Wider die Billig-PR

Ich fordere: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

Mann mit Vollbart und Brille
Arne Semsrott Foto: privat

Was kann eine wehrhafte Demokratie unternehmen, damit Rechtsextreme nicht an die Macht kommen? Und was tun, wenn es ihnen tatsächlich gelingt?

Diesen Fragen geht Arne Semsrott in seinem neuen Buch nach. Semsrott ist Projektleiter des Portals für Informationsfreiheit „FragDenStaat“.

In „Machtübernahme – Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand“ beschreibt er, welche Mittel Gewerkschaften, Beamte, Justiz und die Zivilgesellschaft nutzen können, um einer rechten Machtübernahme zu begegnen. Dabei analysiert er auch aktuelle Entwicklungen in Medien – zum Beispiel: den Forderungsjournalismus.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags veröffentlichen wir dieses Kapitel.


Forderungsjournalismus

Durch ihre Anfälligkeit für spektakuläre Bilder und spektakuläre Aussagen werden Medien immer wieder zu Mitverantwortlichen bei der Verrohung des öffentlichen Diskurses. In diesem Zusammenhang müssen wir über Jens Spahn reden. Der CDU-Oppositionspolitiker und Ex-Gesundheitsminister stellt immer mal wieder Forderungen. Das passiert auffallend häufig. Wirklich, googeln Sie mal „Jens Spahn fordert“.

Foto von Jens Spahn mit Sprechblasen seiner Forderungen, unter anderem: "Bürgergeld abschaffen" und "Gewalt gegen Migranten"
Jens Spahn fordert … Foto: Imago / Montage: Übermedien

Alleine in dem politisch relativ ruhigen Zeitraum zwischen Mitte Dezember 2023 und Mitte Januar 2024 schaffte es Jens Spahn mit acht (!) verschiedenen Forderungen in die Schlagzeilen überregionaler, reichweitenstarker Medien: Jens Spahn fordert, die Finanzierung von Moscheen über eine deutsche Stiftung zu regeln; Jens Spahn fordert längere Arbeitszeiten für Arbeitnehmer; Jens Spahn fordert, das Bürgergeld abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Rente mit 63 abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Verfassung zu ändern, um noch drastischere Vollsanktionen gegen manche Bürgergeld-Empfänger durchzusetzen; Jens Spahn fordert, überirdische Stromleitungen zu ermöglichen; Jens Spahn fordert, Abschiebungen zu verstärken; Jens Spahn fordert, Fraktionszwang im Bundestag bei manchen Fragen abzuschaffen. Und das alles in weniger als einem Monat und trotz Weihnachten!

Forderungen kommen Spahn offenbar leicht über die Lippen. In Bezug auf die anvisierten Vollsanktionen für Bürgergeld-Empfänger*innen forderte Spahn beispielsweise, notfalls die Verfassung zu ändern, da noch schärfere Sanktionen wie die dauerhafte Entziehung der kompletten Grundsicherung laut Bundesverfassungsgericht gegen die Verfassung verstoßen.
Das Gericht urteilte allerdings auf Basis von Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes, also der Garantie der Menschenwürde und der Verfasstheit der Bundesrepublik als demokratischem und sozialem Staat, die Teil der Ewigkeitsklausel sind. Was Spahn konkret daran ändern wollte, bleibt erst mal sein Geheimnis. Seine Forderung lässt sich dennoch als Angriff auf die Verfassung verstehen.

Aber nehmen wir uns mal eine Forderung von Spahn vor, die er im Oktober 2023 äußerte und die das ZDF handbuchartig schlecht vermeldete: Spahn hatte in einem Interview gefordert, dass Deutschland und die EU an den Außengrenzen zur Abschreckung „physische Gewalt“ gegen Migrant*innen einsetzen sollten. Eine schockierende Forderung, die schlicht menschenrechtswidrig ist. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch wurde für ähnliche Forderungen im Jahr 2015 noch stark kritisiert und musste dann zurückrudern.

Sechs Wörter, drei Probleme

Spahn hingegen musste sich für gar nichts entschuldigen. Das ZDF titelte, basierend auf einer Meldung einer Nachrichtenagentur: „Spahn für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Diese Überschrift alleine birgt bei sechs Wörtern schon drei Probleme.

