Jubel statt Recherche

Wenn es um Olympiabewerbungen geht, werden Journalisten zu ahnungslosen PR-Leuten

Neulich in Paris: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trifft einen der fürstlich bezahlten ARD-Sportexperten. Felix Neureuther, ehemaliger Olympia-Skifahrer, eröffnet das Interview zu den Sommerspielen in Frankreich und zur deutschen Olympiabewerbung mit den holprigen Worten: „Wie wichtig brauchen wir genau solche Events, dass auch die Gesellschaft etwas davon lernen kann?“

Im Verlaufe des zweieinhalbminütigen Gesprächs sieht man an einer Stelle einen von Scholzens Leuten im Hintergrund lächeln. Alles klar, keine Gefahr.

Felix Neureuther im Interview mit Kanzler Scholz
Hoffen gemeinsam auf Olympia in Deutschland: Bundeskanzler Olaf Scholz und Ex-Sportler Felix Neureuther Screenshot: ARD

Gerade hat die Bundesregierung eine erneute deutsche Olympiabewerbung unterstützt und mit sieben Millionen Euro ausgestattet. Eine Bewerbung, für die es kein Konzept gibt, keinen Finanzplan, nichts. Aber das ist ja nicht das Thema von Neureuther, der mit dem ARD-Mikrofon durch Paris läuft und hier nun gerade den Kanzler trifft. Neureuther ist kein Journalist, sondern ein von der ARD bezahlter Olympia-Lobbyist.

„Wir Deutsche, glaube ich, können es schaffen, oder?“, erklärt Neureuther dem Kanzler. Der grinst und sagt: „Wir können es schaffen, wir sind ja gute Ingenieurinnen und Ingenieure, was die Vorbereitung solcher Dinge betrifft …“

„Dann hoffe ich, dass die Spiele so ein Zeichen setzen, dass wir zukünftig auch wieder Spiele in Deutschland ausrichten können.“ Das ist Neureuthers abschließender Satz.

„Dann hoffen wir gemeinsam“, antwortet ein gütiger Kanzler. „Alles Gute!“

Alle paar Jahre das gleiche Spiel

Dass ARD-Expertentum und Journalismus Gegensätze sein können, ist nichts Neues. Erschreckend ist es dennoch immer wieder. Und es hat bei diesem Thema System. Alle paar Jahre beginnt das Spiel von Neuem – der Versuch, die Olympischen Spiele nach Deutschland zu holen. Sportfunktionäre träumen; Politiker, die über Sportfördermittel entscheiden, lassen sich davon anstecken und beginnen zu fabulieren; Medienvertreter verbreiten ungeprüft jeden Unsinn. Diese Mixtur nennt sich Olympiabewerbung.

Auf die insgesamt prächtigen Sommerspiele in Paris bezogen, lautete die erwartbar unterkomplexe Formel: Olympia in der schönsten Stadt der Welt ist super, die Stadien sind voll, das Wetter ist hervorragend, die Bilder sind einmalig, was die Franzosen können, das können wir auch – also her mit den Spielen!

Für die Berichterstattung heißt das wie seit Jahrzehnten: Viele begeisterte Statements von Politikern und Funktionären, die Fachkenntnis vermissen lassen. Kaum Recherche, Analysen und Hintergründe – es fehlt an den Basics.

Beispiel Deutsche Presse-Agentur (dpa), 31. Juli.

Hendrik Wüst: NRW ist bereit für deutsche Olympia-Bewerbung

Der Wettkampf um die olympischen Medaillen läuft auf Hochtouren, die Sommerspiele in Paris sorgen für Begeisterung. 1972 war das Großereignis zuletzt in Deutschland. Wann ist es wieder so weit?

(…) „95 Prozent der Wettkampfstätten sind schon da“, sagte der Ministerpräsident bei einem Besuch des Deutschen Hauses in Paris, wo derzeit die Olympischen Spiele laufen. (…) „In NRW wären die Leute einfach stolz wie Bolle, wenn sie Teil von Olympia wären“, sagte Wüst. NRW wäre ein guter Gastgeber.

