Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Dieser Text ist, wenn man so will, die Kritik einer Kritik an der Kritik von „Wetten, dass..?“, aber keine Angst, hier oben auf der dritten Meta-Ebene ist es zwar ein bisschen zugig, aber dafür man hat einen tollen Ausblick.
Es ist ja so, dass nicht nur „Wetten, dass..?“ im Laufe der Jahre zum Ritual geworden ist, sondern auch der anschließende „Wetten, dass..?“-Verriss. Insofern ist es nur konsequent, wenn auch der „Wetten, dass..?“-Verriss-Verriss im Grunde nur noch eine Wiederholung ist.
Und damit blenden wir uns ein in die Kolumne von Harald Martenstein aus dem aktuellen „Zeit-Magazin“, die mit den Worten beginnt:
„Noch bevor ich mich mit meinem neunjährigen Sohn vor den Fernseher setzte, um auf seinen Wunsch im ZDF das allerletzte Wetten, dass..? mit Thomas Gottschalk zu sehen, war mir zweierlei klar.
Erstens, die Sendung würde eine sagenhafte Quote einfahren. Gottschalk würde im Jubel seines Publikums baden.“
Bevor wir zu Zweitens kommen (ein bisschen Geduld, bitte) blättern wir zurück in den November 2022, das „Zeit Magazin“, die Kolumne von Harald Martenstein, die mit den Worten beginnt:
„Unser kleiner Sohn ist acht und ein Fan von Wetten, dass..?, seit er es im letzten Jahr mit seinen Eltern zum ersten Mal gesehen hat. Nach der Show am vergangenen Samstag fragte er: „Warum kommt das nicht öfter?“ Zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer hatten sich eingefunden. Der Fernseher war, wie einst, noch einmal das große Lagerfeuer, um das sich alle Generationen versammelten.“
Das ist eine der Lücken, die der Abschied Gottschalks von „Wetten, dass..?“ reißt: Nächstes Jahr wird Martensteins Sohn zehn sein, aber vermutlich in keiner Kolumne mit seinem Vater vor dem Fernseher sitzen.
Gottschalk war, da sind sich Kritiker und Anhänger weitgehend einig, wie immer. Martenstein schreibt in seiner aktuellen Kolumne:
„Die Kritik an der letzten Sendung, in der Gottschalk war wie immer, ist (…) sachlich völlig richtig. Gottschalk verwechselte Namen, war manchmal ein wenig unsensibel, er machte peinliche Scherze und nahm sich selbst wichtiger als seine Gäste. Die Leute mögen ihn, weil er so ist. Er ist nämlich, wie sie selbst sich sehen – nicht perfekt, vielleicht sogar ein bisschen dumm manchmal, aber nett und etwas unsicher, was die zahlreichen Tabus der neuen Zeit betrifft.“
Oder wie er 2022 schrieb:
„Gottschalk war wie immer. Das heißt, er vertat sich hin und wieder bei Namen und Fakten, seine Scherze und seine Fragen an die Gäste waren manchmal grenzwertig (…)
Warum lieben die Leute diesen Kerl? Weil er so rüberkommt, als sei er einer von uns. Weil er Fehler macht, wie alle. Gottschalk ist nahbar, oder, auf Neudeutsch, authentisch. Ein netter Mensch, sogar wenn er frech wird.“
Damals meinte Martenstein:
„Das also kann das viel kritisierte öffentlich-rechtliche Fernsehen immer noch an Relevanz und Reichweite erreichen, wenn es zumindest hin und wieder ein bisschen so ist wie früher. Das heißt: offen für alle, nahbar, weniger pädagogisch und weniger einseitig.“
Dieses Jahr formuliert er, wofür „das Ende von Gottschalk“ stehe:
„(…) Symbol für ein Fernsehen, das von den Leuten zwar Gebühren kassiert, am liebsten immer mehr, aber sich nicht als Dienstleister sieht, sondern eher als Erzieher.“
2022 füllte Martenstein die Kritik mit vielen negativen Kommentaren ungenannter Menschen auf Twitter, und machte sich über Kritiken auf den Internetseiten von „Stern“ und ntv lustig. In diesem Jahr kommt er ohne Twitter aus und zitiert ausführlich und sinnentstellend aus einer Kritik von „t-online“. Er behauptet, der Autor habe …
Thomas Gottschalk durchaus richtig verstanden, dies bewies sein anklagender Satz: „Er gaukelte dem Publikum ein Gefühl der Sorglosigkeit vor, der Unbeschwertheit.“ Genau das ist es ja, worum es bei Unterhaltungssendungen gehen sollte.
