12-Punkte-Plan der FDP

Was drinsteht, müssen Sie schon selbst herausfinden

FDP-Logo vor leerer Auflistung
Foto: Canva; Logo: FDP

Wenn die FDP einen 12-Punkte-Plan für eine „Wirtschaftswende“ beschließt, dann interessiert die meisten Menschen, die davon hören, als erstes: Was steht da drin? Als das Papier am Sonntag den Weg in die Öffentlichkeit fand, war das die wichtigste W-Frage, um sich eine Meinung bilden zu können.

Leider war der Inhalt des Papiers genau der Aspekt, den viele Journalistinnen und Journalisten ziemlich schnell aus den Augen verloren. Sie schienen zu glauben, dass die meisten Menschen längst wüssten, worum es geht. (Hier das Beschlusspapier der FDP mit allen zwölf Punkten zum Selber-Nachlesen.)

Der Autor und Philosoph Matthias Warkus kommentierte dazu gestern Nachmittag auf Bluesky:

„Ich konsumiere ständig Social Media, schaue mehrmals am Tag auf die Homepage der Tagesschau, höre ständig DLF und lese die Lokalzeitung. Dennoch habe ich keine Berichterstattung über diesen 12-Punkte-Plan der FDP mitbekommen, die nicht schon unterstellt, ich wüsste, was drinsteht.“

Acht von zwölf Punkte bei „Bild“

„Bild“ hatte am Sonntagmorgen als erste Redaktion über den Entwurf für den FDP-Beschluss berichtet und dem Papier gleich mit der Überschrift einen ordentlichen Spin verliehen:

„FDP-Angriff auf SPD und Grüne“

Im folgenden Artikel wurden immerhin acht der zwölf FDP-Forderungen tatsächlich erwähnt. Damit stand „Bild“ im Vergleich zu anderen Redaktionen noch gut da. Die meisten beschränkten sich auf drei bis fünf Punkte, als sie später über das Papier berichteten. Am Montag wurde der Entwurf im Partei-Präsidium beschlossen. Aber anstatt die frisch beschlossenen Vorschläge erst einmal vorzustellen, ging es direkt in die Debatte: Reaktionen der Koalitionspartner, knackige Oppositionsstatements, routinierte Korrespondentenanalysen, ob die Ampel (mal wieder) kurz vor der Auflösung steht.

Beispiel „Tagesschau“: Am Sonntagabend war das FDP-Papier 45 Sekunden lang Thema gewesen, fünf Punkte wurden dort übersichtlich aufgelistet. Wer diese Meldung am Wochenende verpasst hatte, war am Montagabend – dem Tag, an das FDP-Präsidium das Papier tatsächlich verabschiedete – etwas verloren: „SPD kritisiert Reformpapier der FDP“, lautete die Überschrift. Kurz wurden drei Punkte aus dem Papier erwähnt, dann kam im Beitrag erst einmal Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD zu Wort. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai durfte auch kurz was sagen, aber nicht zum Inhalt, sondern nur zur Frage, warum das Papier gerade jetzt beschlossen wurde, dann war schon wieder die CDU mit Kritik an der Reihe. In der abschließenden Einordnung durch die Korrespondentin ging es dann nur noch um die möglichen Folgen für die Ampel-Koalition.

Ganz ähnlich lief es im „heute journal“, wo Moderatorin Marietta Slomka es am Montagabend schaffte, das Papier umständlich anzumoderieren, ohne auch nur einen Halbsatz auf die konkreten Forderungen zu verwenden. Der anschließende Beitrag blendete immerhin eine kurze Infografik mit fünf Punkten ein, dann ging es schon wieder um Parteistreitereien.

FDP-Chef Christian Lindner war anschließend persönlich aus Istanbul zugeschaltet und bereit, inhaltliche Fragen zu beantworten („Wir können gerne über einzelne Punkte sprechen“), Slomka aber leider viel mehr daran interessiert, ob seine Partei nun in einem „Endkampf um die Kernklientel der FDP“ die Koalition riskieren würde. Bei der Problemanalyse seien sich ja alle einig, würgte Slomka Lindners Ausführungen zur aktuellen Wirtschaftslage ab: „Die Frage ist ja, was die richtigen Rezepte sind.“ Genau um diese Frage ging es dann allerdings nicht.

Online wenig Zusatzinfos

Wer darauf gehofft hatte, wenigstens auf den Online-Portalen der Öffentlich-Rechtlichen einen guten Überblick über die zwölf Punkte zu finden, hatte wenig Glück. „ZDF heute“ listete unter einem Text zum Thema immerhin die sechs „wichtigsten“ Punkte auf – aber nur, wenn man es bis unter den Zwischentitel „CDU und CSU sehen Ampel-Regierung kurz vor dem Aus“ geschafft hatte. Bei „Tagesschau.de“ kommentierte und analysierte die Redaktion zwar fleißig, aber auch hier überstrahlten die Sorgen um den Fortbestand der Ampel alles Inhaltliche. Im grundlegendsten Artikel zum Thema ging es zunächst um vier der zwölf FDP-Punkte, dann aber in einem längeren Teil des Textes wieder um die Reaktionen darauf.