Was stimmt nicht an derlei PR-Aussendungen?

Nun, im Fall Wüst hätte beispielsweise jemand bei dpa oder bei jenen, die diese Meldung verbreitet haben, erwähnen können, welches Desaster NRW gerade mit einem viel kleineren Großereignis produziert, das stets als Testlauf für eine Olympiabewerbung verkauft wird: die Universiade 2025. Michael Reinsch hatte das Mitte Juli in der FAZ treffend beschrieben:

Knapp ein Jahr vor Beginn der Weltspiele der Hochschulsportler werfen Organisatoren und Veranstalter ihr Konzept über den Haufen. Düsseldorf, die Landeshauptstadt, fliegt raus aus den neuen Plänen der World University Games. Damit brauchen neun der fünfzehn Universiade-Sportarten neue Austragungsorte. (…) Die Universiade 2025 ist auch finanziell, obwohl der Bund gewaltige Kosten getragen hat, ein Hochrisiko-Unternehmen.

Wüsts Truppe versagt in NRW also gerade mächtig bei der Universiade. Aber Hauptsache, in NRW sind die Menschen „stolz wie Bolle“ auf die Olympiapläne.

Als Journalismus getarnte PR-Meldungen

Zwei Wochen später, 13. August, wieder die dpa, wieder kein Journalismus.

NRW-Regierungschef Wüst wirbt für Olympia an Rhein und Ruhr

Olympisches Basketball-Finale 2040 auf Schalke? NRW-Regierungschef Wüst träumt von den Spielen in der Rhein-Ruhr-Region. Sollte das klappen, macht er ein Versprechen.

(…) „Wenn wir Olympia kriegen, mache ich mit 65 noch Sportabzeichen“, versprach der 49-jährige Politiker.

Was haben wir gelacht. Der Beitrag ist voller Albernheiten und inhaltlicher Unstimmigkeiten. Und auch das ist kein Zufall, sondern eher Methode. dpa kommt bei der Verbreitung von derartigen, als Journalismus getarnten PR-Meldungen eine Schlüsselrolle zu. Das ist eine olympische Konstante hierzulande. Der langjährige dpa-Sportchef Günter Deister, ehemaliger Tennispartner des heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach, hat diese zweifelhafte journalistische Tradition begründet.

Als Leipzig Olympiastadt 2012 werden wollte, war es unter anderem die „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ), die unkritische Olympiabegeisterung verbreitete – auch dann noch, als andere Medien finanzielle Unregelmäßigkeiten enthüllten, die Leipzigs Bewerbung in eine schwere Schieflage brachten, und schließlich der damalige Leipziger Olympiabeauftragte Burkhard Jung wegen dieser Enthüllungen suspendiert wurde. Eine Magisterarbeit hat die Berichterstattung von damals ausgewertet und kommt zu dem Schluss, die LVZ und auch Nachrichtenagenturen hätten „die gebotene Distanz zum Gegenstand des Diskurses“ vermissen lassen.

So läuft es immer wieder. Man fokussiert sich auf die strahlende Seite der Medaille. Versprechen. Illusionen. Träume. Die andere Seite wird in vielen Medien ausgeblendet, im Sport und in der Politik ohnehin.

Die dunkle Seite der Medaille

Zum einen sind die deutschen Olympiabewerbungen eine einzige Geschichte von Skandalen, Untersuchungsausschüssen, Aktenvernichtungen, Verschwendung von Steuermitteln, Intransparenz, Vetternwirtschaft und politischem Totalversagen. Ich habe dreieinhalb Jahrzehnte des deutschen Bewerbungs-Irrsinns mal in einer Stellungnahme für den Sportausschuss des Bundestages zur „Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen“ aufgearbeitet, mit Fakten und Dokumenten.

