Barleys Baum und Webers Bart: EU-Politiker menscheln in „Bunte“
Überraschung kurz vor der Europawahl: Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin, ist mit einem Baum verheiratet. „Aber dieser Baum redet und lacht viel“, verrät Barley dem People-Magazin „Bunte“. Es ist kein gewöhnlicher Baum: Er ist 58 Jahre alt, Niederländer, groß gewachsen, feinfühlig, ehrlich. „Und er denkt nicht nur immer an Bälle.“ Was merkwürdig klingt, aber nur so lange man nicht weiß, dass er, Marco van den Berg, Basketball-Trainer ist. Was aber tatsächlich merkwürdig ist: Fürs Foto-Shooting mit „Bunte“ haben sich Barley und ihr Baum draußen in der Natur in eine Decke gemummelt, stehend, bis zum Hals. „Innig und zärtlich im kalten April.“
Dass Katarina Barley den „Bunte“-Leserinnen ihren Mann präsentiert und sich in den Gefühlswald schauen lässt, liegt daran, dass am Sonntag Europawahl ist. Und die Zeit vor Wahlen – nicht nur die, aber die besonders –, ist immer auch die Zeit menschelnder Politiker-Interviews in „Bunte“.
Es ist der Medienort, an dem sie sich mal nahbar zeigen können, sympathisch, ganz privat, was natürlich nur eine Pseudo-Privatheit ist – inszeniert für die Wählerinnen und Wähler. Man muss ja auch aufpassen: Selbstöffnung nennt man es juristisch, wenn Promis Privates publik machen, etwa in Homestorys, und wer sich allzu weit öffnet, kann sich später schwerer auf sein Recht auf Privatsphäre berufen, sollten Medien mal über Privates berichten.
Und dann sitzen sie da also in den Parteizentralen, Wahl für Wahl für Wahl, und reden übers lieb gewonnene Ritual: das obligatorische „Bunte“-Interview. Mal nicht nur harte Politik, wie immer, seufz, auch mal softe Sachen, endlich! Manfred, sagen sie dann bei der CSU, Du hast doch jetzt diesen Bart, willste darüber nicht reden? Und könnte die Terry, fragen sie sich bei den Grünen, nicht mal, öhm, ach ja: über die Probleme beim Abendessen sprechen, das ist doch relevant! Und bei „Bunte“ freuen sie sich derweil schon darauf, welches Liebesgeständnis dieses Mal dafür sorgt, dass es in anderen Medien nachberichtet wird. So haben am Ende alles was davon.
Torsten Albigs Frau: „gefangen“
Ungefährlich sind diese Interviews aber trotzdem nicht, auch wenn sie harmlos wirken. Sie können auch nach hinten losgehen. Wir erinnern uns an Torsten Albig, SPD, früher Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Der hatte 2017, vor der Landtagswahl, auch ein „Bunte“-Interview gegeben, zusammen mit seiner Lebensgefährtin, und dort unter anderem über seine damalige Noch-Ehefrau gesprochen.
Sein Leben habe sich irgendwann schneller entwickelt als ihres, sagte Albig:
„Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetauscht haben. Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der Rolle als Mutter und Managerin unseres Haushalts gefangen.“
Und dann war was los.
Albig wurde scharf kritisiert. Er sei ein „ein selbstgefälliger Macho“, schrieb etwa der „Spiegel“. Und Robert Habeck, damals stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, befand, „Bunte“ sei „kein gutes Format für Politiker“. Dass Albig wegen dieses Interviews die Wahl verlor, lässt sich natürlich nicht eindeutig sagen. Aber dass er und die SPD deswegen Stimmen bei Wählerinnen einbüßten, das sahen sie sogar in der Partei so.
Generalsekretärin der SPD war damals: Katarina Barley. Die verlorene Landtagswahl, sagte Barley, könne sie sich nur so erklären, „dass es in den letzten zwei, drei Wochen gar nicht mehr so sehr um politische, um Gerechtigkeitsthemen ging, sondern eher um Dinge wie das Privatleben des Ministerpräsidenten“. Und jetzt spricht Katarina Barley in „Bunte“ – „selten privat“ – über „den Mann an ihrer Seite“, der sich ebenfalls äußert. Gefährlich. Nicht, dass Europa nun nur noch über Barleys Privatleben redet.
Das Doppelinterview mit Barley und Ehebaum war das erste, das vor der Wahl erschien. Danach gab sich Terry Reintke von den Grünen die Ehre, Manfred Weber von der CSU und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, die wenig überraschend davon träumt, eine eigene Radiosendung zu haben, und die Frauen bewundert, die High Heels tragen können, „was für meine Füße eine große Herausforderung wäre“.
Barley spricht, wie sonst kein anderer der interviewten EU-Politiker, fast nur über ihre Beziehung. Wie sie beim Karneval vom Oli, „unserem Engel“, verkuppelt wurde. Dass sie „eher der preußische Typ“ sei, ihr Mann („Ich komme erst mal wie ein Militärtyp rüber“) sie aber „lesen“ könne, wenn sie auf dem Sofa säßen und läsen, also: Sie liest ein Buch und er ihre Gefühle. Er hat auch schon mal ein Gedicht geschrieben, zur Hochzeit, und gerade ein Buch, auf Englisch, wie die Halb-Britin Barley betont. Es ist alles sehr romantisch.
