Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Ich hatte das, was man unter allen Artikeln von „T-Online“ findet, für einen Fehler oder eine Frechheit gehalten, bestenfalls für ein Missverständnis. Stellt sich raus: Es ist etwas, worauf der Chefredakteur von „T-Online“ auch noch stolz ist.
Neulich twitterte er: „vorbildlicher Quellenapparat“ und zeigte die tatsächlich beeindruckend lange Liste, die unter einem aktuellen Erklärstück zum Thema Migrationspolitik auf „T-Online“ steht.
Sämtliche aufgeführte Quellen sind online; keine einzige ist verlinkt.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Man kann sich nun als Leser natürlich, wenn es einen wirklich interessiert, die Mühe machen und „Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung im Bundesgesetzblatt verkündet“ bei Google eingeben wie so ein Tier oder auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge selbst die „Aktuellen Zahlen August 2023“ ausfindig machen.
Man kann sogar in der Datenbank des Bundestages nach der Drucksache 20/8046 suchen und dort herausfinden, dass es sich bei der Quelle um die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion handelt mit Angaben über Abschiebungen und Ausreisen im ersten Halbjahr 2023. Es ist sogar viel aufregender, als wenn einem „T-Online“ das vorab schon spoilern würde, anstatt nur „server.bundestag.de: ‚Drucksache 20/8046‘“ unter den Artikel zu schreiben, zur öffentlichen Freude des Chefredakteurs.
Alles daran ist absurd. Schon die ganze Apparathaftigkeit der Quellenangabe unter dem Text – wenn man die jeweiligen Quellen doch einfach direkt an den jeweiligen Stellen im Artikel nennen und verlinken könnte. Und wenn man es schon unbedingt als Apparat anlegen will, dann müsste man es halt wirklich als Apparat anlegen: mit Links oder wenigstens URLs und mit Zeitangaben. Ein im „T-Online“-Artikel als Quelle angegebener Artikel aus dem Verfassungsblog mit dem Titel „Obergrenze ist nicht gleich Obergrenze – und warum es derzeit trotzdem keine gibt“ zum Beispiel stammt aus dem Jahr 2016. Das ist vielleicht nicht ganz irrelevant? Würde es zu sehr helfen, das dazu zu schreiben?
In der jetzigen Form erfüllt die „T-Online“-Quellenapparatattrappe exakt eine Funktion: Sie suggeriert, dass hier mehrere Quellen benutzt und sogar angegeben wurden, journalistisch vorbildlich, wie der „T-Online“-Chefredakteur sagen würde.
Nun ist es nicht so, dass man beim halbseriösen Nachrichtenmedium „T-Online“ nicht weiß, wie man Links setzt. Die Artikel sind voll davon. In dem Migrations-Erklärstück zum Beispiel stecken in dem folgenden Satz gleich drei:
„Der Vorstoß ähnelt stark der Obergrenze, die die CSU unter der Federführung des damaligen Innenministers Horst Seehofer 2017 in der vorherigen Bundesregierung durchsetzen wollte.“
All diese Links und viele weitere führen zu Themenseiten auf „T-Online“ mit Artikeln zu diesen Schlagworten. Der Leser findet also, wenn er in diesem Satz auf „CSU“ klickt, keinen Hintergrund über die damaligen Obergrenzen-Pläne der Partei, sondern eine automatisch generierte Übersicht mit allem, was als „CSU“ einsortiert wurde. Die Links erfüllen kein Leserbedürfnis, sondern ein Verlagsbedürfnis: Sie schaffen eine Verknüpfung, die bei der Anzeige in Suchmaschinen Vorteile verschaffen soll.
„T-Online“ setzt Links, die für Nutzer nicht hilfreich sind, und Links nicht, die für Nutzer hilfreich wären. Man kann das konsequent nennen.
Die Kollegen vom Branchendienst „Medieninsider“ haben T-Online am Dienstag die Frage gestellt:
„T-Online dokumentiert am Ende seiner Artikel die für einen Text verwendeten Quellen. Weder werden diese Quellen in der entsprechenden Box noch im Artikel verlinkt. Was sind die Gründe dafür, dass die Redaktion auf die Verlinkungen nach außen verzichtet?“
Sie bekamen keine Antwort.