Zum anderen werden die vollmundigen Versprechen nachweislich oft nicht eingelöst. Etwa, dass Olympische Spiele dem Breitensport, dem Schulsport, dem Bildungssystem, gar dem Gesundheitssystem entscheidende Impulse verleihen. Das ist beispielsweise mit Blick auf London 2012 von mehreren Untersuchungsberichten längst widerlegt. Das schert weder die sportpolitisch Verantwortlichen noch Journalisten, die den Nonsens ständig wiederholen.

Im „Tagesspiegel“ dichtete Sportfunktionär Kaweh Niroomand, ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), in einem Gastbeitrag am 29. August:

„Auf dem Weg zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Berlin würde die städtische Infrastruktur verbessert, die Sportstätten saniert, die Digitalisierung vorangebracht und neue und moderne Arbeitsplätze geschaffen werden.“

So ist das immer bei Olympiabewerbungen. Nur: Was hindert Berlin seit Jahrzehnten daran, die „städtische Infrastruktur“ zu verbessern, „die Sportstätten“ zu sanieren und „die Digitalisierung“ voranzubringen?

„Gute Laune“ reicht nicht für eine Bewerbung

Nikolaus Blome, Ressortleiter Politik bei RTL und ntv, fabulierte Ende Juli in seiner „Spiegel“-Kolumne über ganz fantastische Olympische Spiele 2036 in Berlin zur 100-Jahrfeier der Nazi Olympics: „Einmal groß denken, bitte.“ Bedenkenträger bezeichnete er als „Lurche“.

Großdenken hilft bloß nicht, wenn man Fakten ignoriert und nicht weiß, wie Olympiabewerbungen im IOC mittlerweile ablaufen.

Kleindenken hilft irgendwie auch nicht. Steffen Rülke, Abteilungsleiter Sport im Bundesinnenministerium und mitverantwortlich für die Vergabe der ersten sieben Millionen Euro aus Steuermitteln für das Projekt Olympia (da wird noch viel Geld folgen), stellte unlängst auf LinkedIn seine Argumente zur, nun ja, Debatte. Ich möchte es beim wichtigsten Punkt belassen, den Rülke auflistete: „Gute Laune“!

Heute gelten Paris und der französische Sport – der laut Bericht einer Enquetekommission von Misswirtschaft, Korruption, einer Omertà auf allen Ebenen und einer Vergewaltigungskultur geprägt ist – als glänzende Vorbilder. Gestern war es London, Olympiagastgeber 2012. Die Berichterstattung darüber war und ist in weiten Teilen ein Graus.

Auch deshalb sind die deutschen Bewerbungen für Sommer- und Winterspiele seit 1986 sieben Mal gescheitert. Mal unterlagen sie bei der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, München 2018); mal wurden die Deutschen vom IOC-Exekutivkomitee aussortiert und kamen nicht in die Endauswahl (Leipzig 2012); mal setzten aufgeklärte Bürger dem Spuk bei Referenden ein Ende (München 2022, Hamburg 2024).

Mal wähnten sich die Deutschen auch in hoffnungsvollen Gesprächen mit dem IOC, ohne mitzubekommen, dass sich das IOC längst auf einen Ausrichter festgelegt hatte. Tatsächlich, kein Witz: Anfang 2021 glaubten die vermeintlichen Fachleute des DOSB und der Olympia-Lobbyist Michael Mronz allen Ernstes, das IOC entscheide frühestens 2023 über die Sommerspiele 2032. Mronz, der die sogenannte Olympia-Initiative NRW 2032 vorantrieb, hat damals für das Bundesinnenministerium vorgetragen, dass er mit 2023 rechne. Das IOC fällte aber schon wenige Tage später die Entscheidung für Brisbane 2032. Mronz, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und die DOSB-Führung standen als Trottel da. Sie gaben denkwürdige Pressekonferenzen, auf denen sie sich gegenseitig den Schwarzen Peter für das Versagen zuschoben.

