Notizblog (16)

Nein, der Rechtschreibrat hat kein Aus für den Genderstern beschlossen

Der frühere Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) verkündet seinen Followern eine frohe Botschaft: Der Deutsche Rechtschreibrat habe „das Aus für den Genderstern“ beschlossen.

Ob man einen solchen Beschluss feiert oder bedauert, ist Ansichtssache. Tatsache aber ist: Es gibt keinen solchen Beschluss.

Auch ein Artikel der „Schwäbischen Zeitung“, der behauptet: „Gendersternchen ist jetzt Rechtschreibfehler“, ist irreführend.

„Entwicklung noch nicht abgeschlossen“

Richtig ist, dass das neue Amtliche Regelwerk, das der Rechtschreibrat in dieser Woche veröffentlicht hat, auf den Seiten 153/154 einen Passus über die Verwendung von Doppelpunkt, Stern und Unterstrich im Wortinneren enthält (Bürger:innen, Bürger*innen, Bürger_innen). „Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie“, heißt es darin. Ihre Setzung könne „in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind“.

Den vorläufigen Charakter betont der letzte Satz dieses Einschubs:

„Die Entwicklung des Gesamtbereichs ist noch nicht abgeschlossen und wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden.“

Das Gendern mit Doppelpunkt oder Sternchen war bislang nicht Teil des Amtlichen Regelwerkes, und es ist auch nicht Teil der jetzt überarbeiteten Version. Dass diese Formen nun zwar einerseits ausdrücklich genannt, aber vom „Kernbestand“ der deutschen Rechtschreibung ausgenommen werden, kann man als Kompromiss interpretieren – das Thema ist auch im Rechtschreibrat umstritten.

Weniger verständlich, lesbar, vorlesbar, übersetzbar

Amtliches Regelwerk der deutschen Rechtschreibung

Die Ergänzung für die jetzt veröffentlichte Neuauflage hatte der Rechtschreibrat bereits im Juli 2023 verabschiedet. Im Dezember 2023 befasste er sich noch einmal ausführlich mit dem Thema und erläuterte seine Überlegungen. Das Gremium betonte einerseits, „dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll“. Andererseits stellte es fest: „Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechts­sicherheit von Begriffen und Texten.“ Wiederum andererseits könne der Rat „nicht darüber hinwegsehen, dass Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung aller Geschlechter benutzt werden“.

Der Rechtschreibrat betonte auch hier, die weitere Entwicklung beobachten zu wollen, denn „geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss“.

Differenzierte Position zu Schulen

Besonders umstritten ist die Frage, welche Formen des Genderns in Schulen zulässig sein sollen. Der Rechtschreibrat äußerte sich hierzu in seinen Erläuterungen im Dezember differenziert: In den jüngeren Jahrgangsstufen bis in die frühe Sekundarstufe I müsse „die Systematik der Rechtschreibung und ihrer Regeln den Schwerpunkt des Unterrichts bilden“ – um das Erlernen der deutschen Sprache nicht zu erschweren. In den höheren Schulstufen könnten dann „auch die Entwicklungen der geschriebenen Sprache der letzten Jahre“ mit den modernen Genderformen „thematisiert und reflektiert“ werden:

„Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik und obliegen nicht dem Rat für deutsche Rechtschreibung. Ob in diesem Sinne ggf. eine ‚rezeptive Toleranz‘ als eine schulpolitische Handlungsoption zu betrachten ist, obliegt ebenfalls den verantwortlichen staatlichen Stellen.“

Fassen wir zusammen: Formulierungen wie „von der AfD gewählte FDP-Ministerpräsident*innen“ entsprechen auch zukünftig nicht der amtlichen Rechtschreibung – genau wie bisher. Der Rechtschreibrat hat prinzipielle Einwände gegen diese Formen und sorgt sich auch um die Verständlichkeit und Erlernbarkeit der Sprache. Es gibt dazu aktuell keine neue Entscheidung. Seine Beschlüsse hat der Rechtschreibrat ausdrücklich als vorläufig gekennzeichnet und sich in der Frage, ob Schulen solche Formen tolerieren dürfen, für nicht zuständig erklärt.

Thomas Kemmerich muss jetzt ganz tapfer sein: Der Rechtschreibrat hat nicht das Aus für den Genderstern beschlossen.

50 Kommentare

  1. Was mich wirklich schockiert: Wie gängig es inzwischen ist, diese poschardte Beschimpfung eines „linksgrünen Milieus“ ist und wie sie verwendet wird, um über die Abwertung andere Menschen sich bei den eigenen Anhänger_innen beliebt zu machen.

  2. Ich muss mich jedes Mal sehr für meine Generation und mein Geschlecht schämen, wenn alte Männer öffentlich eingestehen, mit der modernen Welt überfordert zu sein. Das Gejammer ist so erwart- wie durchschaubar. Neulich auch wieder bei Martenstein. Der wollte Helmut Schmidt wiederhaben, weil früher alles besser war … oder früher alles früher … ich hab’s nicht ganz verstanden. Muss man denn mit Gewalt jedes Klischee ausfüllen, das einem das Leben hinstellt?

    Das alles erinnert mich an meinen 90-jährigen Opa, der 1974 durchs ganze Haus donnerte, ich solle die Affenmusik abstellen, sobald ich Deep Purple auflegte.

  3. Nur, um mich zu wiederholen: Die Genderei macht Sprache hässlich und nutzt der Emanzipation gar nichts. Die Sache mit dem Moralspektakel spielen beide Seiten ganz gut – was würden die Genderfans nur ohne ihre Feinde machen? Und umgekehrt? Dann würde das Ganze ja gar nicht mehr als Distinktionsmerkmal taugen (und das ist sein eigentlicher Zweck).

    Um mich nochmal zu wiederholen – gute und nüchterne Analyse hier: https://www.youtube.com/watch?v=yvMGFeQ1gsI

  4. „von der AfD gewählte FDP-Ministerpräsident*innen“ stimmten ja auch nicht mit der Faktenlage überein – bisher gab es nur einen – Mann -, auf den das zutrifft…
    Und Thomas Kemmerich würde sicherlich gerichtlich dagegen vorgehen, wenn behauptet würde, er habe ein Gender. Ansonsten gilt wie immer: Erst lesen, dann posten.

