Nach 5 Jahren Mauern: „Spiegel“ räumt ein, keinen Beweis für Enthüllung zu haben
Der „Spiegel“ hat nach über fünf Jahren erstmals eingeräumt, dass er keinen Beweis für Behauptungen hat, die er 2014 über mögliche Schiebereien bei der Fußball-WM in Brasilien aufgestellt hat. Er hat den zweifelhaften Artikel aus dem Netz genommen. Sein Autor Rafael Buschmann wird nicht, wie eigentlich geplant, Chef des Investigativressorts. Er hat aber sonst offenbar keine Konsequenzen zu befürchten. „Es geht jetzt darum, Rafael und den SPIEGEL aus dem Fokus zu nehmen“, schreibt Chefredakteur Steffen Klusmann intern.
Übermedien hatte am 24. Juli 2019 über den Fall und die geplante Beförderung Buschmanns berichtet. Über die neuen Entwicklungen berichtete heute als erstes die „Süddeutsche Zeitung“.
Unter der Überschrift „Faule Äpfel“ hatte der „Spiegel“ in Heft 27/2014 behauptet, der berüchtigte Matchfixer Wilson Raj Perumal habe im Facebook-Chat mit einem „Spiegel“-Redakteur den Ausgang des Gruppenspiels zwischen Kamerun und Kroatien korrekt vorhergesagt: 4:0 für Kroatien, mit einer Roten Karte in der ersten Halbzeit. Perumal widersprach dem „Spiegel“ öffentlich unmittelbar nach der Veröffentlichung. Er legte Screenshots vor, wonach er erst nach dem entsprechenden Spiel mit dem „Spiegel“-Redakteur gechattet habe. Der „Spiegel“ legte trotz vielfacher Aufforderung und wachsender Zweifel keinerlei Belege für seine Behauptung vor; er betonte auf immer neue Nachfragen jahrelang aber immer wieder, er bleibe bei seiner Darstellung.
Das änderte sich auch nicht, nachdem der „Spiegel“-Reporter Claas Relotius als Betrüger aufgeflogen war und das Nachrichtenmagazin eine Kommission einsetzte, die sich auch mit anderen Ungereimtheiten in der „Spiegel“-Berichterstattung befasste. Trotz zahlreicher interner und externer Hinweise, die dafür sprachen, dass die Perumal-Berichterstattung von Rafael Buschmann falsch war, wollten weder der „Spiegel“ noch die Kommission Probleme mit der Geschichte einräumen. Eine Aufklärung fand nicht statt. Im Kommissionsbericht kommt der Fall nicht vor.
Warum konnte Buschmann nicht beweisen, dass die Unterhaltung mit dem Matchfixer so stattgefunden hat, wie er behauptete, wenn es doch einfach ein direkter Facebook-Chat war? Die Begründung, die er gegenüber der Relotius-Kommission abgab, klingt abenteuerlich. Die „Süddeutsche Zeitung“ fasst sie so zusammen:
Der Chat mit dem Wettbetrüger habe sich vor seinen Augen aufgelöst. Dass er gehackt worden oder in eine Interpol-Operation gegen die Wettmafia geraten sei oder dass das Chatprogramm einen Bug gehabt habe? Alles sei möglich. Screenshots, die er in den sich selbst löschenden Chat hinein noch gemacht habe, seien verloren gegangen, als sein Handy in eine Pfütze gefallen sei.
Der „Spiegel“ wusste vor der Veröffentlichung des Artikels, dass er die Behauptungen über Perumals angebliche Prognose nicht belegen kann. Die beiden Sport-Ressortleiter, der Justiziar und der Chefredakteur sollen sich trotzdem für die Veröffentlichung entschieden haben.