Lobbyismus, PR, Spindoktoren: Das volle Programm

Dass in vielen Medien die IOC-Regeln und Olympia trotzdem immer wieder positiv und unkritisch dargestellt werden, nicht nur in NRW, ist kein Zufall, sondern Strategie. 2021 war der Tausendsassa Mronz, heute IOC-Mitglied, noch Mitinhaber der Agentur Storymachine. Medienbeeinflussung ist deren Geschäftsprinzip. Der eine oder andere Journalist, der sich in NRW für die Hintergründe der Olympiabewerbung interessiert, soll das schon erfahren haben.

Im Hintergrund läuft rund um die Olympiabewerbungen einiges: Lobbyisten, PR-Agenturen, sogenannte Wissenschaftler mit Auftragswerken, irgendwelche Spindoktoren, das volle Programm. Auch das ist eine olympische Konstante. Das IOC hatte vor rund 20 Jahren die PR-Agentur TV Media aus dem Reich der berüchtigten Berliner Kommunikationsberatung WMP Eurocom unter Vertrag, um Stimmung für deutsche Olympiabewerbungen zu machen und die Berichterstattung über den Olympiakonzern zu beeinflussen.

Als sich TV Media, damals noch unter den Geschäftsführern Günter Rexrodt (ehemals Bundeswirtschaftsminister der FDP) und Hans-Hermann Tiedje (ehemals „Bild“-Chefredakteur), darum bemühte, den Vertrag mit dem IOC zu verlängern, habe ich Details aus dem Bewerbungsschreiben veröffentlicht. 41 Seiten.

Darin wurde eine Reihe deutscher Medien aufgelistet, die man im Griff habe, „Schlüsselmedien“ genannt, in denen man beispielsweise „Statements, Kolumnen und Pressemeldungen vom [damaligen] IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach lancieren“ könne. Genannt wurden die „Welt am Sonntag“ und das „Handelsblatt“. Aber auch „werben und verkaufen“, der „Spiegel“, etliche ARD-Anstalten (BR, NDR, SFB), das ZDF, dpa, die Sportnachrichtenagentur SID, „Focus“, „Stern“, die FAZ, „Bild“, die „Abendzeitung“ und Eurosport wähnte man unter Kontrolle, um nur einige Medien zu nennen. Als Ausnahmen von der Regel wurden explizit zwei Journalisten genannt. Einer war Thomas Kistner von der „Süddeutschen Zeitung“. Der andere war ich, damals Ressortleiter bei der „Berliner Zeitung“.

Liebedienerische Interviews mit dem IOC-Präsidenten

Sage niemand, das seien olle Kamellen. Die „Welt am Sonntag“, beispielsweise, hat seither regelmäßig – mitunter im jährlichen Rhythmus – liebedienerische Interviews mit Thomas Bach gedruckt, der 2013 IOC-Präsident wurde, auch explizit zu Olympiabewerbungen.

Eines dieser Interviews von Gunnar Meinhardt beginnt so, im Dezember 2019:

„Herzlichen Glückwunsch, Herr Bach, heute werden Sie 66! Jetzt fängt das Leben erst richtig an…“

Später will Meinhardt zum Beispiel wissen:

„Der Olympismus ist ohne Ihren Namen nicht denkbar. Gehen Sie mit dem Gedanken an Ihren Job als IOC-Präsident schlafen, und stehen Sie damit auch auf?“

Und:

„Was lässt Sie Ihre Leidenschaft mit Freude ausleben?“

Und:

„Was bedeutet es Ihnen, mächtigster Sportfunktionär der Welt zu sein?“

Und, zum Schluss:

„Was ist Ihr sehnlichster Wunsch für 2020?“

Andererseits war es Christoph Kapaltschinski, „Welt“-Korrespondent in Hamburg, der kürzlich zwei der besten Texte zur neuen deutschen Olympia-Offerte veröffentlichte – geprägt von der Recherche zur Frage, ob der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz 2015 als Erster Bürgermeister in Hamburg den Bund erpresst haben könnte und Milliarden für die Olympiabewerbung gewinnen wollte.