  5. Ich schließe mich dem Kritischen Kritiker „vollinhaltlich“ an. Das Gendern ist zur sinnentleeren Spielwiese geworden, die von eigentlichen Problemen der Geschlechtergerechtigkeit ablenkt.

    Ganz abgesehen davon, dass Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt im Wort typografisch eine Vollkatastrophe sind.

  6. Komisch, dass gerade die Anti-Gender Missionare anscheinend nicht in der Lage sind, Verbote und Freiwilligkeit auseinander zu halten.
    Nie geht es darum, dass der Kritiker zum Gendern gezwungen werden soll, aber immer darum, dass Genderbefürworter:innen das Gendern verboten werden soll.
    @KK: Haben Sie mitgezählt, wie oft Sie die Hübls 150 Min Mansplaining Vorlesung schon hier verlinkt haben, als Beleg für Ihre persönliche Abneigung?
    Wie viele Menschen haben Sie inzwischen schon gezwungen zu gendern?
    Nur mal so aus Interesse?
    Ich weiss, es geht um die Sprachästhetik.
    Ohne das Gegendere ist unser Sprachgebrauch ja auch ein einzig Wohlgefallen allerorten.
    Das Erschreckendste an den Kulturkampf Kampagnen, die die Ultrarechten in den letzten Jahrzehnten initiiert haben, ist, dass diejenigen aus allen Lagern, die diese für sie weitertragen und auskämpfen, so unglaublich naiv sind zu glauben, sie wären ihnen nicht aufgeschwatzt worden.
    Von political correctness über diversity zu wokeness und „Genderwahn“.

    alt-right hat Gramsci und dessen Ausführungen über die „kulturelle Hegemonie“ verstanden und in eine eigene Strategie gestrickt.
    Man kann es bei Bannon sogar nachlesen.

    Niemand muss Gendern, niemand muss glauben, dass es uns voran bringt.
    Aber schwallt mich doch bitte nicht so voll, verdammt!

  7. @#3 und #5
    Vielen Dank. Die Kommentare haben zwar inhaltlich nichts mit dem Artikel zu tun, andererseits liest man natürlich viel zu selten, dass Menschen gendern ablehnen.

  8. Wenn man typographische Ästhetik ins Feld führen muss als Argument dafür, dass Gendern zu verbieten sei, hat man keine besonders überzeugende Position. Doppelpunkte sind voll haesslich – man sollte wieder ae und oe schreiben, das ist viel aesthetischer und schoener, Puenktchen sind doof!

  9. Meine Güte, man kann gegendertes oder ungegendertes problemlos lesen und verstehen, wenn man guten Willens ist.
    Ich persönlich spreche meist zungegendert oder klassisch Damen und Herren, Patientinnen und Patienten etc..
    Wenn ich schreibe, nutze ich gern den Doppelpunkt, der stört m.E. beim Lesen nicht wirklich (Patient:innen), umfasst m/w/d und mache mir keinen Kopf um Fragen der Grammatik, sondern schreibe alles Weitere in der weiblichen Form, die männliche Form wurde, auch wenn es um w/d schon sehr lang bevorzugt, jetzt ist es halt anders herum. Wenn es gute Ideen gibt, kann ich nach einem mit : gesendeten Wort auch eine d-Form nutzen.

  10. @7
    Ich für meinen lese das Gegenteil noch seltener. Die gefühlte Schere ergibt sich vielleicht eher dadurch, dass Ihnen Texte ohne Sonderzeichen im Inneren nicht als bemerkenswert auffallen, aber Sie Texte mit *_: implizit als Plädoyer fürs Gendern verstehen?
    (davon abgesehen: „Gendern“ als Begriff ist extrem unscharf. Lehen Sie also folgende Anreden alle pauschal ab?
    „Meine Damen und Herren“
    „Liebe Mitmenschen“
    „Liebe Schülerinnen und Schüler“
    „Liebe Mitschüler:innen“
    „Liebe Gästinnen und Gäste “
    Ich vermute, ein paar davon schon, andere nicht. Alle sind eine Form der geschlechterneutralen Ansprache, um mal den anderen eher unspezifischen Begriff zu verwenden.)

  11. Mit Gendersternchen oder Doppelpunkten komme ich gut klar. Warum gibt es eigentlich keine ebenso heftige Kampagne gegen den Deppen-Apostroph wie in „Mandy’s Nagelstudio“?

  12. @10: Geschlechtsneutral sind die von Ihnen genannten Beispiele bis auf Nr. 2 ja alle nicht. Müssen sie ja auch nicht, neutrale Bezeichnungen sind ja nur eine mögliche Form des Genderns.
    Ich freue mich aber immer, das Wort „Gästin“ zu lesen – klingt wie ein neuer Kunstbegriff, steht aber schon vor 160 Jahren im Grimm‘schen Wörterbuch und ist somit ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich Sprache durch Benutzung ändert.

  13. @10
    Mein Fehler; ich dachte
    „andererseits liest man natürlich viel zu selten, dass Menschen gendern ablehnen.“
    würde so sehr der Realität widersprechen, dass es eindeutig als Sarkasmus erkennbar wäre.

  14. @ 8 Habe ich etwas von „verbieten“ geschrieben? Das könnte man ohnehin nicht mehr. Man bekommt die Entwicklung nicht mehr rückabgewickelt (noch nicht mal in Bayern).
    Aber man kann als Textproduzent und -nutzer etwas gegen die Verwendung von Sonderzeichen haben, weil man diese durch andere sprachliche Mittel eleganter erreichen kann. „Forschende“, „Teilnehmende“ etc erfüllen das Ziel genauso – nur eben nicht mit dem Holzhammer.
    Übrigens: Die so en passant abgewatschte Typografie strebt nach einer besseren Lesbarkeit von Texten, und zu letzterer tragen Sonderzeichen nicht bei.