Der Fall ist für den „Spiegel“ besonders unangenehm, weil Buschmann Karriere machen sollte und an besonders heiklen Themen arbeitete. Er hat inzwischen einige Prominenz erreicht. Er ist der einzige Journalist, der Kontakt zu dem Hacker Rui Pinto hatte und von ihm Zugang zu Millionen Dokumenten mit „Football Leaks“ bekam. Buschmann wurde auch von der Hackergruppe „Fancy Bears“ des russischen Militärgeheimdienstes GRU beliefert.
Trotz der Zweifel an seiner vermeintlichen Enthüllung 2014 und trotz Bedenken von Kollegen, die nicht nur wegen dieses Falls Zweifel haben, wie seriös Buschmann arbeitet, wollte Steffen Klusmann ihn zum Chef des Investigativressorts machen. Daraus wird nun nichts. Angeblich verzichtete Buschmann wegen der zweifelhaften Geschichte damals jetzt selbst auf die Beförderung.
Aus heutiger Sicht würde der „Spiegel“ den Artikel „so nicht mehr drucken“, erklärt Steffen Klusmann im Intranet:
„Weil wir den Beleg für den Verdacht, dass ein bestimmtes WM-Spiel manipuliert worden sein könnte, nicht vorweisen können. Es fehlt das Chatprotokoll. Und es reicht nicht, dass die Gegenseite ihrerseits keinen ultimativen Beleg für die Behauptung hat, wir hätten falsch berichtet. Die Beweislast fällt hier tatsächlich uns zu. Nach dem Fall Relotius liegt die Latte, an der unsere Glaubwürdigkeit gemessen wird, nochmal ein Stück höher.“
Auf der Frage, warum der „Spiegel“ nie auf Indizien eingegangen sei, die gegen die Geschichte sprachen, schreibt Klusmann:
„Der SPIEGEL hätte dazu offenbaren müssen, dass er den fraglichen Chat zwischen Perumal und Buschmann nicht vorlegen kann. Perumal sollte aus prozesstaktischen Gründen im Glauben gelassen werden, dass der SPIEGEL noch im Besitz von Screenshots ist.“
Wie Übermedien im Juli enthüllt hat, findet sich ausgerechnet auch in den „Football Leaks“ ein Hinweis darauf, dass der Chat wohl nicht so stattgefunden hat wie von Buschmann behauptet: In einer E-Mail, die darin enthalten ist, schreibt ein damaliger leitender Facebook-Mitarbeiter, der das überprüft hatte, die Konversation habe erst nach dem fraglichen Spiel stattgefunden.
Auf Anfragen der Kommission habe der Mann nicht reagiert. Der „Spiegel“ hat auch bei Facebook um Einblick in die Daten gebeten, hat aber wohl die Hoffnung aufgegeben, dass das Unternehmen irgendetwas Klärendes beisteuern kann oder will.
Buschmann selbst soll eigenständig als Facebook-Nutzer bei Facebook seine Daten angefordert haben. Die waren aber angeblich völlig unbrauchbar und widersprachen sogar dem, was zwischen den verschiedenen Beteiligten unstrittig ist.
Nach über fünf Jahren und Dutzenden Nachfragen verschiedenster Journalisten hat der „Spiegel“ mit dem heutigen Tag endlich aufgehört, die Öffentlichkeit über seine vermeintliche Wettbetrugs-Enthüllung in die Irre zu führen und an einer unhaltbaren Geschichte festzuhalten.
Das ist gut. Aber es ist nicht einmal das Mindeste.
Vieles spricht dafür, dass das, was Buschmann damals behauptete, falsch war – und wenn es falsch war, kann es nicht nur versehentlich falsch gewesen sein. Der „Spiegel“ behauptet nun immerhin nicht mehr, zu wissen, dass es richtig war – aber auch eine Fälschung sei nicht erwiesen. So kommt er darum herum, weiterreichende Konsequenzen zu ziehen.