Aber der Satz ist gar nicht in dem Sinne „anklagend“ wie Martenstein behauptet. Der „t-online“-Autor wirft Gottschalk, im Gegenteil, vor, dass er in seiner letzten Sendung genau dieses Gefühl der Sorglosigkeit, anders als früher, nicht mehr vermittelt habe.
Martensteins aktuelle Kolumne, die über größere Strecken ein Neuaufguss seiner Kolumne von vor einem Jahr ist, endet mit dem Satz:
„Neue Ideen kann jede Gesellschaft gut gebrauchen.“
Noch lustiger ist der Schluss der Kolumne vom vergangenen Jahr:
„Gottschalk ist gegen Schmähungen immun, das ärgert die Schmäher am allermeisten. Mein Sohn freut sich aufs nächste Jahr.“
Immunität ist auch nicht mehr was sie mal war: Gottschalk hat als einen Grund für seinen Abschied ja genannt, dass er im Fernsehen nicht mehr so reden dürfe wie zuhause, ohne dass es einen „Shitstorm“ gebe.
Aber das ist es ja: Es geht (angeblich) nicht nur um Thomas Gottschalk, es geht um das große Ganze, die „Spaltung der Gesellschaft in eine sich missachtet fühlende Mehrheit und eine intolerante, repressive, allzu mächtige Minderheit“, für die Gottschalks angeblich widerwilliger Abschied nach Ansicht von Martenstein ein Symbol ist.
Das ist das „Zweitens“, von dem er gleich am Anfang seiner aktuellen Kolumne schrieb, dass er es vorher schon gewusst hätte:
„das Fernsehdenkmal Gottschalk würde auch noch bei der letzten sich bietenden Gelegenheit in einigen Medien hasserfüllt verrissen werden, sagen wir ruhig mal ganz offen: von denen, die sich dem Regiment der Wokeness unterworfen haben.“
Man kann Gottschalk nicht mehr einfach so doof finden, ohne von Martenstein als willfähriger Handlanger eines „Wokeness-Regiments“ geschmäht zu werden. Das ist sein Lebensthema geworden. Er schreibt inzwischen regelmäßig für Springers „Welt am Sonntag“ und die rechte „Weltwoche“, war Gast bei Bild-TV und gerade erst im Talk von „Nius“, dem Online-Angebot für Leute, denen „Bild“ zu leise, seriös und, nun ja: woke ist.
Dabei gab es eine Zeit, als Martenstein all das, was er heute an Gottschalk rühmt, noch unerträglich fand. 2003 schrieb er:
„Im Fernsehen war Gottschalk. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Früher fand ich ihn gut. Aber er strahlt jetzt so was Altmännerhaftes aus mit seinen schlüpfrigen Bemerkungen und seinem Rumgetatsche an jeder Braut, die ihm näher kommt als drei Meter. Ein Mann, der mehr als einen schlüpfrigen Witz pro Quartal erzählt, ist senil. Das ist meine Altmännertheorie. Ich bin jünger als Gottschalk. Ein bisschen.“
Schon ein Wort wie „altmännerhaft“ würde der Martenstein von heute sich als diskriminierenden Begriff ablehnen. Aber damals hatte er sich – noch bevor das Wort „woke“ überhaupt Europa erreicht hatte – offenbar dessen Regime schon komplett unterworfen.