Warum der Inhalt der FDP-Forderungen so stiefmütterlich behandelt wurde, erklärt womöglich ein „Tagesschau“-Kommentar von Philipp Eckstein, der schrieb:

„Am 12-Punkte-Papier der FDP ist das meiste nicht neu, zugespitzt versucht die Parteiführung noch einmal ihren wirtschaftsliberalen Markenkern nach vorne zu stellen.“

Will heißen: Was die FDP da vorschlägt, hat die Hauptstadt-Bubble alles schon einmal gehört und durchdiskutiert. Da geht man schnell eine Ebene höher und ordnet die hypothetischen Folgen des Ganzen ein. Knallt schließlich auch mehr: Dass Markus Söder von der CSU das Papier für eine „Scheidungsurkunde für die Ampel“ hält, durfte in keinem Bericht fehlen.

Hauptstadtjournalismus ist allen anderen voraus

Es ist ein bekanntes Phänomen: Hauptstadtjournalistinnen und -journalisten sind schnell drei Einordnungen weiter, bevor die Normalzuschauerin das Thema überhaupt mitbekommen hat. Was die Berliner Redaktionen brandheiß aufregt und beschäftigt, kommt im Rest der Republik gerne mal lauwarm-verspätet an und trifft nicht immer den Kern des Zuschauerinteresses. Außerdem neigen Hauptstadtjournalisten dazu, bei all den Konflikten und Verhandlungen, über die es zu berichten gilt, die Inhalte aus dem Blick zu verlieren – also über politics statt policy zu schreiben.

Fraglich ist, ob der gemeine Fernsehzuschauer den Koalitionsbruch genauso herbeisehnfürchtet wie der versammelte Politikjournalismus. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk, die FDP habe den Anspruch und das Anrecht, eigene Vorschläge zu machen:

„Das ist parlamentarische Demokratie und Parteienwettbewerb in Deutschland, dass Konzepte erkennbar und vernehmbar gegeneinanderstehen – das machen wir auch.“

Möglich, dass die meisten Wählerinnen und Wähler das so ähnlich sehen. Schade, wenn sie von diesen gegeneinander stehenden Konzepten nicht viel mehr erfahren als dass sie – genau – gegeneinander stehen. Und nicht nur ein Überblick über die Punkte selbst, sondern auch ein bisschen Kontext wäre ganz schön gewesen: Was könnten die Forderungen für die Wirtschaft tatsächlich bringen? Auch das wäre am Montag ein guter Weiterdreh gewesen.

Fast schon enttäuscht meldete der „Stern“ gestern Abend dann mit Bezug auf eine dpa-Meldung: „Großer Ampel-Krach um FDP-Papier bleibt aus“. Puh, das war knapp.

11 Kommentare

  1. Danke! Ich habe das Gefühl, dass der Haupstadtjournalismus genau aus den hier herausgearbeiteten Gründen gerade heftigst und unbeeindruckt in der Kritik steht. Deswegen spricht mir der Text aus dem Herzen.

  2. Einerseits: Ja, die Mechanismen sind immer dieselben, und ein bisschen Mühe bei der Vermittlung der Grundlagen könnten sich die Journalisten schon geben.

    Andererseits: Das Papier ist in drei Sekunden ergoogelt und schneller gelesen, als die DLF-Nachrichten beim Wetter angelangen. Es ist kein Geheimpapier, das nur „der Redaktion vorliegt“. Wenn also ein Philosoph vorgibt, nicht zu wissen, was drinsteht, dann ist das auch ein ordentliches Stück Koketterie.

    Die Debatte über das Papier zusammenzufassen, ist mehr Aufwand – und natürlich ist es die Aufgabe von Hauptstadtjournalisten, das zu tun. Auch wenn ich mir weniger Alarmismus und Drama in der Berichterstattung wünschte.

  3. Das ist überhaupt etwas, was mir am elektronischen Journalismus: Internet, Radio, Fernsehen, oft negativ aufstößt. Im Streben, immer „aktuell“ zu sein, wird oft kaum noch über das Ereignis selbst berichtet, sondern über deren Nachwehen, obwohl diese in der Relevanz eigentlich viel niedriger rangieren. Zum Teil mag das Methode sein: Wer zwanzigmal am Tag Spiegel Online aufschläft, erwartet, dass da zwanzigmal am Tag eine andere Headline steht. Aber auch beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, der sich ja mehr an die Breite der Bevölkerung richten sollte, weniger an Newsjunkies, scheint mir, dass viele Redakteure vergessen, dass ein Großteil des Publikums nicht den ganzen Tag am Ticker steht, und dass, wenn etwas wichtiges um 10 Uhr passiert, dies für viele um 19 Uhr immer noch die entscheidende Meldung ist; und nicht, wie diverse öffentliche Akteure am Nachmittag darauf reagiert haben. (Vor allem beim SWR fällt mir das oft negativ auf. Der DLF ist da eher ein Positivbeispiel.)