  15. Student:innen ist für mich näher am gewohnten (Studentinnen und Studenten) als die Studierenden, wobei das noch ein m.E „gutes“ Beispiel für eine geschlechterneutrale Wortwahl ist.

  16. @#12: Ich finde die Frage spannend, weil die Antworten darauf für mich auf der Hand liegen.

    Es gibt jedenfalls ein paar Leute, die sich gegen den Idiotenapostroph einsetzen (https://de.wikipedia.org/wiki/Apostroph#Diskussion_über_fehlerhafte_Verwendung). Warum die Diskussion (genauso wie die über die Deppen Leer Zeichen) nicht so breitgetreten wird, kann man jetzt spekulieren, aber von meiner bescheidenen Warte aus sind zwei Unterschiede offensichtlich:

    Erstens ein praktischer: Der Idiotenapostroph ist (wie die Deppen Leer Zeichen) wesentlich weniger intrusiv (in Ermangelung eines besseren Begriffs). Er fällt z.B. im Gegensatz zu den neueren Genderinstrumenten wie dem berühmt-berüchtigten Glottisschlag und den Substantivierungen à la „Studierende“ ausschließlich in geschriebener Sprache auf. (Es gibt da noch andere Facetten der „Intrusion“, die uns aber in eine Diskussion für und wider das Gendern führen, auf die ich keine Lust habe.)

    Zweitens ein politisch-moralischer: Im Gegensatz zum Gendern ist der Idiotenapostroph (wie die Deppen Leer Zeichen) zwar ganz sicher dämlich, aber ebenso sicher kein politisches Statement oder „Eine Frage der Moral“ (A. Stefanowitsch).

    Erschwerend kommt dann noch hinzu, dass die Kritiker des Idiotenapostrophs (z.B. Bastian Sick oder Walter Krämer mit seinem VDS) oftmals auch Kritiker des Anglizismengebrauchs und eben des zeitgenössischen Genderns sind. Denen haftet der Ruf an, uncool bzw. pedantisch bzw. rechtsangehaucht bzw. deutschtümelnd zu sein. (Ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt.) Wahrscheinlich will man sich in gewissen Kreisen wegen einer Lappalie (siehe den ersten Punkt) nicht so gern Kontaktschuldvorwürfen zu denen aussetzen. Ich bin jedenfalls nicht überrascht, dass Herr Stefanowitsch die „normabweichende“ Verwendung des Apostrophs nicht so pedantisch sieht und dem Ganzen auf erwartet coole Art und Weise auch was Positives abgewinnen kann.

  17. @Frank Gemein (#6):

    @KK: Haben Sie mitgezählt, wie oft Sie die Hübls 150 Min Mansplaining Vorlesung schon hier verlinkt haben, als Beleg für Ihre persönliche Abneigung?

    Ja. Das war das zweite Mal. Und den Vortrag als „Mansplaining“ zu desavouieren, ist unter Ihrem Niveau.

  18. @17: Der Glottisschlag ist auch ein spannendes Phänomen. Tritt bei vielen Wörtern auf, aber als Gender-Marker soll er dann plötzlich die Sprache zerstören. Spiegelei, geächtet, Theater, Beamte, beabsichtigen – alles Wörter mit Glottisschlag. Aber bei Mitarbeiter:innen stört‘s. Aber Ideologie kann’s nicht sein, das haben ja nur die Gender-Fans…

  19. Heidewitzka, was für ein Spaß. Und wieder aus dem Kernland deutscher Hochkultur, wo der Mensch stolz auf seine deutsche Herkunft ist, Vater noch ein Land hat und Mutter für den Abwasch der Sprache zuständig ist.

  20. @KK:
    „Ja. Das war das zweite Mal.“
    Stimmt, das dritte Mal war ja nur eine kurze Erwähnung im Beitrag über den Umgang der Medien mit Bidens Alter.

    Es mag eine Art negativer confirmation bias bei mir sein, weshalb ich Hübls „Analysen zu diesen Themen eher gering achte, oder aber Ihre Wertschätzung ist einem eben solchem positiven geschuldet.

    Hübl bildet Kausalketten aus seinen Beobachtungen, induktiv sozusagen.
    Dabei nicht Korrelation mit Kausalität zu verwechseln, wäre die Kunst. Beim Thema „Gendern“ die große Abneigung in der Bevölkerung, komplett losgelöst von den offensichtlichen Kampagnen gewisser Kreise, als Hauptargument für fast schon ein Elitenbashing zu nehmen ( Zitat: „Latein der neuen Eliten“), finde ich sehr schwach.
    Fast schon Precht Niveau.

    Am Puls des Volkes zu argumentieren, hat eh immer Geschmäckle.
    Besonders, wenn die Empörungsklaviatur so offensichtlich dauerbespielt wird.

    Und das ist beileibe nicht das einzige Thema, mit dem Hübl nahe am Populismus segelt. Struktureller Rassismus wäre auch so ein Fall.
    Da gibt er eher so die intellektuelle Nuhr Variante.

    Nicht meins.

  21. @#19: Rüdiger Becker hat gefragt, warum merkwürdige Apostrophen keine „heftige Kampagne“ wie das Gendern provozieren. Einer der Gründe dafür ist, dass man beim Sprechen bemerkt, ob der Glottisschlag da ist oder nicht. Beim Apostroph ist das nicht der Fall.

    Ist die Ablehnung des Glottisschlags ideologiebedingt? Gut möglich. Für die Beantwortung der Frage aber nicht relevant.

  22. „Warum gibt es eigentlich keine ebenso heftige Kampagne gegen den Deppen-Apostroph wie in „Mandy’s Nagelstudio“?“
    Schon der Begriff „Deppen-Apostroph“ oder anderswo „Deppenleerzeichen“ lässt ja nicht gerade eine feinsinnig-intellektuelle Diskussion vermuten; aber der Grund dafür, dass das bei Gender-Sonderzeichen anders ist, dürfte auch daran liegen, dass die Verwender von Getrenntschreibung und Apostrophen beides eben nur verwenden, aber keine „Befürworter“ davon sind. Insbesondere nehmen sie _nicht_ in Anspruch, dass das die sprachlich, logisch oder gar moralisch bessere Verwendung sei.