Ein Jahr zuvor, 2002, schrieb Martenstein über Gottschalks Witze:
„Man wäre hin und wieder gerne vor Peinlichkeit in den Boden versunken, aber einen so tiefen Boden gibt es in einer normalen Wohnung ja nicht.“
Und:
„Gottschalk (…) ist ganz und gar Gottschalk geblieben, er kann wohl nicht anders. Dass es damit allmählich zu Ende geht, versteht sich von selbst. (…) Eine gewisse Form von uneleganter Schlüpfrigkeit dagegen ist Gottschalks Monopol geblieben, das wird, wenn er eines Tages abtritt, mit ihm verschwinden. Diesmal schaute er der Schauspielerin Jutta Speidel so lange ins Dekolletee, bis sie laut protestierte.“
Thomas Gottschalk hat sich seitdem nicht verändert. Aber vielleicht die Welt. Und ganz sicher Harald Martenstein.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Ja, Harald Martenstein hat sich sehr verändert. Den Kolumnen heute fehlt komplett sein sprühender Witz der frühen Jahre. Nur noch nörgelpörgelschmörgel. Das scheint ein Phänomen des maskulinen Älterwerdens zu sein. Ich wünschte, die Pharmaindustrie würde sich ihrer Verantwortung bewusst und Anti-Quengel-Zäpfchen für Männer ab 60 entwickeln. Die bekommen wir dann einmal jährlich bei der Prostata-Untersuchung vom Urologen verschrieben. Ich bin ja selber nicht besser. Sonst hätte ich mir diesen Kommentar verkniffen.
Das ist ein wunderbar kluger, geistreicher und lustiger Kommentar. Martenstein so elegant und entspannt mit seinen eigenen Texten zu entblößen – großes Kompliment.
@Michael Frey-Dodillet
Ja, so ein Zäpfchen hätte ich dann auch gerne. Aber nun mal zu den wichtigen Themen:
Einmal im Jahr zum Urologen? Wirklich? Muss das?
Alle 5 Jahre reicht nicht?
In tiefer Sorge,
Frank Gemein
Die Zäpfchen würde ich, wenn verschreibungspflichtig, sogar auf dem Schwarzmarkt in diesem ominösen neulandigen Darknet ordern und rein prophylaktisch einschieben…
Diese dumme „Alles ist woke“-Platte leiert inzwischen ziemlich. Alte weiße Männer betrauern, dass sich die Welt geändert hat und sie Kritik und Gegenwind ernten, wenn sie ungehemmt sexistisch sind.
Das „Woke-Regime“ ist zum krassen Feindbildbild geworden und trifft auf einen schwierigen Medienmarkt, auf dem populistische Parolen noch Geld bringen. Ein letztes Aufbäumen…
Und generell verstehe ich auch einfach gar nicht, was die Kritik an der „Wokeness“ überhaupt ist. Wollen die Kritiker nun wieder N…. zu Menschen mit schwarzer Hautfarbe sagen, oder was ist eigentlich deren Anliegen?
Ich habe schon lange nicht mehr „Wetten, dass“ gekuckt, aber schon „damals“ habe ich das wohl falsch gemacht – statt mich für mehr oder weniger spannende Wetten zu interessieren, oder für mehr oder weniger interessante Promi-Gäste, hätte ich Trottel mich hauptsächlich um den Moderator zu scheren gehabt, der die Lücken zwischen Wetten und Gästen zu schließen hatte.
Der in der mehr oder weniger guten, aber alten Zeit bereits Sprüche raushaute, über die dann diskutiert wurde, ob sie grenzwertig waren, oder wenn nicht, auf welcher Seite der der Grenze.
Und deshalb glaube ich, dass der Shitstorm damals einkalkuliert war, und immer noch ist, und dass die Empörung hierbei tatsächlich doppelt sinnlos ist – einmal ist sie das, was Gottschalk und Co. wollen, und außerdem ist die Empörung ja nicht gerade die Widerlegung der gemachten Aussage.
Aber Martenstein merkt es nicht. Schade eigentlich.
Ich lese Herrn Martensteins Kolumne im Zeitmagazin seit 3 Jahren nicht mehr. Das ist einfach verschwendete Lebenszeit.
Deswegen um mehr danke für diese textkritische Beobachtung.
Danke, gelungene Kolumne. Ja, Martenstein hat sich verändert. Und vielleicht hat er immer auch eher über sich geschrieben als über andere. Am Ende geht es halt um seine Überzeugungen und Werte und die haben sich verändert.
„Woke“ ist meiner Einschätzung nach ein reiner Kampfbegriff der Rechten, um Andersdenkende zu schmähen. Ein billiger, populistischen Vorwurf, schnell ausgespuckt. Benutzt diesen Begriff ernsthaft sonst jemand (in anderen Kontexten)?
Dass Martenstein immer noch im
Zeit Magazin existiert…. Direkt neben Schiffsreisen nach Norwegen, einem Testbericht zu einem neuen HiFi Kopfhörer und den geistreichen Rätseln (Lösung in der nächsten Ausgabe)? Puh…