Und es ist, wenn man mal kurz ins Pressearchiv hinabsteigt, auch gar nicht das erste Mal: Schon 2019 sprach Barley mit „Bunte“ über ihren Mann, sie hatte ihn auch im Wahlkampf zuweilen dabei. Damals erzählte sie, dass sie ihn „bei Weitem“ attraktiver finde als den Schauspieler Richard Gere, davon ist nun keine Rede mehr. Ansonsten aber wiederholt sie das ein oder andere noch mal, und dass ihr Mann ein „Mann wie ein Baum“ sei, wie sie sagt, das hat Barley gar nicht selbst erfunden – sondern „Bunte“. 2019 stieg die Illustrierte in das Interview ein mit den Worten: „Gratulation zur neuen Liebe! Ihr Freund ist Sportler, ein Mann wie ein Baum.“
Der nennt sich übrigens selbst „Feminist“ und findet, dass jetzt auch mal gut ist: „Wir Männer haben mit unserem blöden Testosteron 7000 Jahre Kriege vom Zaun gebrochen.“ Sein Vorschlag: „Jetzt sollen die Frauen mal 1000 Jahre an die Macht kommen. Auch wenn nicht alle Engel sind. Siehe Maggie Thatcher und Kleopatra.“
Der großartige Strack-Zimmermann-Mann
Strack-Zimmermann ist nicht mit einem Baum verheiratet, sondern mit einem Horst. In der Überschrift steht: „Ich habe den besten Mann der Welt“. Das ist natürlich keine Nachricht. „Ich habe den zweitbesten Mann der Welt“, da hätte man aufgehorcht. Oder bei: „Ich habe den letzten Mann der Welt“. Aber das hat Strack-Zimmermann nicht gesagt. Sie hat allerdings auch nicht gesagt, dass sie den „besten Mann“ hat, sondern den „großartigsten“, so steht es im Text. So viel Präzision darf schon sein.
(Vor der Europawahl 2019 war es übrigens Katarina Barley, über die „Bunte“ titelte: „Mein Marco ist der TOLLSTE MANN der Welt“, das hatte Barley auch so gesagt. Aber vielleicht kann mal jemand recherchieren, wer nun wirklich besser, toller, großartiger ist.)
Im Interview mit Strack-Zimmermann geht es viel mehr um sie, ihre Art und um Anfeindungen als bei Barley. Es ist auch nicht, wie bei Barley, ein Doppelinterview mit Mann, aber es geht trotzdem um ihn, sonst wäre es ja auch kein „Bunte“-Interview. Wir erfahren zum Beispiel seine Devise: „Happy wife, happy life“, deshalb unterstützt er die Marie-Agnes auch immer bei allem, sogar jetzt bei der Kandidatur. „Ein Glück für mich“, sagt Strack-Zimmermann. Ihre ganze Familie stehe hinter ihr. Und ihr Mann hat ihr sogar einen Rat gegeben, enthüllt „Bunte“. Wir sind ganz gespannt. Der Rat lautet, Trommelwirbel: „Mach es!“ Wirklich wahr. Obwohl er sich auch ein bisschen sorgt um seine Frau, in die er sich laut „Bunte“ vor 45 Jahren verliebte, als sie auf einem Motorrad saß: „Er ist froh, dass mich das BKA begleitet.“
Barley und Mann traf „Bunte“ „über der Mosel an den Weinbergen“, Manfred Weber auf der Landesgartenschau in Kirchheim, Strack-Zimmermann in ihrem Berliner Büro und Terry Reintke von den Grünen – in Gelsenkirchen, ihrer Heimat, über die sie ein paar Binsen verlautbaren darf: Dass die Leute im Ruhrgebiet so ehrlich und auch bodenständig sind, sich „die Wahrheit ins Gesicht“ sagen. Und, klar, auch Jahre, nachdem die letzte Zeche geschlossen wurde, immer wieder spannend: „Der Ruhrpott ist erstaunlich grün.“
Manchmal, erfahren wir, bekommt Terry Reintke „übergriffige Hinweise“, zum Beispiel zu ihrer Frisur, meistens von Männern. Aber auch mit denen würde sie, noch ein kleiner Ruhrpott-Verweis, eine Currywurst essen.
„Bunte“: „Ist Politik auch eine Flirtzone?“
Und dann will’s „Bunte“-Reporter Manfred Otzelberger endlich wissen. Alles. Wie das so ist mit der Französin Mélanie Vogel, der Chefin der grünen Partei in Europa, mit der Reintke liiert ist. Sagen Sie doch mal:
- „Ist Politik auch eine Flirtzone?“
- „Was lieben Sie an Mélanie?“
- „Sprechen Sie Französisch?“
- „Spricht Mélanie Deutsch?“
- „Treffen da Kulturen aufeinander?“
- „Warum haben Sie ihre Beziehung öffentlich gemacht?“
- „Was ist das größte Problem zwischen Mélanie und Ihnen?“
Und Otzelberger fragt auch noch: „Seit wann wussten Sie, dass Sie Frauen lieben?“ Manfred Weber hat er das nicht gefragt.