Ich habe „T-Online“ deshalb am Mittwoch die Fragen gestellt:
„1. T-Online dokumentiert am Ende seiner Artikel die für einen Text verwendeten Quellen. Weder werden diese Quellen in der entsprechenden Box noch im Artikel verlinkt. Was sind die Gründe dafür, dass die Redaktion auf die Verlinkungen nach außen verzichtet?
2. Warum hat T-Online eine Presseanfrage von Medieninsider zu diesem Thema nicht beantwortet?“
Ich bekam keine Antwort.
Kritischer Journalismus ist nichts, womit man beim „Leitmedium“ „T-Online“ etwas zu tun haben will, wenn man selbst das Objekt der Berichterstattung ist.
Aber damit ist „T-Online“ ebenso wenig allein wie mit der Praxis, Quellen gerne mal nicht zu verlinken. „Medieninsider“ hat sich auch bei der „Süddeutschen“ entsprechend erkundigt und als Antwort keine Antwort bekommen.
Die FAZ teilte „Medieninsider“ immerhin mit:
„Wir verlinken online grundsätzlich nicht auf externe Texte. Das ist auch in vielen anderen vergleichbaren Nachrichtenportalen unüblich.“
Man hätte einer sich selbst so gern als selbstbewusst eigensinnig gebenden Zeitung wie der FAZ gewünscht, dass ihr für ihre unjournalistische Praxis wenigstens eine bessere Begründung als „machen die anderen ja auch nicht“ eingefallen wäre.
Bei der „Tagesschau“ meint man, solche Links nach außen gar nichts setzen zu dürfen, weil der Medienstaatsvertrag ausdrücklich „Verlinkungen, die unmittelbar zu Kaufaufforderungen führen“ verbiete. Die entsprechende „Negativliste“, in der sich dieses Verbot findet, ist allerdings entstanden, um die Interessen kommerzieller Konkurrenten zu schützen – und nicht um ihnen dadurch zu schaden, dass die „Tagesschau“ online nicht auf ihre Recherchen verlinken darf, weil sie werbe- oder abofinanziert sind. Eine entsprechende Auslegung erscheint mir einigermaßen abwegig.
Es ist so bezeichnend, dass rund 30 Jahre nach dem Beginn des Online-Journalismus in Deutschland grundlegende Standards wie das Verlinken von Quellen immer noch nicht selbstverständlich sind – und von manchen vermeintlich seriösen Redaktionen sogar ausdrücklich abgelehnt werden. Selbst bei einem Medium wie dem „Spiegel“, der online immer wieder externe Quellen verlinkt, gibt es dafür laut Auskunft gegenüber „Medieninsider“ „keine verbindlichen Regeln“.
Seit „etablierte Medien“ im Internet sind, scheitern sie an dem, was das Internet ausmacht: Verlinkungen. Ich kann etwas Überraschendes tun und Axel-Springer-Manager Christoph Keese zitieren, der zu einem „Welt Online“-Relaunch vor sechzehneinhalb Jahren schrieb:
„Doch gerade Seiten von Medien verlinken nicht untereinander und lassen damit eine wichtige Möglichkeit des Internets außer Acht. Wir machen es anders und verlinken auch auf Wettbewerber.“
Das stimmte zwar nicht, war immerhin schon mal die richtige Absicht. 14 Jahre ist es her, dass ich mit anderen Leuten ein „Internet-Manifest“ verfasste, in dem die Behauptung stand:
„Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.“
Und hinterher schrieb ich über den Vorwurf, dass wir darin nur Allbekanntes und Banales formuliert hätten:
„Natürlich ist es lächerlich, im Jahr 2009 zu schreiben: ‚Das Netz verlangt nach Vernetzung.‘ Aber wie viele Online-Medien in Deutschland, die über einen Bericht, ein Interview in einem anderen Medium schreiben, setzen den Link zu dieser Quelle?“
(Damals dachten wir übrigens noch, das Problem sei, dass die Medienbranche von Leuten geprägt sei, die mit Print groß geworden sind. Aber Florian „Leitmedium“ Harms hat, wenn sein Wikipedia-Eintrag stimmt, nach seinem Volontariat ausschließlich bei Online-Medien gearbeitet, seit vielen Jahren in leitender Position. Daran liegt es also nicht.)
