Die Kolumne
In loser Folge gehen unsere Autor*innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben hier (wieder) darüber.
Ein Loch. Laut Schulbuchdefinition ist das eine „Stelle in einer homogenen Masse, an der Substanz fehlt“. Im Fall vom neuen Wirtschaftsmagazin „weil.“, das sich an Kinder richtet, stimmt das: ganz links oben in der Ecke herrscht Substanzlosigkeit. Dort bohrt sich ein Loch durch das Heft zum Knibbeln, Schleudern, Popeln. Um es herum ist allerdings jede Menge Substanz.
Das liegt vermutlich daran, dass gleich zwei Publikations-Hochkaräter das Heft entwickelt haben: Hinter „weil.“ stecken der Kinderbuchverlag Carlsen und die Brand Eins Medien AG. Herausgekommen ist nun ein erstes Heft, das sich dem komplexen Thema kindgerecht widmet, ohne es sich kinderleicht zu machen und einfach „Pinke, Pinke“ abzubilden. Das muss es auch, weil Kinder schnell durchschauen, wenn man sie für doof hält. Dann fassen sie so ein Heft nicht an. Nicht mal für Geld.
In loser Folge gehen unsere Autor*innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben hier (wieder) darüber.
„Entdecke, wie alles zusammenhängt“, ist der Claim von „weil.“. „Wir fanden es wichtig, Kindern zeitgemäß aber nicht anbiedernd zu erklären, wie Wirtschaft funktioniert“, erzählt Susanne Risch, die Chefredakteurin des Heftes wie auch der Brand Eins Medien AG insgesamt. Zusammen mit Guido Neuhaus vom Carlsen Verlag hat sie das Heft konzipiert.
Man hört dem Satz nicht an, wie lang die Abende mitunter waren, bis das Heft stand. Und wie schwierig es sein muss, Kindern zwischen neun und elf Jahren ein System zu erklären, bei dem Eltern meist selbst kapitulieren und sich mit „Frag Finn“ (eine Kindersuchmaschine) herausreden. Wie kreativ man sein muss, einen Titel zu finden, der nicht englisch, nicht spießig, nicht pseudo-lustig, nicht lautmalerisch, nicht abgenutzt, nicht vergessbar, nicht albern, nicht ausgrenzend, nicht dämlich ist. Wie man nicht pädagogisch, weil das schon tagsüber passiert, aber dennoch mit Haltung, informiert, erklärt, einordnet – und das bei einer Zielgruppe, die weder Englisch noch Bruchrechnung kann.
Auch die Frage, wie lang Texte eigentlich sein dürfen, bevor Kinder aussteigen, mussten Susanne Risch und Guido Neuhaus klären. Schließlich ist die Hauptzielgruppe noch in der Grundschule. Die beiden haben entschieden: bis zu 6.000 Zeichen. Im Magazin macht das ganze acht Seiten, die mit vielen graphischen Elementen daherkommen, sodass man immer wieder aus- und einsteigen kann, und trotzdem nicht den Faden verliert.
So wie man seinen Kindern passierte Möhren in die Lasagne gemogelt hat, versucht „weil.“ mit Zwischenausruh-Elementen und Erklärkästen bei der Stange zu halten. Für die Super-Ästhetin Risch, die niemals eine geschmeidige, aber unästhetische Lösung in ihren anderen Heften („Brand eins Thema“, „Edition Brand eins“, „Brand eins Neuland“) dulden würde, sei das mitunter „Horror“, wie sie sagt. (Das aber ziemlich lieb und dabei lachend!)
„Ich wusste gar nicht, dass man so viele Herzchen zwischen die Zeilen malen kann“ sagt Risch, nicht über ihr eigenes Heft, sondern die ersten Leserbriefe. „weil.“ sucht auch selbst den Kontakt: In Beiratsgruppen will man künftig mit den LeserInnen sprechen.
Apropos LeserInnen: Im Heft wird nicht gegendert. Wohl bemüht man sich um eine diverse, nicht ausgrenzende Ansprache, aber mehr auch nicht. „Das leisten wir uns“, sagt Risch bestimmt. Für sie ist Gendern genauso unästhetisch wie Glitter und Pink. Deshalb hat sie sich durchgesetzt. „Ich weiß, dass wir uns angreifbar machen. Aber es gilt wie bei vielem: wir warten mal ab.“
Im Heft finden sich Themen wie: Wie du dein erstes Geld verdienst („Biete Deinen Eltern an, den Innenraum des Auto auszusaugen“), was bekommst du für zehn Euro? (1 „L.O.L. Surprise“-Puppe oder fünf Kilo Äpfel), wie viel kostet es, ein Fußball-Fan zu sein? Die Themen sind für die Kinder – und nicht an den Zukunfts-Wünschen überbesorgter Helicopter-Eltern orientiert.
80 Seiten ist das erste Heft, das am 5. Oktober erschien, stark. Und die sind werbefrei. (In einem Text wird sogar die „Apple Watch“ umredigiert zur „Smartphone Watch“. Da könnte man aber noch konsequenter sein. Auf der Doppelseite „Dein Fünfer“ etwa wird über „Lego“ gesprochen. Aber man bemüht sich wenigstens.)