Weil die Bundesregierung unter ihm nun wieder eine Olympiabewerbung anpeilt, lohnt der Blick auf diese Bewerbung Hamburgs unter Scholz besonders. Ich kenne die Akten des Bundesinnenministeriums (BMI) dazu. Die Beamten des BMI und des Finanzministeriums sprachen damals von Drohungen aus Hamburg. Der Bund sei unter Druck gesetzt worden und erst im letzten Moment mit „abstrakten Zahlenkolonnen“ versorgt worden, „die in dieser Art weder prüfbar noch schlüssig waren“.

Dabei ging es um Milliarden aus der Bundeskasse. Es geht in Wirklichkeit immer um Milliarden bei Olympiabewerbungen, auch diesmal. Im internen Abschlussbericht des BMI zur Hamburger Bewerbung heißt es:

„(Hamburg) drohte für den Fall, dass der Bund den genannten Betrag nicht übernehme, die Hamburger Olympiabewerbung 2024 zurückzuziehen. (…) Mit mehr als rund 11,5 Milliarden Euro taxierten Gesamtkosten (in internen Hamburger Berechnungen kursierte eine Zahl von rund 19,5 Milliarden Euro zuzüglich Kosten für Infrastrukturmaßnahmen) wären die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg zum mit Abstand teuersten Großprojekt in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geworden; mehr als doppelt so teuer wie der Flughafen Berlin Brandenburg International oder der Bahnhof Stuttgart 21.“

Nun hat Olaf Scholz das Projekt Olympia 2040 in der Koalition zur Chefsache gemacht. Aber wer will schon kleinlich sein mit den Milliarden, die irgendwann fließen müssten, um „gute Laune“ zu erzeugen?

Aufgabe des Journalismus: Für Fakten sorgen

Nach anderthalb Jahren der Vorbereitung auf die neuerliche Bewerbung hat der DOSB inhaltlich nichts zu bieten. Es existiert kein Konzept, natürlich auch kein Finanzkonzept, es gibt kaum mehr als Postulate und seit Juli lediglich ein „Memorandum of Understanding“,  das allein den Kreis derjenigen Städte und Länder skizziert, die in Frage kommen: Berlin, Hamburg, Leipzig, München, Düsseldorf, Bayern und NRW. Wobei selbst das nicht in Stein gemeißelt ist.

Also kann sich jeder aussuchen, wovon er träumt: Funktionäre, Sportpolitikerinnen, Journalisten. Jeder kann meinen, niemand muss wirklich etwas wissen.

Die Aufgabe von Medien, von sogenanntem Qualitätsjournalismus, wäre es mehr denn je, für Aufklärung, Hintergründe und Fakten zu sorgen. Wie realistisch ist es, Olympia nach Deutschland zu holen? Was würde das tatsächlich kosten? Wie und warum entscheidet im IOC nur noch eine kleine Gruppe über Olympia-Gastgeber? Warum sollte es ein demokratischer Staat akzeptieren, dass über ein Mega-Projekt einzig und allein in vertraulichen Gesprächen verhandelt wird – ohne Informationen darüber, wann die entsprechenden IOC-Gremien mit wem über was debattieren?

Diese entscheidenden Hintergründe werden der Öffentlichkeit kaum vermittelt. Sie bleiben jenen wenigen Redaktionen vorbehalten, die sich noch dauerhaft sportpolitische Berichterstattung und ein wenig Recherche leisten – bei FAZ und SZ sind die aktuellen Berichte und Kommentare zur Bewerbung deshalb verhalten.

Wann sind Äußerungen von Politikern eine Meldung wert? Warum muss jeder ahnungslose Rülpser als Debattenbeitrag verkauft werden, ohne jegliche Einordnung? Das sind wahrlich keine neuen Fragen, und es ist nicht auf Olympiabewerbungen begrenzt, es sind Dauerbrenner in der politischen Berichterstattung, die in weiten Teilen Talkshow-Charakter hat. Jeder darf mal. Die Kakofonie des Ungeprüften – jetzt wieder unter dem Zeichen der Olympischen Ringe.

Ich bin versucht zu schreiben, das habe mit Journalismus nichts zu tun. Korrekter aber wäre: Es ist real existierender Journalismus. Und es wiederholt sich.