Screenshot der ZDF-Website: Artikel über Jens Spahns Forderung.
Screenshot: ZDF

Erstens: Spahn fordert nicht Gewalt bei Migration. Spahn will ja nicht, dass Frontex-Beamte Supermärkte verwüsten, wenn sie mitbekommen, dass es Migration gibt. Spahn befürwortet Gewalt gegen Migrant*innen. Die schüchterne Formulierung des ZDF verschleiert das. Sie entpersonalisiert und macht es der krassen Forderung damit leichter, als salonfähig durchzugehen.

Wie kommt es, dass das ZDF sich nicht traut, die Forderung von Spahn so wiederzugeben, wie sie gemeint war? Die naheliegendste Antwort: Viele Medien haben Angst, als zu alarmistisch wahrgenommen zu werden. Ein weiterer Aspekt: Es tut weh, die Wahrheit auszusprechen. Wenn man schreibt, dass Gewalt gegen Menschen eingesetzt werden soll, spürt man diese Gewalt selbst, sofern man nicht abgestumpft ist. Man sieht Bilder von blutenden Geflüchteten an den EU-Außengrenzen vor dem inneren Auge, Bilder von ertrunkenen Kindern am Strand. Eine Forderung nach Gewalt aufzuschreiben, tut einem selbst weh. Wenn man schreibt, dass es „Gewalt bei Migration“ geben soll, fühle ich weniger. Wenn ich lediglich über „harte Forderungen in der Migrationspolitik“ schreibe, fühle ich gar nichts.

Medial lässt sich dieses Phänomen besonders häufig im Bereich der Migrationspolitik beobachten. Als „Correctiv“ gemeinsam mit Greenpeace Investigativ im Januar 2024 das „Geheimtreffen“ von Rechtsextremisten aufdeckte, bei dem AfD-Politiker und andere Rechte über einen Vertreibungsplan berieten, berichtete der rbb darüber, schrieb aber von „Ausweisungen“ statt Vertreibungen. Ausweisungen bezeichnen einen bereits üblichen Vorgang im Ausländerrecht, Vertreibungen hingegen sind eine Eskalation der Gewalt. Die „Tagesschau“ nannte das Ganze gar ein „Treffen zu Migration“, ganz so, als ob es sich dabei nicht um eine vollkommen menschenfeindliche Politik handeln würde. Aber „Treffen zu Massenvertreibungen“ würde eben auch wehtun.

Zweitens: Das ZDF schreibt in der Headline, Spahn fordere Gewalt bei „irregulärer Migration“. Den Begriff nutzt der Rundfunk vermutlich, weil Spahn selbst ihn benutzt. Nur: Was soll das eigentlich sein? Eine klare rechtliche Definition für „irreguläre Migration“ gibt es nicht. Sollte damit jede Form der Migration gemeint sein, die ohne Kenntnis von Behörden stattfindet, fallen damit auch Geflüchtete darunter, die in Deutschland Asyl bekommen – und denen dieses Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention auch gewährt werden muss. Sie haben ein Recht darauf, in Deutschland zu sein. Fordert Spahn also, dass auch ihnen Gewalt angetan werden soll? Dann ist das ein Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention. Sollte das dann nicht zur Sprache kommen, in der Überschrift oder wenigstens im Artikel selbst?

Und drittens: Die Forderung wird in keiner Weise eingeordnet. Das ZDF gibt sie ungefiltert wieder, kontextualisiert nichts davon rechtlich oder politisch, bildet keine Kritik daran ab. Sie vermeldet, dass Jens Spahn etwas fordert, als ob das eine Nachricht wert wäre. Eine angemessene Überschrift wäre beispielsweise: „Spahn fordert menschenrechtswidrige Gewalt gegen Menschen auf der Flucht“.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit zu erkennen, wie falsch Spahns Forderungen und die Meldung dazu sind. Lassen Sie uns dazu ein Gedankenexperiment machen. Vergessen Sie kurz, was Sie gerade über die Meldung und Jens Spahn gelesen haben, und stellen Sie sich vor, das ZDF hätte die Forderung eines AfD-Politikers vermeldet: „Höcke für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Und im Untertitel: „Björn Höcke (AfD) hat Bundeskanzler Scholz (SPD) und dessen Migrationspolitik kritisiert. Er fordert ein hartes Vorgehen gegen irreguläre Migration.“

Wie fühlt sich das an? Welche Bilder haben Sie spontan im Kopf? Spüren Sie Abscheu, wenn Sie lesen, dass ein Faschist wie Björn Höcke Gewalt gegen Unschuldige auf der Flucht einsetzen will? Und Empörung darüber, dass das vom ZDF einfach kontextlos vermeldet wird? Gut. Dann sollten wir das bei Jens Spahn auch nicht akzeptieren.