Es gibt auch im Jahr 2023 in Deutschland noch keine journalistischen Best-Practice-Regeln im Netz, auf die sich diejenigen Medien geeinigt hätten, die sich gerne die Vorsilben Qualitäts- geben. Um das Offensichtliche kurz noch einmal hinzuschreiben: Der Link ermöglicht es mir als Leser, mir ein eigenes Bild zu machen. Kontext zu Informationen und Zitaten zu finden, zusätzliche Informationen, Hintergründe der Recherche, womöglich Widersprüche. Markus Reuter hat es vor einem Jahr auf Netzpolitik leidenschaftlich erklärt: „Links sind Service, Respekt und Aufklärung“.
Und solche Links sind nicht nur im Sinne des Publikums und der eigenen Glaubwürdigkeit, sondern auch der Branche: Man gibt anderen Medien, von deren Recherchen man profitiert, mit einem Link die Möglichkeit, wenigstens in einem kleinen Maße vom selbst generierten Traffic zu profitieren. (Obwohl es natürlich sein kann, dass Leute bei diesen Medien ohnehin kaum noch auf Links klicken, weil sie gelernt haben, dass dahinter nur eine Themenübersichtsseite für Suchmaschinen liegt. Ich fühle mich jedesmal wie der letzte Idiot, wenn ich in einem Artikel auf die Worte „auf Twitter“ klicke, weil ich dahinter den Link zu dem Tweet vermute, um den es gerade geht, und dann doch nur zwischen Steppenläufern auf einer Sammelseite zum Thema „Twitter“ stehe.)
Wir haben intern aus Anlass dieser Diskussion mal unsere eigenen Regeln ausformuliert und in unsere FAQ eingefügt. Hier sind sie, zur Anregung oder damit ich in 15 Jahren nochmal verzweifelt drauf verlinken kann:
Wir nennen unsere Quellen, es sei denn, wir müssen sie schützen. Wir verlinken Inhalte, auf die wir uns beziehen, oder binden sie ein. Auch die Medien, die wir kritisieren, verlinken wir entweder direkt oder über Internet-Archive. Es sei denn, dass sich auf den jeweiligen Seiten Inhalte finden, von denen wir glauben, dass sie extrem problematisch sind oder nicht in die Öffentlichkeit gehören.
Vollinhaltliche Zustimmung, es ist absurd.
Persönlich fände ich eine Link-Liste am Ende praktischer als Links im Fließtext, aber das ist vllt Geschmackssache.
Und natürlich müsste t-online oder wer nicht notwendigerweise zur Konkurrenz oder generell zu Bezahlschranken verlinken, aber eine Veröffentlichung des Bundestages ist ja wohl beides nicht.
Danke. Ich betreibe mehrere Websiten und Blogs und kenne daher das „Problem“ der Verlinkung – auch aus Wikipedia Mitarbeit.
Stimme völlig Markus Reuter zu: „Links sind Service, Respekt und Aufklärung“.
Sie nicht zu setzen ist mE auch eine Art Ausdruck von Geiz und Kleingeistigkeit. Man scheut sich den Quellen Traffic zu geben.
Vermutlich kenn die Nicht-Verlinker nicht die Möglichkeit, Links mit „in einem neuen Fenster öffnen“ zu setzen.
Die glauben, wer auf einen Link klickt ist weg oder findet nur mühsam wieder zurück.
Das ist schon wieder so ein Text, wo ich mich frage, welche Sau jetzt wieder durchs Dorf getrieben wird.
Ware es nicht sinnvoller, einen Text über die zu schreiben, die ihre Quellen nicht darlegen.
Manchmal kann die Antwort auch ganz einfach und viel langweiliger sein, als der Text.
Ich arbeite bei t-online.
Ein Grund für die fehlenden Links ist, dass sich viele Links zu externen Quellen negativ auf das Ranking bei Google auswirken. Ganz einfach.
Der zweite wurde genannt. Natürlich möchte auch t-Online seine Leser auf den Seiten halten..Ich finde das legitim
Praktisch jeder Quellenverweis auf ein Medium ist per Copy and Paste aufrufbar. Ich halte das für zumutbar.
Die Redakteure von t-online haben erst kürzlich neue Richtlinien erhalten, wie Quellen am Ende der Texte aufgeführt werden sollen. Das dient sehr deutlich der Transparenz.
insgesamt bläst dieser Text ziemlich viel heiße Luft. Man kann t-Online sehr kritisieren, aber nicht wegen der Quellen.
Zur Tagesschau:
Das ist die hohe Kunst der Malicious Compliance.