    Dazu fällt mir eine Studie ein, die ich vor ein paar Jahren gelesen habe: Wer ein-zweimal am Tag Nachrichten verfolgt, ist über aktuelle Ereignisse besser informiert, als jemand, der sie zwanzigmal am Tag abruft. Durch die „Breaking-News“-Philosophie geht nicht nur der Blick auf das Wesentliche verloren; es macht die Menschen auch aktiv dümmer.

  4. FDP veröffentlicht neoliberalen 12-Punkte-Plan und in China ist ein Sack Reis umgefallen.
    https://uebermedien.de/152/sack-reis-umgefallen/

    Morgens, 08:00 Uhr Berlin: Die Koalition hält.

    Nikolaus Blome kommentiert: „Offenbarungseid des politischen Systems. Die System-Gegner werden sich freuen.“.
    Auf Nachfrage reagiert Blome genervt: „Nur weil ich die Welt brennen sehen will, bin ich doch keine System-Gegner!“

    Welcher Teil davon Parodie ist, finden Sie hier heraus:
    https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Sie-zerstoeren-viel-mehr-als-die-Ampel-Regierung-article24892991.html

  5. An und für sich ja, wer sich halbwegs interessiert, kriegt die 12 Punkte raus (und zumindest bei Inline-Medien kann man die ja verlinken), andererseits, angenommen, nur fünf von den zwölf Punkten seien kontrovers, könnte man ja zumindest andeuten, warum die anderen sieben es nicht wären.
    Oder, ich googel mir die Punkte sowieso selbst, dann brauche ich die Nachrichten eigentlich gar nicht.

  6. kritischer Kritiker:
    > Andererseits: Das Papier ist in drei Sekunden ergoogelt und schneller gelesen, als die DLF-Nachrichten beim Wetter angelangen. Es ist kein Geheimpapier, das nur „der Redaktion vorliegt“. Wenn also ein Philosoph vorgibt, nicht zu wissen, was drinsteht, dann ist das auch ein ordentliches Stück Koketterie.

    Wenn die Inhalte in der Presse so wenig beleuchtet werden, dann gibt es auch kaum Analysen zur Sinnhaftigkeit der Forderungen. Jede:r, der in den vergangenen 2,5 Jahren aufgepasst hat, weiß, dass es die FDP bei der Sinnhaftigkeit selten übertreibt, aber schön wäre es trotzdem.

    Er-sagte-sie-sagte-Berichterstattung nutzt uns wenig und hat, im Gegensatz zur Analyse der Forderungen auch keinerlei Halbwertszeit. Und es spielt der FDP in die Hände, die ja offenbar nicht durch konstruktive Forderungen sondern durch möglichst großen Krawall auffallen will.

  7. @#7: Ihr Stilmittel: Auf die Form verweisen, den Inhalt ignorieren.
    Dabei noch leicht übertreiben („ein ordentliches Stück Koketterie“ wird bei Ihnen zu „Lüge unterstellen“) um sich selbst als Opfer von bösen Internetkommentatoren („känssel kaltscha!“) darzustellen.
    Schwach.

  8. @ #2 #8
    An welcher hat Matthias Warkus denn vorgegeben, den Inhalt des Papiers nicht zu kennen? In seinem hier zitierten Post weist er doch lediglich auf die Tendenz der Berichterstattung in dieser Sache hin, bei Rezipienten Vorwissen über den Inhalt des Papiers anzunehmen.

    „Dennoch habe ich keine Berichterstattung über diesen 12-Punkte-Plan der FDP mitbekommen, die nicht schon unterstellt, ich wüsste, was drinsteht.“

    Ich verstehe das so: Seiner Wahrnehmung nach werden die Grundlagen der Debatte, also die Inhalte des Papiers, nicht ausreichend thematisiert. Ob er selbst imstande ist, sich darüber zu informieren oder es gar bereits getan hat, ist für diese Beobachtung doch unerheblich.

    Vielleicht habe ich aber andere Äußerungen von ihm nicht mitbekommen.

    PS: Die Frage, ob das FDP-Papier
    überhaupt ein verdienter Berichterstattungsgegenstand ist und die Frage, ob der inhaltliche Fokus der Berichterstattung richtig gewählt wurde, lassen sich doch unabhängig voneinander stellen.

  9. @#8: Die Unterstellung der Lüge steckt schon im Wort »vorgeben«, da muss man nichts übertreiben. Aber das wissen Sie, Sie flooden hier einfach die Zone mit Shit, weil Ihnen das Spaß macht.

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