    „Am Puls des Volkes zu argumentieren, hat eh immer Geschmäckle.“
    Womit sollte man bei Sprachen denn sonst argumentieren? Ohne den „Puls“ bzw. den Sprachgebrauch des Volkes hätte es „Geschmäckle“ zum Beispiel nie ins Hochdeutsche geschafft.

  23. „Am Puls des Volkes zu argumentieren, hat eh immer Geschmäckle.“
    Womit sollte man bei Sprachen denn sonst argumentieren? Ohne den „Puls“ bzw. den Sprachgebrauch des Volkes hätte es „Geschmäckle“ zum Beispiel nie ins Hochdeutsche geschafft.“

    Der Puls und der Sprachgebrauch sind nicht dasselbe.
    Wenn ich den Puls eines anderen erst hochjage, um ihm damit zu beweisen, dass er dringend Betablocker braucht, dann hat das „Geschmäckle“.

    Solange in diesem Land Verbote erlassen werden können, um angeblichen Verboten zuvorzukommen, dann kann man mit Fug und Recht von einem vergifteten Diskurs sprechen.

    Wenn Sie jetzt behaupten wollen, der Furor sei nicht künstlich hoch gejazzt, sondern die Berichterstattung reagiere nur auf die Verärgerung des Volkes, können wir an dieser Stelle aufhören.

    Ist eh ne gute Idee.

  24. „Der Puls und der Sprachgebrauch sind nicht dasselbe.“
    Das stimmt zwar, wenn man die Begriffe wörtlich nimmt, aber das „Volk“ hat sowieso keinen gemeinsamen „Puls“, also können Sie das nur im übertragenen Sinne meinen. Aber gut, womit sollte man denn Ihrer Meinung nach in Fragen der Sprache argumentieren? Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Logik und Intuition, denn offensichtlich gewinnt „das Volk“ in Sprachfragen _immer_ gegen beides. ;-)

    „Wenn Sie jetzt behaupten wollen, der Furor sei nicht künstlich hoch gejazzt…“
    Natürlich wurde der „Furor“ nicht aus „natürlichen“ Ursachen hochge“jazzt“. Bei Apostrophen und Leerzeichen hat z.B. niemand behauptet, dass man damit gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit bekämpfen wolle oder gar könne.

    Persönlich würde ich den Knacklaut in „Lehrer’innen“ mit Apostroph schreiben, weil das mMn noch am logischsten und intuitivsten wäre, aber damit triebe ich bei allzuvielen Leuten gleichzeitig den Puls hoch.

  25. @Frank Gemein:

    Es mag eine Art negativer confirmation bias bei mir sein, weshalb ich Hübls „Analysen zu diesen Themen eher gering achte, oder aber Ihre Wertschätzung ist einem eben solchem positiven geschuldet.

    Da ist sicher was dran. Und das, obwohl Hübl aus einer ganz anderen Theorierichtung heraus argumentiert als ich, weshalb sich bei ihm für meinen Geschmack deutlich zu viel Evolutions-Dies und Evolutions-Das findet. (Was nicht heißt, dass er biologistisch argumentiere, nur um diesem Argument vorzubeugen.)

    In dem verlinkten Vortrag argumentiert er empirisch und auf breiter Datenbasis – und urteilt am Ende ziemlich differenziert. Anders als Sie, wenn Sie das Etikett „Mansplaining“ draufkleben, bloß weil der Vortrag a) von einem Mann gehalten wurde, der b) ihrer Position widerspricht. Das ist billig und klappt nicht. Gerade bei Hübl, der will, dass die Welt gleicher, solidarischer und fürsorglicher werde, und das alles mit dem Attribut weiblich konnotiert (siehe dazu: „Die aufgeregte Gesellschaft“).

    Das „Moralspektakel“-Buch ist von Precht weit entfernt. Nämlich auch hier empirisch unterfüttert und – Sie werden überrascht sein – eigentlich ohne steile, inhaltliche Thesen. Einen Populismus, der „dem Volk“ gegen irgendwelche Eliten rechtgibt, werden sie dort nicht finden. Es geht um die Dynamik der digitalen Öffentlichkeit; die These vom „Statusspiel“ betrifft alle – und gerade das wechselseitige Aufschaukeln, das man in den (sozialen) Medien überall beobachten kann, beschreibt er m.E. sehr gut.

    Das „Latein der neuen Eliten“ ist in diesem Kontext eine Metapher, die sich auf Bourdieu bezieht. Es geht nicht um „globalistische Eliten“, sondern um soziale Codes, die man z.B. im Soziologiestudium erlernt. Sie sind nötig, um in den Kommentarspalten der jungen Progressiven nicht anzuecken – „Schwarze Menschen“ statt „schwarze Menschen“; erklären können, warum ein Binnen-I immer noch ausgrenzend sei; LGBTQ+ und FLINTA nebst deren Symbolen verstehen – solche Sachen.

    Der kleinste Fehler kann zur Ächtung führen. Aber die korrekte Befolgung der Codes nützt a) niemandem und ist b) exklusiv bis zum geht-nicht-mehr. Denn ein Großteil der Leute, die hier inkludiert werden sollen, kennen sie nicht oder wollen sie nicht auf sich beziehen beziehen. Was Hübl am Beispiel von „Latinx“ empirisch durchargumentiert.

    Worauf will ich hier eigentlich hinaus? Egal…

  26. @#23: „dass die Verwender von Getrenntschreibung und Apostrophen beides eben nur verwenden, aber keine ‚Befürworter‘ davon sind. Insbesondere nehmen sie _nicht_ in Anspruch, dass das die sprachlich, logisch oder gar moralisch bessere Verwendung sei.“

    Moralisch sicher nicht (habe ich in #17 ja auch explizit so geschrieben), bei sprachlich und logisch bin ich schon unsicher, aber wo ich mir ganz sicher bin: Es gibt nicht zu wenige Leute (insbesondere im Marketing), die auf dem komischen Zeug bestehen, auch wenn man sie darauf hinweist. dass das einfach nur falsch ist.