Sportschau-Moderator Alexander Bommes auf der Couch im Studio mit Felix Neureuther und Robert Kempe (v.r.n.l.)
„Sportschau“-Moderator Alexander Bommes auf der Couch mit Felix Neureuther und Robert Kempe (v.r.n.l.) Screenshot: Sportschau/ARD

Eine interessante Fallstudie gab es am 2. August im Olympia-Abendprogramm der ARD zu bewundern. Und wieder spielte Felix Neureuther eine unrühmliche Hauptrolle.

Da hatte Moderator Alexander Bommes zum Thema Olympiabewerbung zwei Gäste auf der Couch: Robert Kempe, der kurz vor den Spielen gemeinsam mit Tom Klees die herausragende 45-minütige ARD-Doku „Krieg und Spiele“ veröffentlicht hatte, und Felix Neureuther, der in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt einiger Presenter-Reportagen des Senders stand.

Robert Kempe befasst sich ernsthaft mit internationaler und nationaler Sportpolitik. Er kam in diesem Themen-Bundle eher selten zu Wort. Es wirkte einmal mehr so, als sei Kempe nur der Quoten-Investigative. Eine Rolle, die bei Mega-Events, für die ARD und ZDF hunderte Millionen Euro ausgeben, sonst für den Doping-Rechercheur Hajo Seppelt reserviert ist.

Von wegen „ausgewogene Berichterstattung“

Kempe skizzierte also kurz die Lage und brachte ein paar Basics: Er erwähnte zurecht das merkwürdige intransparente Verfahren des IOC und merkte an, dass man nicht mal mehr von Bewerbungen sprechen könne, weil das IOC allein entscheidet, mit wem es Verhandlungen führt und wen es als Gastgeber favorisiert. Kempe erinnerte daran, dass deutsche Bewerber beim letzten Mal so dämlich waren, zu glauben, sie seien in echten Verhandlungen mit dem IOC über die Sommerspiele 2032, während die Entscheidung längst gefallen war. Kurzum: Kempe versuchte in kurzer Zeit möglichst viele Fakten und Hintergründe zu liefern.

Dann legte der sogenannte ARD-Experte Neureuther los. Er stellt den neben ihm sitzenden Journalisten Kempe in die Ecke der Verzagten und Bedenkenträger, mit denen in diesem Land nie ein Blumentopf zu gewinnen sei. Eine Art Lurch also, um mit dem Kolumnisten Blome zu sprechen. Dann halluzinierte Neureuther über Olympische Spiele, Turnhallen, ein besseres Gesundheitssystem, die Digitalisierung, all that jazz.

„Also wieso nicht einfach mal mutig sein und sagen: wir machen ein Konzept mit einem Gremium aus Politikern, aus ehemaligen Sportlern, die aus der Expertise kommen. Aus Wissenschaftlern, wir haben tolle Wissenschaftler. Wir haben tolle Leute aus der Kunst, ja. Wieso nicht die zusammennehmen und sagen, so, wir gehen jetzt her, wir machen ein Konzept, und das geben wir dem IOC.“

Das Stichwort für Bommes: „Du wärst nicht schlecht in so ’nem Gremium!“

Klar, warum nicht einfach ein Konzept machen. Herausragender Gedanke. Schließlich hat der DOSB in zwei Jahren kein Konzept zustande gebracht – doch der Bund zahlt trotzdem.

Auf der Couch von Bommes durfte der Journalist Robert Kempe schon nochmal reden. Aber erst nach Filmen von deutschen Olympiateilnehmern, die das Projekt 2040 total dufte fanden. Diese Beiträge sahen aus, als wären sie vom DOSB produziert worden. Im ARD-Olympiateam nennt man so etwas womöglich „ausgewogene Berichterstattung“.

Die alten Griechen, die die Olympischen Spiele erfunden haben, nennen wirre Fiktionen Phantasmagorie: eine Ansammlung von Trugbildern. Ich nenne es: Olympia-Ideologie. Dagegen helfen keine Pillen. Dagegen hilft nur Journalismus. Recherche. Hintergrund. Immer wieder.

