnehmerzahlen auf größere Distanz als etwa zu den Protesten von Bauern, deren Forderungen sie mit viel Sympathie und großen Schlagzeilen begleitete.

Bauern rütteln Ampel wach
Zum Vergleich: Bauernproteste

„Danke, Deutschland“

Umso erstaunlicher ist es, dass sie die Demonstrationen gleichzeitig für eigene Werbezwecke nutzt. Ein Spot, der auf YouTube zu sehen ist und nach „Bild“-Angaben unter anderem bei RTL, ProSieben, Sat.1, Vox und „Welt“ gelaufen ist, zeigt zahlreiche Plakate mit Slogans wie: „Wir alle sind die wehrhafte Demokratie“, „Remigriert euch ins Knie“, „Hass ist keine Meinung“ (mit AfD-Verbotsschild), „Nazis hatten wir schon mal war kacke“, „Rechte Rüben unterpflügen“, „Demokraten auf die Straßen“.

Es folgen, zum dramatischen musikalischen Finale, die Einblendungen:

KURZE SÄTZE
KLARE MEINUNG

DANKE, DEUTSCHLAND

BILD BLEIBT BILD

Manche Slogans scheinen auch von anderen Protesten zu stammen, aber der Bezug zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD ist überdeutlich. Antoni, die Werbeagentur von „Bild“, hat ihn auf ihrer LinkedIn-Seite mit den Worten gepostet:

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gehen seit Wochen zu hunderttausenden auf die Straßen. Jetzt finden die Botschaften auch ihren Weg ins TV und auf die Plattformen. Bis auch im letzten Zimmer, in jedem Wahlkreis und auf allen Smartphones klar ist: Wir sind eine wehrhafte Demokratie.

Ein LKW, der einige der Motive aus dem Spot zeigte, stand in Berlin bei der Großdemonstration am 8. Februar. Auf Anfrage von Übermedien sagte ein „Bild“-Sprecher, das sei „eine einmalige Aktion als Initialstart“ für die Kampagne gewesen. Man plane als Teil des neuen Markenauftritts unter dem Slogan „BILD bleibt BILD“ immer wieder zu aktuellen Anlässen „punktuell spontane Guerilla-Aktionen“.

Ein Foto von dem Werbetruck inmitten der Demonstranten teilte „Bild“ auf LinkedIn unter anderem mit den Worten:

Über 150.000 Menschen haben gestern am Samstagnachmittag allein in #Berlin bei der Großdemo #WirSindDieBrandmauer ein klares und bewegendes Zeichen gesetzt für #Demokratie und gegen Hass und Hetze.

Vor allem auf den Seiten der Werbeagentur und ihres Kreativdirektors hat die „Bild“-Werbung viel Widerspruch ausgelöst. Von „Socialwashing“ ist die Rede. Einer schreibt „Die professionellen Brandstifter rufen nach der Feuerwehr“, ein anderer:

Das nenn ich mal eine geschlossene Verwertungskette. Erst über Jahre die dumpfe Wut und Empörung säen und groß machen, von der alle Rechtsaußen bis zur AfD sich ernähren – und sich dann zusätzlich noch an die ranschleimen, die gegen genau diese Rechtsaußen auf die Straße gehen. Das ist selbst für BILD-Verhältnisse bemerkenswert verkommen.

Leider gerade kein Platz für Eigenwerbung

Bemerkenswert ist allerdings auch, dass der Spot im direkten „Bild“-Umfeld gar nicht so leicht zu finden ist. Auf der YouTube-Seite von „Bild“ zum Beispiel ist er nicht gelistet, auf der Instagram-Seite ist er nicht zu sehen, auf der Facebook-Seite scheint er auch nicht zu sein. Fast wirkt es, als hätten nicht nur die „Bild“-Kritiker ein Problem mit der Vereinnahmung der Demonstranten durch „Bild“ – sondern als wolle auch „Bild“ auf diese Sympathie-Kundgebung zumindest in den wichtigsten eigenen Kanälen lieber gar nicht hinweisen.

Das Print-Motiv zur Kampagne ist bis heute nicht in der gedruckten „Bild“-Zeitung zu sehen gewesen. Nur in „Auto Bild“ und „Computer Bild“ ist es erschienen.

KURZE SÄTZE.
KLARE MEINUNG.
DANKE, DEUTSCHLAND

BILD BLEIBT BILD

Bild

Schaltungen in „Bild“ und „Bild am Sonntag“ seien bis zum Ende der Kampagne am 5. März noch vorgesehen, sagt „Bild“ auf Nachfrage, aber die beiden Blätter seien derzeit so gut von externen Werbekunden gebucht, dass für Eigenanzeigen kaum Platz bleibe. 


Immerhin fand man in „Bild am Sonntag“ in der vorletzten Ausgabe Raum für ein anderes Werbemotiv. Eines, das auf jeden kontroversen Inhalt und jede Meinung, klare gar, verzichtete:

BILD BLEIBT BILD
BILD BLEIBT BILD
BILD

4 Kommentare

  1. Und „gemein machen“ muss sich diese, ähem, Zeitung auch mit nichts und niemandem mehr – das ist sie schon seit ihrer Gründung.

  2. Sehe nur ich das mit meinen unscharfen Augen, oder ist das letzte Motiv – das aus der BamS – vom Stil her der Hakenkreuzflagge der Nazis sehr ähnlich?

    Gut, man müsste Schriftfarbe und Schrift-Hintergrundfarbe tauschen, aber das wäre wohl zu offensichtlich gewesen.

  3. Nur Bild hat keine klare Meinung?
    Aber klar: konservativ, reaktionär bis ins Mark. Nach Rechts ohne Grenze offen. Lügend. Dreck verbreitend.

    Mich wundert nur, das Übermedien überhaupt über Bild aufklärend berichtet. Dürfte der Leserschaft eh alles bekannt sein.

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