Neulich nahm ein Interview im Gesundheitsteil der „Bunten“ kurz vor Schluss einen überraschenden kleinen Abzweig: Eine ganze Seite lang hatte das Magazin mit der Gynäkologin und Influencerin Judith Bildau über den „Risikofaktor Wechseljahre“ bei Diabetes-Patientinnen gesprochen. Zum Abschluss fragte die ungenannte Interviewerin:
„Kann die kontinuierliche Glukosemessung, zum Beispiel mit FreeStyle Libre System von Abbott, das Diabetesmanagement erleichtern?“
Bildau antwortete:
„Ja, es vereinfacht die Glukosemessung und bietet Sicherheit durch die minütliche Übertragung der Zuckerwerte.“
Schöne Sache. Schön natürlich vor allem für den amerikanischen Pharmakonzern Abbott, dessen Produkt so etwas unvermittelt, aber fast beiläufig werblich erwähnt wird.
Das Interview mit Frau Bildau findet sich nicht nur auf den vermeintlich redaktionellen Seiten der „Bunten“. Es steht auch auf den Seiten der Firma Abbott, in der Rubrik „Pressemitteilungen“. Dort wurde es als „Interview mit uns“, also der Firma Abbott, bereits Wochen zuvor veröffentlicht. Die „Bunte“-Version ist gekürzt, aber sonst identisch – inklusive der Produktnennung.
Wie kann das sein? Warum veröffentlicht die „Bunte“ ohne jede Kennzeichnung als Anzeige das Werbeinterview einer Firma?
Abbotts Werk und Burdas Beitrag
Eine Sprecherin des Burda-Verlags, der die Zeitschrift herausgibt, antwortet auf unsere Frage so:
„Der Medizin-Beitrag ist das Ergebnis einer digitalen Pressekonferenz der Firma Abbott am 20. Juni, an der u.a. auch eine Gesundheitsredakteurin des BurdaVerlags teilnahm. Die renommierte Expertin Dr. Judith Bildau hatte einen Vortrag zum Thema ‚Frauen und Diabetes: Risikofaktor Wechseljahre‘ gehalten. Anschließend gab es eine Fragerunde für Pressevertreter. Aus diesen Fragen und Antworten von Frau Dr. Bildau wurde vom Veranstalter ein schriftliches Interview verfasst, das auch die Fragen der Bunte-Redakteurin beinhaltete.“
Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil das Interview schon vor dem 20. Juni von Abbott geführt und veröffentlicht wurde.
Eine Sprecherin von Abbott stellt den Ablauf auf Anfrage anders dar:
„Am 20. Juni wurde eine virtuelle Pressekonferenz mit Frau Dr. Bildau zum Thema ‚Diabetes & Menopause‘ seitens Abbott durchgeführt. An dieser Pressekonferenz haben, neben einer Journalistin von der Bunte/vom Burda Verlag, Verlagsvertreterinnen aller großen Publikumsmedien-Verlage teilgenommen. Basis für diese Pressekonferenz war ein Medien-Interview mit Frau Dr. Bildau (von Ende Mai), welches den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt wurde und auch auf der Webseite von Abbott veröffentlicht wurde. Interviewmöglichkeiten gab es aus zeitlichen Gründen leider nicht, daher mussten die Teilnehmer sich an dem zur Verfügung gestellten Text orientieren.“
Das ist ja lustig, wenn es stimmt: Ein Medizinunternehmen lädt also zu einer Pressekonferenz mit einer Expertin, der die teilnehmenden Journalistinnen und Journalisten aber leider keine Fragen stellen können. Zum Glück macht das nichts, denn das Unternehmen selbst hatte ja Wochen vorher schon ein Interview mit ihr geführt, und das können die Medien einfach stattdessen verwenden, samt werblicher Erwähnung des Produktes.
Nach Angaben von Abbott ist Bildau allerdings keine Markenbotschafterin und tritt auch nicht in der Werbung auf. Abbott habe für keine redaktionelle Veröffentlichung bezahlt, weder bei Burda noch bei einem anderen Verlag.