Welche Expertise hat Jens Spahn?

Jetzt könnte man vielleicht sagen: Wenn wichtige Politiker wie Spahn etwas fordern, dann sollte das eben schnell vermeldet werden. Aber ist das bei Spahn so? Ist er wirklich so wichtig? Hat er im Feld der Migrationspolitik eigentlich eine besondere Entscheidungsmacht oder Expertise, die dies rechtfertigen würden?

Schauen wir uns Spahn einmal genauer an. Er ist deutschlandweit bekannt, keine Frage. Er wurde 1980 geboren und sitzt seit 2002 im Bundestag – also schon sein halbes Leben. Er hatte schon einige wichtige Ämter inne: Er war Parlamentarischer Staatssekretär beim Finanzministerium, Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie und Masken-Affäre. Keines davon hatte mit dem Thema Migration zu tun. Ansonsten kandidierte er für den CDU-Parteivorsitz und erhielt dabei nur 15,7 Prozent der Stimmen.

Was macht Spahn jetzt?

  1. Er ist einer von 736 Bundestagsabgeordneten. Er ist direkt gewählter Abgeordneter für die oppositionelle CDU und ungewöhnlicherweise in keinem einzigen Ausschuss Vollmitglied. Sacharbeit macht er im Bundestag also kaum. Schon gar nicht zum Thema Migration.
  2. Lediglich in den Ausschüssen für Wirtschaft und für Klimaschutz ist er stellvertretendes Mitglied. Beide Ausschüsse sind beim Thema Migration nicht federführend.
  3. In der Unions-Fraktion im Bundestag ist Spahn einer von zwölf stellvertretenden Vorsitzenden. Zuständig ist er für Wirtschaft, Klima und Energie, Mittelstand, Tourismus. Nicht für Migration.
  4. In den Unions-Arbeitsgruppen im Bundestag, die die parteiinternen Positionen zu allen politischen Themen bestimmen, ist Spahn nicht Mitglied. Auch nicht in der „AG Inneres und Heimat“, die für das Thema Migration zuständig ist.
  5. In der CDU-Grundsatzkommission war Spahn zuständig für „Wohlstand“. Nicht für Migration.
  6. Im Präsidium der CDU ist Spahn eine von 16 Personen, seine Position wird auf der CDU-Website mit der Bezeichnung „weiteres Mitglied“ angegeben. Eine Themenzuständigkeit im Präsidium hat er nicht, auch nicht für das Thema Migration.

Was also qualifiziert Jens Spahn, Forderungen zu Migration aufzustellen? Gar nichts. Es steht ihm natürlich frei, es dennoch zu tun. Verantwortungsvolle Journalist*innen sollten dann aber erkennen, dass Spahn hier keine wirkliche Kompetenz hat.

Und deswegen fordere ich: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

Wenn ein Politiker etwas fordert, ist das in der Regel erst mal keine Nachricht. Vor allem – aber nicht nur – , wenn diese Person Jens Spahn ist. Die Forderung kann zu einer Nachricht werden, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: wenn die Forderung politisch relevant ist und wenn die fordernde Person bestimmte Kompetenzen im Hinblick auf diese besitzt. Eine Forderung kann auch dadurch politisch relevant sein, dass ein Politiker einer demokratischen Partei eine menschenfeindliche Forderung stellt. In jedem dieser Fälle müssen Forderungen aber eingeordnet und kontextualisiert werden. Das dauert zwar länger und macht eine Meldung möglicherweise nicht exklusiv, aber dafür besser.

„Trump falsely claims“

Einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit rechten Forderungen und anderen Parolen haben Journalist*innen in den USA aufgrund von Donald Trump sammeln müssen. Die Lernkurve war steil und schmerzhaft: Schließlich hatten US-Medien den Aufstieg von Trump wesentlich mitverursacht, indem sie Trumps immer aberwitzigeren Statements und Forderungen 24 Stunden am Tag live sendeten. Niemand im US-Wahlkampf war so oft in den Medien präsent wie Trump – und zwar in der Regel ohne kritische Einordnung (oder sie ging im Getöse unter).