Der Fall wirft natürlich Fragen danach auf wie sehr dem „Spiegel“-Star-Investigativjournalisten Rafael Buschmann zu trauen ist. Er wirft aber auch Fragen auf nach der Arbeitsweise des „Spiegel“ quer durch die Hierarchie. Wenn zwei Ressortleiter, das Justiziariat und die (damalige) Chefredaktion ausdrücklich der Veröffentlichung eines solchen Artikels zugestimmt haben – welchen ähnlich zweifelhaften Veröffentlichungen haben sie noch zugestimmt? Inwiefern war es allgemein akzeptabel beim „Spiegel“, heikle Behauptungen zu veröffentlichen, von denen man weiß, dass man sie nicht belegen kann?
Inwiefern entsprach es und entspricht es dem allgemeinen journalistischen Ethos des „Spiegel“, seinen Lesern auch noch den Widerspruch zu verschweigen, wenn die Betroffenen im Anschluss an eine solch zweifelhafte Veröffentlichung öffentlich widersprechen? Inwiefern hielt und hält man es für legitim, womöglich aus „prozesstaktischen Gründen“, journalistische Nachfragen irreführend zu beantworten?
Wie kann es sein, dass noch nicht einmal das Auffliegen von Relotius im Dezember 2018 dazu führte, dass der „Spiegel“ all das hinterfragte und sich ehrlich machte, trotz immer neuer interner und externer Nachfragen? Wie kann die Relotius-Kommission guten Gewissens einen Bericht vorlegen, der sich sogar Raum nimmt für eher kleinere journalistische Ungenauigkeiten, aber diesen großen unglaublichen Fall einfach nicht erwähnt, obwohl sie sich mit ihm befasst hat?
Wenn Steffen Klusmann schreibt, der „Spiegel“ würde den Artikel „aus heutiger Sicht so nicht mehr drucken“, ist das beruhigend. Dass er damit offen lässt, ob es aus damaliger Sicht zulässig war, ist zutiefst beunruhigend.
Der „Spiegel“ darf sich nicht wundern, wenn Menschen nun, neun Monate nach Relotius, fragen, was da noch alles rauskommen wird, scheibchenweise, widerwillig, nachdem viele Kollegen immer wieder recherchiert und nachgefragt haben. Und was vielleicht alles nicht rauskommt.
Dem letzten Absatz ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht: Ich finde, diese Geschichte schadet dem Spiegel mehr als der Fall Relotius.
Ich sehe es auch so, dass dieser Fall gravierender ist. Da ist kein Reporter, der berührende (aber letztlich irrelevante) Geschichten erfunden hat. Da ist ein angeblich Investigativer, der einen Korruptionsskandal bei einer Fußball WM erfunden hat, um sich wichtig zu machen und sich als Investigativer zu gerieren.
Die Ausreden wären fast lustig, wenn sie nicht so schwer auszuhalten wären. Rafael Buschmann ist genau so sehr Fälscher wie Relotius. Wieso sagt das eigentlich keiner?
„Der Fall ist für den „Spiegel“ besonders unangenehm,“
Aber warum denn?
Es wäre illusorisch zu erwarten, dass eine Zeitung jahrzehntelang nur Spitzenqualität liefert. Irgendwas geht immer mal schief, überall.
Die Frage ist nur, ob mal was schiefgegangen ist oder ob die wirklich bösartig sind.
Der SPIEGEL hat diese Schwelle schon mehrfach überschritten. Der in meinen Augen drastischste Fall war von ein paar Jahren, als die das Buch eines beo, SPIEGEL unbeliebten Autors aus der Bestsellerliste genommen hatten.
Oft wird kritisiert, dass es heutzutage keine saubere Trennung mehr gibt zwischen Nachricht und Kommentar.
In diesem Fall war es schlimmer: Die Meinung hat die Nachricht verdrängt.
Mit solchen Dingern ist das Revolverblatt unglaubwürdig. Yellow press.
Und deshalb haben Fälle wie Relotius oder Buschmann keine Folgen.
Warum soll jetzt die Aufdeckung von systematischen Lügen unangenehm sein für ein Lügenblatt?