  27. @Mycroft:
    Der metaphorische Gebrauch von Puls zielt auf die Beschreibung einer Dynamik. Wenn ich diesen „Puls“ der Bevölkerung als Begründung heranziehen möchte, muss ich die bewußte Einflussnahme auf denselben berücksichtigen.
    Ansonsten lande ich beim Populismus oder gar bei Propaganda.
    Es bleibt hier natürlich jedem selbst überlassen zu registrieren, welche „Seite“ sich wie oft und wie zu dem Thema zu Wort meldet, und mit welchen Mitteln. Ich werde mich nicht auf so eine alberne Diskussion einlassen.
    Ein Beispiel, wie sich Sprache tatsächlich unbeeinflusst durch Kampagnen entwickelt, wären bspw. die Wandlungen von einer Reihe sogenannter „gentivregierender-“ und auch „dativregierenden Präpositionen“.
    „Der Dativ ist dem Genetiv sein Feind“.
    Es wundert, dass der Zuzug so vieler Arbeitsmigrant:innen nicht größeren Einfluss auf unsere Sprache hat. Aber auch das wird noch kommen.

    Ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussionen wegen der Rechtschreibreform. Und die wurde bei weitem nicht so unterirdisch geführt, wie die jetzige zum Thema Gendern, obwohl sich auch damals die BILD zum Sprachrohr gegen jede Änderung machte. Es gab damals wohl nur weniger Plattformen am rechten Rand, die fast monothematisch diese Wiesen bespielten.

    Es ist schon bezeichnend, wie oft unserer Gesellschaft eingeredet werden soll, sie würden angeblich von Eliten überfordert.

    Woher kommt mir diese Analogie nur so bekannt vor?

  28. „Wenn ich diesen „Puls“ der Bevölkerung als Begründung heranziehen möchte, muss ich die bewußte Einflussnahme auf denselben berücksichtigen.“
    Bezüglich des Sprachgebrauches wäre es egal, ob eine bestimmte Schreibweise/Formulierung/Grammatikverwendung bewusst eingeführt wurde, es zählt, ob eine hinreichend große Menge Menschen das für richtig hält oder nicht. (Ich persönlich würde doof „doov“ schreiben, aber ich persönlich bin ja keine hinreichend große Menge Menschen.)

    „Ein Beispiel, wie sich Sprache tatsächlich unbeeinflusst durch Kampagnen entwickelt…“ Das ist mit weitem Abstand der Normalfall.

    „Ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussionen wegen der Rechtschreibreform.“ Ja, das war schön. Man diskutierte darüber, ohne Andersdenkende als „Deppen“ oder „unmoralisch“ zu denunzieren, und am Ende wurde die Reform reformiert. Weil, offen gesagt, neben ganz sinnvollen Änderungen auch viele Verschlimmbesserungen dabei waren.
    „Und die wurde bei weitem nicht so unterirdisch geführt, wie die jetzige zum Thema Gendern…“ Damals gab es ja auch noch keine sozialen Medien, das ist schon von daher ein unfairer Vergleich.

    „Es ist schon bezeichnend, wie oft unserer Gesellschaft eingeredet werden soll, sie würden angeblich von Eliten überfordert.“ Sprechen Sie bitte nur für Ihre Gesellschaft, nicht für meine. Ich fühle mich nicht überfordert, und ich halte die Gender*-Befürworter keinesfalls für eine Elite.
    Wenn es um die Verbesserung der Logik ginge, wäre eine neue Form statt generischem Maskulinum tatsächlich etwas, was ich unterstützte, aber es gibt Hunderte von Dingen im Deutschen, die genauso unlogisch und kontraintuitiv (ZWEI Knacklaute, ha!) sind wie das, und niemanden stört es, also was soll’s?

  29. @KK:
    „Der kleinste Fehler kann zur Ächtung führen.“ auch so eine Behauptung.
    Wir haben zur Walpurgisnacht für den FLINTA-only Rave unsere öffentlichen Räume als safe-space bereitgestellt. Alles sehr easy und ganz ohne Kommunikations Reglementierungen.
    Klar, den Borat muss da keiner absichtlich spielen, aber falsche Pronomen oder generischer Maskulinum waren Null Problem.

    Und genau da setzt meine Kritik an: Ich bezweifele ja gar nicht, dass es, wahrscheinlich auch besonders im akademischen Umfeld, einige Extreme geben kann. Aber letztlich wird mit diesen eine Legitimation konstruiert, die komplett absurd ist. Ich frage mitlerweile JEDE(N), ob Sie/Er Erfahrung damit gemacht hätten, wegen Nicht-„Genderns“ gemaßregelt worden zu sein.
    Gerade auch eine alte Freundin aus der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, die uns besucht hat.
    Niente Nullkommanix bislang!
    Und dann soll ich annehmen, dass das, was Hübl da beschreibt, nicht zumindest schon mal false-balancing in Extremform ist?
    Die eigene Eskalation wird mit der Eskalation der Gegner begründet.
    So weit so richtig. Nur wo ist denn die Eskalation der Befürworter gender gerechten Sprachgebrauchs? Ein Sprecher der Feuerwehr Hamburgs hat jetzt gesagt, dass die neuen Rettungswägen „gender gerecht“ beschriftet würden. Und schwupps geht die Welle durch die Republik. Da würde dann wohl „Notärzt*in“ auf die Fahrzeuge geschrieben.
    Zeitschriften, von denen ich nicht mal ahnte, dass es sie gibt, melden sich dazu zu Wort.
    Und wo ist die „Gegenseite“, die da hochschaukelt?
    Man prüft derzeit, ob man das auch gender neutral beschriften kann.
    Ja shocking.

    Ähnlich Hübl zum Thema strukturellen Rassismus. Es gebe weniger Rassismus in den Menschen, aber immer mehr Rassismus würde aufgedeckt. Das sei ein Widerspruch!?