„weil.“ erscheint, wenn alles nach Plan läuft, sechs Mal im Jahr. Acht Euro soll das Heft kosten und nur im Abo erhältlich sein. „Das hat etwas mit unserem Verständnis von Nachhaltigkeit zu tun“, erklärt Risch, „warum sollen wir Ausgaben auf teurem Papier drucken, wenn es hinterher wieder eingestampft werden muss?“ Ein Abo kann man auch spenden, etwa für die Schule seiner Kinder oder als Unterstützung für Schulen in ärmeren Stadtteilen. Denn klar, 48 Euro, pro Jahr für ein Kindermagazin, ist viel Geld. Oder wie es bei „weil.“ heißen würde: Dafür bekämst du 30 Kugeln Erdbeereis. Oder könntest deiner Schildkröte Futter für fünf Monate kaufen.
Das Magazin versucht auch subversiv politisch aufzuklären. Etwa, wenn das Heft der Frage nachgeht, wie viel Geld von einem 119 Euro teuren Sneaker für die Näherinnen übrig bleibt? (Antwort: 2,50 Euro.)
Ein Fakt, der vermutlich mehr anfixt, über wirtschaftliche Zusammenhänge etwas wissen zu wollen, als die Reportage über historische Tauschmittel. Auch, weil er der Tiktok-Logik folgt: weiter erzählen, punkten, posen.
Solche Fakten werden Kinder, die das Heft lesen, vielleicht schon wissen oder auch schnell wieder vergessen. Der eigentliche Mehrwert des Heftes liegt eh in den subkutanen Gesprächsangeboten. Über Geld zu reden ist kein gesellschaftliches Tabu mehr, sondern eine Notwendigkeit. Auch, um die Komplexität der Welt besser zu begreifen. Es geht bei „weil.“ also nicht um ein Wissen über Geld, sondern um Finanzkompetenz.
Und nebenbei zeigt es auch den Eltern, wie man mit Kindern über „Darüber musst du noch nichts wissen“-Themen eben doch reden kann: Wer 25.000 Euro hat, kann damit vielleicht eine Fußball-Nachhilfestunde bei Erling Haaland buchen – oder einem Hund dessen ganzes Leben lang Unterhalt und Pflege zahlen (und dann immer noch Geld übrig haben). Oder aber: Wer kein Taschengeld bekommt, hat vielleicht Eltern, die gerade wenig Geld haben. Da können dann eben auch Sneaker ein ziemliches Loch in den Geldbeutel reißen.
Ach, ja: Vermutlich ist das Loch oben links am Heft auch eher für die Eltern als für die Kinder: Kordel durchziehen, am Klo aufhängen, sicher sein, dass alle drin lesen. Auch die Erwachsenen.
Katrin Wilkens, Jahrgang 1971, hat Rhetorik studiert und beim Heidelberger „kress report“ volontiert. Dort hat sie noch vom Gründer des Branchenmagazin, Günther Kress, gelernt, dass man in Reportagen niemals „Bereich“ schreiben darf („Bettnässer-Rhetorik“) und dass „rasant“ das Gegenteil dessen meint, was man gemeinhin denkt. Seit 2000 schreibt sie als freiberufliche Journalistin u.a. für den „Spiegel“ und die „Zeit“.
Wer spendiert dem Praktikanten im BMF ein Abo? Der glaubt ja tatsächlich, dass sich Staaten aus Steuern finanzieren.
Jay, ein Bahnhofskiosk! :))
Gerade noch mit Sohnemann in den Pyramiden, heute schon am Bahnhofskiosk!
Bei solchen Magazinen stellen sich mir zwei Fragen: Erstens, wie lange hält sich sowas? Ist ja eine Art „Was ist was – Wirtschaft“, und da dürften sich die Themen schnell wiederholen. Vielleicht setzt man darauf, dass sich die Zielgruppe neu rekrutiert, sobald die erste Kohorte durch ist.
Und zweitens: Ist das nicht auch ein bisschen gefährlich? In diesem Fall scheint die Intention sauber zu sein (siehe Turnschuhbeispiel), aber so ein Magazin hätte durchaus das Potenzial, lauter kleine Erzkapitalisten heranzuziehen. Ich denke da an die von jedem kritischen Gedanken befreite Wirtschaftskunde an der Schule, die uns die Himmelfahrt des Kapitals lehrte – und da waren wir 16, nicht 11, also nicht mehr ganz so neu in der Welt…
Zwei Finanzierungs-Fragen nach Kauf der ersten (wirklich netten) Ausgabe:
– Ist der Artikel über Mandalorianer bezuschusst von Disney (Hinweis fehlt & Text wirkt arg konstruiert)?
– Auch die „Lego-Fakten“ lesen sich wie ein ungekennzeichnetes Advertorial (samt Link zum Hersteller). Floss hier Geld?
Rest des Magazins ist wirklich gut gemacht @KritischerKritiker und zeigt mehrmals auch Konsumkritik auf!