„Inwiefern entsprach es und entspricht es dem allgemeinen journalistischen Ethos des „Spiegel“, seinen Lesern auch noch den Widerspruch zu verschweigen, wenn die Betroffenen im Anschluss an eine solch zweifelhafte Veröffentlichung öffentlich widersprechen?“
Antwort: In jeder Hinsicht.
+
Nichtsdestotrotz, vielen Dank S.N., dass Sie drangeblieben sind.
Streiche „beo,“, ersetze mit „beim“
das erklärt auch teilweise, weshalb Der Spiegel so „stolz“ auf die „Football Leaks“ ist, die gefühlt niemanden wirklich interessieren.
Da will man als Investigativblatt mit dem Investigativjournalisten Buschmann möglichst authentisch dastehen.
Aber weshalb gibt es abseits bildblog und uebermedien keine weitere so populäre Journalisten-kritische Webseite?
Meedia ist ja doch mehr ein BRanchenblatt ohne Kontroverse.
Wieder ein Fall, den die Lügenpresse-Plärrer dankbar aufnehmen und austreten werden. Dass auch beim Spiegel viele Journalisten beschäftigt sind, die ordentliche Arbeit abliefern – wen interessiert das dann noch. Solche Fälle strahlen negativ auf das ganze Haus und den gesamten Berufsstand aus. Ein gefundenes Fressen.
Es ist absolut notwendig und richtig, derartige Fälle aufzubereiten und öffentlich zu machen. Nichts schadet dem Journalismus mehr als unglaubwürdig zu sein. Als Korrektiv und wichtige Stütze in einer Demokratie fällt dem Journalismus eben die besondere Aufgabe zu, wahrhaftig zu sein. Damit wird auch der Demokratie geschadet, wenn Journalismus unglaubwürdig ist. Das haben viele Journalisten, insbesondere des Boulevards nicht begriffen und werden es nie begreifen.
(Nicht wahr, Herr Reichelt?)
Merkwürdigerweise sind aber die Lügenpresse-Plärrer auch diejenigen, die immer so gerne und lautstark Demokratie einfordern, aber gleichzeitig dem verlogenen Boulevard jede Geschichte ungeprüft abnehmen, die sich ideologisch ausschlachten lässt. An Fällen wie Relotius oder Buschmann weiden sie sich dann länger als an den täglichen Lügen ihrer bevorzugten Partei oder des Boulevards.
An der Dummheit dieser Leute wird sich nichts mehr ändern lassen. Aber jene Medienhäuser, die sich selbst immer so gerne ihrer Qualitätsmedien rühmen und preisen, sollten endlich aufwachen und ihre Strukturen harter Selbstkritik stellen. Auch auf die Gefahr hin, dass es schmerzhaft ist und man sich offenbaren muss. Es gilt, retten, was noch zu retten ist. Und da ist Wahrhaftigkeit das Fundament.
Ja, ein sich selbst auflösender Chat! Was bitte soll daran nicht glaubhaft sein?
@B. von Münchhausen, #7
Das ist heutzutage nicht ungewöhnlich, viele Messenger unterstützen so eine Funktion. Facebook hat so etwas aber erst Mitte 2016 eingeführt (https://newsroom.fb.com/news/2016/07/messenger-starts-testing-end-to-end-encryption-with-secret-conversations/), also zwei Jahre nach der Story im Spiegel.
Diese Geschichte vom Handy-Unfall ist und bleibt der Oberhammer. Mal abgesehen von sich angeblich selbst auflösenden Facebook-Chats: Ist es überhaupt möglich, dass ein – ich vermute – einigermaßen hochwertiges Smartphone durch den Fall in eine Pfütze derartig beschädigt wird, dass offenbar noch nicht mal eine technische Rekonstruktion von gespeicherten Daten wie Screenshots möglich war? Damit müssten sich doch wohl auch Fachleute beschäftigt haben, oder? Hat überhaupt jemand das Handy genauer untersucht? Gibt es dazu Angaben vom Spiegel?