In Trumps Regierungszeit lernten Medien wie die „Washington Post“, dass reine Verkündungen von Forderungen Billig-PR sind und kein Journalismus. Forderungen sollten immer auch von Top-Politiker*innen direkt kritisch und prominent eingeordnet werden. Anstatt wie noch zu Beginn seiner Kandidatur jede Aussage von Trump ohne Einordnung zu vermelden, hat sich inzwischen etabliert, Richtigstellungen zu Trumps Aussagen direkt in die Headlines zu setzen. „Trump falsely claims“ – Trump behauptet zu Unrecht – ist inzwischen quasi ein eigenes Genre des US-Journalismus geworden.

„Politiker fordert fälschlicherweise“, „Politiker behauptet zu Unrecht“ – das sollten auch deutsche Medien in ihre Überschriften schreiben. Denn die meisten Menschen lesen auf sozialen Medien und Startseiten von Online-Medien eben vor allem Überschriften und Teaser. Was dort nicht aufgeklärt wird, ist in der Regel verloren.

Deutsche Medien haben das noch immer nicht gelernt, wie sich an zahllosen Beispielen zeigen lässt. In Bezug auf den polnischen Präsidenten Duda, der zur antidemokratischen Partei PiS gehört, schrieb die „Tagesschau“ im Januar 2024: „Duda warnt vor ,Terror der Rechtsstaatlichkeit‘“, ganz so, als ob das eine völlig rationale Warnung sei. Rechte Parolen gehören nicht unwidersprochen in Überschriften.

Weil Trump seine Forderungen und Behauptungen schneller von sich gibt, als Zeitungen erscheinen, hat sich in den USA ein Live-Fact-Checking von Trump etabliert, bei dem seine Aussagen etwa während öffentlicher Debatte in Echtzeit auf Online-Plattformen widerlegt werden. Das ist deutschen Versuchen des Fact-Checking weit überlegen.

Die ARD-Talkshow „Maischberger“ zum Beispiel veröffentlicht am Tag nach einer Sendung eine Textseite, auf der sie die Richtigkeit der Aussagen ihrer Gäste (darunter viele AfD-Politiker) überprüft. Ein bestürzend sinnloser Nachklapp, denn während die Fernsehsendung regelmäßig von mehr als einer Million Menschen verfolgt wird, erreicht der Onlinetext nur einen winzigen Bruchteil von ihnen. So können AfD-Politiker in der Sendung viele Falschaussagen von sich geben, die im Format nicht live korrigiert werden, der Online-Faktencheck gerät zum Feigenblatt für die Redaktion. Viel sinnvoller als ein nachträglicher Faktencheck wäre es, Lügenschleudern aus der AfD einfach nicht mehr einzuladen.

Dass die AfD mit ihren Pressemitteilungen auch immer wieder Mainstreammedien erreicht, zeigt etwa eine Meldung auf tagesschau.de im August 2023. Im Hessischen Landtagswahlkampf vermeldete ein AfD-Abgeordneter, die „linke Antifa“ habe Privatadressen von AfD-Landtagskandidaten geleakt. Die Nachricht vermeldete zunächst der rechte Kampagnen-Blog „Nius“ von Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, anschließend die Öffentlich-Rechtlichen. Und die zitierten dann unkommentiert absatzweise die AfD-Politiker, darunter auch mit diesem Satz: „Das dröhnende Schweigen der selbst erklärten ,demokratischen Parteien‘ ist ein schäbiges Messen mit zweierlei Maß.“ Die AfD behauptet, die demokratischen Parteien seien nicht demokratisch – und tagesschau.de gibt das einfach so wieder.

Die Medien sind so der Strategie der Rechtsextremisten ausgeliefert, die die Öffentlichkeit mit Mist überschwemmen wollen – in den Worten von Donald Trumps früherem Berater Steve Bannon: „Flooding the zone with shit“. Teil dieser Problematik sind auch Zitatkacheln- und -videos von Politiker*innen in sozialen Medien. Die „Tagesschau“ postet auf ihren Kanälen beispielsweise immer wieder Zitate auch von AfD-Politikern, die ohne Einordnung letztlich auch aus Partei-Pressemitteilungen stammen könnten. Das bringt zwar Klicks, aber gerade die Öffentlich-Rechtlichen sollten wissen, dass das alleine kein sinnvolles Kriterium für Journalismus sein kann.