    Das ist doch Quatsch. Wenn sie einen Tatort voller Blutspritzer haben, und beim Reinigen mit UV-Licht und Polarisierungsbrille arbeiten, dann sehen sie zwar mehr Flecken, aber die waren auch schon da, als sie ohne UV-Licht gereinigt haben. Nur wurden die nicht gesehen. Wenn wir uns einer Sache bewußt werden, dann nehmen wir sie auch gesteigert war. Es gibt zu wenig Empirie zum Thema strukturellen Rassismus. Das liegt aber daran, dass wir diese Daten bislang kaum erhoben haben, nicht daran, dass es sowas nicht gäbe. Im Extremfall führt dieses Denken dazu, dass, wie derzeit in vielen Staaten der USA, der Wissenschaft verboten wird, die Daten zu vermitteln, oder sie gar überhaupt zu erheben ( Critical Race Theory ).
    Das brauchen wir hier auf keinen Fall auch noch.

  30. @Mycroft:
    Social Media mal wieder?

    BILD, Focus, WELT und auch Antaios, Koppverlag, Reitschuster, Nius, compact, junge Freiheit, eigentümlich frei, Sezession, Zuerst!, blaue Narzisse …
    you name it.

    Medien müssen nicht sozial genannt werden, um den Diskurs zu vergiften.

  31. @Frank Gemein:

    Ähnlich Hübl zum Thema strukturellen Rassismus. Es gebe weniger Rassismus in den Menschen, aber immer mehr Rassismus würde aufgedeckt. Das sei ein Widerspruch!?

    Ist es, hat mit concept creep zu tun. Aber Hübl löst ihn keineswegs einseitig auf, sondern differenziert. Egal. Noch ein Literatur-Tipp, u.a. zum Thema Critical Race Theory: Yascha Mounk, „Im Zeitalter der Identität: Der Aufstieg einer gefährlichen Idee.“ Spoiler: Die tolle „antirassistische“ Idee, schwarze und weiße Kinder in Schulen wieder zu separieren, um ihnen die korrekte racial identity einzupflanzen, findet er nicht so geil.

    (Und antworten Sie jetzt bitte nicht, Mounk hätte einen Vergewaltigungsvorwurf am Hals. Das weiß ich.)

  32. „Medien müssen nicht sozial genannt werden, um den Diskurs zu vergiften.“
    Schon, aber von den genannten hätten nur WELT, Focus und das Drecksblatt auch ohne „Soziale“ Medien genügend Reichweite, um diese Vergiftung erfolgreich zu versuchen. Oder hatten sie jedenfalls ’96, und da ist das ja nicht passiert.
    Ein paar von den anderen kenne ich nur vom Namen her, den Rest müsste ich googeln.

    Jedenfalls, als es später um „Deppen“apostrophe und -leerzeichen ging. zeigt ja schon das eingebaute ad hominem, auf welchem Niveau die Diskussion lief im Gegensatz zur Rechtschreibreform-Diskussion.
    Auch, wenn man bestimmt ganz viele Leute fragen kann, ob die wegen Apostrophen und Leerzeichen schon mal gemaßregelt wurden, und alle sagen nein.
    An welche Argumentation erinnert mich die nur?

  33. @KK:
    „Die tolle „antirassistische“ Idee, schwarze und weiße Kinder in Schulen wieder zu separieren, “

    Ach das ist es, was die Rechten in den USA bekämpfen. CRT will die Segregation wieder einführen.
    Diese Art des cherry-picking kennt man sonst eher aus dem Bannon Umfeld.
    Worum es gerade tatsächlich geht.
    https://www.edweek.org/leadership/what-is-critical-race-theory-and-why-is-it-under-attack/2021/05

    Und “ concept creep“ bedeutet dann wohl dass sich die Betroffenen strukturelle Benachteiligung eigentlich nur einbilden.
    Welche Hybris, Chapeau.
    Weil das alles aber noch nicht genug ist, sind diese Identitätssüchtigen zusammen mit den Life-style Linken ja noch verantwortlich für die immer stärker werdende soziale Schieflage im Land.
    Diese These kommt dann in der Regel von „Linken“, deren Aktivität sich meist darin erschöpft, gegen die eigentlich Verbündeten zu agitieren.
    Zeitgleich findet man in so ziemlich jeder wichtigen sozialen Bewegung, eben diejenigen meist prominent vertreten, die sich auch in der angeblichen „Identitätspolitik“ profilieren.
    Dieses „es geht ihnen ja eigentlich besser“ Motiv hörte man ja vor einigen Jahren bezüglich der Armutsentwicklung auf dem Planeten. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich dann, dass 75% der Zuwächse bei der armen Bevölkerung in China stattgefunden haben und insgesamt ein Großteil einfach daraus resultierte, dass die Summen sehr lange gleich blieben und auch sehr grob berechnet waren.

    Covid hat dann in den Industriestaaten schnell wieder gezeigt, wie strukturell unterschiedlich das Sterberisiko verteilt war.

  34. @Frank Gemein:

    Und “ concept creep“ bedeutet dann wohl dass sich die Betroffenen strukturelle Benachteiligung eigentlich nur einbilden.

    Eine dreiste Verdrehung der Kritik. Eine gewollte Ignoranz gegenüber validen Argumenten. Und dann auch noch Bannon. Kurz: Dummdreist. Was anderes fällt mir dazu nicht ein. Tschüss.

  35. @KK:
    Schon klar, Plan B mal wieder.
    Lieber die Benachteiligungen der Betroffenen psychologisieren, als die Datenbasis für das Phänomen verbessern und die Strukturen ändern.
    Ein Beispiel?:
    https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/908434/Disparities_in_the_risk_and_outcomes_of_COVID_August_2020_update.pdf

    Wir wissen von zeitweise bis zu 50% höherer Mortalitätsrate der „Monority ethnic groups“ im UK. Wir haben keine vergleichbaren Zahlen aus Deutschland, weil diese nicht erhoben werden.

    Ähnliches gäbe es zum Thema struktureller Rassismus bei polizeilichen Kontrollen in anderen Ländern festzustellen. Bei uns gibt es das wieder per Dekret gar nicht, weil es nicht untersucht werden darf.

    In der Schule, am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche ….