@9 Hanno
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Fall in eine Pfütze es wirklich absolut unmöglich macht, einen Speicher auszulesen, wenn man es denn wirklich möchte und zur Not richtig viel Geld in die Hand nimmt.
Es mag für Laien wie Buschmann kaputt aussehen, aber Forensiker können Daten retten
Der „Spiegel“ schildert das im Intranet so:
Danke für die Antworten. Das Ganze bleibt rätselhaft. Dass das Handy mittlerweile vernichtet worden sein soll, rundet die Sache ab.
„Nicht wahr, Herr Reichelt?“
Ich habe im SPIEGEL-Impressum nachgesehen. Dort ist ein Herr Reichelt nicht zu finden.
Können Sie mir einen Tipp geben, wer dieser Herr Reichelt ist?
@11: Die alten iPhones waren nie besonders wasserdicht. Da können schon mal Daten verloren gehen, es kommt halt auf den Einzelfall an.
Aber bloß weil ein Handy ins Wasser fällt, verschwinden nicht Facebook-Nachrichten. Die liegen ja auf dem Server von Facebook und der Server ist nicht ins Wasser gefallen. Und ich dachte die Nachrichten hätten sich vor seinen Augen aufgelöst. Jetzt fehlen sie nach dem Pfützenunfall?
Die SIM-Karte in ein anderes Handy zu wechseln ist auch recht sinnlos. Er hätte sich an jedem PC bei Facebook einloggen können, um Screenshots zu machen.
Es wirkt halt wie eine Lüge. „Natürlich habe ich ihnen meine Seminararbeit geschickt. Ach, gar nicht angekommen? Ja, da muss es wohl ein Fehler bei der E-Mail gegeben haben.“
Ach, in Ihrer Welt gibt es keine „Bild“? Beneidenswert!
… war auf #13, @ Gernot, bezogen…
“Ach, in Ihrer Welt gibt es keine „Bild“?”
Oh, vielen Dank.
Beim ersten Lesen dachte ich nämlich, es ginge um spezielle Machenschaften des Spiegel.
@Marvin: Mmh, bin nicht sicher, ob ich was falsch verstehe oder Sie was falsch verstehen. Aber der Hinweis, dass die Daten auf dem Facebook-Server liegen müssen, führt halt nicht weiter, wenn behauptet wird, Anfragen an Facebook für eine wie auch immer geartete Datenherausgabe hätten nichts gebracht. Und der Hinweis Buschmann hätte Screenshots besser mit irgendeinem anderen Endgerät gemacht, ist ziemlich sinnlos, da sich der „Handyunfall“ ja erst nach dem Anfertigen der Screenshots ereignet haben soll.
Btw: Ich kenn mich mit Facebook überhaupt nicht aus. Weiß jemand, wie man sich den Prozess eines sich selbst löschenden Chats vorstellen muss? Das muss ja irgendwie etwas länger dauern, wenn Buschmann behauptet, er habe Screenshots in den „sich auflösenden“ Facebook-Chat gemacht.
„Ich kenn mich mit Facebook überhaupt nicht aus.“
Ich auch nicht. Und ich glaube, das spielt für unseren Fall keine große Rolle.
Vielleicht sind wirklich ein paar dumme Zufälle zusammengekommen, vielleicht war es wirklich so wie Buschmann es behauptet.
Trotzdem Bullshit!
Wer was behauptet muss den Nachweis erbringen. Immer und überall.
Wenn Lieschen Müller so loslegt, OK, die weiß es vielleicht nicht besser.
Das gilt nicht für die Redaktion eines selbsternannten Nachrichtenmagazins, dort erwartet man einfach Professionalität.
Deshalb ist es in meinen Augen wurscht, ob die direkt gelogen haben oder sich total unprofessionell verhalten. Schrott ist es allemal.