Abbott ist ein guter Werbekunde des Verlages. Im April zum Beispiel erschien in „Bunte“ eine ganzseitige als „Anzeige“ gekennzeichnete Anzeige für das Blutzuckermessgerät.
Gewöhnliche Schleichwerbung
Die „Bunte“–Sprecherin teilt noch mit:
„Die Nennung eines Beispielprodukts in einer journalistischen Fragestellung ist im Health-Journalismus gängig. Die Abbildung des Produkts erfolgte nicht. Bei dem Artikel in ‚Bunte‘ handelt es sich um eine gewöhnliche Berichterstattung zu einem speziellen Thema, die aus redaktionellen Gründen mit zeitlichem Versatz stattfand.“
Das mit der „gewöhnlichen Berichterstattung“ ist so falsch nicht: Die Gesundheitsteile von Magazinen wie „Bunte“ und Frauenzeitschriften (undnichtzuvergessen„Hörzu“!) wirken oft wie kaum mehr als ein Vorwand für Produkterwähnungen und Schleichwerbung. Auch das Blutzuckermessgerät von Abbott hatte schon vorher mehrere Auftritte in „Bunte“.
In Heft 37/2023 brachte das Magazin eine mehrseitige Strecke zum Thema „Zucker“. Darin eingeklinkt war ein Interview mit der Fußball-Bundesliga-Spielerin Sandra Starke, bei der 2018 Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde.
„Hilft Ihnen auch die heutige Technik, speziell Sensoren, die aktuelle Werte aufs Handy übertragen, sodass mit einem Blick die Stoffwechsellage erkennbar ist?“
„Auf jeden Fall. Ich habe das FreeStyle Libre-System von Abbott schon in der Klinik vorgeschlagen bekommen, fühlte mich von Anfang an wohl und komme super mit dem FreeStyle Libre 3 klar. Aber trotzdem war da erst Unsicherheit. Irgendwann entwickelt man ein gutes Gefühl dafür, was der Körper braucht und wie er reagiert. Wenn du auf die Auslesedaten deines Sensors auf dem Smartphone schaust und sie geben dir recht, ist das ein tolles Gefühl. Du bist sicher, weil du dich eins mit deinem Sensor fühlst.“
„Sollte man die Krankheit annehmen?“
„Unbedingt! (…) Für mich ist das Schönste, anderen zu zeigen, dass das Leben normal und schön weitergehen kann. Und dass es heute dank moderner Monitoringsysteme wie dem FreeStyle Libre 3 möglich ist, sich rund um die Uhr sicher zu fühlen.“
Schön. Schön schön.
So schön, dass man es in „Bunte“ gar nicht oft genug feiern kann. Rund zwei Monate zuvor hatte das Magazin nämlich schon einmal das Glück von Sandra Starke vermeldet:
„Zwar war die Diagnose 2018 ein Schock für sie, aber eine Diabetologin nahm ihr die Angst. Dazu nutzt sie das FreeStyle-Libre-System von Abbott. (…) ‚Für mich ist das Schönste, den Mitmenschen zu zeigen, dass das Leben ganz normal weitergehen kann. Und dass es dank moderner Monitoringsysteme wie dem FreeStyle Libre 3 möglich ist, sich rund um die Uhr sicher zu fühlen.“
Wie sehr würde es Sie wundern, wenn Sie erführen, dass Sandra Starke nicht (nur) privat für dieses Gerät schwärmt, sondern auch beruflich? Sie ist offiziell seit 2021 „Markenbotschafterin“. In dieser Funktion hat Abbott im September 2021 ein längeres Interview mit ihr geführt und veröffentlicht. Die Zitate, die „Bunte“ 2023 von ihr veröffentlicht hat, auch das vermeintlich eigene Interview, stammen sämtlich aus diesem PR-Text.