    Und, zum Thema Bannon. Ich hätte natürlich auch Rufo nennen können.
    https://www.spiegel.de/ausland/christopher-rufo-und-die-critical-race-theory-wer-hat-angst-vor-antirassismus-a-63c42553-e51e-4f86-827b-317fa02192dd

  36. @MT:
    Weil die KI nicht intelligent genug ist, darf man sie nicht mit dummen Zeug füttern?
    Das Argument ist nicht falsch, aber albern, denn dann sollte man das Internet abschaffen, weil’s neben generischen Maskulinum für gemischtgeschlechtliche Gruppen, Präsens für Vorgänge in der Zukunft und Singular für mehrere Personen – z.B. „Morgen kommt der Dachdecker und repariert die Ortgangpfanne“ – noch Phrasen wie „frisch geteerte“ oder auch „frischgeteerte“ Straßen gibt oder auch zahlreiche VTs.
    All das sollte keine KI lernen, um das I behalten zu können.

  37. @Mycroft:
    „Internet abschaffen“
    und den Winter und schlechte Zähne oder Gegenwind.

    Die KI ist eine gute Möglichkeit, das menschliche Denken auf den Prüfstand zu stellen und seine Ecken zu beleuchten. Sie macht Fehler, die Menschen eigentlich ( so ) nicht machen, was eben nicht heisst, dass wir sie gar nicht machen.
    Es macht keinen Sinn, die KI zu einem besseren Menschen entwickeln zu wollen, ohne die Menschen dann auch mitzunehmen.
    Die bislang entwickelten KIs haben auch einen rassistischen Bias und bevorzugen weisse Menschen.

    Das bedeutet, dass Menschen eine zusätzliche geistige Leistung erbringen müssen, wenn sie das nicht tun wollen.
    Allein die Art der Informationen, die transportiert werden, erzeugt einen Bias.

  38. „@Mycroft:
    „Internet abschaffen“
    und den Winter und schlechte Zähne oder Gegenwind.“ Und das generische Maskulinum. Ich höre wiederholt, dass das „niemand“ wolle, aber das wäre die Konsequenz, wenn man bspw. Mimikamas Argument zu Ende denkt.

    „Es macht keinen Sinn, die KI zu einem besseren Menschen entwickeln zu wollen, ohne die Menschen dann auch mitzunehmen.“ Ok, aber das Argument hier ist, dass der Mensch erstmal besser werden solle, indem er Gender* o. ä. verwendet, um so die KI zu einem „besseren“ „Menschen“ zu machen. (Persönlich halte ich es vllt nicht für die klügste Idee, die KI im I-Net lernen zu lassen ohne sie so zu programmieren, dass sie den naturalistischen Fehlschluss vermeidet, aber nunja.)

    „Das bedeutet, dass Menschen eine zusätzliche geistige Leistung erbringen müssen, wenn sie das nicht tun wollen.“ Achwas. Ja, ich kann mich einfach dazu entscheiden, kein Sexist zu sein. Die KI kann das nicht.

  39. „Achwas. Ja, ich kann mich einfach dazu entscheiden, kein Sexist zu sein“

    Und das ist eine zusätzliche Leistung. Per definitionem.
    Was im Umkehrschluss bedeutet, der Sprache ist eine Prädisposition inhärent, die erst einmal überwunden werden muss.

    Ich hingegen „höre wiederholt“, dem sei nicht so.

    Das generische Maskulinum mag überleben. Dennoch sind seine Überlebenschancen sicher geringer, als die des Internets.

  40. „Und das ist eine zusätzliche Leistung. Per definitionem.
    Was im Umkehrschluss bedeutet, der Sprache ist eine Prädisposition inhärent, die erst einmal überwunden werden muss.“
    Ist wie mit dem Blut unter UV-Licht – wenn man erstmal gemerkt hat, dass Sprache die Wirklichkeit stets unvollständig, verzerrt oder sonstwie ungenau wiedergibt, also meinetwegen eine „Prädisposition“ hat, dann ist das viel effektiver überwunden, als wenn man versucht, jede dieser Präpositionen einzeln durch eine Ersatzformulierung zu überwinden, um andere davor zu beschützen, denen man diese Überwindung nicht zutraut: „Morgen werden mindestens zwei Dachdecker kommen, oder mindestens zwei Dachdeckerinnen, oder je mindestens eine Dachdeckerin und ein nicht-weiblicher Dachdecker*, um die Ortgangpfanne auszutauschen.“

    „Ich hingegen „höre wiederholt“, dem sei nicht so.“ Ja, aber nicht von mir. Das wäre die Whorf-Sapir-Theorie, und die ist eigentlich rassistisch.

    „Das generische Maskulinum mag überleben. Dennoch sind seine Überlebenschancen sicher geringer, als die des Internets.“ Bestimmt. Es gibt tausende Sprachen, die gar keine Genera verwenden, ohne dass das messbare Auswirkungen auf Sexismus oder dessen Fehlen hätte. Vllt ist die KI wirklich die einzige Intelligenz, die sich so leicht manipulieren ließe.

    * ist der Singular von „Dachdecker*innen“ eigentlich „Dachdecker*in“, und wenn ja, wie lautet der Artikel?

  41. @Mycroft:
    Was sind denn genau „messbare Auswirkungen auf den Sexismus“?
    Wer misst und wer überwacht die Methodik? Ansonsten drehen wir uns gerade im Kreis. Behauptungen und Korrelationen.
    Wir sind noch im Status „könnten vielleicht mal brauchbare Datensammlungen durchgeführt werden, um empirisch evident urteilen zu können“? Vermutungen und Psychologisierungen haben wir ausreichend. Reicht für einfach alles und exakt das Gegenteil.
    „Vllt ist die KI wirklich die einzige Intelligenz, die sich so leicht manipulieren ließe.“
    Ja sicher. Es gibt einige Fakultäten und andere Stellen, die spasseshalber das generische Maskulinum gegen das generische Femininum ausgetauscht haben.
    Da geht sie aber ab, die völkische Polka.
    Also, woher wissen Sie, dass Sprachen, die keine Genera verwenden, dieselben Probleme haben, und wenn es so wäre, was wäre damit bewiesen?