Wer kauft so was?
Ein investigativer Spiegelreporter macht von den einzigen Beweisstücken für seine Super-Story nicht sofort Screenshots und sichert sie?!? Und die veröffentlichen das OHNE diese Chats je gesehen zu haben!?!?
Mir ist der Fußball-Skandal zwar komplett egal – aber wenn man tatsächlich über diese Vorhersage per Chat verfügt, dann zeigt man das doch sofort seinem Chef – und zwar allein aus blankem Mitteilungsbedürfnis! (oder man marschiert mit diesem Tipp direkt ins nächste Wettbüro und muss danach nie wieder blöde Spiegel-Geschichten schreiben…)
Reden die beim Spiegel denn nicht miteinander?
Das habe ich mich schon bei Relotius gefragt: Wenn man so beeindruckende Dinge erlebt und wochenlang in den USA abhängt – dann hat doch jeder normale Mensch das Bedürfnis, davon zu erzählen! Und wenn ich als Chef meinem Mitarbeiter eine wochenlange Recherche im Ausland für teuer Geld finanziere, dann spreche ich doch rein aus Neugier mit ihm darüber!?
Spätestens bei einem persönlichen Gespräch fällt doch selbst dem weltfremdesten Chefredakteur auf, dass was nicht stimmt. Und wenn nicht, dann frage ich mich: Was lassen sich denn die Spiegel-Redakteure sonst noch für Bullshit erzählen, wenn sie offenbar über so wenig Menschenkenntnis verfügen?
P.S.: Lieschen Müller hätte übrigens sofort einen Screenshot gemacht und ihn ihren Freunden geschickt. Lieschen Müller macht immer Backups, weil sie nicht will, dass ihre Urlaubsfotos verschwinden, falls sie ihr Handy verliert…
„und zwar allein aus blankem Mitteilungsbedürfnis!“
Im Großen und Ganzen JA.
Allerdings ist recherchieren manchmal mit klandestinen Methoden verbunden. Wenn es eine Wettmafia gibt, kommt man nicht so einfach rein. Man muss Vertrauen aufbauen, schmieren, kleine Gefälligkeiten usw.
Vielleicht hat Buschmann wirklich was gefunden. Vielleicht hat er sich im Hinblick auf Handy und Datensicherung wirklich idiotisch verhalten (manch einer ist eben nicht technikaffin). Vielleicht war er dann im Modus „… wäre alles umsonst gewesen“.
Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber vielleicht war das so.
Doch auch dann muss der verantwortliche Redakteur die Notbremse ziehen.
Keine Belege – keine Veröffentlichung. Einfacher geht es nicht.
Was haben eigentlich die Faktenchecker der sagenumwobenen SPIEGEL-Dokumentation in dieser Sache kontrolliert?
https://www.spiegel.de/extra/spiegel-dokumentation-so-arbeiten-die-unsichtbaren-a-1161377.html
@Windisch: Die Faktenchecker der „Spiegel“-Dokumentation haben damals tatsächlich korrekt festgehalten, dass kein Beleg für die Behauptungen vorliegt. Sie haben halt nicht das letzte Wort, ob etwas veröffentlicht wird oder nicht.
Danke für die Info (S.N. 22.), das wusste ich nicht.
Wenn die Dok ordentlich zugearbeitet hat, dann hat Redaktion keine Ausrede mehr.
Na klar, da ist ein Spiegelreporter in der Lage, sich in ein kompliziertes Wettmafia-Ding einzuschleusen -aber zu doof für nen Screenshot!?
Und gerade wenn man es mit lebensgefährlichen Recherchen zu tun hat, dann weiht man IMMER mindestens eine Person ein (die dann im Zweifel mal nachsieht, wenn man verschwindet und in seiner Bude vermodert…)
Also echt komische Leute da beim Spiegel.
