Verzerrende Schlagzeilen

Wie die „Bild“ den Ruf von Peter Lustig zerstörte

Als sich Peter Lustig im Oktober 2002 mit einem Journalisten in einem Berliner Café zum Interview traf, hatten beide noch nicht die leiseste Ahnung, was für wahnsinnige Folgen ihr Gespräch haben würde.

Lustig war damals 65 Jahre alt, und weil sich viele fragten, ob er in Rente gehen oder die Kindersendung „Löwenzahn“ weiter moderieren würde, beauftragte das Wochenendmagazin der „Stuttgarter Zeitung“ ihren freien Journalisten Kai Biermann, sich mit Lustig zu unterhalten. Biermann, heute Investigativ-Redakteur bei der „Zeit“, traf sich also mit dem damals berühmtesten Bauwagenbewohner Deutschlands, und die beiden führten ein langes Gespräch – über Rente, über Müsli, über Trödelmärkte und, hier wird es besonders interessant: über Kinder.

„Ich kann gut mit Kindern umgehen“, sagte Lustig damals. Nur in der Sendung habe er sie nicht gern, weil das Drehen zu anstrengend für sie sei. Für die Kinder, wohlgemerkt. „Das ist Quälerei, immer“, und davor wolle er sie beschützen.

Eine Woche später titelte die „Bild am Sonntag“: „Peter Lustig: Ich kann Kinder nicht leiden“.

Aus der Aussage, dass er Kinder beim Drehen nicht dabeihaben wolle, wurde also kurzerhand die Behauptung, er könne Kinder überhaupt nicht leiden. Viele andere Medien schrieben die Geschichte sofort bei der „Bild am Sonntag“ ab, ohne sie zu überprüfen. Und so war bald überall zu lesen: „Peter Lustig hasst Kinder!“ Und obwohl der Moderator und das ZDF die Behauptung sofort dementierten, ist die Falschmeldung bis heute – 22 Jahre später – immer noch weit verbreitet.

Nachdem ich kurz nach Lustigs Tod im Jahr 2016 im BILDblog über die Entstehung dieser Lüge geschrieben und im vergangenen Jahr ein TikTok-Video dazu veröffentlicht hatte, bekam ich immer wieder Zuschriften von Menschen, die mir nicht glaubten. Ohne irgendeinen Beleg behaupteten sie, Peter Lustig wäre doch ein Kinderhasser gewesen und ich hätte das alles falsch verstanden.

Darum habe ich mich zu Lustigs diesjährigem Todestag mit einem Mann getroffen, der es wissen muss: Kai Biermann, dem Journalisten, der 2002 das folgenreiche Gespräch mit Peter Lustig geführt hat. Ich wollte von ihm wissen: Was genau hat dieser ihm damals zum Thema Kinder gesagt? Wie hat er auf die anschließende „Bild“-Schlagzeile reagiert? Und was sagt diese Geschichte über die Macht und die Verantwortung von Medien aus? Seine Antworten sehen Sie in folgendem Video:

9 Kommentare

  1. Was mich bei allen Beiträgen etwas stört, die um das Thema BILD zirkulieren, ist der klar fatalistische Grundtenor, der sich längst etabliert hat, als sei BILD aka. Springers Schmutzschleuder, eine Naturgewalt.
    Sind solche Pamphlete wirklich so etwas wie der Preis der Freiheit?

    Ich weiss, ich bin ein etwas überalterter Utopist. Ich weigere mich daran zu glauben, dass gegen diese Art der Journalismus kein Kraut gewachsen ist.
    Es zeigt sich i.A. mal wieder, dass die ohne Skrupel und Gewissen am längeren Hebel sitzen.
    Das muss doch ( ohne Plattformverbote ) auch anders zu regulieren sein.
    Wäre es nicht gerade heute angesagt, dem Presserat mal so etwas wie Zähne zu verpassen?

  2. Mich erstaunt (und wusste es nicht), dass es anscheinend im Journalismus keine Regeln gibt Quellenangaben machen zu müssen – denn offensichtlich zitiert ja BILD aus den Stuttgarter Nachrichten und pustet was in die Welt, was von deren Leser*innen als eigene journalistische Schöpfung konsumiert wird.

  3. @#5: „Ich weigere mich daran zu glauben, dass gegen diese Art der Journalismus kein Kraut gewachsen ist.“ Klar gibts ein Kraut: Wenn keiner mehr für solchen „Journalismus“ zahlt, dann hat sich das Problem ratzfatz erledigt. Wir Konsumenten haben es selbst in der Hand. Aber, ach…

    Was hat nochmal Brecht vorgeschlagen, dass die Regierung mit dem Volk machen solle? ;-)

    „Wäre es nicht gerade heute angesagt, dem Presserat mal so etwas wie Zähne zu verpassen?“ Eine hervorragende Idee. Wer legt nochmal fest, ob der Presserat Zähne hat oder nicht? Ach ja, die Döpfners dieser Welt machen das selber… Nachdem die sich wohl dazu nicht hinreißen lassen werden, brauchts es wohl doch ein Bundespressegesetz. Oder vielleicht doch lieber kein Gesetz?? Knifflige Sache…

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