Offenlegung: 2020 erschien ein Kommentar von Arne Semsrott bei Übermedien; 2024 war er Gast in unserem Podcast. Außerdem haben wir 2022 mit Hilfe von Semsrott und „FragDenStaat“ versucht, mehr über einen Podcast der Bremischen Landesmedienanstalt (brema) zu erfahren – und anschließend geklagt.

9 Kommentare

  1. Schön, dass ich hier dieses Kapitel schon lesen konnte. Jetzt weiß ich, dass ich mir das komplette Buch von Arne Semsrott nicht kaufen werde.

  2. Jens „Superexperte für Alles“ Spahn hat erst eine Untersuchungsausschuss gefordert: https://tinyurl.com/22oamvyu

    Wieder hat er damit ein komplettes Interview im Tagesspiegel bekommen und verpestet damit den Diskursraum.

    Leider wird diese Mensch auch noch ständig in Talkshows eingeladen, wo er dann mit seiner vermeintlichen Expertise auffällt.

    @1: Bei „mir egal“ kann man auch einfach schweigen.

  3. Der Artikel zeigt zurecht das merkwürdige Phänomen der Meldungen der Kategorie „xy fordert“ auf. Besonders merkwürdig dann, wenn Politiker in Regierungsämtern etwas fordern, für das sie selbst zuständig sind („Lindner fordert Steuerentlastung“, Tagesschau vorgestern). Eine Methode, um in die Medien zu kommen also.

    Der Artikel ist dennoch schwach, weil er hauptsächlich darauf abzielt, Spahn als jemanden hinzustellen, der nix zu fordern habe, weil irgendwie unwichtig und kenntnisfrei der Mann (hallo?!).

    Und der Autor konzentriert sich darauf, zu meinen, Spahns Wortmeldungen müßten gleich in Überschriften delegitimiert werden („menschenrechtswidrig“).

    Vollends unredlich wird es, wenn der Autor zwar ganz viel Kontext von den Medien fordert – am besten gleich in der Headline -, aber nirgendwo aufführt, worum es bei Spahns Gewaltforderung eigentlich ging. Stattdessen phantasiert der Autor blutende Menschen und ertrunkene Kinder in Spahns Statement hinein. Das ist manipulativ.

    Bitte in Zukunft mehr Medienkritik auf Übermedien und weniger politische Meinungsäußerungen. Schwacher Beitrag; die Buchlektüre erspar ich mir.

  4. Bei Herrn Spahns Forderungskatalogen handelt es sich nicht um Politik in eigentlichen Sinne. Sie dienen dem Selbstmarketing eines in die dritte Reihe abgeschobenen Ex-Ministers, der in seiner eigenen Partei den Wer-wird-mehr-zitiert-Wettbewerb veranstaltet, um sich wieder hochzuarbeiten.
    Dass sich manche Medien (immer mal wieder andere) dennoch darauf einlassen, liegt vermutlich am geringen Aufwand: Für die Textproduktion aus einer Spahn-Äußerung muss man lediglich zitieren können, die indirekte Rede beherrschen – in fünf Minuten hat man das Ding rausgehauen.

  5. Danke für den guten Artikel!

    Er zeigt auf, wie eine Prüfung aussehen kann, ob eine Person zu einem Thema eine relevante Ansicht äußert.

    Und die Hinweise auf die US Medien sind ebenfalls interessant.:Schon früh den Kern herauszuarbeiten und mit der Überschrift einordnen erscheint mir hilfreich für Qualitätsjournalismus. Ich wünsche es mir häufiger.

  6. Kann es sein, dass Spahn einfach zu wenig zu tun hat?

    Wenn schon Begriffe kritisiert werden – „salonfähig“ war Gewalt gegen Benachteiligte schon immer: im _Salon_ sitzt die Oberschicht mit Sektgläsern und Kavierhappen und guckt von oben durch die Salonfenster zu, wie unten auf der Straße das Proletariat mit Tränengas beschossen wird oder was auch immer.

  7. @Chateaudur (#3):

    Vollends unredlich wird es, wenn der Autor zwar ganz viel Kontext von den Medien fordert – am besten gleich in der Headline -, aber nirgendwo aufführt, worum es bei Spahns Gewaltforderung eigentlich ging.