Bitte stellt Euch mal vor, Euer Kind sagt: Mama, ich wollte gerade deine sms speichern als sie sich vor meinen Augen aufgelöst hat. und danach ist mir das Handy in ne Pfütze gefallen.
Ja, genau.
„Ach, in Ihrer Welt gibt es keine „Bild“?“
In der Disziplin Glaubwürdigkeit ist der SPIEGEL im Wettbewerb mit der BILD?
Das ist das noch erleben darf.
@Erzwink (#8): Im Juli 2016 hat Facebook offenbar Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt – ein Feature, das z.B. bei WhatsApp standardmäßig aktiv ist, bei Facebook Messenger aber nur optional. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hat aber nichts mit „sich selbst zerstörenden“ Nachrichten zu tun. Diese Funktion hat Facebook offenbar erst ab Oktober 2016 schrittweise eingeführt:
https://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-3825391/Stop-government-spying-messages-Facebook-users-self-destructing-secret-conversations-Messenger.html
Wobei das ja noch nicht heißt, dass Facebook die Daten komplett von den eigenen Servern gelöscht hat, selbst wenn die Darstellung des Chatverlaufs selbstlöschend ist. M.E. eher unwahrscheinlich. Anständige Datenhamster wie Facebook löschen nichts ohne Not von den eigenen Servern. Außerdem:
Dazu eine Anmerkung: Natürlich kenne ich die angeforderten Daten nicht und kann dementsprechen nicht beurteilen, ob sie unbrauchbar sind oder nicht, allerdings ist es unter psychologischen Gesichtspunkten und menschlich durchaus nachvollziehbar, dass Unstrittiges von den Beteiligten subjektiv als wahr angenommen wird, auch wenn es objektiv falsch ist. Menschliche Erinnerung ist in dieser Hinsicht etwas heikel und unzuverlässig, da sie veränderlich ist und sich auch fortwährend verändert und neu bewertet wird. Die Daten müssen also nicht zwingend unbrauchbar sein, bloß weil sie in anderen Punkten nicht den Erinnerungen entsprechen.
Darüber hinaus schließe ich mich dem allgemeinen Tenor an, dass mit den Belegen auch die Geschichte selbst verlorengegangen ist. Gerade im Investigativbereich sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Umso bemerkenswerter, dass der „Spiegel“ noch ein halbes Jahrzehnt daran festgehalten hat und sich erst jetzt distanziert. Gute Krisenkommunikation hätte hingegen unmittelbar darauf abzielen müssen, sich ehrlich zu machen, nachdem es öffentliche Zweifel an der „Spiegel“-Darstellung gab, da intern ja bekannt war, dass der eigene Standpunkt aus Mangel an Beweisen nicht zu verteidigen ist. Meiner Meinung nach ist tatsächlich dieser jahrelange Eiertanz ein Problem für die Glaubwürdigkeit des „Spiegel“ – gerade im Hinblick auf die noch nicht lange zurückliegende Causa Relotius und die versäumte Chance der gleichzeitigen Aufarbeitung im Zuge derselben. Für Relotius gilt sicher im stärkeren Maße, dass er einfach das Pech hatte, im falschen Jahrhundert Journalist zu sein. In früheren Zeiten, als die literarische Tradition im Journalismus noch ausgeprägter war, wären seine Artikel für ihn bestimmt nicht in dem Maße zum Problem geworden und vielleicht wäre das sogar gesellschaftlich akzeptiert gewesen. Dahingehend ist er fast eine tragische Person. Bei Buschmann wiederum bleibt irgendwie der Eindruck haften, sein Hund hätte die Notizen gefressen. o_O
@Telemachos
> Wobei das ja noch nicht heißt, dass Facebook die Daten komplett von
> den eigenen Servern gelöscht hat …
Ich würde es nicht 100-prozentig nicht ausschließen, halte es aber für unwahrscheinlich, dass Facebook gelöschte Nachrichten aus dem Messenger dauerhaft aufbewahrt – möglicherweise für einen kurzen Zeitraum, aber nicht dauerhaft.