Das größte Kompliment
Oder 2021, im Frühjahr, die „Bunte“ bringt ein scheinbar redaktionelles Interview mit der Moderatorin Laura Karasek. Auch sie hat Diabetes, und auch sie … na, Sie ahnen es:
„Sie nutzen das Glukosemesssystem FreeStyle Libre 3 von Abbott, der kleinste Sensor der Welt. Ist Diabetes heute leichter zu managen?“
„Der Markt für Menschen mit Diabetes hat sich unfassbar entwickelt. Ein kleiner Sensor am Körper meldet in Echtzeit zurück, wo du stehst, informiert dich, wohin der Trend geht – nach oben oder unten. Du musst dich nicht piksen, das ist eine Verbesserung der Lebensqualität. Die größte Erleichterung ist das Monitoring mit dem Handy, du kannst die Kurve diskret verfolgen. Heute ist alles damit möglich. Ich war im Amazonas, bin mit Haien getaucht, Helikopter geflogen. Für mich ist es das größte Kompliment, wenn man mir sagt, dass man die Erkrankung gar nicht merkt.“
Für Abbott hingegen ist es vermutlich das größte Kompliment, wenn man gar nicht merkt, dass Laura Karasek professionell als „Testimonial“ für das Gerät wirbt. Und dass auch dieses vermeintliche „Bunte“-Interview in Wahrheit ein Abbott-Interview ist.
Auch in anderen Burda-Zeitschriften sind in den vergangenen Jahren Interviews mit Laura Karasek erschienen, in denen sie von dem Produkt schwärmt. Als gekennzeichnete Anzeigen von Abbott.
Die Kolumne
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
In seinem Notizblog macht er Anmerkungen zu aktuellen Medienthemen.
5 Kommentare
Es gab wohl einmal Zeiten, als Journalisten nicht nur gehalten waren, sogenannte Schleichwerbung zu vermeiden, sondern sich auch tatsächlich daran gehalten haben. Vermutlich ist dieser Begriff in Vergessenheit geraten, wie Fernschreiber oder ähnliches.
@2
Man kann sich wohl eher darauf einigen, dass Angestellte der Bunten (o.ä.) schlichtweg nicht als Journalisten bzw. Journalistinnen arbeiten.
Ich bin kein Diabetiker – aber irgendwie spüre ich jetzt das Verlangen, mir das FreeStyle Libre 3 (von Abbott!) zuzulegen. Tolles Gerät.
Je häufiger man vom FreeStyle Libre 3 von Abbott liest, desto eher sollte sich der Name FreeStyle Libre 3 (von Abbott) einprägen. Aber der Name FreeStyle Libre 3 (von Abbott) geht mir auch nach dem dritten Mal nicht ganz rein. Liegt an seiner übertriebenen Modernität. Großbuchstabe mitten im Wort, irgendein toll klingender Zusatz, eine Zahl und dann dieser Eigenname mit Doppelbuchstaben. Als hätten die WordingProfessionals FreeThinker 123 (von Abbott) zu viel Koffeinbrause durch den Strohhalm gesogen.
Ist das irgendwie verwandt oder verschwägert mit Cuba Libre?
Es gab wohl einmal Zeiten, als Journalisten nicht nur gehalten waren, sogenannte Schleichwerbung zu vermeiden, sondern sich auch tatsächlich daran gehalten haben. Vermutlich ist dieser Begriff in Vergessenheit geraten, wie Fernschreiber oder ähnliches.
@2
Man kann sich wohl eher darauf einigen, dass Angestellte der Bunten (o.ä.) schlichtweg nicht als Journalisten bzw. Journalistinnen arbeiten.
Ich bin kein Diabetiker – aber irgendwie spüre ich jetzt das Verlangen, mir das FreeStyle Libre 3 (von Abbott!) zuzulegen. Tolles Gerät.
Je häufiger man vom FreeStyle Libre 3 von Abbott liest, desto eher sollte sich der Name FreeStyle Libre 3 (von Abbott) einprägen. Aber der Name FreeStyle Libre 3 (von Abbott) geht mir auch nach dem dritten Mal nicht ganz rein. Liegt an seiner übertriebenen Modernität. Großbuchstabe mitten im Wort, irgendein toll klingender Zusatz, eine Zahl und dann dieser Eigenname mit Doppelbuchstaben. Als hätten die WordingProfessionals FreeThinker 123 (von Abbott) zu viel Koffeinbrause durch den Strohhalm gesogen.
Ist das irgendwie verwandt oder verschwägert mit Cuba Libre?