Reintke gibt artig Auskunft: Sagt, dass ihre Lebensgefährtin klug sei, warm, leidenschaftlich, mit französischem Charme. Dass sie Englisch miteinander sprächen, sie ihr aber einen deutschen Satz beigebracht habe: „Wie viel kostet das Sellerieschnitzel?“ Nein, Scherz. Natürlich: „Ich liebe dich!“
Reintke erklärt dem „Bunte“-Reporter, dass es keinen Grund gebe, die Beziehung geheim zu halten. Dass sie Jugendliche ermutigen möchten, „die noch unsicher sind, ob sie eine lesbische Beziehung offen leben wollen“. Und sie erläutert den deutsch-französischen Kulturkampf: Ihre Freundin würde gerne abends um neun essen, sie selbst aber werde „ungemütlich“, wenn sie um sechs Uhr „nichts zu beißen“ kriege. Puh, lässt sich das lösen? Ja: „Jetzt haben wir uns geeinigt. Wir essen um acht. Und ich nehme um sechs schon einige Snacks zu mir.“
Nach Barley, Strack-Zimmermann und Reintke hätte man dann eigentlich wen erwartet? Genau: Ursula von der Leyen von der CDU. Aber die hat ihr „persönliches Gespräch über Werte, Familie, Liebe und einen schlimmen Verlust“ Ende Mai bei der „Bild am Sonntag“ absolviert, wo sie unter anderem ausführlich über den frühen Krebstod ihrer Schwester spricht, aber nur kryptisch darüber, dass ihr Mann und sie „zahlreiche gemeinsame Leidenschaften“ hätten. Welche, erfährt man leider nicht.
Manfred Weber: „Mir hat das verdammt wehgetan“
Und in „Bunte“ also nur Manfred Weber, schade. Auch bei ihm geht es um Verlust, „Bunte“ bildet im Artikel sogar eine Todesanzeige ab: Vor elf Jahren starb Webers Bruder, ebenfalls an Krebs. Deshalb steht in der Überschrift nun: „Der Kampf gegen Krebs liegt mit auch persönlich am Herzen“.
Über Privates spricht Weber dennoch nur am Rande, es geht viel um Europa. Im Gegensatz zur vorigen Europawahl, 2019, als Weber „Bunte“ erzählte, dass „das Wildeste“ an ihm früher „wohl optisch ein Ohrring“ war, roarrr. Und dass er als Gitarrist „ganze Säle rocken“ konnte, obwohl er eigentlich kein Hardrocker war. Überschrift damals: „Ich schrieb gerne Liebeslieder“.
Heute will „Bunte“ vor allem wissen:
- „Warum ist Ihnen Europa so wichtig?“
- „Woraus sind Sie in Europa stolz?“
- „Ihr schönstes Erlebnis in Europa?“
Und um das schlimmste Erlebnis geht es auch: 2019 wurde Manfred Weber nicht EU-Kommissionspräsident. Sondern: Ursula von der Leyen.
„Mir hat das verdammt wehgetan“, sagt Weber. Also, jetzt nicht seinetwegen, nein, nein, sondern weil „ein großer Schaden für die europäische Demokratie“ entstanden sei. Und dann auch noch dieser französische Präsident: „Macron wollte mich einfach nicht, auch weil ich kein Französisch spreche. Als ob es darauf ankommt. Mit meinem Englisch werde ich überall verstanden und vor allem höre ich zu.“
Weber lässt noch wissen, dass er von der Leyen nicht böse sei, sie habe sich immer fair verhalten. „Einige Monate“ aber hat er schon gebraucht, sagt er, „um diese Enttäuschung zu verarbeiten“. Doch Manfred Weber hat einen haarigen Weg gefunden hinaus aus dem mentalen Loch – und da kommt endlich seine Frau ins Spiel:
„In der Zeit habe ich mir einen Bart wachsen lassen. Der ist geblieben. Auch weil er meiner Frau gefällt. Und mich ein Stück unverwechselbarer macht.“
Wie oft hat man das schon gedacht: Manfred Weber? Ach ja, der mit dem Bart!
Für einen Skandal wie bei Albig damals taugt vermutlich keines der Interviews. Aber man könnte mit Sätzen daraus so richtig schöne EU-Spruchbilder drucken:
Korrektur, 8.6.2024. Wir hatten ursprünglich geschrieben, Marco van den Berg sei früher Basketballtrainer gewesen. Er ist es aber weiterhin. Wir haben das im Text korrigiert. Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
Der Autor
Ich liebe die Sharepics!
Den Spruch von Frau Barley werde ich mir sofort an meine Wand tätowieren.
Marco van den Berg ist übrigens noch immer Basketball-Trainer.
@3 Danke, Frederic! Ist korrigiert.
#1 ich liebe @BR!