  42. „@Mycroft:
    Was sind denn genau „messbare Auswirkungen auf den Sexismus“?
    Wer misst und wer überwacht die Methodik?“
    Sexismus ist kein Mythos, sondern etwas, was man feststellen kann: anhand von strukturellen Ungleichbehandlungen, sexistischer Gesetzgebung und Rechtsprechung, ungleicher Verteilung von Geld und anderen Ressourcen usw. usf.
    Messen dürfen alle, die wollen, mit jeder Methodik, die geeignet erscheint, sofern die Methode offenbart wird. Andere dürfen dann versuchen, die Ergebnisse zu verifizieren oder zu widerlegen. Wissenschaft statt Glauben halt.

    „Wir sind noch im Status „könnten vielleicht mal brauchbare Datensammlungen durchgeführt werden, um empirisch evident urteilen zu können“?“ Wenn es einen Zusammenhang zwischen generischem Maskulinum und Sexismus gibt – egal, was davon was verursacht – sollte dieser Zusammenhang grundsätzlich erforschbar und nachweisbar sein. Dass das bis dato nicht passiert ist, liegt jetzt nicht an mir.

    „Ja sicher. Es gibt einige Fakultäten und andere Stellen, die spasseshalber das generische Maskulinum gegen das generische Femininum ausgetauscht haben.
    Da geht sie aber ab, die völkische Polka.“ Tja. Offenbar hatte das keine spürbaren (aber vllt ja messbare?) Auswirkungen auf den Sexismus, aber wenn, dann eher in die falsche Richtung, also war das keine _erfolgreiche_ Manipulation. Bei KIs hätte das vllt besser geklappt.

    „Also, woher wissen Sie, dass Sprachen, die keine Genera verwenden, dieselben Probleme haben, und wenn es so wäre, was wäre damit bewiesen?“
    Ich behaupte gar nicht, dass das Deutsche sexistisch sei, oder irgendeine andere Sprache. Sprachen sind halt eine Ansammlung semilogischer Regeln und ganz vieler Ausnahmen, was jetzt vllt ärgerlich ist, aber dadurch wird eine Sprache nicht ethisch besser oder schlechter als eine andere; dass die Änderung einer dieser Regeln einen Einfluss auf den Sexismus hätte, halte ich für eine bis dato unbelegte Behauptung.

  43. @Mycroft:
    Ich fasse Ihren Kommentar mal zusammen. Ist ja unnötig lang geworden:

    Sie nehmen an, es gäbe Empirie zum Thema, weil Sie glauben, es müsste ja zu sammeln sein, aber wissen tun Sie es nicht.

    Das hindert Sie andererseits aber nicht, steile Thesen, begründet auf müßte, sollte und konnte zu vertreten?

    Ach, das reicht denn auch wieder mal.

  44. „Sie nehmen an, es gäbe Empirie zum Thema, weil Sie glauben, es müsste ja zu sammeln sein, aber wissen tun Sie es nicht.“
    Ich bin mir _sehr_ sicher, dass Empirie zu dem Thema ebenso leicht zu sammeln wäre wie zu Globuli und Astrologie. Vllt sogar noch leichter. Ein behaupteter Zusammenhang zwischen generischem Maskulinum und Sexismus wäre also belegbar, wenn es ihn denn gäbe.
    Meine „steile“ These: man hat versucht, den Zusammenhang zu beweisen, aber es ist halt nicht gelungen. In dubio pro reo (generisches Maskulinum).

  45. @Mycroft:
    Es tut mir sehr leid, aber

    „Ich bin mir _sehr_ sicher, dass Empirie zu dem Thema ebenso leicht zu sammeln wäre wie zu Globuli und Astrologie. Vllt sogar noch leichter. Ein behaupteter Zusammenhang zwischen generischem Maskulinum und Sexismus wäre also belegbar, wenn es ihn denn gäbe.“

    ist leider noch nicht als wissenschaftliche Methode etabliert worden.

    Ebenso wenig wie die Zusamenhänge von kurzen Röcken und Vergewaltigungen zuverlässig evaluiert werden konnten.
    Ganz sicher sein hilft auch da nicht.

    Und, Sie werden lachen:
    Es geht gar nicht um den Zusammenhang von Sexismus und generischem Maskulinum. Was genau soll das überhaupt sein?
    Wer hat Ihnen denn den Bären aufgebunden?

    „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – so lautet Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG).
    Darum geht es letztlich.
    Und nun ist die These, dass sich das auch in der Sprache wiederfinden sollte, damit wir diesem Anspruch näher kommen können.

    Berufenere als Sie und ich haben dazu geforscht und sind zu unterschiedlichen Theorien mit eigener Studienlage gekommen. Aber auch gar nichts davon ähnelt dem, was Sie daraus machen.

    Das ist doch schön, Sie echauffieren sich ganz umsonst. Eine gute Nachricht.

  46. „…ist leider noch nicht als wissenschaftliche Methode etabliert worden.“ Stimmt, Zusammenhänge zu behaupten, ohne sie zu belegen, ist eine unwissenschaftliche Methode. Wo behaupte ich das Gegenteil.

    „Es geht gar nicht um den Zusammenhang von Sexismus und generischem Maskulinum. Was genau soll das überhaupt sein?“
    Wissen Sie nicht, was ein Zusammenhang ist? Im selben Post widersprechen Sie sich selbst:

    „„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – so lautet Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG).
    Darum geht es letztlich.
    Und nun ist die These, dass sich das auch in der Sprache wiederfinden sollte, damit wir diesem Anspruch näher kommen können.“ „Wir“ sind dem schon sehr nahe, aber selbst, wenn nicht – bei _dieser_ These geht es um einen Zusammenhang zwischen Sexismus, also mangelnder Gleichberechtigung, einerseits und generischen Maskulinum, also Sprache, andererseits.
    Wenn es diesen Zusammenhang gar nicht gibt, ist doch alles gut.
    Wieder ein Problem weniger.

  47. @Stefan Niggemeier

    Frechheit, ich habe den völligen Durch- und Überblick über diese Kolumne!
    Wer waren Sie noch einmal?

    ;-)
    Bin ja schon weg.

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