Aufgrund des Rechts auf Datenübertragbarkeit (Art. 20 DSGVO) stellt Facebook ja mittlerweile eine Funktion zur Verfügung, um sämtliche gespeicherten Informationen, entweder als HTML oder maschinenlesbar als JSON, herunterzuladen. Nun könnte Facebook diese Daten natürlich filtern bzw. verfälschen, aber durch einen dummen Zufall herauskommen würde, dass Facebook eine gesetzlich garantierte Daten-Selbstauskunft manipuliert hat, dürfte das einen ziemlichen Backlash samt Strafe durch die Datenschutzbehörden nach sich ziehen.
Nebenbei würde ich jedem, der ein Facebook-Konto hat – auch wenn es nicht wirklich aktiv nutzt – empfehlen, sich mal die Daten runterzuladen (Funktion „Deine Informationen herunterladen“ in den Einstellungen). Vor allem der Bereich Werbung ist ganz interessant – da findet man solche Informationen wie „Werbetreibende, die anhand einer hochgeladenen Kontaktliste mit Kontaktdaten, die du mit ihnen oder einem deren Datenpartner geteilt hast, Werbung schalten“.
@ Jan
Ich bin jetzt mal großzügig davon ausgegangen, Facebook würde, die Daten aufbewahren, da zum einen besagte Funktion im zur Rede stehenden Zeitraum noch nicht existierte, Facebook auch Daten von Personen erhebt, die keine Kunden sind und zu denen keine Geschäftsbeziehung besteht (dieser Umstand beschäftigt bspw. aktuell Gerichte) und Daten und deren Verwendung die Geschäftsgrundlage von Facebook darstellen. Außerdem nehme ich an die Geschäftspraktiken sind bei Facebook vergleichbar, mit denen anderer Marktteilnehmer; Tinder z.B. speichert alles. Auch dort lohnt sich die Datenselbstauskunft. :D
Soweit ich weiß, habe ich auch nicht geschrieben, Facebook würde Daten manipulieren oder filtern (um nicht missverstanden zu werden: ich werde mich hüten für Facebook in irgendeiner Weise meine Hand ins Feuer zu legen), sondern, dass auf das menschliche Erinnerungsvermögen nicht hundertprozentig Verlass ist. Das betrifft insbesondere die zeitliche Dimension. Wenn es also Widersprüche zu den Daten gibt, muss es nicht an den Daten liegen.
Kurzer Nachtrag: Wir sollten den Vorgang auch nicht zu entmystifizieren versuchen, indem wir davon schreiben, es wäre etwas gelöscht worden, da der Chatverlauf sich doch quasi einfach in Luft aufgelöst hat und jetzt lediglich weg ist, ohne dass sicher gesagt werden könnte, da wurde irgendwas von irgendwem gelöscht. ?
Herr Niggemeier, war es das jetzt eigentlich? Ich finde es zutiefst verstörend, die sachliche und kritische Aufklärung im Fall Buschmann auf Übermedien zu lesen und gleichzeitig festzustellen, dass sowohl Der Spiegel als auch Buschmann selbst mit alledem durchkommen. Wieso gibt es da kein größeres mediales Echo, keinen ernsthaften Druck? Der Spiegel hat wider besseren Wissens eine Story gedruckt, für die es von Anfang an keinen Beleg gab – und dies Jahre lang geleugnet. Und der Redakteur Buschmann hat offensichtlich und nachweislich gefälscht, um sich wichtig zu machen und eine Story zu bekommen, die eigentlich keine war. Wie kann der Mann noch Redakteur sein? Wie kann Der Spiegel einfach so weiterhin an ihm festhalten? Das der Verlag diesen Weg einschlägt, weil er nach Relotius nicht noch mehr eingestehen kann, finde ich fast nachvollziehbar. Dass er aber damit durchkommt, das finde ich erschütternd.