8 Kommentare

  1. Warum die Infrastruktur nicht sonst verbessert wird? Ich befürchte, den ganzen Lobbysten geht es gar nicht um die Infrastruktur und ein Volksfest, sondern einzig und allein ihre eigenen Taschen zu füllen.

  2. Danke für diesen Beitrag. Sowas lohnt das Abo hier. Lesetipp für (noch) tiefere Blicke in die Abgründe des IOC: AUMÜLLER, Johannes & KISTNER, Thomas: Putins Oligarch. Wie Thomas Bach und das IOC die Olympischen Spiele verraten. München: dtv, 2024

  3. PS: Ich hätte übrigens gerne Olypische Spiele in Hamburg erlebt. Warum und wie Olaf S. das verhindert hat, dürfte er vergessen haben…

  4. Gut zu wissen, dass Jens Weinreich noch aktiv ist. Ich lese seine Beiträge immer wieder gerne, egal wo sie erscheinen.

    Olympia ist so ein in klassischer Fall von Politikum: die Spielorte versprechen sich Finanzierung durch den Bund für die eigenen klammen Kassen, die Politiker hoffen auf gute Öffentlichkeit.

  5. @Stefan Lütgens:
    „Warum und wie Olaf S. das verhindert hat, dürfte er vergessen haben…“

    52% der Hamburger haben gegen die Bewerbung gestimmt. Nennt sich Demokratie. Es gab bis 2015 nur 2 Olympiastädte, die nicht in ein finanzielles Desaster gerutscht wären, durch die Ausrichtung: Los Angeles und Barcelona.
    Eigentlich immer gibt es massive strukturelle Verwerfungen zu Lasten der Wohnbevölkerung. Im Falle Barcelona wurden ganze Wohngebiete umgewidmet zu Touristenspots, die alten Bewohner fanden sich in Ghettos am Rande der Stadt wieder. Die heutigen Proteste gegen den Tourismus, dürften im Falle Barcelonas auch Folgen von Olympia sein.

    Scholz ist diesmal nicht verantwortlich. Das Bündnis NOlympia hat hier in HH die Arbeit geleistet.

    Scholz war wohl eher mit dem Verdunkeln der CumEx Machenschaften beschäftigt, wenn Sie mich fragen.

  6. Vielen Dank für diese aufschlußreichen Erläuterungen! Daß der Sportjournalismus es oft an kritischer Distanz fehlen läßt, ist nichts Neues. Aber in dieser Intensität, sich nur zum Sprachrohr zu machen (oder machen zu lassen), für mich noch nicht.

  7. Vielen Dank für diesen Artikel. sehr interessant und erfreulich, einen journalistischen Beitrag zu lesen, der sich kritisch und hintegründig mit dem Thema beschäftigt.
    Ich bin in Hamburg jetzt schon arg genervt, wie diese Propaganda wieder los geht und gefühlt alle aus Politik und Medien wieder anfangen, zu behaupten, Hamburg würde sich total darauf freuen. Es graust mich, das jetzt wieder monatelang ertragen zu müssen…

  8. Einerseits nervt Abgehobenheit, zwanghaftes Verbreiten von „Alles toll“ sowie natürlich und vor allem Belehrungen an die ’störrische‘ Bevölkerung, die halt (wieder mal und hoffentlich erfolgreich) gar nicht so ticken will, wie es Einflussreichere gerne hätten.
    On the other side: Vielleicht sind es ja gerade diese Hybris, die absurden (Moral-?) Predigten, die den Leuten gehalten werden usw., welchselbige es bis auf Weiteres kaum realistisch erscheinen lassen, dass solche Sportveranstaltungen wieder mal hierzulande stattfinden werden. Da können Funktionäre und, ähem, Medienschaffende noch so sehr lobbyieren und grinsen wie die Honigkuchenpferde. Und immerhin ist aus dem noch wesentlich furchtbareren Vorhaben ‚Berlin 2036‘ nichts geworden.

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