    Schließe mich an. Bin überhaupt nicht einverstanden mit dem, was Spahn sich so wünscht. Aber die Engführung mit von Storch ist absurd – die hatte damals gefordert, auf Flüchtlinge schießen zu lassen. Das ist was anderes als die abstrakte Formulierung „physische Gewalt“. (Was jeder bestätigen, der mal auf einer Demo war, bei der die Polizei „physische Gewalt“ ankündigt – man rechnet mit Knüppeln und Wasserwerfern, nicht mit Schusswaffen-Einsatz.)

    Die sozial- und rentenpolitischen Forderungen von Spahn teile ich auch nicht. Ich finde sie sogar fürchterlich. Aber er ist – unabhängig von seinen aktuellen Ämtern – ein führender CDU-Mann und ehemaliger Bundesminister. Der kann durchaus von Medien zitiert werden, ohne dass ein „was falsch ist“ angehängt wird. Zumal „falsch“ und „richtig“ etwa beim Bürgergeld oder bei der Rente mit 63 nun mal umstritten sind. „Fordert fälschlicherweise“ würde hier einen Widerspruch zu einer Tatsache suggerieren, ohne dass eine Tatsache existiert. Das wäre wirklich „betreuter Journalismus“.*

    Die Kritik an billigem „X fordert Y“-Content teile ich. Solche Sachen sind halt schnell geschrieben in einem Alltag, der Texte im Minuten-Rythmus verlangt – und meistens Schrott. Aber hier ist die Kritik nicht gut argumentiert. Es geht eher in Richtung: „Schlechte Leute wie Spahn sollen nicht in den Medien vorkommen. Nur gute Leute.“ Schwach.

    *Davon ab hat die „falsely claims“-Praxis der US-Medien gegen Trump diesem bislang leider nicht geschadet. Der Nutzen von dit Janze ist also zweifelhaft.

  8. Amen. Ich muss gestehen, dass mir natürlich die Spahn-Beispiele zugänglicher sind als manchen anderen hier in den Kommentaren. Aber: Es sind nur Beispiele. Man kann das Prinzip natürlich jederzeit auf Regierungsparteien und wahrscheinlich sogar auf vernünftige Fordeurngen anwenden. Als ich das mit dem Journalismus gelernt habe, war „Verlautbarungsjournalismus“ verpönt. Ließ sich dennoch manchmal nicht vermeiden – es hatte zum Beispiel einen Grund, warum der SPIEGEL seine Vorabmeldungen samstags aufs Fax legte (so lange ist das her). Gefühlt ist das über die Jahre eher schlimmer geworden. Das geht meines Erachtens schon los, wenn Gesetze dauernd von Regierungen „verabschiedet“ oder „beschlossen“ werden, obwohl das nur Parlamente können. Und es endet bei der fehlenden Kontextualisierung, die die Absurdität mancher Forderungen eben einordnet. Das wäre eine wichtige Aufgabe für Medien und wenn Leute einen Hass auf Politik bekommen, dann liegt das genau daran, denn, so die Wahrnehmung: Die fordern ja nur und tun nix. Und das ist am Ende nichts weniger als demokratiegefährdend. Deswegen unterstütze ich die Forderung: Weg mit dem Forderungsjournalismus.

  9. Gerstern Abend mal wieder lineare ARD geschaut und es sofort bereut.
    ARD Wahlberichterstattungssupersendung, erst sagt CDU-Generalsekretär Cadenabbia, dass CumEx-Olaf keine Legitimation mehr habe, Kanzler zu sein – 20 Minuten später dreht sich CDU-Pressesprecher Markus Preiß bewusst besorgt zur Kamera um (breaking the 4th wall): „Wenn ich das richtig im Ohr habe, will CDU-General Rhöndorf den Kanzler canceln. Hier ist Emix Spahn und wir debattieren jetzt 20 Minuten ganz theoretisch über die Vertrauensfrage im Bundestag“.

    Und wir wundern uns über eine starke AfD, während wir das mit den Grünen gestern „ganz schlimm aber auch gerechtfertigt“ finden – und glücklich sind, dass Martin Sonneborn nicht in die Arbeitslosenstatistik rutscht.

    Die einzige Frage, die ich mir noch stelle:
    Wird Merz auch die 16 Jahre schaffen?

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